Trennung und Scheidung - ein kritisches Lebensereignis mit
Trauma-Qualität?
Trennung und Scheidung - ein kritisches Lebensereignis mit
Trauma-Qualität?
Etwa in der Zeit um 1970 entstand ein Bruch in der Beurteilung der
Scheidungsfolgen für Kinder. Man kann dies als Teil einer generellen
Entwicklung in der Psychologie sehen, die Auswirkung äußerer
Lebensumstände auf das Individuum weniger strikt zu sehen und deren
Abhängigkeit von weiteren Variablen stärker zu betonen. Hierher
gehören auch Variablen, die in der Persönlichkeit des Betroffenen
liegen, was mit dem Begriff der Vulnerabilität gefasst wurde. Selbst bei
konfliktreichen und traumatischen Ereignissen stellten sich nun mögliche
positive Verarbeitungen heraus z. B. in Richtung auf größere
Reife und Humanität [1 ]. Solche Erkenntnisse
gingen einher mit der Entwicklung der kognitiven Verhaltenstherapie, die gerade
den Bereich zwischen Umweltereignis und Konsequenz für das Individuum mit
der Konzeption des individuellen Bewertungssystems etwa bei Ellis
[2 ] in den Mittelpunkt der Betrachtung
rückte.
Galt es vor 1970 als mehrheitlich vertretene Auffassung in der
psychologischen Literatur, dass die Scheidung der Eltern nicht nur für
diese selbst, sondern auch für deren Kinder erhebliche negative
Konsequenzen nach sich ziehen müsste [3 ], so
setzte sich danach die Erkenntnis durch, dass die Effekte einer Scheidung
für die Kinder sehr deutlich von den genaueren Umständen der
Scheidung und damit u. a. auch von den Verarbeitungsmöglichkeiten des
Kindes abhängen. So etwa können die Spannungen, die lange Zeit vor
dem Scheidungstermin bereits in der Familie vorhanden waren, durchaus
deutlichere Wirkungen haben als die Tatsache der irgendwann in die Wege
geleiteten juristischen Scheidung. Für die konkreten Auswirkungen auf das
Kind sind Kontaktregelungen mit beiden Elternteilen, wie der sorgeberechtigte
Elternteil, aber auch der nichtsorgeberechtigte mit dem Scheidungsgeschehen und
dessen Folgen umgeht, nötige Wohnsitzwechsel, soziale und finanzielle
Veränderungen usw. von Bedeutung.
Gegen die früheren Ergebnisse wurde nun ins Feld geführt,
dass Scheidung und Sozialschicht korrelieren können. Sollte dies in einer
Gesellschaft in stärkerem Umfang der Fall sein, so müsste die
Sozialschicht bei allen Betrachtungen der Scheidungsfolgen kontrolliert werden,
damit man nicht letzten Endes Aussagen über die Sozialschicht macht, wenn
man von Scheidungsfolgen spricht. Auch das Faktum der Scheidung als solches ist
sicher nicht immer zu allen Zeiten gleich zu werten, sondern hängt sehr
deutlich von den Normen und Einstellungen hierzu und von seiner Häufigkeit
ab. In der Tat ist mittlerweile nachgewiesen, dass Ereignisse, die viele
Menschen zur selben Zeit treffen, von diesen als weniger belastend verarbeitet
werden als solche, die nur wenige Personen berühren [4 ]. Dies ist auch verständlich, da man sich
natürlich in Fällen, in denen man als Einzelner unter sehr vielen
betroffen ist, als besonders schlimm vom Schicksal getroffen erlebt. Letztlich
wurde auch darauf hingewiesen, dass die Nichtscheidung der Eltern nicht
unbedingt eine günstige Situation für die Kinder bedeutet. Wenn
Eltern trotz kaum zu überbrückender Differenzen ausschließlich
den Kindern zuliebe zusammen bleiben, so mag dies auch eine sehr gespannte und
belastete Familienatmosphäre bedeuten.
