Einleitung
Einleitung
Todesfälle von Konsumenten illegaler Substanzen sind sowohl in
der polizeilichen Statistik wie aus Kohortendaten heraus in Deutschland sowie
in anderen EU-Staaten nach wie vor überwiegend kausal durch akute
Opiatintoxikationen bedingt. Auch wenn bis zu 50 % der
Heroinabhängigen mindestens einen Suizidversuch in ihrem Leben unternehmen
[1 ], ist offensichtlich die überwiegende Anzahl der
Vergiftungsfälle nicht (para)suizidal intendiert. Der Anteil
indirekt kausaler Rauschgifttodesfälle
beträgt in der bundesdeutschen Polizeistatistik ca.
15-20 % [2 ] und ist durch
Drogenfolgeerkrankungen, Unfälle und gewaltsame Suizide heterogen
zusammengesetzt. Strategien zur Überlebenssicherung müssen breit
gefächert angelegt sein, doch ist ein besonderer Schwerpunkt
präventiver Strategien nach wie vor im Bereich der Prophylaxe von
akzidentiellen Überdosierungen anzusiedeln. Diverse bundesdeutsche Studien
[3 ;6 ] haben typische Risikokonstellationen von
Drogentodesfällen durch Überdosierung beleuchtet und wiederholt auf
die besondere Bedeutung von Toleranzbrüchen gegenüber der
abhängigkeitsbildenden Substanz, insbesondere Opiaten, hingewiesen. In
einem erheblichen Anteil solcher Todesfälle erscheinen entsprechend die
nachgewiesenen Morphinkonzentrationen im Blut, selbst bei Monointoxikationen,
vergleichsweise niedrig [4 ]
[7 ].
Gleiches gilt für nicht tödliche Drogennotfälle durch
Überdosierung [9 ]
[10 ]. In
Querschnittsstudien erwiesen sich insofern fatale Überdosierungen nach
Entzugsversuchen, Wiedereinstiege älterer Konsumenten und
Erstkonsumsituationen nach eventuell erzwungener Abstinenz als Risikocluster.
Die achtfache Erhöhung des Mortalitätsrisikos im Zeitraum von 12
Monaten nach Ausscheiden aus einer (drogenfreien) Behandlung kann hier eine
ihrer Ursachen haben [11 ].
Wiedereinstieg nach Haftentlassung ist eine weitere klassische
Konstellation, zumal ein erheblicher Anteil Drogenabhängiger eine hohe
Fluktuation zwischen kurz- bis mittelfristigen Aufenthalten in Strafhaft und
Perioden in Freiheit durchlebt. Kraus et al. [5 ] fanden
in Baden-Württemberg 1999 einen Anteil von 25 % aller
Todesfälle mit vorausgehender Haftentlassung oder Beendigung/Abbruch einer
Therapie. Heckmann et al. [3 ] fanden unter den
Drogentoten der Jahre 1992/93 56 % mit Hafterfahrung und
10 % mit einem Haftaufenthalt in den letzten 30 Tagen vor dem Tod
bei offensichtlich bestehender zusätzlicher Dunkelziffer.
Als mögliche Ursachen für eine Risikoerhöhung sind
die schlagartige Änderung von Konsumgewohnheiten mit einem Abbruch
erzwungener oder freiwilliger Abstinenz im Vollzug, eine Unterschätzung
des Reinheitsgrades von Drogen im Straßenhandel im Vergleich zu
vollzugsintern im Umlauf befindlichem Stoff, ein Erfahrungsverlust im
Risikomanagement während längerer Strafhaft und die besonders
sensible psychosoziale Situation nach Entlassung zu nennen, die je nach Verlauf
sowohl hedonistische wie kriseninduzierte parasuizidale Konsummuster
provozieren kann.
Die Auswirkungen des Toleranzbruchs werden individuell vom
Ausmaß des plötzlichen Wechsels in Konsumfrequenz und -menge sowie
bezüglich der Applikationsform nach Eintritt in Haft, von der Erhaltung
einer Basistoleranz in Haft je nach Behandlungssetting, der Art des
Strukturüberganges in Freiheit z. B. über den offenen Vollzug,
vor allem aber auch von der Risikomanagementkompetenz des Konsumenten und
nutzbaren Ressourcen an der Schnittstelle zum kommunalen Hilfesystem
abhängen.
