„Misserfolge (können) von Quellen des Unbehagens zu
Quellen unschätzbarer Information werden. Sie können ein Licht auf
die Mechanismen unserer Interventionen werfen, es ermöglichen, bestehende
Verfahren zu verbessern und neue zu entwickeln” [1].
Attribuierung psychotherapeutischer Misserfolge
Attribuierung psychotherapeutischer Misserfolge
In der Psychotherapieforschung ist noch immer der Vogel Dodo aus
Alice im Wunderland nicht verstummt: „Alle haben gewonnen und sollen
einen Preis bekommen”. Dies gilt alles in allem für Studien vom
Typus des Gruppenvergleichs zwischen verschiedenen Therapieverfahren (vgl.
[2]). Innerhalb jedes einzelnen Verfahrens ist eine
gewisse Anzahl therapeutischer Fehlschläge zu beobachten (in
entsprechenden Studien durchschnittlich etwa 5 %). Dieser
Prozentsatz scheint eher geringfügig zu sein. Hochgerechnet auf die
Bundesrepublik Deutschland ergibt sich bei etwa 19 000 Psychotherapeuten
die Zahl von mindestens 38 000 Misserfolgsfällen pro Jahr, geht man
von Zahlen aus dem Jahr 1996 aus. Wir haben es demnach mit einem Phänomen
zu tun, das uns Psychotherapeuten zu Forschung und Erweiterung unseres
klinischen Repertoires anreizen kann.
Dies ist zunächst einmal eine negative, an Vermeidung von
Fehlern orientierte Betrachtungsweise. Wie auch in anderen Bereichen des Lebens
erscheint jedoch eine „fehlerfreundliche Einstellung” besser
geeignet, Lernprozesse zu fördern (vgl. [3]). Dem
stehen bei unserer Profession, wie bei anderen auch, allerdings gewisse
professionelle Attributionsneigungen entgegen, die man als
Selbstschutzmechanismen verstehen kann. So kommt die attributionstheoretische
Studie von König-Fuchs [4] zum Ergebnis:
Therapeuten attribuieren den Erfolg einer Psychotherapie in der Regel internal,
den Misserfolg jedoch external. In dieser Reihenfolge werden für
Misserfolge verantwortlich gemacht:
-
Störende Umweltfaktoren
-
die Patienten
Die typische Reaktion der Therapeuten in ihrer Studie fasst
König-Fuchs in folgende Formulierung zusammen: „Der Misserfolg
findet statt, aber ohne den Therapeuten” (S. 381). So sinnvoll diese
selbstwertsteigernde Attributionsstrategie auch ist, so kann sie doch unsere
Profession daran hindern, aus unseren Fehlschlägen zu lernen. Gleichsinnig
fällt dieser Studie nach die Attribution der Patienten aus. Sie sehen den
Erfolg in erster Linie in Person und Methode des Therapeuten begründet, u.
zw. direkt proportional zur subjektiv verspürten Besserung.
Eine erste Folgerung liegt nahe: Wir sollten die
Misserfolgsforschung in der Psychotherapie mit gleicher
Selbstverständlichkeit zum Thema in Ausbildung und Forschung machen wie
den Erfolg unserer Behandlungsverfahren. Erst mit der
„Enttabuisierung” entsteht jene „fehlerfreundliche
Atmosphäre”, die für komplexe Lernprozesse dringend
benötigt wird, noch dazu bei einem Thema, das uns in unserer Werthaltung
und Selbstschätzung emotional stark berührt.
Was sind psychotherapeutische Misserfolge?
Was sind psychotherapeutische Misserfolge?
Bei dieser Frage muss zunächst berücksichtigt werden, dass
Erfolg und Misserfolg in der Psychotherapie ein komplexes Phänomen
umschreibt, welches - nach dem 3-Parteien-Modell von Strupp & Hadley
[5] - folgende Dimensionen umfasst:
-
Persönliche Zufriedenheit des Patienten mit dem
Therapieergebnis
-
Einschätzung seiner sozialen Umgebung
-
Beurteilung durch Experten, unter Einschluss von Test- und
Messergebnissen sowie Ratings zur Symptombesserung
Diese 3 Kriterien können in kompliziertem
Wechselverhältnis stehen. So kann etwa die soziale Umgebung unzufrieden
sein, weil der Patient nun weniger „pflegeleicht” erscheint als
zuvor. Im Ganzen gesehen, sollten die 3 Faktoren jedoch in einem vertretbaren
Gleichgewicht zueinander stehen.
Strupp, Hadley & Gomes-Schwarz [6],
deren Beitrag „Psychotherapy for better or worse?” international
als Pionierarbeit der psychotherapeutischen Misserfolgsforschung gelten kann,
listen eine Reihe von Indikatoren für negative Effekte in der
Psychotherapie auf:
Verschärfung der bestehenden Symptome.
Als Beispiele führen sie an: depressiver Zusammenbruch, schwere
Regression, Verschlimmerung der somatischen Beschwerden, zunehmende Verwirrung,
herabgesetzes Selbstvertrauen.
Auftreten neuer Symptome. Zusammenbruch von
soliden interpersonellen Beziehungen, verminderte Fähigkeit zur
Erlebnisfreude, ernste psychosomatische Reaktionen, Drogen- und
Alkoholmissbrauch, suizidales Verhalten.
„Missbrauch” der Therapie durch den
Patienten. Damit ist z. B. gemeint: anhaltende Abhängigkeit
von der Therapie und/oder vom Therapeuten, Therapie als Ersatz für reale
Handlungen bzw. Therapie als Möglichkeit, Gefühle der Omnipotenz
auszuleben.
Überforderung der Klientin/Patientin.
Verfrühtes Lösen wollen von Lebensfragen wie Heirat, Scheidung etc..,
das bei Scheitern zu starken Belastungen führen kann mit Gefühlen von
Schuld und Selbstverachtung.
Enttäuschungen über die Therapie
und/oder die Therapeutin. Hiermit ist vor allem der Vertrauensverlust in
die Therapeutin gemeint, der sich möglicherweise auf jegliche soziale
Beziehung ausweiten kann sowie ein genereller Verlust von Hoffnung.
Entsprechend dem „3-Parteien-Modell” von Erfolg oder
Misserfolg in der Psychotherapie müssen mögliche Verschlechterungen
innerhalb jeder der 3 Dimensionen berücksichtigt werden, wobei der
symptomatischen Besserung bzw. Verschlechterung eine Leitfunktion zukommt, die
im Expertenurteil auch besonders berücksichtigt wird. Ohne in den alten
Streit um „symptomatische” vs. „strukturelle”
Veränderung zurückzufallen, sollten neben quantitativen
Veränderungsmaßen einige qualitative Kriterien Berücksichtigung
finden, die sich aus dem dialektischen Spannungsverhältnis der beteiligten
„3 Parteien” ergeben:
Wieweit ist es gelungen, eine Lösung zu finden, mit der die
Patientin zufrieden ist, die sie aber zugleich auch in die Lage versetzt, mit
ihrer sozialen Umgebung besser zurecht zu kommen bzw. sich eine befriedigende
soziale Umwelt zu gestalten? Dieses „Ausbalancieren” der
Kriterien bedarf einer kritischen Diskussion im Einzelfall, da ja nicht
generell ein harmonisches Verhältnis zwischen Individuum und sozialem
Umfeld unterstellt werden kann.