Langenmayr und Mitarbeiter hatten um etwa 1980 eine Untersuchung
begonnen, deren Ziel einerseits ein Vergleich von Scheidungskindern und
Nicht-Scheidungskindern war, andererseits aber auch die Ermittlung der
Auswirkung der genaueren Umstände des Scheidungsgeschehens auf die Kinder
[5 ]
[6 ]. Während sich
dabei einerseits in der Tat die lange vermuteten Auswirkungen einiger
Rahmenbedingungen zeigten, wie z. B. schon lange vor der Scheidung
bestehender Spannungen in der Familie, die negativere Auswirkung eines geringen
Alters der Kinder, die deutlichere Auswirkung von Vater-Abwesenheit bei Jungen
usw., zeigten sich entgegen dem damaligen Mainstream auch deutliche
Unterschiede zwischen Scheidungskindern und Nicht-Scheidungskindern. So fielen
Scheidungskinder etwa im Rosenzweigtest durch eine deutliche Tendenz zur
Impunitivität auf, also zur Reaktionslosigkeit bzw. zur Reaktion ohne
Straftendenz gegen andere oder sich selbst bei erlebten Frustrationen, ferner
aber auch in den 4 verwendeten HAWIK-Unterskalen (AW, AV, WT, ZS) durch
signifikant niedrigere Werte.
Auch wenn diese Untersuchung einige Kritikpunkte aufweist, wie etwa
z. T. retrospektiv erhobene Angaben von den Eltern, so verwunderte die
Autoren doch, dass sich die Befundlage in der Literatur so stark ändern
kann, dass man zunächst etwa vor 1970 sehr viele nachteilige Befunde
für Scheidungskinder ermittelte, während sich danach nur noch wenige
prinzipielle Differenzen ergaben. Eine Rolle hierbei könnten auch Faktoren
spielen, die in der Literatur bisher wenig gewürdigt und noch weniger
empirisch untersucht wurden. So stellte es sich in der Folgezeit als schwierig
heraus, die genannten Ergebnisse zu publizieren.
In der Folge der Untersuchungen ab 1970 konnte man zeitweise den
Eindruck gewinnen, dass die Scheidung der Eltern ein völlig
unproblematisches, vielleicht sogar eher positives Faktum für Kinder
darstellt und dass Ehepaare, die sich scheiden lassen, nichts mehr im Auge
haben als das Wohl der Kinder und des früheren Partners. Dies erscheint
jedoch wenig realistisch, da unter solchen Bedingungen die Voraussetzungen
für eine Scheidung nicht gegeben wären.
So ist mittlerweile auch wieder eine Wandlung in der Einstellung der
Psychologie bei diesem Thema zu erkennen. Etwa unter dem Begriff der bewussten
Entfremdung des einen Elternteils vom Kind durch den anderen, der in USA heute
nahezu als Syndrom betrachtet wird (parental alienation
syndrom [7 ]
[8 ]), werden
in jüngster Zeit die Geschehnisse und Hintergründe wieder
akzentuiert, die an Scheidungen doch problematisch für Kinder sind.
Gemeint ist damit, dass z. B. Kinder und ihre Manipulation zur
Feindseligkeit als Waffe gegen den anderen Partner und die Umgangsvereitelung
zum Ausleben der Aggression gegen diesen benutzt werden.
Es ist also wohl einerseits sicher richtig, dass die Auswirkungen
des Scheidungsgeschehens einschließlich der vorher liegenden und
nachfolgenden Spannungen unterschiedlich sein können. Ebenso erscheint
aber wahrscheinlich, dass die Fälle eher theoretisch denkbar und in der
Praxis eher selten sind, bei denen Eltern mit dem Ende ihrer Beziehungen und
mit der Enttäuschung all der Erwartungen, wegen derer sie diese einmal
eingegangen waren, so vernünftig und offen umgehen, dass negative
Auswirkungen auf die Kinder und die beiden Partner nicht erwartet werden
müssen.
Auf der Basis unserer Untersuchungsbefunde und der geschilderten
weniger euphorischen Sicht des Scheidungsgeschehens in Bezug auf die
Auswirkungen für die Kinder, wie sie mittlerweile in der Literatur wieder
eher gestützt wird [9 ] konzipierten wir das
Projekt „Perspektive Getrennt” (vorgestellt in
[10 ]), dessen Ergebnisse nun in einer ersten
Auswertung dargestellt werden sollen.
