Aktuelle Dermatologie 2002; 28(10): 355-358
DOI: 10.1055/s-2002-35207
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Kontaktallergie auf chirurgisches Nahtmaterial

Contact Allergy to Surgical Suture MaterialB.  M.  Hausen1 , P.  Mohr1
  • 1 Dermatologisches Zentrum Buxtehude
Further Information

Prof. Dr. B. M. Hausen

Allergieabteilung · Elbeklinikum Buxtehude · Dermatologisches Zentrum


Am Krankenhaus 1 · 21614 Buxtehude

Publication History





Publication Date:
04 November 2002 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Bei einer 48-jährigen ehemaligen Friseuse entwickelte sich nach mehrfachen Operationen zur Entfernung multipler Nävuszellennävi eine ekzematische Reaktion an der Kontaktstelle mit dem blauen Nahtmaterial (Seralon® blau). Die Epikutantestung mit dem Farbstoff sowie der Grundsubstanz des Polyamid-6-Fadens (Perlon®) ergab eine dreifach positive Reaktion auf Palatin-Echtblau-GGN (Säureblau 158) und eine zweifache auf ε-Caprolactam. Weitere Testreaktionen auf Ammoniumpersulfat und p-Toluylendiamin wiesen auf eine im früheren Beruf erworbene Kontaktallergie gegenüber Friseurnoxen hin. Säureblau 158 ist ein Azofarbstoff. Möglicherweise bahnte die p-Toluylendiaminallergie der Sensibilisierung gegenüber dem Farbstoff den Weg. Das Monomer ε-Caprolactam ist im Perlonfaden noch in geringen Mengen enthalten. Obwohl ein seltenes Allergen, kann es bei sehr häufiger Exposition zu einer Sensibilisierung führen. Aus der Frühzeit der Perlonherstellung liegen viele Literaturberichte über irritative und allergische Kontaktdermatitiden vor. Als Ersatz diente bei den nachfolgenden Operationen ein ungefärbter, resorbierbarer Faden aus Polyglactin (Vicryl®).

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Abstract

A 48-year-old former hairdresser developed eczematous lesions after contact with the suture material consisting of a polyamide 6 thread (Perlon®). In the past she had undergone approximately 40 surgical operations in order to remove multiple nevus cell nevi and two melanoma. Epicutaneous tests with the blue dye and the precursor of the polyamide thread gave a 3+-plus reaction to acid blue 158 and a 2+-response to ε-caprolactam. Further results were obtained with such common hairdresser's sensitizers like ammonium persulfate and p-toluene diamine. It is likely that the pre-existing p-toluene diamine allergy prepared the way for acquiring hypersensitivity to the azo dye acid blue 158. ε-Caprolactam is used in the manufacture of synthetic fibres of the polyamide type. Sterile non-absorbable sutures may contain tiny amounts of intermediate products among which the monomer ε-caprolactam plays a major role. Although a rare sensitizer specific hypersensitivty to ε-caprolactam may be acquired after prolonged and extensive contact. In the early epoch of poyamid 6-production high rates of irritant and allergic contact dermatitis have been observed. In the subsequent operations which became necessary an uncolored resorbable polylglactine thread has been used (Vicryl®).

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Einleitung

Vor der Einführung synthetischer Fasern verwandte man Katzendarm (Kollagen; Catgut), Zwirn (Cellulose) oder Seide (Fibroin). Zu Erhöhung der Festigkeit führte man später auch chromatisierte Fäden ein. Seit dem Siegeszug der Kunstfasern stellt man heute chirurgisches Nahtmaterial fast ausschließlich aus Polyamid (Nylon®, Perlon®) oder Polyester her. Resorbierbares Nahtmaterial besteht dagegen aus einem Copolymer aus Glykolid und L-Lactid, das nach Hydrolyse zu Glykolsäure und Milchsäure abgebaut wird. Chirurgisches Nahtmaterial führt äußerst selten zu einer allergischen Reaktion. Wenn sich jedoch eine Sensibilisierung entwickelt, muss ein besonders häufiger und intensiver Kontakt mit dem Nahtmaterial bestanden haben. Über einen solchen Fall möchten wir berichten.