Ein intrapersonales Kriterium der „Integrität”
des therapeutischen Veränderungsprozesses (vgl. [7],[8]). Auch hier lässt
sich bei kritischer Diskussion im Einzelfall ein schulenübergreifender
Konsens erzielen, soweit nämlich gelingende Psychotherapie auch als
persönliche Weiterentwicklung des Patienten verstanden wird. Wieweit ist
es dem Patienten gelungen, seine persönlichen Konflikte und
Widersprüche „aufzuheben”? Erfahrungen seiner
Lebensgeschichte zu integrieren? Seine Symptome und Probleme nicht nur zu
„bekämpfen”, sondern eine persönliche Lösung zu
finden, die bisher dysfunktionale Anteile von Erleben und Verhalten integriert
und vorhandene Ressourcen besser nutzt?
Von therapeutischem Misserfolg oder „negative outcome”
können wir sprechen, wenn nach der Therapie eine bedeutsame und zeitlich
überdauernde Verschlechterung eingetreten ist, insbesondere in
Problembereichen, die zur Aufnahme einer Psychotherapie geführt
hatten.
Von diesem Kriterium und den zuvor aufgeführten Hinweisen auf
Verschlechterung ausgehend, dürften wir in der Lage sein, aus
therapeutischen Fehlern zu lernen, sollten allerdings auch die
„fehlerfreundliche” Einschränkung berücksichtigen, die
Schwarz [9] formuliert hat: „Aus Fehlern wird
man klug, aber nicht klug genug, um weitere Fehler zu vermeiden”.
Gibt es eine „Dramaturgie” des therapeutischen
Misserfolgs? - Prädiktoren und typische Verlaufsmuster
Gibt es eine „Dramaturgie” des therapeutischen
Misserfolgs? - Prädiktoren und typische Verlaufsmuster
Welche Faktoren sind wirksam, wenn es zu einem therapeutischen
Misserfolg kommt? Sind es lediglich Einzelphänomene oder entwickelt sich
der Misserfolg nach einem Muster? Laufen misslungene Therapien nach einem
einzigen Muster ab oder bilden sich unterschiedliche Handlungsgestalten? Gibt
es, mit anderen Worten, über einzelne Prädiktoren hinaus, so etwas
wie eine Dramaturgie des therapeutischen Misserfolgs?
Diesen Fragen ging im Jahre 1996, nach Sichtung der bis dahin
vorliegenden Forschungsliteratur, Dagmar Scharrelmann am Institut für
Klinische Psychologie und Psychotherapie der Kölner Universität in
einer bundesweiten Befragung nach, die durch Interviews ergänzt wurde. Die
damalige Diplomandin entwickelte zu diesem Zweck einen Fragebogen, den
Kölner Fragebogen zum Misserfolg in der Psychotherapie
(KIMIP), der in einem Vorlauf getestet und dem Untersuchungsziel angepasst
wurde. Auf Annoncen in größeren deutschen Tagezeitungen meldeten
sich insgesamt 60 „Psychotherapie-Enttäuschte”, die eine
Einzeltherapie gemacht hatten und „verunsichert, unzufrieden oder
verärgert” (so die Annonce) waren. Sie erhielten den Fragebogen
zugesandt. 47 der 60 freiwilligen Untersuchungsteilnehmerinnen und
-teilnehmer sandten ihn bearbeitet zurück. Viele erklärten sich
zu einem anschließenden Interview bereit.
Ungewöhnlich an
dieser „Gelegenheitsstichprobe” war das relativ hohe
Bildungsniveau der Befragten, ein Merkmal, das mit anderen Untersuchungen
kontrastiert, die ein eher geringes Ausbildungsniveau als Risikofaktor für
therapeutische Fehlschläge ausweisen. 88 % der Respondenten
hatten mittlere Reife oder Abitur. Dieser Selektionseffekt ist
möglicherweise durch erhöhte Auskunftsbereitschaft und kritischeres
„Verbraucherbewusstsein” von Personen mit höherem
Ausbildungsstand zu erklären. 66 % waren Frauen,
34 % Männer. 80 % hatten bereits eine
psychotherapeutische Erfahrung hinter sich, die 75 % von ihnen
als eher ungünstig beurteilten. Die Alterspanne lag zwischen 22 und 68 mit
einem Mittelwert bei 39 Jahren.
Wir geben im folgenden zunächst die variablenorientierten
Ergebnisse wieder mit Bezug zum internationalen Forschungsstand und
anschließend die Ergebnisse der qualitativen Auswertung mit der
Fragestellung einer möglichen „Dramaturgie” und Logik
therapeutischen Misslingens.
Therapeutenvariable
Alterskombination. Eine den internationalen
Forschungsbefunden zufolge ungünstige Alterskombination zeigt sich bei
74 % der Stichprobe. Bei 59 % der Behandlungen
waren die Therapeuten mindestens 10 Jahre älter, bei 15 %
entsprechend jünger. Insbesondere die Kombination älterer
Klient/jüngerer Therapeut schien zu einem Generationenkonflikt zu
führen, der sich vor allem in unterschiedlichen Werthaltungen
äußerte.
Geschlechterkombination. 44 %
der Behandlungen fanden in der nach Forschungsbefunden als eher ungünstig
beurteilten Geschlechterkombination Therapeut/Klientin statt.
39 % der Klienten zeigten sich auch tatsächlich unzufrieden
mit dem Geschlecht des Therapeuten, wobei sich Probleme nicht in der
Paarbildung Therapeut/Klientin zeigten, sondern tendenziell eher in der
Konstellation Therapeutin/Klient, weniger dagegen als zu erwarten in der
Kombination Therapeut/Klient.
Eigenschaften der Therapeuten aus
Patientensicht. Sie werden in dieser Stichprobe eher abträglich
beurteilt: Fehlen von Echtheit, exzessive unbewusste Feindseligkeit,
Narzissmus, Kälte und Mangel an Selbstprüfung werden beklagt. Auf
diesen Teilaspekt der Befragung wird weiter unten näher eingegangen.
Nähe-Distanz-Problematik.
29 % der Klienten beschreiben ihren Therapeuten als zu
distanziert/kalt, 17 % als zu nah und 27 % als
ambivalent zwischen den Polen von Nähe und Distanz. 17 %
geben Intimbeziehungen mit ihren Therapeuten an (übereinstimmender
Hochrisikofaktor für therapeutischen Misserfolg in internationalen
Studien). Bei 7 % kam es zu häufigem Geschlechtsverkehr
zwischen Therapeut und Klientin während und außerhalb der
Therapiesitzungen, bei 2,4 % wurde die Therapie vom Therapeuten
abgebrochen, um ein sexuelles Verhältnis mit der Klientin zu beginnen. Bei
7 % wurde nach Aussage der Patienten von einem Therapeuten und 2
Therapeutinnen ein stark erotisiertes Klima hergestellt (übereinstimmender
Risikofaktor).
Klientenvariable
Ausbildungsstand im Vergleich mit anderen
Studien ungewöhnlich hoch: 87 % mittlere Reife oder
Abitur.
Eingangssymptomatik: 78 %
überwiegend depressiv (in Übereinstimmung mit den meisten
Misserfolgsstudien); 68 % Ängste, 62 %
Minderwertigkeitsgefühle; 55 % körperliche Beschwerden
(übereinstimmender Risikofaktor für Misserfolg)
Traumatisierende Erfahrungen in der
Lebensgeschichte. 40 % wurden als schwer traumatisiert
eingestuft, weitere 44 % als mittelschwer. Die häufigsten
traumatisierenden Erfahrungen in Kindheit und Jugend waren Ablehnung durch enge
Bezugspersonen (53 %), Ablehnung durch die soziale Umwelt
(31 %, beides übereinstimmende Risikofaktoren),
14 % gaben sexuellen Missbrauch durch enge Bezugspersonen an.