Ziel des Projektes „Perspektive Getrennt”, von dem
erste Ergebnisse hier vorgestellt werden, war die familienbasierte
Prävention von trennungs- und scheidungsbedingten
Schwierigkeiten und Auffälligkeiten. Es ging dabei darum, inwieweit
psychologische Interventionen bei Scheidungseltern und ihren Kindern die
psychische Situation der einzelnen Familienangehörigen zu verbessern
imstande sind. Diese Zielsetzung unterscheidet sich auch im Hinblick auf die
begleitende Evaluation erheblich von der Vorgehensweise bei der Entwicklung und
Untersuchung von beispielsweise Behandlungsverfahren für manifeste
psychische Störungen bei Einzelpersonen.
Die Evaluation von krisenbezogenen
Präventionsmaßnahmen
Die Evaluation von krisenbezogenen
Präventionsmaßnahmen
Die Evaluation eines präventiv ansetzenden,
familienorientierten Angebots nach spezifischen Krisen steht demgegenüber
vor verschiedenen Problemstellungen [11 ]: So sollte
(a) im Design sichergestellt werden, dass gemessene
Verbesserungen auch tatsächlich auf die Maßnahme - und nicht
etwa auf davon unabhängige individuelle Anpassungs- und Reifungsprozesse
- zurückgeführt werden können.
Ferner sollten die unterschiedlichen Perspektiven innerhalb der
Teilfamilien berücksichtigt werden. Damit stellt sich aber (b) die Frage
nach der Untersuchungseinheit : Eine Beschränkung
ausschließlich auf die Angaben des teilnehmenden Elternteils griffe zu
kurz angesichts eigener Betroffenheit, wie sie z. B. in
Schuldgefühlen den Kindern gegenüber zum Ausdruck kommen könnte.
Die Sicht der Kinder hingegen wird einerseits alters- und
entwicklungsabhängig schwanken, andererseits wäre die Annahme von
Unabhängigkeit bei Daten von 2 oder mehreren Kindern der gleichen Eltern
nicht gerechtfertigt. Die Aggregation von Eltern- und (oft mehrerer)
Kinder-Resultate zu einem ‚Familien-Kennwert’ berücksichtigt
nicht die unterschiedlichen, z. T. divergierenden Erfahrungen, die alle
Beteiligten in der Folge und Bewältigung der elterlichen
Trennung/Scheidung machen.
Schließlich sind (c) weitergehende Überlegungen zu den
Operationalisierungen erforderlich: Neben der Frage,
welche Prozesse es zu erfassen gilt, spielen angesichts der überwiegend
sehr jungen Kinder auch Erwägungen eine Rolle, welche Verfahren ab welcher
Altersstufe eingesetzt werden können. Darüber hinaus wären
Erhebungen wünschenswert, die dem systemischen Charakter der Intervention
Rechnung tragen: Wie sieht eine teilnehmende Mutter die Entwicklungen ihrer
Tochter, wie die ihres Sohnes? Und wie beurteilen sowohl Sohn als auch Tochter
unabhängig von einander die Veränderungen ihrer Mutter?
Im Folgenden sollen Lösungsansätze für die
aufgeworfenen Fragen und erste Evaluationsergebnisse vorgestellt werden.
Methoden
Methoden
Das Projekt ‚Perspektive Getrennt’
Das Projekt ‚Perspektive
Getrennt’ wurde in der ersten Hälfte der 90er Jahre unter der
Leitung des Zweitautors an der Universität Essen durchgeführt.
Vorgesehen waren getrennte Eltern- und altershomogene Kindergruppen an jeweils
12 ca. 2-stündigen Abendterminen im Wochenabstand. Hinzu kam im letzten
Drittel der Gruppenlaufzeit ein gemeinsamer Wochenendtermin, an dem Eltern- und
Kindergruppen zusammengeführt wurden. Parallel zur inhaltlichen
Ausarbeitung wurde die hier vorzustellende Vorgehensweise der Begleitforschung
festgelegt.