In Deutschland fehlen größere Kohortenstudien zum
Mortalitätsrisiko mit einem Aussagehorizont zu spezifischen Schutzfaktoren
weitgehend, allenfalls liegen retrospektive Analysen von regional und zeitlich
begrenzten Todesfallkollektiven vor. Stets ist es ein Problem, die
multifaktorielle Kausalität im Umfeld der tragischen Endkonstellation
einer Suchterkrankung integrativ zu betrachten. Auch die vorliegende Studie
kann lediglich einen Faktor, den Einfluss von Hafterfahrungen auf die
Mortalität, näherungsweise analysieren, wobei im Mittelpunkt der
Versuch einer Bestimmung und Quantifizierung eines Zeitraums mit besonders
hohem Risikoimpact nach Verlassen der Gefängnistore steht.
Überlegungen zur Prävention und zur Schnittstellenproblematik aus
Sicht der Suchthilfeversorgung schließen sich an.
Methode
Methode
Ausgangspunkt war die Datenbank des Instituts für Rechtsmedizin
der Universität Hamburg mit Informationen zu allen 1213 polizeilich
registrierten Drogentodesfällen in Hamburg der Jahre 1990 bis 1997.
Sämtliche Inhaftierungszeiten ab 1985 dieser weit überwiegend auch in
der Rechtsmedizin hinsichtlich der exakten Todesursache untersuchten
Verstorbenen wurden unter Beachtung datenschutzrechtlicher Voraussetzungen
anhand von Identifikatoren im Zentralregister des Hamburger Strafvollzugs in
der JVA Fuhlsbüttel erhoben. Darüber hinaus wurden Haftgründe
und Entlassungsumstände aufgenommen. Es erfolgte ein univariater Vergleich
von soziodemografischen und mortalitätsbezogenen Variablen bei Personen
mit und ohne Hafterfahrung. Für die Darstellung der Zeitintervalle
zwischen Entlassungsdatum und Tod wurde eine Survival-Funktion, die Sterbetafel
(bei Abwesenheit sog. zensierter Fälle), genutzt. Mit der Dauer des
Zeitintervalls korrelierende Faktoren wurden einer multiplen Regressionsanalyse
nach logarithmischer Transformation der abhängigen Variablen
„Zeitintervall” unterzogen. Unabhängige Variablen waren
Alter bei Tod, Geschlecht, Nationalität, Dauer der letzten Inhaftierung,
Anzahl der Inhaftierungen, Alter bei erster Hafterfahrung, Lebenszeitdauer in
Haft und Todesursache. Die Datenanalyse erfolgte mit dem Statistikprogramm
SPSS, Version 10.0.
Ergebnisse
Ergebnisse
340 Todesfälle (28 % des Gesamtkollektivs) waren
jemals seit 1985 im Hamburger Strafvollzug aufhältig gewesen
(33 % der Männer, dagegen nur 16 % der
weiblichen Todesfälle).
Die Personen mit Hafterfahrung verstarben durchschnittlich mit 33
Lebensjahren rund 3 Jahre später als solche, die niemals im Gefängnis
gewesen waren (p < 0,001). Sie starben signifikant
häufiger an Drogenfolgeerkrankungen (p < 0,01) und hatten
signifikant höhere Prävalenzen bei Infektionserkrankungen zum
Todeszeitpunkt (HIV 9,1 versus 5,7 %, durchgemachte Hepatitis B
51,4 versus 34,9 %, Hepatitis C 63,8 versus
44,2 %).
Bei Personen mit Gefängniserfahrung betrug das Zeitintervall
von der letzten Haftentlassung bis zum Tod druchschnittlich 322 Tage
(Streubreite 0-4700 Tage). 14 Personen (4,1 % derjenigen
mit Haftvorgeschichte) waren bereits während der Haftzeit verstorben,
darunter eine Frau. Todesursachen waren bei diesen Fällen in
50 % akute Intoxikationen (überwiegend nach mehr als einem
Jahr Haftzeit). In vier Fällen lagen Drogenfolgeerkrankungen zugrunde
(n = 2 Leberversagen nach Hepatitis C,
Lungenentzündung, AIDS, zwei nicht definitiv geklärt), in einem Fall
war ein Suizid durch Erhängen in Haft als kausal mit
Drogenabhängigkeit verknüpft gewertet worden.