In dieser Häufung traumatischer Erfahrungen scheint sich ein
erstes Ergebnis der Studie anzudeuten: traumatisierende Beziehungserfahrungen,
insbesondere wenn sie bei Kindern den Eindruck hinterlassen, abgelehnt oder
ausgegrenzt zu werden, scheinen uns als Psychotherapeuten mit einer besonderen
Herausforderung zu konfrontieren. Die in jüngster Zeit zu beobachtende
Weiterentwicklung insbesondere der tiefenpsychologisch fundierten und
analytischen Psychotherapie zu einer expliziten „Traumatherapie”
könnte eine adäquate Antwort auf diese Herausforderung sein.
Therapiemotivation. Lediglich
7 % bezeichnen sich als ablehnend und 26 % als
skeptisch gegenüber einer Psychotherapie, 54 % als
aufgeschlossen. Zusammenfassend: 34 % waren eher negativ,
66 % positiv eingestellt. 78 % haben (auch) auf
eigenen Wunsch mit der Therapie begonnen (im Studienvergleich eher
ungewöhnlich), 22 % primär auf Druck von
außen.
Kausalattribution: Nur 10 %
machen andere „ziemlich stark” für ihre Probleme
verantwortlich, 63 % nicht oder „nur wenig”.
Dies steht in auffallendem Gegensatz zur Häufung traumatischer
Erfahrungen vom Typ „Beziehungstrauma” in der
Lebensgeschichte.
Methodenvariable
Behandlungsmethode. 34 %
konnten keine nähere Angabe zur Behandlungsmethode machen; es finden sich
unter ihnen jedoch Hinweise auf Verhaltenstherapie. 20 % gaben
an, nach Freud behandelt zu sein, 22 nach Adler, 4,9 %
„tiefenpsychologisch fundiert”, 7 %
verhaltenstherapeutisch, 5 % gesprächspsychotherapeutisch, 5
mit einer Kombination aus VT/Gt.
Auch wegen der häufig
fehlenden Angaben ist schwer zu beurteilen, wieweit eine Abweichung von der im
Rahmen der Richtlinienverfahren zu erwartenden Verteilung der
Therapierichtungen vorliegt.
Die Wahl der Therapeuten verlief bei vielen
„eher zufällig”: 73 % begannen die Behandlung
beim erstkontaktierten Psychotherapeuten, der ihnen in der Regel empfohlen
worden war (übereinstimmender Risikofaktor). 65 % konnten
sofort oder nach einer kurzen Wartezeit mit der Therapie beginnen; lediglich
13 % mussten länger als 3 Monate warten.
Therapiedauer und Finanzierung.
54 % der Therapien umfassten 6 bis 80, 15 % 81 bis
150, 27 % 151 bis 900 Sitzungen. Die gesetzlichen Krankenkassen
bezahlten für 29 Patienten durchschnittlich 84 Stunden; die privaten
für 6 Patienten durchschnittlich 65 Stunden. Die 11 Selbstzahler brachten
die Kosten für durchschnittlich 288 Stunden auf.
Therapieabschluss. 18 % der
Therapien wurden regulär abgeschlossen, 82 % abgebrochen,
davon 68 % von den Patienten, 16 % von den
Therapeuten und weitere 16 % von beiden Seiten, jedoch nicht
einvernehmlich, sondern meist unter starker Affektentwicklung.
5 % der Behandlungen wurden während der probatorischen Phase
beendet.
Beklagte Mängel der Therapie.
27 % der Patienten beklagten weniger persönliche Defizite
des Therapeuten, sondern mangelnde therapeutische Kompetenz, wie Fehler bei
Festlegung der Therapieziele, falscher Fokus der Therapie, technische
Rigidität als unflexibles Festhalten an ihren Schulvorstellungen
(17 %), ohne ausreichend auf die Bedürfnisse des jeweiligen
Patienten einzugehen (übereinstimmender Risikofaktor). 10 %
der Therapeuten waren Berufsanfänger (übereinstimmender
Risikofaktor).
Umweltvariable
Bedeutsame Veränderung der
Lebensumstände: finden sich bei 60 % der Patienten.
45 % waren langfristig ohne Arbeit, davon 20 %
arbeitslos und 25 % arbeitsunfähig, häufig kam Trennung
oder Scheidung vom Lebenspartner vor.
Soziale Bindungen. 56 % gaben
eine Verschlechterung ihrer sozialen Beziehungen an, 70 % eine
Verschlechterung des Familienlebens, die sie mehrheitlich auf die Therapie
zurückführten.
Trotz der negativen Erfahrungen in der hier beschriebenen Therapie
hat ein Drittel der Patienten anschließend eine zweite Therapie begonnen,
die zum Befragungszeitpunkt entweder schon erfolgreich abgeschlossen war oder
als erfolgversprechend beurteilt wurde. Aus den Angaben geht weiter hervor,
dass viele Patienten Selbstheilungskräfte nach der aus ihrer Sicht
gescheiterten Psychotherapie entwickelten. Aus entsprechenden Studien wissen
wir, dass keineswegs jeder Therapieabbruch als ein therapeutischer Fehlschlag
zu werten ist. Methodisch ist wichtig, in Erinnerung zu halten, dass sich die
hier referierte Untersuchung auf Angaben des Patienten zum subjektiv erlebten
Erfolg bzw. Misserfolg seiner psychotherapeutischen Behandlung beschränkt,
in Verbindung allerdings mit detaillierten Angaben zur symptomatischen
Verbesserung/Verschlechterung des Befindens.
Es wurde schon
erwähnt, dass sich negative Verläufe dieser extremen Art im Bereich
weniger Prozente der Gesamtpopulation bewegen. Da sich in ihnen jedoch Probleme
zeigen können, die in milderer Form in vielen Behandlungen auftreten,
könnte eine genauere, qualitative Untersuchung sich als wichtige
Informationsquelle erweisen.
Im folgenden wollen wir der Frage einer „Logik des
Misslingens” (vgl. [10]) therapeutischer
Verläufe nachgehen, um unsere therapeutische Wahrnehmung zu erweitern und
unser „Frühwarnsystem” zu verfeinern.
Skriptanalyse
Skriptanalyse
Gegenstand dieses Untersuchungsschrittes sind nicht mehr einzelne
Risikofaktoren oder Prädiktorvariablen für therapeutischen
Misserfolg, sondern die therapeutische Beziehung in ihrer sich entwickelnden
Verlaufsgestalt. Die Skriptanalyse als Verfahren qualitativer Forschung in der
Psychotherapie wurde von Becker-Fischer & Fischer vorgeschlagen
[11]. Die Untersuchung bewegt sich hier von
„Szenen” als elementarer Einheit therapeutischer Interaktion und
Beziehungsgestaltung über „Szenarien” im Sinne von bereits
typisierten Interaktionsmustern hin zur Ebene eines „Skripts”,
das gleichsam den „Quellcode” sich wiederholender
Beziehungsmuster verwaltet. Die Skriptanalyse setzt also an der
phänomenologischen Ebene therapeutischer Beziehungsgestaltung an und geht
dann zur jeweils nächsten Abstraktionsstufe über. Durch diesen
„bottom-up”- Approach kann die Struktur problematischer
Interaktion, die „Logik des Misslingens” schrittweise
herausgearbeitet werden. Ein so ermitteltes „Skript” wird mit
einer Bezeichnung versehen, welche die zentrale Interaktionsfigur und das
typische Verlaufsmuster zum Ausdruck bringt.