Design
Die bereits erwähnten Überlegungen legten ein
quasi-experimentelles Design mit mehrfacher Messwiederholung nahe (Abbildung
1). Dieses sah vor, sowohl die teilnehmenden Eltern als auch ihre Kinder
unmittelbar nach der i. d. R. telefonischen Anmeldung zu einer
ersten Diagnostiksitzung (Prä 1) einzuladen. Vergingen bis zum Start der
Gruppe - abhängig von der Anzahl der Anmeldungen - 6 oder mehr
Wochen, so wurde unmittelbar vor der ersten Gruppensitzung eine zweite
Diagnostikeinheit (Prä 2) anberaumt, so dass für ca.
30 % der Teilnehmer eine Baseline-Messung zur Verfügung
steht. Direkt nach Beendigung einer Gruppe wurde die Post-Diagnostik
durchgeführt, danach wurden noch 3-Monats- und 6-Monats-Follow-ups (Kat 1
und Kat 2) durchgeführt.
Abb. 1: Veranschaulichung des
quasiexperimentellen Designs mit bis zu fünf Messzeitpunkten (Prä 1,
Prä 2, Post, Katamnese 1 und Katamnese 2); die hier vorgestellte
längsschnittliche Auswertung wird durch Pfeil a) symbolisiert, die noch
ausstehende querschnittliche Analyse durch Pfeil b).
Das Design ermöglicht neben den hier vorzustellenden
längsschnittlichen Vergleichen (durch Aggregation über die Gruppen
hinweg) auch querschnittliche Auswertungen, die durch einen Vergleich der
Interventionsphase einer Gruppe mit der zeitlich parallelen Baseline-Phase der
folgenden Gruppe entstehen (Pfeil b in Abb. [1 ]).
Messinstrumente
Im Rahmen des Gesamtprojektes wurden verschiedene Maße
für Eltern und Kinder erhoben, die in Tab. [1 ] aufgelistet werden.
Dimension
Eltern
Kinder
Familienklima Familienklimaskalen (FKS; Schneewind et al.,
1985) Familienklimaskalen (FKS, ab 9 J.)
Selbstwert/ Selbstkonzept
Frankfurter Selbstkonzeptskalen (FSKN; Deusinger,
1986)
Aussagenliste Selbstkonzept (ALS; Schauder, 1990; ab 8
J.)
Erziehungspraktiken EP-Skalen (Schneewind et al, 1985) EP-Skalen (ab
9 J.)
Umgang
mit Frustration Rosenzweig Picture
Frustration Test (RPF; Rauchfleisch, 1979) Rosenzweig Picture
Frustration Test (ab 6 J.)
Intelligenzleistungen Subtests aus HAWIK
bzw. HAWIWA (ab 4 bzw. 6 J.)
Aktuelle Situation
Essener Fragebogen (EFES/EFET)
- (qualitative Auswertung) Zeichentest Verzauberte
Familie (o. Altersgrenze)
Tab. 1: Übersicht
über die im Projekt eingesetzten Messmittel mit Angaben von Autoren und
untere Altersgrenze bei den Kinder-Fragebogen (für die hervorgehobenen
Instrumente werden unten erste Ergebnisse berichtet)
Der hier zu berichtende erste Auswertungsschritt konzentriert sich
auf Aspekte des Selbstkonzeptes sowohl der Kinder als auch der Elternteile
sowie auf Angaben aus dem Essener Fragebogen für
Eltern in Trennungs- und Scheidungssituationen (EFET/EFES). Über die
Basisdaten hinaus machten die Elternteile hier Angaben u. a. zu
folgenden Gesichtspunkten:
Dauer und Qualität der Ehe/Partnerschaft
Reaktionen auf Krise
Außenbeziehung vor der Trennung
Trennungsphase während der Ehe
Trennungsgründe, Trennungsinitiative/-intention und
räumliche Veränderungen
Trennungsempfinden und aktueller Kontakt
Erneuter Partnerschaftsversuch mit diesem Partner
Reaktionen der Umwelt und soziale Unterstützung
Körperliche/psychische Beschwerden und Psychotherapie
Neue Partnerschaften nach der Trennung
Aktuelles Befinden in diversen Lebensbereichen/
Schwierigkeiten
Kinder ab einem Alter von 8 Jahren bearbeiteten die
Aussagen-Liste zum Selbstwertgefühl für Kindern
und Jugendliche [12 ]. Erhoben werden mit der ALS
Selbsteinschätzung von Kindern und Jugendlichen in den 3 Bereichen
Schule, Freizeit und Familie .