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Kasuistik

48-jährige Patientin, früher Friseuse, unterzieht sich, wie bereits über 40-mal vorher, Operationen zur Entfernung von Nävuszellennävi (NZN) und zweier maligner Melanome. Beim Ziehen der Fäden nach 10 Tagen nässt es aus allen Stichkanälen. Es erfolgt eine Behandlung mit Mercuchrom® und Abdeckung der Wunde mit Steristrips®. Nach Abnahme der sterilen Streifen sind deutlich ekzematische Reaktionen an jenen Stellen zu erkennen, an denen Fäden die Wunde zusammenhielten (Abb. [1]). Die Patientin berichtet über einen starken Juckreiz. Überweisung in die Allergieabteilung zur diagnostischen Klärung.

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Abb. 1 Ekzematische Reaktion wenige Tage nach der Entfernung der Polyamid-Fäden.

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Allergologische Untersuchungen

Nach Identifizierung der verschiedenen Fäden, die zum jetzigen Zeitpunkt bzw. bei früheren Operationen verwendet wurden, nahmen wir Kontakt mit den Herstellern auf. Man nannte uns die Bestandteile und übersandte die verwendeten Farbstoffe. Ein Fabrikant stellte das Fadenmaterial auch in ungefärbter Form zur Verfügung.

Zur Epikutantestung diente die Standardreihe mit dem bei uns üblichen Anhang, zur Zeit bestehend aus Kompositen-Mix, Kolophonium-Mix, Propolis, p-Aminoazobenzol, Benzoylperoxid, Terpentinöl und Bufexamac sowie Desinfektions- und Konservierungsmitteln, Antioxidantien und Emulgatoren. In einer zweiten Sitzung testeten wir neben der Friseurreihe (die Patientin hatte 17 Jahre als Friseuse gearbeitet) auch die von den Herstellern zur Verfügung gestellten Farbstoffe des Nahtmaterials.

Über den Chemikalienhandel ließen sich die Komponenten des Polyamid-6-Fadens ε-Caprolactam sowie die Nylon-Vorstufen ε-Aminocapronsäure und Adipinsäure beschaffen.

In der 72-Stunden-Ablesung reagierte die Patientin zweifach positiv auf das Palatin-Echtblau-GGN (Säureblau 158) des Nahtmaterials sowie das Monomer ε-Caprolactam, aus dem der Polyamidfaden hergestellt wird. Nach 96 Stunden verstärkte sich die Testreaktion des Farbstoffes auf +++-plus (Abb. [2]). Sie bestand über zwei Wochen. Der Test mit dem übersandten farblosen Faden ergab nur eine ?a-Reaktion (Abb. [3]), jedoch klagte die Patientin über einen unerträglichen, tagelang anhaltenden Juckreiz an der Applikationsstelle.

Aus ihrer 17-jährigen Tätigkeit als Friseuse wies die Patientin eine mittelstarke Sensibilisierung gegenüber Ammoniumpersulfat und p-Toluylendiamin auf. Der Anthrachinonfarbstoff des früher benutzten Nahtmaterials sowie alle anderen Testnoxen blieben negativ (Tab. [1]).

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Abb. 2 96-Stunden-Reaktion auf Palatin-Echtblau-GGN (= Säureblau 158).

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Abb. 3 72-Stunden-Reaktion auf 24 Stunden applizierte, mit 2 Tropfen Alkohol angefeuchtete, farblose Fadenteile.

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Therapie und Verlauf

Nach zweiwöchiger Behandlung mit einem schwach wirksamen Kortikosteroid heilte die ekzematische Reaktion im Narbenbereich ab. Anlässlich der Entfernung weiterer NZN in den folgenden Wochen wurde zur Schließung der Wunde ein resorbierbarer, farbloser Faden aus Polyglactin (90 % Glykolid, 10 % L-Lactid) (Vicryl®) eingesetzt. Er war bereits in einer Vortestung reaktionslos vertragen worden.