Nach diesem Verfahren konnte Scharrelmann [12] an der geschilderten Untersuchungsstichprobe die
folgenden 7 Skripts herausarbeiten:
Tab. 1: 7 Skripts als
typisierte Verlaufsmuster misslingender therapeutischer Interaktion.
Erklärung im Text. Spalte „Traumatische Belastungen”:
A = in der Kindheit/Jugend, B = vor
Therapiebeginn
Script | Traumatische
Belastungen | Eingangssymptome | Beziehungsgefüge | Folgen |
Golden Phantasy | A: Emotionale
Mangelerfahrungen (Deprivation) B: Krisenhafte
Beziehungsprobleme | Depression,
Minderwertigkeit, Abhängigkeit, Sinn- und Hoffnungslosigkeit,
Suchtprobleme | Kl und Thp: Gemeinsamer
Wunsch nach Geborgenheit, symbiot. Pseudoharmonie, allmählicher
Rollentausch, sex. Missbrauch | Erschütterung des
Selbst- und Weltverständnisses, akute Krise, erflgreiche
Nachfolgetherapie |
Der
rächende Gott | A + B:
Partnerbeziehungsstörung zw. Vater und Stiefmutter, massive parentale
Ablehnung | Massive soziale
Ausgrenzung, Lernstörungen | Kl: Idealisierende
Verehrung Thp: Besitz- und Herrschaftsansprüche, Aufwertung vs.
Vernichtung | Andauerndes traumatisches
Gebundensein an Thp. Das Leben als Rachefeldzug |
Eingefrorene Verschmelzungs-wünsche | A: Individuations- und
Autonomieverbot B: Fehlende Eigenständigkeit;
Ausgegrenztwerden | Psychosomatische
Beschwerden, Depression, Scham-, Schuld- und
Wertlosigkeitsgefühle | Kl: Objekthunger vs.
Misstrauen vor erneuter Zurückweisung Thp: Aggr.
Gegenübertragung, Nichtachtung und Degradierung des Kl. | 3
Bewältigungsformen: 1. Totaler Zusammenbruch 2.
Selbstbehandlung 3. Positive Nachfolgetherapien |
Zuwendung
und Zerstörung | A: Traumatisches
Einzelereignis Gefühl des Abgetrenntseins von der
Welt B: Tiefe Lebenskrise | Depression, Ängste,
Suizidalität | Kl: Unmündig vs.
Selbstbewusst Thp: Zuwendung bei Unterwerfung, Verurteilung bei
„Auflehnung” | Nachhaltiges erleben von
existentieller Zerstörung |
Vertreibung
aus dem gelobten Land | A. Traumatisches
Einzelereignis gefolgt von Dauertraumatisierung B: Krisenhafte
Beziehungsprobleme | Depression,
psychosomatische Beschwerden, Suizidalität | Kl: Anklammerungs- und
Symbiosetendenzen Thp: Widersprüchliches Beziehungsschema,
double bind | Vernichtung des
Selbstwertgefühls und des Vertrauens in andere, zaghaftes Akzeptieren von
Selbstheilungskräften |
Der
hilflose Therapeut | A: Emotionale
Isolation B: Fehlende tragfähige Bindungen, Bedrohung des
berufl. Entwurfs | Depression, Gefühle
der Minderwertigkeit, Suizidalität | Kl: Kontrolle ausüben
müssen Thp: Fehlende Kunstfertigkeit, alltägliche
Sozialbeziehung | Endgültige
Gewissheit, dass man allein ist und sich selber helfen muss |
Der
uninformierte Klient | A: Bedrohung der
Individuation durch traumatisches Einzelereignis B: Existentielle
Bedrohung durch traumatische Ereignisse | Depression und die
Erlebniswelt, stark einengene Beziehungs- und Kontaktprobleme | Kl: Hilfloses
Ausgeliefertsein Thp: Methodische Rigidität | Tiefe Krise, Bearbeitung
durch neue Lebensorientierung bzw. Nachfolgetherapie |
Die Spalten enthalten in ihrer Kopfzeile die Benennung der Skripts,
typische traumatische Belastungen der Patienten
(A = Kindheit, B = Jugendzeit), ihre
Eingangsymptome, das resultierende Beziehungsgefüge und typische Folgen
für die Patientin.
Diese Analyse des Misslingens bewegt sich jenseits von
Kausalattributionen. Hier werden nicht einfach Handlungsfehler des Therapeuten
oder gar seine „Kompetenz” oder „Inkompetenz”
beurteilt. Der Fokus liegt vielmehr auf dem therapeutischen
Beziehungsgefüge, u. zw. unter dem Gesichtspunkt möglichen Scheiterns
der Therapie.
Im folgenden werden die einzelnen Skripts kommentiert.
Golden Phantasy. Emotionale Mangelerfahrungen
(Schwerpunkt Deprivation) bestimmen Kindheit/Jugend der Patienten,
tiefgreifende Beziehungs- und Partnerschaftsprobleme das Erwachsenenleben vor
der Therapie. Die Symptome äußern sich in einer akuten Krise
(häufig mit Suizidalität), in Depression, Suchtverhalten,
Gefühlen der Sinnlosigkeit, Leere und Hoffnungslosigkeit. Die Wahl des
Therapeuten ergibt sich wie vorbestimmt und schicksalhaft. Herausragend ist der
Wunsch (des Klienten und Therapeuten) nach einem
Menschen, der einen vor der Unbill des Lebens beschützt sowie der Wunsch,
die erfahrene traumatische Belastung kompensatorisch auszugleichen.
Allmählich ergibt sich eine Rollenumkehr: Der Therapeut rückt an den
Platz des bedürftigen Klienten. Die Wunschvorstellung nach einem Zustand
von absoluter Versorgung und Geborgenheit verlängert sich nicht selten in
die Aufnahme missbräuchlicher, eventuell auch sexueller Beziehungen
hinein, welche die Rollenumkehr dann vollenden. Bei der Patientin wiederholt
sich über kurz oder lang die Krise der Ausgangslage, meist in
verschärfter Form. Selbstbehandlungsversuche in Form von Suchtverhalten
(Alkohol, Psychopharmaka) scheitern. Erst Folgetherapien konnten in dieser
Stichprobe eine Stabilisierung des Befindens bewirken (zur Durchführung
von Folgetherapien nach sexuellen Übergriffen in Psychotherapie und
Psychiatrie vgl. [11]).
Rächender Gott. Kindheit und Jugend der
Patienten sind einer ständigen Belastung durch die
Partnerbeziehungsstörung zwischen Eltern oder Ersatzeltern ausgesetzt,
gleichzeitig wird eine massive Ablehnung durch die Eltern berichtet, alternativ
eine Ausgrenzung durch die weitere soziale Umgebung, z. B. Schule. Der
Therapeut möchte diesen bisher „missglückten”
Lebenslauf zu einer Idealgestalt formen und verfällt in eine Haltung von
Besitz- und Herrschaftsanspruch. So wird der Patient leicht zum
Erfüllungsgehilfen der Größenphantasien des Therapeuten. Das
Skript enthält psychischen und/oder sexuellen Missbrauch. Kommt es am
Umkehrpunkt zur Entidealisierung des Therapeuten, so setzt eine
zerstörerische Generalabrechnung ein. Das therapeutische Wissen wird als
Waffe genutzt, und die Patientin kann sich nur unter größten
Mühen entziehen. Nicht alles war schlecht, und die Aufwertung des
Therapeuten war für die Klientin lebenswichtig. Nach dem Bild des
gestürzten, rächenden Gottes entwickelt jetzt auch die Patientin
Rachephantasien nach dem Motto: Auge um Auge, Zahn um Zahn.
