Einleitung
Einleitung
Die mikroskopische Polyangiitis wurde erstmals 1992 im Rahmen der Chapel Hill Consensus Conference zur Nomenklatur systemischer Vaskulitiden als eigenständiges Krankheitsbild definiert und zählt seither neben der Wegenerschen Granulomatose und dem Churg-Strauss-Syndrom zu den so genannten pauci-immunen Vaskulitiden [9]. Für diese Gruppe kennzeichnend sind eine nekrotisierende Vaskulitis überwiegend kleiner Gefäße, die bevorzugte Manifestation im Bereich der Nieren und Lungen, das vollständige oder weitgehende Fehlen von Immunkomplexablagerungen in den Gefäßwänden als pathogenetisches Substrat der Vaskulitis und der Nachweis von Anti-Neutrophilen-Zytoplasma-Antikörpern (ANCA). Dabei lassen sich an neutrophilen Granulozyten fluoreszenzmikroskopisch zwei gut differenzierbare ANCA-Muster unterscheiden. Während die c-ANCA ein diffuses, zytoplasmatisches Färbemuster aufweisen, zeigen die p-ANCA ein homogenes, perinukleäres Fluoreszenzmuster. Die unterschiedliche Morphologie der Fluoreszenz resultiert aus verschiedenen Zielantigenen, wobei die c-ANCA mit Proteinase 3 und die p-ANCA überwiegend mit Myeloperoxidase, seltener hingegen mit Elastase, Kathepsin G und weiteren Proteinen reagieren [15]. Die Bedeutung der ANCA für die Pathogenese der pauci-immunen Vaskulitiden ist bis heute nicht geklärt. Möglich erscheint eine immunologische, durch die Antikörper mitbedingte Aktivierung neutrophiler Granulozyten und Monozyten, in deren Folge die Freisetzung toxischer Mediatoren zur Schädigung der Endothelzellen und damit verbunden zur Gefäßwandnekrose führen [2]
[10]. Bei der mikroskopischen Polyangiitis finden sich bei ca. 60 % der betroffenen Patienten p-ANCA, typischerweise mit einem spezifischen Antikörper-Nachweis für Myeloperoxidase, und in weiteren 20 % c-ANCA [6]. Trotz der Möglichkeit, dass insbesondere die p-ANCA auch bei Kollagenosen oder entzündlichen Darmerkrankungen vorkommen können, unterstreicht das Ausmaß der Assoziation zwischen positiven ANCA-Befunden und der mikroskopischen Polyangiitis den Stellenwert der laborchemischen Diagnostik, zumal das klinische Bild der mikroskopischen Polyangiitis im Einzelfall nur schwer von anderen Vaskulitisformen abgrenzbar sein kann. Dies gilt sowohl für die internistische Symptomatik als auch für die dermatologische Manifestation der mikroskopischen Polyangiitis.
Kasuistik
Kasuistik
Patientin: F. G., 46 Jahre, Verwaltungsangestellte.
Anamnese
Anamnese
Im Frühjahr 1999 bemerkte die Patientin erstmals schmerzhafte kutane Knoten im Glutealbereich, später auch am Rücken und an den oberen und unteren Extremitäten. Anschließend manifestierte sich ein chronisch-rezidivierender Verlauf mit immer wieder episodenhaft auftretenden akuten Exazerbationen der Hautveränderungen, die dann regelmäßig von Myalgien, Arthralgien großer Gelenke, Fieber und einer zunehmenden Verschlechterung des Allgemeinbefindens begleitet waren. Die auftretenden Knoten bildeten sich in der Regel innerhalb von mehreren Wochen langsam zurück, teilweise unter Hinterlassung postinflammatorischer Pigmentierungen. Gelegentlich bemerkte die Patientin bei einzelnen Knoten oberflächliche Erosionen, Pustulationen und Krusten. Wiederholt war sie unter der Vorstellung einer bakteriell verursachten Dermatose, z. B. einer Furunkulose, lokal und systemisch mit verschiedenen Antibiotika behandelt worden, ohne dass dies einen feststellbaren Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung gezeigt hatte. Die Vorstellung der Patientin in der Hautklinik Bremerhaven erfolgte im August 2001, nachdem sich zu diesem Zeitpunkt erstmals ausgedehnte Ulzerationen an den Unterschenkeln ausgebildet hatten. Die übrige Anamnese der Patientin war unauffällig. Ernsthafte internistische Erkrankungen konnten nicht erfragt werden. Eine regelmäßige oder gelegentliche Medikamenteneinnahme wurde ebenfalls verneint.