Die Fragetypen entsprechen den folgenden Item-Beispielen für die 3
Subskalen: (1) „In der Schule bin ich immer ein fröhlicher
Mensch”, (2) „In der Freizeit bin ich immer ein fröhlicher
Mensch” bzw. (3) „In meiner Familie bin ich immer ein
fröhlicher Mensch”. Die Antwortskala reicht jeweils von
1 = „stimmt überhaupt nicht” bis
5 = „ja, ganz genau”.
Auch von den an den Gruppen teilnehmenden Elternteilen wurden
Selbstkonzeptaspekte erhoben. Die Frankfurter
Selbstkonzeptskalen (FSKN;[13 ] setzen sich aus
78 Items zusammen, welche die folgenden 10 Subskalen bilden:
Allgemeine Leistungsfähigkeit, Allgemeine
Problembewältigung, Verhaltens- und Entscheidungssicherheit,
Selbstwertschätzung, Empfindlichkeit und Gestimmtheit, Standfestigkeit,
Wertschätzung durch andere, Irritierbarkeit durch andere, Gefühle und
Beziehung zu anderen und soziale Kontakt- und
Umgangsfähigkeit . Ein Item-Beispiel aus der Skala Standfestigkeit
lautet: „Es fällt mir schwer meine Meinung vor einer Gruppe zu
vertreten”. Die Antworten liegen im Bereich von
1 = „trifft sehr zu” bis
6 = „trifft gar nicht zu”.
Statistische Auswertungen
Wie oben angedeutet, wird die Auswertung durch die Mischung von
unabhängigen (verschiedene Familien) und abhängige Daten (mehrere
Kinder in einer Familie) sowie z. T. fehlende Werte erschwert. Eine
Auswertestrategie für derartige Datensätze eröffnen sog.
Hierarchisch Lineare Modelle [14 ] bzw. Mixed-Effects-Regressionsmodelle [15 ]. Dabei wird mit Hilfe eines Maximum-Likelihood
Verfahrens der Werteverlauf einer Person als zuvor definierte Verlaufs- oder
Wachstumskurve beschrieben. Im (einfachsten) Fall einer angenommenen linearen
Kurve sind 2 Parameter zur Beschreibung des individuellen Verlaufes
erforderlich: Der Anfangswert zu Interventionsbeginn (die Höhenlage der Regressionsgeraden) und ihre
Steigung pro Zeiteinheit [16 ].
Das hier zur Datenanalyse eingesetzte Programm MIXREG
[15 ] schätzt diese Parameter individuell
für jeden Fall (Kind oder Elternteil) anhand aller vorliegenden Messwerte.
Durch gewichtete Parameterschätzungen (sog. Empirical Bayes
Schätzungen) wird die verfügbare Information optimal
ausgeschöpft: Liegen nur wenige Erhebungen pro Fall vor (mindestens jedoch
2), so erhöht sich der Einfluss des Gesamtgruppenverlaufs bei der
Schätzung der personenspezifischen Parameter.
Stichprobe
Die Stichprobe der teilnehmenden Eltern und ihrer Kinder wurde zu
einem Teil durch Hinweise in lokalen und regionalen Medien gewonnen. Da es sich
hierbei vermutlich eher um hoch problembewusste (und evtl. auch
-belastete?) Interessenten handeln dürfte, wurden von Beginn an
verschieden Multiplikatoren (z. B. Ärzte, Ämter,
spezialisierte Anwaltskanzleien) gewonnen. Diese sprachen ihrerseits
potenzielle Interessenten an, wodurch auch Familien mit weniger Eigeninitiative
erreicht werden konnten. Trotz dieser Maßnahme müssen
Selektionseffekte angenommen werden.