Eingefrorene Verschmelzungswünsche. Das
Liebesobjekt der Kindheit war für die Patienten nur mangelhaft
verfügbar und geprägt von der ständigen Drohung, fallen gelassen
oder nicht angenommen zu werden. Die Entwicklung von Eigenem wurde negativ
sanktioniert, Angst und Schuldgefühle entstehen, wenn dieser Weg dennoch
beschritten wird. Belastende aktuelle Erfahrungen, die zur Aufnahme der
Therapie führen, sind fehlende Eigenständigkeit, Ausgegrenztwerden
und Mobbing-Erfahrungen. Bei der Symptomatik ragen psychosomatische Beschwerden
heraus, Depressionen, Gefühle von Wertlosigkeit sowie Scham- und
Schuldgefühle. Die Entscheidung zur Therapie und die Wahl des Therapeuten
kommen durch Initiative anderer zustande. Die misstrauische und abwertende
Fassade der Patientin soll vor erneuter Zurückweisung schützen.
Werden die dahinter verborgenen Wünsche nach dauerhafter
„Verschmelzung” nicht erkannt oder thematisiert, so stellt sich
beim Therapeuten leicht eine aggressive und entwertende Haltung ein. Sie kann
zu einem lähmenden Stillstand der Beziehung führen, die einem kalten
Krieg ähnelt. Die meisten Patienten brechen an dieser Stelle die Therapie
ab. Eine Gruppe erleidet einen totalen Zusammenbruch; eine weitere kann die
abgebrochene Therapie als Stärkung ihrer Selbständigkeit nutzen und
„Eigentherapie” betreiben; eine dritte konnte sich zu einer
Folgetherapie entschließen, in der die grundlegenden, primären
Bedürfnisse sich entfalten können und bearbeitet werden.
Zuwendung und Zerstörung. Ein
traumatisches Ereignis beeinflusst wie eine Weichenstellung den Lebenszyklus.
Die weitere Entwicklung ist geprägt von Gefühlen wie „von der
Welt abgetrennt zu sein” (Derealisation, Depersonalisation). Eine tiefe
Krise im Erwachsenenalter führt zur Aufnahme der Therapie. Sie ist
geprägt von einer hohen Symptombelastung mit Ängsten, Depressionen
und Suizidalität. Bei der therapeutischen Beziehungssuche wird blind (beim
ersten Therapeuten) zugegriffen. Es entwickelt sich ein Beziehungsgefüge,
in dem therapeutische Zuwendung als Belohnung für
„compliance”, ja Unterwerfung erlebt wird. Ein
eigentümliches Oszillieren kommt zustande zwischen zu großer
Nähe und zu großer Distanz. Dies führt beim Patienten zu einer
massiven Irritation und meist zu Therapieabbruch. Die Patienten fühlen
sich existentiell zerstört; eine Krisenintervention wird notwendig.
Vertreibung aus dem gelobten Land.
Traumatische Erlebnisse wie „Herausgerissenwerden aus der gewohnten
Umgebung” oder Dauertraumatisierung in Kindheit und Jugend bestimmen die
Ausgangslage der Patienten. Eine Wiederholungserfahrung, wie Verlusterlebnisse
oder andere Ereignisse, die das Geborgensein in der gewohnten Umgebung
beeinträchtigen, führen zu krisenhaften Beziehungsproblemen. Schwere
Depressionen, psychosomatische Beschwerden und Suizidalität führen
zum Entschluss, eine Therapie zu beginnen. Eine eigenständige
Therapeutenwahl findet nicht statt: bei der Suche verlässt man sich auf
Empfehlungen. Die Therapie stellt sich zunächst als schützende
Zufluchtstätte vor der Bedrohung des Alltags dar, die in der realen
Entschädigung für erlittene Verluste und Verletzungen geleistet wird.
Doch allmählich verwandelt sich für den Patienten das schützende
therapeutische Beziehungsangebot in quälende Abhängigkeit. Die
vorherige Oase wird zu einer dürren Wüste. Die Loslösung aus der
Verstrickung gegenseitiger Abhängigkeit erscheint nur durch einen Eklat
möglich. Diese Wiederholung traumatisierender Beziehungserfahrungen
führt zunächst zu einer völligen Vernichtung des
Selbstwertgefühls. Die Lebensstrategie der Beziehungsmeidung als
Selbstschutz verfestigt sich, und die Möglichkeit, Vertrauen in andere
Menschen zu entwickeln, engt sich ein. Eine Verarbeitung wird erst später
möglich, teils durch „Selbsttherapie”, teils durch fremde
Hilfe.
Der hilflose Therapeut. Isolation und
Abgetrenntheit von der Umwelt prägen Kindheit und Jugend der Patienten,
das Anderssein, das Besondere führt zur sozialen Isolierung. Die
Herkunftsfamilie kann keinen Rückhalt bieten: die Bezugspersonen werden
als fremd, sogar als feindlich erlebt. Auch im Erwachsenenalter gelingt es
nicht, aus der sozialen Isolation herauszufinden. Es entwickeln sich keine
tragfähigen Bindungen (Enttäuschung und Verrat in partnerschaftlichen
Beziehungen, fehlender Halt in sozialen Beziehungen). Hinzu kommt oft eine
Bedrohung des beruflichen Lebensentwurfs. Jetzt kommt es zu einer hohen
Symptombelastung (Suizidalität, schwere Depressionen,
Minderwertigkeitsgefühle, Zwangshandlungen). Eigene Lösungen werden
durch Selbstreflexion versucht, scheitern jedoch. Der behandelnde Arzt
überweist an einen Psychotherapeuten; der Patient lässt sich nur
widerwillig darauf ein. Ambivalenz und Ratosigkeit des Patienten
übertragen sich auf den Therapeuten. Es scheint sich eine alltägliche
Sozialbeziehung zu etablieren, in der 2 Ratsuchende aufeinander treffen. Der
Therapeut wird zunehmend als „inkompetent” erlebt, was zur
Bestätigung der Grundannahme führt, dass man letztlich allein ist und
seine Probleme selbst lösen muss. Die Befürchtung, eine
Psychotherapie könne sowieso nicht helfen, hat sich bewahrheitet.
Der uninformierte Klient/Patient. Die
Sozialisation ist durch Überbürdung mit Pflichten und durch
traumatische Einzelerlebnisse bestimmt. Die Symptomatik ist gekennzeichnet
durch Depression, Beziehungs- und Kontaktprobleme sowie Sexualstörungen,
welche die Erlebniswelt einengen. Die soziale Umwelt gibt den Anstoß zur
Therapie; die therapeutische Beziehungssuche dagegen verläuft vorwiegend
eigenaktiv. Die Klientin fühlt sich durch fehlende Aufklärung und
„diktatorisches” therapeutisches Verhalten entmündigt. Der
Therapeut wird als jemand gesehen, der sich rigide an vorgegebene Regeln seiner
Therapieschule hält. Neben Verschärfung der Eingangssymptome zeigen
sich dramatische Entwicklungen: Es kommt zu akuten Krisen und dem Eindruck,
dass die Welt auf den Kopf gestellt sei. Eine nachfolgende neue
Lebensorientierung und Folgetherapien bringen Ruhe und leichte Besserung.
Nachdem wir Misserfolge in der Psychotherapie unter dem
Gesichtspunkt der Beziehungsgestaltung zwischen Therapeut und Patient
betrachtet haben, fokussieren wir jetzt auf die Entstehungsgeschichte der
behandlungsbedürftigen psychischen Störungen. Sie lassen sich nach
Abbildung 1 in folgende 4 Kategorien einteilen einteilen (vgl.