Tab. 1 Ergebnisse der Epikutantestung
NoxeKonzentration24 h72 h96 h
Ammoniumpersulfat2,5 %Ø++++
p-Toluylendiamin1 %?a++++
ε-Caprolactam5 %?a++++
Säureblau 1581 %++++++
Hydroxytoluidinanthrachinon5 %ØØØ
Adipinsäure10 %ØØØ
ε-Aminocapronsäure5 %ØØØ
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Diskussion

Bis in die 80er Jahre benutzte man vorwiegend Catgut. Dieses aus dem Katzendarm gewonnene Kollagenmaterial selbst ist nicht sensibilisierend. Erst nachdem man Catgut zwecks längerer Haltbarkeit chromatisierte, kam es bei Chirurgen, gelegentlich auch bei Patienten, zu einer Sensibilisierung gegenüber Chrom [7].

Bei millionenfach eingesetztem chirurgischen Nahtmaterial aus synthetischen Fasern ist die Zahl der beobachteten Unverträglichkeiten extrem selten. Beim Hersteller des in unserem Falle verwendeten Fadens gehen pro Jahr 1 - 3 Mitteilungen ein. Es handelt sich fast immer um irritative Reaktionen. Zwar wurde der Verdacht einer allergischen Reaktion gelegentlich geäußert, doch konnte nach Testung der Einzelkomponenten bisher weder eine allergische Reaktion auf den Farbstoff noch auf den Faden nachgewiesen werden. Auch in der Literatur liegt kein Bericht über eine Säureblau-158-Allergie vor. Das Sicherheitsdatenblatt enthält jedoch einen Hinweis auf eine Sensibilisierung des Atemtraktes im Betrieb eines europäischen Produzenten. Säureblau 158 ist ein Azo-Metall-Farbstoffkomplex mit Chrom als Metallkomponente (Abb. [4]). Die Konzentration des Farbstoffes im Faden liegt bei knapp 1 %, der Chromanteil im Farbstoff beträgt 2,5 %. Der Farbstoff unterliegt den Anforderungen des Lebensmittelgesetzes.

Die Patientin reagierte nicht auf Chrom, sondern nur auf den Farbstoff. Wahrscheinlich hat sie sich in den vergangen Jahren durch die vielen NZN-Operationen, bei denen dieser blaue Faden eingesetzt wurde, sensibilisiert. Möglicherweise bahnte dabei die durch den früheren Beruf erworbene Sensibilisierung gegenüber dem p-Toluylendiamin, das als Vorstufe zum Azofarbstoff angesehen werden kann, dem Allergen den Weg. Chirurgen bevorzugen eine blaue Farbe, damit sich der Faden vor heller Haut besser abhebt.

Polyamid 6 ist das aus ε-Caprolactam aufgebaute Poly(ε-Caprolactam), bekannt unter der Handelsbezeichung Perlon®.

Zu Herstellung der Kunstfaser wird Caprolactam (Abb. [5]) in einem Autoklaven verflüssigt (Caprolactamschmelze) und unter Luftabschluss und Druck ausgeblasen, wobei es durch Polykondensation zur Bildung fadenförmiger Polyamidketten kommt. Bei einem anderen Verarbeitungsverfahren verlangsamt man die Polykondensation, verzichtet auf den Druck und presst die zähflüssige Schmelze bei 250 °C durch Spinndüsen, wobei das Polyamid an der Luft zu feinen Filamenten erstarrt. Zur Erhöhung der Reißfestigkeit streckt man die Fäden danach auf das Vier- bis Fünffache ihrer ursprünglichen Länge.

Irritative und allergische Reaktionen auf Caprolactam wurden vor allem in der Frühzeit der Synthesefaserproduktion in den Fabriken beobachtet. Dabei führte man die austretenden Fäden zum Teil mit der bloßen Hand in eine Spinnrolle [11] oder hatte beim anschließenden Ketteln direkten Kontakt. Die Konzentration an Restmonomeren in der Luft der Fabriken lang anfangs bei über 10 % [10]. Der erst später festgelegte MAK-Wert von 25 mg/m3 wurde dabei um das Hundertfache überschritten. Auch in der fertigen Perlonfaser lag der Caprolactamanteil in den 50er Jahren noch bei 2 %, bis es später gelang, diesen auf 0,3 - 0,5 % zu senken [9] [14]. Heute darf der Gesamtrückstand der Monomere bei chirurgischem Nahtmaterial 20 mg pro Gramm Faden nicht überschreiten [2].