40 Personen, also 11,7 % derjenigen mit
Haftvorgeschichte, waren innerhalb von 10 Tagen nach Entlassung verstorben. Von
ihnen starb jeder Fünfte (n = 8) unmittelbar am Tag
der Entlassung.
Abb. [1 ] zeigt für beide
Geschlechter den Verlauf einer Sterbekurve über das erste Jahr nach
Entlassung späterer Drogentodesfälle hinweg. Dabei gibt es bei Frauen
eine Tendenz zu einem zweiphasigen Verlauf mit einer zunächst weniger
stark ausgeprägten Frühmortalität, jedoch einer diskreten
Risikozunahme gegenüber Männern mehr als ein Jahr nach Entlassung.
Männer zeigen eine besonders hohe Mortalität in den ersten 10 Tagen,
insgesamt entspricht der Langzeitverlauf einer angenäherten
Exponentialfunktion.
Abb. 1 Überlebensfunktion nach
Haftentlassung.
Nur bei 7 % des Kollektives mit Hafterfahrung war eine
Entlassung in eine stationäre therapeutische Einrichtung erfolgt
(Validität des Haftregisters diesbezüglich jedoch fraglich,
möglicherweise Untererfassung). Unter diesen 23 Personen mit
Anschlusstherapie starben 5 (22 %) binnen der ersten 10 Tage nach
Entlassung, d. h. ein höherer Anteil als bei Personen mit
Entlassung ohne Anschlusstherapie (4 durch Intoxikation). Selbst ein Haftende
mit Entlassungsadresse „ohne festen Wohnsitz” war
„nur” in 21 % (ausschließlich
Intoxikationen), also nicht häufiger als bei Entlassung in Therapie, mit
Tod innerhalb von 10 Tagen verbunden.
Flucht als Entlassungsgrund scheint ein besonders hohes
Mortalitätsrisiko zu bergen, da von 11 späteren
Drogentodesfällen, deren Entlassungsumstände als
„Flucht” bewertet wurden, 8 binnen 10 Tagen verstarben. Hier ist
allerdings zu berücksichtigen, dass die nicht reguläre Rückkehr
in manchen Fällen gerade durch den Tod während eines Ausgangs bedingt
gewesen sein dürfte, so dass die schneller als die Todesnachricht offenbar
werdende Nicht-Rückkehr vollzugsintern zunächst als
„Flucht” gewertet und anschließend in der Dokumentation
nicht geändert worden sein könnte.
Von den 40 Frühtodesfällen waren 30 regulär entlassen
wurden, 2 verstarben während eines Hafturlaubs. 92 % von
ihnen erlitten akute Intoxikationen (vgl. 70 % im
Gesamtkollektiv).
Eine Regressionsanalyse zeigt als Prädiktoren eines frühen
Todes nach Gefängnisaufenthalten im Vergleich zu
Spättodesfällen
jüngeres Lebensalter (< 30 Jahre) bei Haftende (siehe
auch Abb. [2 ]), jedoch
eine bereits größere Hafterfahrung in der
Vorgeschichte,
eine größere Lebenshaftzeitsumme sowie
eine längere Dauer des letzten Haftaufenthaltes, vor allem
Aufenthaltdauern zwischen drei und sechs Monaten. Wie Abb. [3 ] zeigt, geht das Risiko eines frühen Versterbens im
Anschluss an die Entlassung nach längeren Haftzeiten als 6 Monate
tendenziell wieder zurück.
Abb. 2 Überleben nach
Altersgruppe.
Abb. 3 Überleben und Dauer letzer
Haft.
Ein unmittelbares Abbild des Verlustes der Opiattoleranz als
wesentliche Ursache für viele Frühtodesfälle gibt
schließlich Abb. [4 ]: Bis 1997 verstarben
43 % aller Personen mit akuten Intoxikationen als Todesursache,
jedoch ohne lebenszeitbezogene Hafterfahrung, an Morphin-Monointoxikationen.