Insgesamt haben 93 Mütter und 23 Väter mit 157 Kindern
(66 Töchter, 91 Söhne) das Angebot wahrgenommen. Zwischen einem und 3
Kinder pro Elternteil nahmen an jeweils einer von max. 3 parallel laufenden
altershomogenen Kindergruppen teil.
Das Alter der Elternteile schwankte zwischen 27 und 46 Jahren, das
der Kinder lag zwischen einem und 14 Jahren. Die Eltern waren vor der Trennung
im Schnitt 9,4 Jahre verheiratet (Range von 1 bis 24; Median 8,5; SD: 5,7). Zum
Zeitpunkt der Erstbefragung (Prä-Messung) lebten alle Eltern getrennt;
juristisch geschieden waren lediglich 4,3 %.
Bedingt durch verschiedene Faktoren schwankt das N der einzelnen
Analysen erheblich: Für viele Elternteile war es in der aktuellen
Krisensituation nur unter großen Schwierigkeiten möglich, zu den
z. T. mehrstündigen Diagnostikterminen zu erscheinen. Bei den
Kindern sind hier vor allem die unterschiedliche Alters-Untergrenzen der
verschiedenen Testverfahren zu nennen.
Ergebnisse
Ergebnisse
Ergebnisse aus dem Elternfragebogen EFET/EFES
Auf i. d. R. fünfstufigen Items beurteilten die
teilnehmenden Elternteile ihre aktuelle Situation, die hier im Vergleich von
Vorher- (Prä) und Nachher-Messung (Post) wiedergegeben wird. Es zeigten
sich eine deutliche Abnahme von Emotionen, vor allem Vorwürfen, beim
Kontakt mit dem Ex-Partner (T = 4,69;
df = 59; p < 0,000), was mit einer
Verbesserung der Beziehung zum Ex-Partner einherging
(T = -2,62; df = 57;
p = 0,011).
Aktuell bestehende soziale Beziehungen wurden besser bewertet
(T = -2,44; df = 59;
p = 0,018), die Teilnehmer fühlten sich darin auch
besser verstanden (T = -2,89;
df = 59; p = 0,005). Zur
Bewältigung der Situation werden mehr Ansprechpartner gefunden,
z. B. Kollegen (T = -2,30;
df = 41; p = 0,026) oder tendenziell
auch Nachbarn (T = -1,77; df = 53;
p = 0,083); dabei werden im Prä-Post-Vergleich die
Kinder, die eigenen Eltern und Geschwister, aber auch Freunde sowie der
Ex-Partner nicht signifikant häufiger herangezogen.
Die Teilnehmer erlebten sich tendenziell zunehmend als Menschen
„mit neuen und anderen Entwicklungsmöglichkeiten”
(T = -1,84; df = 55;
p = 0,071) und hatten das Gefühl, weniger
„schief angesehen” zu werden (T = 2,21;
df = 58; p = 0,031) bzw. als
„lästig” (T = 2,19;
df = 57; p = 0,033),
„überflüssig” (T = 1,82;
df = 58; p = 0,073) und ohne festen
Partner als „uninteressant” (T = 2,95;
df = 56; p = 0,005) empfunden zu
werden.
Insgesamt wurde eine deutliche Verbesserung der psychischen
Verfassung mitgeteilt (T = -3,90;
df = 57; p < 0,000).
Auch hinsichtlich ihrer Kinder benannten die Teilnehmer
Fortschritte: So wurden die Kinder nach der Trennung vermehrt als Stütze
(T = -2,58; df = 56; p< ,013) und
deutlich weniger als Belastung erlebt (T = 6,08;
df = 74; p< ,000). Nach Ansicht der Elternteile
wünschten sich die Kinder seltener, dass der Ex-Partner zurück
käme (T = 3,52; df = 66; p<
,001). Die Kinder werden als weniger aggressiv beschrieben
(T = 2,00; df = 71; p< ,049),
jedoch wurde keine signifikante Veränderung von Rückzugsverhalten,
Selbstbewusstsein, Ängstlichkeit, Konzentration oder Anlehnung von den
Eltern bemerkt. Im Mittel gaben sie jedoch an, ihre Kinder haben die
endgültige Trennung vom Partner zunehmend besser verkraftet
(T = -2,035; df = 64; p<
,046).
