Pseudo-allergische Reaktionen sind als klinische Reaktionen definiert, die in der
Symptomatik allergischen Reaktionen vom Soforttyp gleichen, ohne dass immunologische
Sensibilisierungsphänomene nachgewiesen werden können. Bei Patienten mit chronischer
Urtikaria, rezidivierenden Angioödemen, Polyposis nasi, Nahrungsmittelallergien oder
nicht-allergischem, chronischem Asthma bronchiale sind pseudo-allergische Reaktionen
häufiger nachweisbar [1]
[2]
[3].
Pseudo-allergische Reaktionen werden in recht hoher Anzahl bei der Anwendung nicht-steroidaler
Antiphlogistika (NSAID) beobachtet. Nichtsteroidale Antiphlogistika sind eine Gruppe
von chemisch nicht verwandten Substanzen, die als gemeinsames Merkmal die Hemmung
der Cyclooxygenase (COX) aufweisen. Prototyp für ein NSAID ist die 1853 von Hoffmann
aus einer Spierenart (Spiraea) isolierte Azetylsalizylsäure (ASS), die seit 1899 unter dem Handelsnamen Aspirin
verbreitet zur Anwendung kam. Die erste Fallbeschreibung einer pseudo-allergischen
Aspirin-Nebenwirkung erfolgte bereits 1902 durch Hirschberg.
Im Rahmen einer NSAID-Intoleranz treten typischerweise Symptome vergleichbar mit denen
einer allergischen, Histamin-vermittelten Typ-I-Reaktion auf, wie Flush im Kopf- und
Halsbereich, Juckreiz, Urtikaria, Quinckeödem, Rhino-Konjunktivitis, Atemwegsobstruktion,
gastrointestinale Symptome, bis hin zu anaphylaktoiden Kreislaufreaktionen [1]
[3].
Ein weiteres typisches Merkmal dieser Erkrankung ist eine späte Erstmanifestation
im mittleren Erwachsenenalter nach vorangegangenem, viralem Lungeninfekt [1]
[2]. Eine Verträglichkeit von NSAID kann vorher über einen langen Zeitraum bestanden
haben, im Gegensatz zu echten Allergien kann es jedoch auch zu Unverträglichkeitsreaktionen
bei Ersteinnahme kommen. Das Auftreten der NSAID-Intoleranz im Kindesalter scheint
im Gegensatz zur adulten Form gehäuft mit einer Atopie verbunden zu sein [4].
Anders als bei IgE-vermittelten, allergischen Reaktionen, bei denen In-vitro-Tests
und Hauttests einen festen Stellenwert in der Diagnostik haben, stehen für pseudo-allergische
Reaktionen derzeit keine standardisierten Labor- oder Hauttests zur Verfügung [1]
[3]
[5]. Die Epikutan- und Scratchtestung ist typischerweise negativ oder bei Patienten
mit gleichzeitiger chronischer Urtikaria aufgrund der unspezifischen, positiven Reaktion
nicht verwertbar. Ein kommerziell erhältlicher In-vitro-Basophilen-Stimulationstest
(CAST) ist relativ aufwändig in der Durchführung. Ob der Test in gewünschtem Maße
eine Provokationstestung ersetzen kann, ist noch unklar [6]. Durch eine Abwandlung des Versuchprotokolls mit Verwendung von fMLP, C5a und PAF
statt IL-3 zur Basophilen-Vorstimulation scheint jedoch eine weitere Verbesserung
der CAST-Ergebnisse möglich [2]. Studien zum Nachweis eines spezifischen IgE gegen NSAID im Serum von Patienten
mit Intoleranzsyndrom brachten keine verwertbaren Ergebnisse [7]. Weiterhin besteht die Möglichkeit eines nasalen Provokationstests mit Lysin-gekoppeltem
Aspirin, der den Vorteil von weniger gravierenden Unverträglichkeitsreaktionen unter
der Testung zeigt, eine bestehende NSAID allerdings letztendlich nicht ausschließen
kann [8].
Als bisheriger Standard zur Diagnosesicherung und Therapie gilt daher weiterhin die
zeit- und kostenaufwändige, stationär durchzuführende Exposition mit NSAID-Schmerzmitteln
[1]
[2]
[7]. Die einzige Therapieoption besteht in der lebenslang durchzuführenden, niedrig
dosierten Hyposensibilisierungsbehandlung [9]. Diese wird jedoch kontrovers diskutiert und nur noch von wenigen Zentren angeboten,
da sie mit einem hohen logistischen Aufwand verbunden ist. Zu beachten ist auch das
Risiko gastrointestinaler NSAID-Nebenwirkungen bei der Langzeitanwendung. Weiterhin
liegt die Refraktärzeit der Hyposensibilisierung nur bei 2-5 Tagen und anaphylaktische
Reaktionen wurden nach dem Auslassen der Medikation für diesen kurzen Zeitraum beschrieben
[9]
[10].
Es wurden verschiedene Hypothesen zur Pathogenese der Intoleranzreaktionen entwickelt.