Bei Personen mit Hafterfahrung und Tod innerhalb Haft oder einem kurzen
Intervall bis zum Tod nach Entlassung liegen die Anteile an
Morphin-(Heroin-)Monointoxikationen sehr hoch, sinken jedoch bereits innerhalb
der ersten Woche nach Entlassung wieder ab. Mischintoxikationen treten sofort
wieder hervor, wobei diese aufgrund der Toleranzproblematik umso risikoreicher
sind. Letztlich erleiden Personen mit Hafterfahrung einen signifikant
höheren Anteil an Mischintoxikationen auch im Langzeitverlauf als solche
ohne Gefängnisaufenthalt. Dies deutet auf einen riskanteren Konsumstil von
Personen mit hoher Kriminalitätsbelastung hin, auch da sich unter den
Todesfällen ohne Hafterfahrung vereinzelte Probierer und
Gelegenheitskonsumenten befinden dürften.
Abb. 4 Anteil an
Morphin-Monointoxikationen unter allen Todesfällen durch Intoxikation.
Diskussion
Diskussion
Hafterfahrung ist ein weniger unabhängiger Risikofaktor
für eine erhöhte Sterblichkeit von Drogenkonsumenten als vielmehr
Ausdruck der mit ihr ursächlich verknüpften Faktoren besonders
schwerer Abhängigkeit, Risikobereitschaft bezüglich Konsum wie
Kriminalität, aber auch erhöhter gesundheitlicher Belastung wie
z. B. erhöhter Infektionsgefährdung. Während der
Inhaftierung im Normalvollzug ist eher von einem herabgesetzten Risiko der
akzidentiellen Überdosierung auszugehen, da Drogenverknappung unter
Vollzugsbedingungen im Allgemeinen zu einer erheblichen Senkung der
Konsumfrequenz führen wird. Eine hohe Haftzeitsumme geht mit
Verlängerung der Abhängigkeitsdauer, aber dabei trotz Behinderung von
Entwicklungsaufgaben mit einer höheren Lebensdauer einher
[3 ]. Substitution im Gefängnis kann - wie
für Substitution in Freiheit in zahlreichen Studien nachgewiesen -
eine weitere stabilisierende, überlebenssichernde Maßnahme sein,
wenn auch eine von Daniels [12 ] beobachtete Weitergabe
von Methadon außerhalb ärztlich kontrollierter Vergabe nach
Möglichkeit zu vermeiden ist.
Die Aufnahme einer Substitutionsbehandlung nach Entlassung kann
durch Überschätzung der aus dem Vollzug „mitgebrachten”
bzw. berichteten Opiattoleranz ein Intoxikationsrisiko bergen wie auch die
gleichzeitige Einnahme mehrerer Einzeldosen außerhalb von Methoden
therapeutischen Zugangs die die Mehrzahl der Mischvergiftungen bei schottischen
Haftentlassenen betraf [13 ].
Ein ähnlicher Ansatz wie in der vorliegenden Hamburger Studie
ist 1988 auch von Harding-Pink und Fryc [14 ]
gewählt worden, die im Kanton Genf in der Schweiz rechtsmedizinische
Autopsie- und Haftdaten verknüpft haben. 42 % der
Todesfälle, die innerhalb von 5 Jahren nach der Entlassung aufgetreten
waren, waren auf Vergiftungen zurückzuführen. 67 % der
Todesfälle traten im ersten Jahr nach Haftentlassung auf (im Gegensatz zu
22 % bei anderen Todesursachengruppen). Harding-Pink und Fryc
beschrieben einen 45-Tage-Zeitraum nach Entlassung mit einer
Mortalitätsrate von 60 Todesfällen auf 1000 Personenjahre, wobei es
sich um Heroin-/Morphin- oder Methadonintoxikationen handelte, oft in
Verbindung mit Alkohol und Benzodiazepinen. Seymour et al. [13 ] zeigten, dass zwischen 1990 und 1997 mehr als jeder
zehnte Drogentodesfall (13 %) eine Person betraf, die innerhalb
eines Monats nach Haftentlassung verstorben war. 62 % dieser
Fälle konzentrierten sich auf die erste Woche in Freiheit,
22 % auf den Tag der Entlassung. Bei den innerhalb der ersten
zwei Tage nach Entlassung Verstorbenen lag in ca. 50 % der
Fälle eine reine Heroinvergiftung vor, später überwogen
Mischintoxikationen v. a. mit Morphin und Benzodiazepinen. Damit handelt
es sich bei den Hamburger Daten um sehr ähnliche Beobachtungen. Auch
23 % der von Heckmann et al. [3 ] näher
untersuchten Drogentodesfälle in drei deutschen Metropolen waren nach
einer Abstinenzsituation im letzten Monat, teilweise nach Haftentlassung,
aufgetreten, 25 % von ihnen innerhalb der ersten Woche nach
Entlassung. Kraus et al. [6 ] beschreiben für
bayrische Drogentodesfälle des Jahres 1999 in 7,5 %