Ergebnisse der Verlaufsanalysen
Tab. [2 ] führt die Ergebnisse
der hierarchisch linearen Modelle zu den Subskalen der Frankfurter Selbstkonzeptskala (FSKN) für die Eltern
sowie für die Aussagenliste Selbstkonzept (ALS)
für die Kinder auf. Dabei wurden signifikant positive Steigungsparameter
- also eine Zunahme auf den positiv gepolten Subskalen - für 5
von 9 FSKN-Dimensionen geschätzt. Ihnen steht allerdings eine Abnahme der
allgemeinen Problembewältigung gegenüber. Für die Subskala
Wertschätzung durch andere konnte kein Modell
angepasst werden; allerdings zeigt ein einfacher Prä-Post-Vergleich
[17 ] auch hier einen Anstieg
(T = -4,23; df = 35;
p = ,000).
FSKN (N = 56;
159Messungen) Parameter Schätzung z-Wert p
Allgemeine Leitungsfähigkeit (AL) Höhenlage 3,44 84,22 0,000
Steigung 0,03 2,19
0,029
Allgemeine Problembewältigung (AP) Höhenlage 3,11 56,88 0,000
Steigung -0,04 -2,12
0,034
Verhaltens- und Entscheidungssicherheit (VE) Höhenlage 3,04 57,22 0,000
Steigung 0,01 0,72 0,474
Selbstwertschätzung (SW) Höhenlage 3,86 58,91 0,000
Steigung 0,04 2,29
0,022
Empfindlichkeit und Gestimmtheit (EG) Höhenlage 2,87 34,39 0,000
Steigung 0,08 2,87
0,004
Standfestigkeit (ST) Höhenlage 3,97 41,30 0,000
Steigung 0,08 2,92
0,004
Soziale Kontakt- und Umgangsfähigkeit (KU) Höhenlage 3,30 54,12 0,000
Steigung 0,02 0,74 0,456
Wertschätzung d. andere (WA) -*)
Irritierbarkeit durch andere (IA) Höhenlage 3,94 32,44 0,000
Steigung 0,09 2,30
0,022
Gefühle und Beziehung zu anderen (GA) Höhenlage 3,90 54,74 0,000
Steigung 0,02 1,05 0,293
ALS
(N = 29; 90 Messungen) Parameter Schätzung z-Wert p
Bereich Schule Höhenlage 3,55 31,65 0,000
Steigung 0,03 0,87 0,386
Bereich Familie Höhenlage 3,72 33,10 0,000
Steigung 0,06 1,98
0,047
Bereich Freizeit Höhenlage 3,83 38,08 0,000
Steigung -0,01 -0,48 0,632
*) Für die Subskala „Wertschätzung
durch andere” war keine Parameterschätzung möglich
Tab. 2: Ergebnisse der mixed
effects Regressionsanalysen für neun Skalen der Frankfurter
Selbstkonzeptskalen sowie die drei Bereiche der Aussagenliste Selbstkonzept:
Parameterschätzungen für Höhenlage und Steigung sowie z-Werte
und Signifikanzniveau
In Abbildung 2 werden exemplarisch die beobachteten und die
geschätzten Verläufe auf 3 FSKN-Subskalen grafisch dargestellt. Die
erwarteten Anstiege in der (grau unterlegten) Interventionsphase sind
erkennbar, ebenso wie Schwankungen im Follow-up-Zeitraum. Diese werden für
die Parameterschätzungen in Abhängigkeit von der
Stichprobengröße zum jeweiligen Messzeitpunkt unterschiedlich
gewichtet: n(Prä1) = 42;
n(Prä2) = 22;
n(Post) = 36;
n(Kat1) = 30 und
n(Kat2) = 29.
Abb. 2: Exemplarische
Darstellung von beobachtetem („o ”,
durchgezogene Linien) und geschätztem („e ”, gestrichelte Linien) Werteverlauf dreier
Subskalen der Frankfurter Selbstkonzeptskalen
(SW = Selbstwertschätzung,
EG = Empfindlichkeit und Gestimmtheit,
ST = Standfestigkeit).