Die bei weitem favorisierte Theorie geht davon aus, dass die NSAID über die Hemmung
der COX vor allem in der Lunge den Arachidonsäure-Abbau in der Mastzellmembran in
Richtung Prostaglandin-Synthese hemmen und so zur vermehrten Bildung von Zysteinyl-Leukotrienen
über die 5-Lipoxygenase führen [11]. Diese können vermehrt im Urin, in der Bronchialflüssigkeit und im Nasensekret bei
NSAID-Intoleranz nachgewiesen werden [1]
[12]
[13]. In der Lunge ist die Aktivität der Leukotrien-C4-Synthase erhöht, welche für die
Herstellung der Zysteinyl-Leukotriene verantwortlich ist [14]. Es wurde außerdem eine Variante des Leukotrien-C4-Synthase-Gens beschrieben, die
offenbar mit der NSAID-Intoleranz in Zusammenhang steht [15]. Leukotriene wirken chemotaktisch und sind potente Bronchokonstriktoren und werden
damit für die Auslösung der pseudo-allergischen Symptome verantwortlich gemacht [14]
[16]. Allerdings kann der Mechanismus der NSAID-Intoleranz nicht als aufgeklärt gelten.
So hatte eine Vorbehandlung von 6 Patienten mit NSAID-Intoleranz mit einem Inhibitor
der 5-Lipoxygenase, Zileuton, keinen Einfluss auf den Verlauf der oralen NSAID-Provokation
[17]. Auch ist der Leukotrienrezeptorantagonist Montelukast nur zum Teil antagonisierend
bei der oralen NSAID-Provokation wirksam, was eine direkte Leukotrienwirkung als Auslöser
der Intoleranzreaktion wiederum fraglich erscheinen lässt [18].
Wichtig ist die Verteilung der beiden COX-Isoenzyme im Körper: Die COX-1 wird konstitutiv
in fast allen Geweben exprimiert [3]
[19]. Besonders hohe Spiegel findet man im Magen, wo sie für den Schutz der Magenschleimhaut
verantwortlich ist, sowie in der Niere und in Thrombozyten. Thrombozyten brauchen
die COX-1 zur Synthese von Prostaglandin H2, das weiter in Thromboxan A2 umgebaut
wird und als Antikoagulanz wirkt. Die COX-2 hat als Akut-Phase-Enzym vor allem pro-inflammatorische
Wirkung. Es induziert die Synthese der Prostaglandine D2, F2, und E2 und ist damit
hauptsächlich für die entzündungsassoziierten Schmerzzustände verantwortlich [3].
Neu auf dem deutschen Markt sind nun seit ca. 2 Jahren Schmerzmittel mit einer spezifischen
Hemmwirkung ausschließlich der COX-2. Diese COX-2-Inhibitoren sind bisher nur zur
Behandlung der rheumatoiden Arthritis in Deutschland zugelassen: Rofecoxib (Vioxx®)
und Celecoxib (Celebrex®). Das Wirkprofil der beiden Substanzen zeigt eine deutlich
verbesserte gastrointestinale Verträglichkeit mit einer geringeren Anzahl von gastroskopisch
gesicherten Läsionen, unabhängig von der klinischen Symptomatik [20].
Innerhalb von ersten Studien mit relativ geringen Fallzahlen wird momentan diskutiert,
dass die beiden selektiven COX-2-Hemmer generell keinerlei Kreuzreaktivität mit den
klassischen COX-1-Hemmern bei bestehender NSAID-Intoleranz erwarten lassen [19]
[21]
[22]. Eine Studie mit 60 Patienten bestätigt dies in 100 % der Fälle [23]. Das würde letztendlich bedeuten, dass man auf die aufwändige stationäre Testung
bis auf schwere Ausnahmefälle verzichten kann. Stattdessen kann die Intoleranzproblematik
durch die Verschreibung von selektiven COX-2-Hemmern umgangen werden. Eine erst im
September 2001 veröffentlichte Studie mit 80 Patienten zeigt zwar einen klaren Vorteil
für Rofecoxib® mit nur 3 % Kreuzreaktivität, Celecoxib® dagegen erbrachte mit 33 %
Kreuzreaktivität keine befriedigenden Ergebnisse [24].
Zusammenfassung
Nach aktuellem Wissensstand ist zur Diagnosesicherung der NSAID-Intoleranz eine stationäre
Ausweichexposition nach wie vor unumgänglich. Ambulant durchzuführende Testmethoden
sind geeignet, eine Vorauswahl infrage kommender Ausweichpräparate zu treffen und
so den stationären Aufenthalt zu verkürzen. Ein weiterer Fortschritt bei der Behandlung
der NSAID-Intoleranz könnte die Verwendung neuer Präparate mir selektiver Cyclooxigenase-II-Hemmung
sein, die in einigen klinischen Studien von einem großen Prozentsatz der Patienten
problemlos vertragen wurden. Ob die Gabe von spezifischen COX-2-Hemmern tatsächlich
ausreichende Sicherheit gegenüber Schmerzmittel-Intoleranzreaktionen bietet und damit
letztendlich die stationäre Austestung bei der NSAID-Intoleranz umgangen werden kann,
muss sich erst an größeren Patientenkollektiven zeigen.