vorausgehende Haftentlassungen in den letzten 3 Monaten. 47 %
hatten noch keine Haftstrafen verbüßt. In der Parallelstudie in
Baden-Württemberg fanden Kraus et al. 56 % ohne frühere
Haftstrafen [5 ]. Die Hamburger Daten unterschätzen
die lebenszeitbezogene Gesamthafterfahrung möglicherweise um 10 bis
15 %, da nur der Zugriff auf Hamburger Vollzugsdaten möglich
war. Die Häufigkeit der Haftentlassungssituation dürfte aber
allenfalls gering unterschätzt worden sein, da ein sofortiger
geografischer Wohnortwechsel nach Verlassen einer Haftanstalt und Versterben an
entferntem Ort eher selten anzunehmen ist. Die Abknickung der Sterbekurve nach
etwa 10 Tagen definiert in der vorliegenden Studie besonders gut die Zeitdauer
eines klar erhöhten Risikoimpacts. Eine in Edinburgh durchgeführte
Studie mit Daten einer Klinikkohorte HIV-infizierter, aber nicht an AIDS
erkrankter männlicher Drogenabhängiger zeigte bei einem Abgleich mit
Haftentlassungsdaten aus 12 Jahren, dass sich innerhalb der ersten beiden
Wochen nach Entlassung ein besonderes Risiko ergab. Während in den ersten
14 Tagen auf 1000 Tage im Risiko 1,02 Todesfälle auftraten, waren es
später lediglich 0,029 Todesfälle. Daraus wurde abgeleitet, dass in
den ersten 14 Tagen nach Haftentlassung das Risiko einer letalen Intoxikation
etwa 35fach erhöht war, bezogen auf alle Todesursachen etwa 22fach
[15 ]. Möglicherweise liegen die
Mortalitätsraten unter HIV-negativen Drogenkonsumenten niedriger
[16 ], wenn auch seit einigen Jahren nicht mehr von einer
klar erhöhten Suizidalität HIV-positiver Personen auszugehen ist.
Nach wie vor konnte keine Studie nachweisen, dass die Blutspiegel
der zum Tode führenden Substanzen bei Todesfällen nach Haftentlassung
durchschnittlich niedriger liegen als bei Kontrollgruppen [13 ], sicherlich auch, da oft sehr kleine Kollektive
verglichen werden, und vor allem, da bei Mischvergiftungen eine solche
Bewertung prinzipiell schwierig bleibt. Opiat-Toleranzbruch ist aber auch nicht
mehr und nicht weniger als ein Mosaikstein im komplexen Geschehen an der
Schnittstelle zur Freiheit.
Es ist nicht leicht, den hohen Anteil kurzfristig Verstorbener nach
Entlassung in stationäre Therapie z. B. gemäß
§ 35 BtMG zu bewerten. Wenn mangelnde Vorbereitung einer solchen
Maßnahme möglicherweise zu spontaner Überforderung und
Therapieflucht führt, verstärkt ein Widerruf vorzeitiger Entlassung
durch die Strafvollstreckungskammern zusätzlich den psychosozialen Druck
und kann zu einer weiteren Labilisierung des Konsumverhaltens führen.
Ebenso existieren beispielsweise in Deutschland keine Evaluationsdaten bzw.
vielerorts zu gering ausgebildete qualitätssichernde Strukturen bei der
Überführung von entlassenen Strafgefangenen aus haftinterner in
ambulante kommunale Substitution. Die therapeutische Schnittstelle
bedürfte jedoch in Deutschland eingehender wissenschaftlicher Evaluation,
da manche Problempatienten sie gerade nach wenigen Konsumjahren mehrfach im
Jahr durchlaufen. Die vorliegende Studie gibt konkrete Hinweise auf die am
höchsten gefährdete Zielgruppe für intensivierte Bemühungen
um aufsuchende Risikoberatung rechtzeitig vor Haftende, Planung des
therapeutischen Übergangs und entsprechend komplementäre
Übernahme durch die kommunale Versorgung. Es sind weniger ältere
Langzeitstrafgefangene, sondern drogenkonsumierende Häftlinge im mittleren
Stadium ihrer Erkrankung, also nach einigen Konsumjahren, mittlerweile schon
mehrjähriger Vollzugskarriere und mittelfristigen Strafdauern,
d. h. wenige Monate absitzend. Es sind dies die Personen, die aufgrund
unzureichender Reststrafenzeiträume auch von existierenden
Abstinenzerprobungsstationen (zumeist 1 Jahr Reststrafe gefordert) nicht
profitieren und möglicherweise am ehesten einer strukturierten
Entlassungsplanung sowie Kontaktaufnahme durch externe Drogenberater entgehen,
aber natürlich nach mehr als drei Monaten bereits einen massiven
Toleranzbruch erlitten haben können.