[8], S. 168 ff.):
A Psychotraumatisch. Im Kern als Kurz- oder
Langzeitfolge des „Posttraumatischen Belastungssyndroms”
(PTSD,ICD-10: F 43.1)
B Als Folge von Übersozialisation mit
den Störungsbildern der „klassischen” Neurose (hysterisch,
zwanghaft, depressiv, narzisstisch)
C Psychobiologisch mit genetisch angelegten
vs. erworbenen, jedoch psychobiologisch verfestigten Strukturen. Ein Beispiel
für letzteres wäre eine dauerhafte Dysregulation des Serotoninystems,
etwa nach frühkindlichen Deprivationserfahrungen, verbunden mit einer
Disposition zu depressiven Reaktionen im späteren Lebenslauf.
D Untersozialisation (häufig ein Wechsel
zwischen Verwöhnung und Verwahlosung) mit der Folge dissozialer
Entwicklungen.
Abbildung 1: Ätiologisches
Krankheitsmodell psychischer Störungen
Es sind die
Ätiologien psychotraumatisch (A), Übersozialisation (B), biologisch
(C) und Untersozialisation aufgeführt. Die Schnittmengen symbolisieren
Mischformen. Darüber hinaus wurden zur ersten Orientierung die Skripte aus
Tabelle 1 den Ätiologien zugeordnet. Mischformen ergeben sich aus der
Einzelfallanalyse.
Das ätiologische Krankheitsmodell psychischer Störungen
(Abb. [1]) ordnet den Grundtypen (A bis D)
schulenübergreifend therapeutische Leitlinien zu (siehe hierzu
[8]). Während sich die Ätiologie
„psychotraumatisch” (A in Abb. [1]) durch eine traumaätiologische
Therapieführung auszeichnet, wird der Ätiologiekomplex
„Übersozialisation” dem tiefenpsychologischen Ansatz und die
Untersozialisationsätiologie dem verhaltenstherapeutischen Paradigma
zugeordnet (B und D in Abb. [1]). Der
ätiologispezifische Ansatz für die psychobiologische Komponente (C in
Abb.1) orientiert sich am bio-somatischem Paradigma (z. B. Pharmakotherapie,
Myoreflextherapie usw.). Mischformen ergeben sich aus den
Überlappungszonen.
Die Skripts therapeutischen Misserfolgs können wie eine
negative Kommentierung dieser Klassifikation gelesen werden,
einschließlich dessen, was geschieht, wenn die ätiologischen und
pathogenetischen Vorbedingungen keine therapeutisch wirksame Korrektur
erfahren. So lässt sich der „uninformierte Patient” der
übersozialisativen Erfahrung vom Typ der „Hysterie” zuordnen
(bis hin zur Klage über mangelnde „Aufklärung”) mit
psychotraumatologischer Komponente zuordnen (Feld A-B in Abb.1). Der
„hilflose Therapeut” verkörpert die narzisstischen Neurose
(Übersozialisation, Feld B in Abb. [1]),
während „Vertreibung aus dem gelobten Land” und
„Zuwendung und Zerstörung” vormehmlich der
psychotraumatischen Ätiologie zugeordnet werden kann (Feld A in
Abb. [1]). Die Skripte „Golden
Phantasy” und „der rächende Gott” haben starke
Deprivations- und psychotraumatologische Anteile, so dass sie dem Feld D-A
zugeteilt werden können.
Für den Fall, dass die therapeutische Beziehung in das
„falsche Fahrwasser” gerät, kann sich der Therapeut durch
den Dreisatz
-
-
Identifizierung des Skripts,
-
Analyse der Ätiopathogenese des psychischen
Störungsbildes und
-
Ableitung der schulenübergreifenden therapeutischen
Vorgehensweise
an dieser Kurskorrektur orientieren.
Logik therapeutischen Gelingens
Logik therapeutischen Gelingens
Dörner [10] hat in seinem
mittlerweile klassischen Beitrag zur Erforschung von Fehlschlägen bei
Interventionen in komplexe Systeme einige Fehlertypen herausgearbeitet. Der
wohl wichtigste darunter ist das sog. „Feuerwehrspielen”: Immer
dort löschen, wo es gerade brennt, mit der Gefahr, die komplexe Logik des
Systems zu übersehen. Frederic Vester [13] hat
ein Modell entwickelt, das sog. „Sensitivitätsmodell”, das
solche „kontraintuitiven Effekte” in einer biokybernetischen
Analyse komplexer Regelsysteme erfasst. Die fehleranalytischen Erkenntnisse
dieser Autoren lassen sich auch zum Verständnis therapeutischer
Misserfolge nutzen. Dem Verlauf des jeweiligen Skripts kann entnommen werden,
dass die Therapeuten zumeist bemüht sind, der Symptomatik entgegenzuwirken
und unmittelbar eine Entlastung von den geklagten Beschwerden zu schaffen.
Dabei wird jedoch leicht die Systemlogik der Symptome und Beschwerden
übergangen, die nach Freud als „Kompromissbildung” zwischen
verdrängenden und verdrängten psychischen Kräften
[14] oder im psychodynamischen Traumamodell als
Kompromiss zwischen „Traumaschema” und
„traumakompensatorischen” Kräften [15],[16],[8] verstanden werden kann. Das
„Feuerwehrspielen” an Symptomen und Beschwerden führt dazu,
dass die „Systemlogik” zurückschlägt an jener Stelle,
die den Wendepunkt in jedem der 7 Misserfolgsskripts markiert. So entsteht der
Eindruck, als würden sich die neurotischen und vor allem die
psychotraumatischen Ausgangsbedingungen nahezu ungehindert in den
Psychotherapien durchsetzen und ihren destruktiven Effekt noch erweitern.
Unsere psychotherapeutischen Bemühungen können sich offenbar
bisweilen in eine Retraumatisierung (oder erneute Neurotisierung) unserer
Patienten verkehren.
Als psychotherapeutische Kolleginnen und Kollegen sollten wir es uns
aber nicht zu leicht machen und uns naserümpfend und schließlich
achselzuckend die Misserfolgs-Therapien übergehen. Zweifellos geben die
Skripts nicht das wieder, was wir unter einem wünschenswerten
Behandlungsverlauf verstehen. Auch legt die Tatsache, dass sich die Misserfolge
keineswegs auf tiefenpsychologische oder psychoanalytische Therapien
beschränken die Annahme nahe, dass die Logik des Misserfolgs als
„schulenübergreifend” zu verstehen ist.
Was also kann die Alternative sein zum
„Feuerwehrspiel”, zum direkten „Löschen der
Brandherde”, zur Fixierung auf Symptomatik und Beschwerdebild?
Die Alternative bilden dialektisches Verstehen und Denken in der
Psychotherapie und hierin begründete Interventionsstrategien.
Dialektisches Denken geht bekanntlich von der Widersprüchlichkeit und
Selbstwidersprüchlichkeit menschlicher Lebenswelten aus. Sowohl Neurose
wie Trauma bewirken eine Aufspaltung von Beziehungsschemata in konflikthaft
polarisierte Alternativen, die nach dem Muster des
„Entweder-Oder” zwischen den aufgespaltenen Polen oszillieren.