Für die Kinder (N = 29) zeigen sich
moderate Verbesserungen in der ALS nur in einem von 3 erfragten Bereichen.
Während ihre Selbsteinschätzungen im schulischen und Freizeitbereich
weitgehend stabil blieben, nahm sie in dem in den Kindergruppen avisierten
familiären Kontext zu.
Diskussion
Diskussion
Die Ergebnisse deuten auf eine Verbesserung des Befindens in der
Folge der Gruppenteilnahme hin. Sie sind vor dem Hintergrund einer zeitlich
sehr begrenzten Maßnahme bei gleichzeitigen massiven Veränderungen
im Lebensumfeld (beispielsweise Verlust von sozialen Kontakten durch Umzug,
finanzielle Probleme etc.) zu sehen. Die älteren Kinder - die ALS
konnte ab dem achten Lebensjahr vorgelegt werden - berichteten im Mittel
moderate Verbesserungen spezifisch im Bereich Familie, während andere
Lebensbereiche (Schule, Freizeit) nicht tangiert waren.
Die Elternteile gaben ebenfalls positivere Selbstbeschreibung auf
der Mehrzahl der Subskalen ab. Die demgegenüber auffallende Abnahme der
Problembewältigung bei gleichzeitigem Anstieg der
erlebten Leistungsfähigkeit mag auch darauf
zurückgehen, dass es vor dem Hintergrund erhöhter psychischer
Ressourcen zunehmend möglich wird, vorhandene Belastungen und
Überforderungsmomente als solche zu erleben und zuzulassen.
Unterstützt wird diese Sichtweise durch die Angaben im
Elternfragebogen (EFET/EFES).
Dargestellt wurde ein erster Schritt in der Evaluation des
Präventionsprojektes, der eine Reihe von Fragen offen lässt.
Angesichts der Vermischung von psychischen Adaptationsprozessen mit den
Einflüssen der Gruppenteilnahme im längsschnittlichen Vergleich
bedarf es der ergänzenden querschnittlichen Betrachtung, um die
o. g. Effekte mit größerer Sicherheit auf die Intervention
zurückführen zu können.
Während die Auswertestrategie mit mixed effects
Regressionsanalysen dem teilweise unvollständigen Datensatz angemessen
erscheint, bleibt derzeit offen, ob die Wahl einer komplexeren, z. B.
kubischen Verlaufskurve die Daten besser beschreiben kann. Der Verlauf der
Subskala Standfestigkeit in Abbildung 2 würde
einen solchen Schritt nahe legen, allerdings mit der Konsequenz einer
verkleinerten Analysestichprobe, weswegen hier darauf verzichtet wurde.
Gleichwohl empfiehlt sich diese Statistik ganz allgemein für
die Analyse longitudinaler Daten, wie sie gerade im psychotraumatologischen
Kontext beispielsweise durch wiederholte Follow-up-Messungen anfallen.
Darüber hinaus bietet sich der hierarchisch lineare Ansatz auch bei
Betrachtungen auf Familienebene für das Problem gemischt abhängiger
Daten an, hier also zur adäquaten Berücksichtigung mehrerer Kinder
eines Elternteils.
Größere Aussagekraft und eine spezifischere
Qualitätsbeurteilung des Projektes ‚Perspektive Getrennt’ ist
vom Einbezug weiterer Ergebnisse der bislang noch nicht ausgewerteten
Instrumente (vgl. Tab. [1 ]) zu erhoffen. Die
bislang ermutigenden Befunde zur Prävention traumatischer Scheidungsfolgen
könnten dadurch weiter erhärtet werden.
Danksagung
Danksagung
Weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Durchführung
und Auswertung des Projekts ‚Perspektive Getrennt’ gebührt
unser Dank: Jeannette Kardas, Ewa Kulisch, Walter Grützner,
Barbara Stosiek-ter Braak, Ellen Schaal, Konstanze Schmeka, Alexander Gumny,
Harald Walker, Anja Schellbach, Robert Fiedler, Joachim Mallach und Jasmin
Gust