Prävention
Präventive Überlegungen sollten sicherlich zunächst
auf die Frage der verstärkten Nutzung von Alternativen zum Strafvollzug
für suchtkranke Täter fokussieren, wobei derzeit noch kaum absehbar
ist, wie nachhaltig die bereits gegebenen gesetzlichen Möglichkeiten in
Deutschland eigentlich genutzt werden. Für die Gruppe der Personen mit
kurzen Haftstrafen von bis zu wenigen Monaten ist dies eine ganz entscheidende
Frage. Weiter sollte Prävention auf die Prüfung ausreichender
Ressourcen für eine aufsuchende Drogenberatung in Haft fokussieren, wobei
nicht nur externe Suchthilfeinstitutionen, sondern auch die vollzugsinterne
gesundheitliche Versorgungsstruktur mit der Frage der Attraktivität der
Inanspruchnahme eines möglichst breit gefächerten Therapieangebots
parallel zur kommunalen Situation in Freiheit und die Vernetzung von Angeboten
intra- und extra muros gemeint sind. Externe Berater können jedoch -
personelle und materielle Ausstattung vorausgesetzt - in besonderer Weise
die Kontinuität zwischen drinnen und draußen durch persönliches
Case-Management sicherstellen und genießen mitunter einen entsprechenden
Vertrauensbonus gegenüber der Anstaltsmedizin. Harm-Reduction-Angebote,
sofern bislang regional überhaupt vorhanden, sollten sehr gezielt in jeder
Phase des Vollzugsaufenthaltes Safer-Use-Beratung auf die Entlassungssituation
hin integrieren - je früher dies ansetzt, desto besser, denn
Entscheidungen der Strafvollstreckungskammern über den genauen
Entlassungszeitpunkt, z. B. auch durch individuell nicht absehbare
Ereignisse wie der Zahlungsleistung zur Beendigung von Ersatzfreiheitsstrafen,
erfolgen oftmals kurzfristig. Auch bei Abbruch einer abstinenzorientierten
Behandlung müssen einem Häftling gezielt weitere Beratungsangebote
zuteil werden, um den Standard zu erfüllen, der auch nach
disziplinarischer Entlassung und Abbrüchen in der stationären
Entzugstherapie in Freiheit gilt: Es müssen Möglichkeiten der
Weiterbehandlung gesucht werden [17 ]. Eher eine
Zukunftsvision ist der Ausbau von therapeutischen Gemeinschaften mit
sequenzieller bindender Rückführung in die kommunale Versorgung
hinein [18 ] - auch sie können nur so gut
sein, wie es gelingt, einen möglichst großen Teil bislang nicht
identifizierter Personen mit Suchtproblemen im Vollzug zu
selbstverantwortlicher Teilnahme zu motivieren, z. B. über die
Einbeziehung von Peers auf Seiten externer Beratungsstellen. Der sichtbare
Erfolg erster Naloxonvergabeprojekte auch in Deutschland [19 ] gibt Anlass, die Mitgabe des Antidots bei
Haftentlassung zu diskutieren. Gefragt sind Lösungen, die zur besseren
Erreichbarkeit auch jener großen Gruppe zwischenzeitlich Abstinenter
führen, die ihre Haftzeit „unauffällig” und ohne
Kontakt zur Suchthilfe zu Ende bringen, nach der Entlassung aber einem hohen
Rückfallrisiko ausgesetzt sind. Eine wesentliche Voraussetzung dafür
ist zweifellos ein weiterer Ausbau der Schulungsangebote für
professionelle Suchthelfer wie Vollzugsbedienstete, um ihnen die Vermittlung
eines effizienten Safer-Use-Trainings zu ermöglichen.