Die therapeutische Antwort kann somit nicht darin bestehen, die eine oder
andere Seite der aufgespaltenen Polarität zu unterstützen oder uns
als Therapeuten auf eine der Extrempositionen festlegen zu lassen. Vielmehr
müssen wir beiden Seiten des Widerspruchs entgegentreten, in einer
Haltung, die dem Entweder-Oder des Patienten eine therapeutisches
„Weder-Noch” gegenüberstellt. Soweit uns das gelingt, helfen
wir unseren Patientinnen und Patienten, ihr aufgespaltenes kognitiv-emotionales
„Beziehungsschema” zu „dekonstruieren”, so dass der
Weg frei wird für den Entwurf einer „Metaposition” jenseits
der aufgespaltenen Polarität, für einen lebensgeschichtlich neuen
Anfang. Auf dieser neuen Ebene sind Neurose und Trauma dialektisch
„aufgehoben”, in der dreifachen Bedeutung, die dieser Begriff
impliziert, lateinisch ausgedrückt von „eliminare”,
„elevare” und „conservare”, bezogen jeweils auf die
pathogene Ausgangslage. Mit dieser dialektischen Wendung (und nur mit ihr)
entsprechen wir der komplexen Systemlogik psychotherapeutischer
Veränderungsprozesse und können vermeiden, dass wir in unserer
täglichen Praxis als Therapeuten selbst Opfer der Systemlogik von Trauma
und/oder Neurose werden.
Dies allerdings ist leichter gesagt als getan. Oft stellen wir erst
nach vielen Sitzungen fest oder manchmal auch erst nach Abschluss der
Behandlung, dass wir uns in einer der Alternativen verfangen und die Therapie
auf der Grundlage einer „therapeutischen Missallianz”
[16] geführt haben. Hier scheint es erlaubt und
wohl auch geboten, alle verfügbaren Hilfsmittel auszuschöpfen: Denk-
und Erholungspausen, Eigensupervision, Intervision und Supervision durch
erfahrene Kolleginnen und Kollegen. In Köln haben wir daraus u. a.
die Konsequenz gezogen, ein Dokumentations- und Planungssystem für
dialektische Psychotherapie zu entwickeln. Einige Konzepte dieser dialektischen
Psychotherapiekonzeption möchte ich im folgenden skizzieren.
Einige Annahmen einer dialektischen Veränderungskonzeption
in Psychotherapie und Traumabehandlung
Einige Annahmen einer dialektischen Veränderungskonzeption
in Psychotherapie und Traumabehandlung
Übertragungsbeziehung, Arbeitsbündnis, Setting:
„minimale Differenz”
Traumatische Erfahrungen und neurotisierende Lebensbedingungen
werden in den „Beziehungsschemata” (den sog.
„RIGS” = Repetitive Interaktions Generalized
nach Daniel Stern) des Patienten gespeichert (zumeist im impliziten
Gedächtnis) und auf den Therapeuten und die Therapie
„übertragen”. Traumapatienten werden durch alles
„getriggert”, was „subcortical” auch nur entfernt
an die traumatische Erfahrung erinnert. Setting und therapeutisches
Arbeitsbündnis müssen von daher so gestaltet werden, dass dieser
Effekt gering gehalten wird und ein hinreichender Kontrast zur traumatischen
Erfahrung entsteht, eine zumindest „minimale Differenz” zwischen
Übertragungs- und Arbeitsbeziehung. Nur unter dieser Voraussetzung
können die Patienten den nötigen Abstand zu ihrer belastenden
Vorgeschichte gewinnen und sich auf die therapeutische Erfahrung einlassen.
In einigen der Misserfolgsskripts wird diese Voraussetzung bereits
dann als gegeben unterstellt, wenn der Therapeut sein gewohntes Setting
praktiziert. Aber nur wenn subjektiv, in der Erfahrung der Patientin, ein
hinreichender Kontrast zur negativen Vorgeschichte besteht, kann sich der
Patient entspannen und sich, meist schrittweise und zögernd, auf die
therapeutische Erfahrung einlassen. In einem Skript wie „Eingefrorene
Verschmelzungswünsche” ist diese „minimale Differenz”
verfehlt, ebenso in „Zuwendung und Zerstörung”. Die Therapie
etabliert sich auf der Grundlage von Zurückweisung, Misstrauen oder
Entwertung und verfehlt den hinreichenden Kontrast zu den lebensgeschichtlichen
Vorerfahrungen. Andere Skripts, wie „Golden Phantasy” oder der
„Rächende Gott” hingegen verwirklichen diesen Kontrast
überoptimal und reduzieren unnötig jene Frustrationsspannung, die
eine erfolgversprechende Therapie ebenfalls verlangt. Sie verstellen so den
Übergang zur folgenden „Schaltstelle” einer erfolgreichen
Psychotherapie, zum Punkt einer „optimalen Differenz” zwischen
Übertragungsbeziehung und therapeutischem Arbeitsbündnis.
„Veränderungsoptimale Differenz” von
Arbeitsbündnis und Übertragungsbeziehung
Dieser Kontrast entsteht, wenn in der Erfahrung des Patienten das
therapeutische Arbeitsbündnis der Übertragungsbeziehung hinreichend
ähnlich, in entscheidenden Punkten aber zugleich hinreichend
unähnlich ist.
Dazu muss vom Therapeuten die polarisierte Spaltung zwischen
Idealisierung und Entwertung, zwischen Nähe und Distanz usf. als solche
berücksichtigt werden. Gegenüber dem Entweder-Oder des aufgespaltenen
Beziehungsschemas (entweder Idealisierung oder Entwertung) verwirklicht der
Therapeut eine Haltung des sukzessiven Weder-Noch. Bleibt diese polarisierte
Systemlogik außer acht, so kehrt sie in der Reaktion des Patienten
und/oder des Patienten wieder. Das geschieht in den Skripts „golden
phantasy”, in der Vergeltung des „rächenden Gottes”
und in „Vertreibung aus dem gelobten Land”. Zunächst wird in
der therapeutischen Arbeitsbeziehung einseitig der positive Pol des
Beziehungsschemas etabliert, der ausgeblendete negative setzt sich dann, mit
oft spektakulären Folgen, im Verhalten der Beteiligten durch.
„Polaritätenquadrat” und geeignete
therapeutische Haltung
Auch wenn die wiedergegebene Studie gewissermaßen nur ein
„Blitzlicht” therapeutischer Prozesse erfasst und zudem nicht als
repräsentativ anzusehen ist, so wissen wir doch aus unserer klinischen
Erfahrung, wie stark der „Sog” werden kann, den traumatische
Vorerfahrungen auf die psychotherapeutische Beziehungsgestaltung ausüben.
So wurde das „Traumaschema” [15], jene
Struktur, die im impliziten Gedächtnis die traumatische Erfahrung
speichert, verglichen mit einem der „schwarzen Löcher” in
der astronomischen Forschung, die alle Materie in sich zusammenfallen lassen.
In der Terminologie von Jean Piaget wird das Traumaschema unserer Patientinnen
und Patienten durch ein Übermaß an „Assimilation”
bestimmt und ist im gleichen Maße
„akkommodationsresistent”, d. h. außerstande, sich
aufgrund neuer, abweichender Wahrnehmungen zu verändern.
So liegt es nahe, zu Beginn unserer therapeutischen Seereise eine
Landkarte zu entwerfen, die uns die Untiefen des Therapieverlaufes anzeigt,
damit wir sie umfahren können.