Aufgrund unzureichender Absauganlagen erkrankten in den Ländern des Ostblocks Arbeiter in den Herstellungskombinaten wesentlich häufiger als im Westen [10]. Über irritative und allergische Kontaktdermatitiden wurde in großer Zahl bis in die 80er Jahre aus der Sowjetunion, DDR, Polen und Bulgarien berichtet [4] [5] [6] [8] [13] [18]. Einige Autoren führten auch Epikutantests durch und erhielten positive Reaktionen auf Caprolactam [3]. Bei sehr langer Exposition beobachtete man gelegentlich einen „hardening”-Effekt [6]. Hierbei handelt es sich um einen Gewöhnungseffekt mit anschließender Verringerung der Hautveränderungen.

Tierexperimentell ließ sich das etwa mittelstark ausgeprägte Sensibilisierungsvermögen des Caprolactams ebenfalls nachweisen [18].

Auch bei der Herstellung und Reparatur von Fischnetzen aus Perlonfäden traten allergische Kontaktdermatitiden der Hände mit besonderer Ausprägung an den Fingerkuppen auf. Der Test mit Caprolactam fiel in vielen Fällen positiv aus [15] [16]. Wie nicht anders zu erwarten, kam es bei hohem Restmonomergehalt in den Kunstfasern auch beim Tragen von Textilien aus Perlon®, wie z. B. Hüfthaltern und Feinstrümpfen, zu allergischen Reaktionen [12] [19].

Trotz des inzwischen äußerst geringen Gehaltes an Caprolactam kann eine jahrelange Exposition auch heute noch zu einer Sensibilisierung führen, wie kürzlich vom „Polimerisationsmanager” einer spanischen Textilfabrik berichtet wurde [1].

Dass die Allergie schließlich auch durch den einzelnen Faden bei sehr häufigen Operationen induziert werden kann, beweist der oben geschilderte Fall. Ob die Kontaktallergie dabei ausschließlich durch die geringen Reste des verbliebenen Caprolactam oder einen zusätzlichen, partiellen Zerfall des Fadens zustande kam, muss offen bleiben.

Erfreulicherweise reagierte unsere Patientin nicht auch noch auf weitere Vorstufen des Polyamids, wie z. B. Adipinsäure und ε-Aminocapronsäure. Letztere wird als Hämostatikum und Fibronolytikum eingesetzt; unter anderem auch in Augentropfen. Zur Sensibilisierung durch aminocapronsäurehaltige Augentropfen liegen mehrere Berichte aus Japan vor. Die Betroffenen konnten nach eingetretener Sensibilisierung keine Strümpfe oder Strumpfhosen aus Nylon 6 (= Polyamid 6) mehr tragen [17].

Unsere Patientin hat auf Strumpfhosen noch keine Hautveränderungen entwickelt.

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Abb. 4 Struktur des Azofarbstoffes Säureblau 158. C.l. 14 880; CAS 70 942-15-3.

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Abb. 5 Struktur des Caprolactams (= 6-Aminohexansäurelactam). CAS 105-60-2.

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Danksagung

Für die Übersetzung der bulgarischen, polnischen und russischen Arbeiten danken wir Herrn Nikolai Gentschev, Schwester Henryka Chelminiak und Frau Larissa Gassmann. Unser Dank gilt auch Frau Dr. P. Köhler, Ethicon, Norderstedt, und Herrn A. Schmidbartl, Serag Wiesner, Naila, für die freundliche Überlassung der Farbstoffe.

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Literatur

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Prof. Dr. B. M. Hausen

Allergieabteilung · Elbeklinikum Buxtehude · Dermatologisches Zentrum


Am Krankenhaus 1 · 21614 Buxtehude

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Literatur

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Prof. Dr. B. M. Hausen

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Abb. 1 Ekzematische Reaktion wenige Tage nach der Entfernung der Polyamid-Fäden.

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Abb. 2 96-Stunden-Reaktion auf Palatin-Echtblau-GGN (= Säureblau 158).

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Abb. 3 72-Stunden-Reaktion auf 24 Stunden applizierte, mit 2 Tropfen Alkohol angefeuchtete, farblose Fadenteile.

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Abb. 4 Struktur des Azofarbstoffes Säureblau 158. C.l. 14 880; CAS 70 942-15-3.

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Abb. 5 Struktur des Caprolactams (= 6-Aminohexansäurelactam). CAS 105-60-2.