Das folgende Diagramm gibt eine solche Landkarte wieder am
Beispiel eines Patienten mit einer Persönlichkeitsstörung, die sich
lebensgeschichtlich auf ein transgenerationales Beziehungstrauma
zurückverfolgen lässt, mit dem zentralen Konfliktthema von Nähe
vs. Distanz [8]:
Tab. 2: Polaritätenquadrat
und konstruktive therapeutische Haltung am Beispiel von Herrn P. ;
Erklärung im
Text
Inszenierung | Gegen-übertragung | Arbeits-beziehung | | Outcome | |
Pol A Klammern |
Wegstoßen | Wegstoßen ≠ Gehenlassen |
A’ |
Selbstbehauptung in der Beziehung |
I |
Wechsel
von Klammern und Wegstoßen | Wechsel von Klammern und
Wegstoßen | Weder Klammern Noch Wegstoßen |
A impliziert
Z |
Intensive
Verbundenheit und Freie Wanderschaft |
H |
Pol
Z Wegstoßen |
Klammern | Halten ≠ Klammern |
Z’ |
Beziehungskonstanz. |
G |
B | C | D | E | F | |
Pol A und Pol Z in Spalte B bilden die Extreme der aufgespaltenen
Beziehungspolarität von Nähe und Distanz, so wie sie vom Patienten
voraussichtlich in der therapeutischen Beziehung inszeniert werden: als
„Klammern” oder „Beziehungsclinch” in einer
bedrückend empfundenen therapeutischen Nähe, im Wechsel mit
Versuchen, sich daraus zu befreien und den Therapeuten bzw. die Therapie
gleichsam „wegzustoßen”, beispielsweise indem der Patient
die Therapie vorzeitig abbricht. Die in Spalte D aufgeführte hilfreiche
therapeutische Haltung („Weder Klammern noch Wegstoßen”)
besteht nun darin, sukzessiv beide Pole des aufgespaltenen Beziehungsschemas zu
negieren in einer Haltung, die den schmalen Grad zwischen den aufgespaltenen
Polen A und Z nutzt und vom Patienten weder als „Klammern” (in
irgendeiner therapeutischen Formulierung) noch als
„Wegstoßen” (z. B. den Patienten wegschicken und die
Therapie beenden) interpretiert werden kann. Wie schwierig das ist, wird
deutlich, wenn wir uns an das Bild vom traumatisierten Beziehungsschema als
„schwarzes Loch” erinnern. So operiert das
„Traumaschema” des Patienten in der Tat als ein erstarrtes
Interpretationssystem, das jede Andeutung von „Klammern” oder
„Wegschicken „assimiliert”, um sich im Sinne des
Wiederholungszwanges zu reproduzieren. Die dialektische Arbeit der zweifachen
Verneinung, der doppelten Negation, kann schließlich den
Wiederholungszwang durchbrechen und führt in Tab. [2], Spalte F zu einem Therapieergebnis, das sich
seinerseits als doppelte Negation und damit als dialektische
„Aufhebung” der therapeutischen Ausgangslage darstellt: als
„Selbstbehauptung in der Beziehung” (Fenster F, I in
Tab. [2]) an Pol A sowie als
„Beziehungskonstanz” (Fenster F, G in Tab. [2]) an Pol Z. Die Angaben in Spalte F entsprechen dem
Ergebnis der 280-stündigen Psychotherapie des Patienten, Herrn P., das im
Katamnesezeitraum von 2 Jahren konstant blieb.
Offenbar ist in den Misserfolgstherapien diese dialektische Logik
nicht oder nur unzureichend berücksichtigt worden. Es zeigt sich aber
auch, wie schwierig die Logik therapeutischen Gelingens zu verwirklichen und
zuvor diagnostisch zu erfassen ist. So liegt es nahe, Planungsinstrumente wie
das „Polaritätenquadrat” zu nutzen, auch wenn ein
systematisches Vorgehen dieser Art manchen vielleicht als
„schematisch” erscheinen mag. Die Logik therapeutischen Gelingens
ist vom Misslingen, bildlich gesprochen, nur durch einen schmalen Pfad
getrennt. Im Dickicht des psychotherapeutischen Geschehens können wir ihn
leicht aus den Augen verlieren. Daher sind wir in Köln dazu
übergegangen, uns bei der Therapieplanung auch moderner Technik zu
bedienen. Dort wurde ein computergestütztes Planungs- und
Dokumentationssystem entwickelt (die KÖDOPS-Softwareversion, im Internet
über www. Psychotraumatologie.de und www.koedops.de), das uns
erlaubt, schon zu Therapiebeginn die dialektische Struktur von Trauma, Neurose,
von Untersozialisation und psychobiologischen Einflüssen zu erfassen, um
von Symptombekämpfung und „Feuerlöschen” zur
Intervention auf der Ebene dialektischer Systemlogik übergehen zu
können.
Traumaadaptierte Psychotherapie
Traumaadaptierte Psychotherapie
In den bundesdeutschen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft
wissenschaftlich medizinischer Fachverbände (AWMF) heißt es, eine
nicht traumaadaptierte Psychotherapie, die noch den traditionellen
Therapieschulen folgt, sei heute „obsolet” (über
www.DeGPt.de). Diese knappe Feststellung wird durch das Ergebnis
unserer Misserfolgsstudie vollauf bestätigt, wenn man den hohen Anteil von
Traumatisierung in der Untersuchungsgruppe bedenkt. Auch in einer weiteren
Studie [18] wurde festgestellt, dass es gerade die
traumatisierten Patienten sind, die in Verlängerungsanträgen zur
tiefenpsychologisch fundierten und analytischen Psychotherapie ungebessert
bleiben. Wir wissen heute, dass schwere psychische Traumatisierung nach etwa
einem Jahr sich hirnphysiologisch verfestigt. Die Hinweise verdichten sich,
dass vor allem komplexe Psychotraumata in die Struktur unserer neuronalen
„Software” eingreifen und sich sogar auf die
„Hardware” der Neuronen-, Dendriten und Synapsenbildung auswirken
können [19] [20]. Quer
durch die Therapieschulen hindurch ist daher eine explizite Ausrichtung auf die
Behandlung psychisch traumatisierter Patienten vonnöten, die bei
traditionellen Ansätzen noch zu vermissen ist. Als ein Negativbeispiel aus
der Verhaltenstherapie kann etwa das Manual zur Behandlung von
Angstanfällen von Margraf & Schneider [21]
gelten, wenn man bedenkt, dass bei einem erheblichen Prozentsatz der
Angstpatienten eine psychotraumatische Ätiopathogenese im Hintergrund
steht. Als unverzichtbar für Traumatherapie muss weiterhin ein gezieltes
Training im Umgang mit Übertragung und Gegenübertragung betrachtet
werden, unabhängig von der Frage, ob die jeweilige
„Schulrichtung” diese Konzepte für sich
„anerkennt” oder nicht (vgl. [22]). Die
aufgeführten Ergebnisse psychotherapeutischer Misserfolgsforschung
sprechen hier eine deutliche Sprache. Verbesserungsbedürftig bleibt der
Umgang mit Übertragungsphänomenen offenbar auch in den
psychodynamischen Therapierichtungen.
So kann uns gerade die psychotherapeutische Misserfolgsforschung
dabei helfen, bessere, erfolgreichere Therapien zu entwickeln, die den
Besonderheiten psychischer Traumatisierung entsprechen [16],[23]. Die moderne
Traumatherapie verfügt gegenwärtig über ein breites Arsenal von
Techniken aus Tiefenpsychologie, kognitiver Therapie, aus Hypno- und
Verhaltenstherapie. So wünschenswert diese schulenübergreifende
Entwicklung ist, so muss sie doch ergänzt werden durch Kriterien einer
systematischen Therapieplanung mit Schwerpunkt auf Beziehungsgestaltung und
Veränderungslogik. Werden Traumatherapien dieser systematischen Art
dokumentiert, evaluiert und aufgrund von Forschungsergebnissen
planmäßig weiterentwickelt, so können wir hoffen,
längerfristig der Herausforderung zu entsprechen, vor die uns die
Ergebnisse psychotherapeutischer Misserfolgsforschung heute noch stellen.