Dermatologischer Befund
Dermatologischer Befund
An den Waden und Streckseiten der Unterschenkel bds. insgesamt fünf münz- bis handtellergroße, teilweise pustulös, teilweise hämorrhagisch belegte Ulzera mit ausgeprägt exsudativer Komponente und unscharf begrenzten, blasig aufgeworfenen, von flotierenden Epidermisresten bedeckten Rändern. Daneben an den oberen und unteren Extremitäten gluteal und umschrieben am dorsalen Stamm disseminiert stehende, linsen- bis fingernagelgroße, vereinzelt von Schuppen oder Krusten bedeckte Erytheme, Papeln und Knoten sowie gleich große postinflammatorisch pigmentierte Maculae oder flach atrophische Narben (Abb. [1] u. [2]).
Abb. 1 Pyoderma-gangraenosum-artige Ulzera Wade re.
Abb. 2 Papeln und Knoten Oberschenkel re.
Befunde diagnostischer Untersuchungen
Befunde diagnostischer Untersuchungen
Histopathologischer Befund
Probebiopsie einer Papel vom rechten Oberschenkel: Bei unauffälliger Epidermis weitgehende Ausfüllung des Koriums durch eine dichte, perivaskulär betonte Infiltration lymphohistiozytärer Zellen mit zahlreichen neutrophilen Granulozyten und auch Kernstaub. Ausgeprägte Erythrozytenextravasate. Deutlich geschwollene Gefäßendothelien und ausgeprägte Fibrinablagerungen innerhalb der Gefäßwände (Abb. [3]).
Diagnose: Leukozytoklastische Vaskulitis.
Probebiopsie Randbereich Ulkus li. Unterschenkel: Neben fokal beginnenden Nekrosen in basalen und mittleren Abschnitten der Epidermis identische Befunde wie in der Biopsie vom rechten Oberschenkel.
Abb. 3 Perivaskuläre und interstitielle Infiltrate mit neutrophilen Granulozyten, Kernstaub und Erythrozytenextravasaten (HE × 10).
Direkte Immunfluoreszenz
In beiden Biopsien kein Nachweis von C3, IgG, IgM oder IgA.
Laborbefunde
Pathologische Ergebnisse: Leukozytose von 12,4 nl bei sonst unauffälligem Blut- und Diff.-BB. BSG n. W. 40/70 mm, CRP 45 mg/l. p-ANCA positiv, Titer 1 : 160, Myeloperoxidase-AK positiv.
Spezielle Nierendiagnostik: Kreatinin-Clearance 64,7 ml/min/SO (NW: 75 - 130), Gesamteiweißurin/d 386 mg/d (NW: 50 - 350). Persistierende Erythrozyturie von bis zu 150 Erythrozyten/ul sowie Nachweis von Akanthozyten als Ausdruck einer glomerulär bedingten Erythrozyturie. Unauffällige Serumwerte für Kreatinin, Harnstoff und Harnsäure.
Diagnose: Initiale Glomerulonephritis.
Unauffällige bzw. negative Befunde: Eiweiß- und Immunelektrophorese, Lebertransaminasen, Bilirubin, Hepatitisserologie, Amylase, Lipase, CK, LDH, Elektrolyte, BZ-Tagesprofil, ASL und Rheumafaktoren. ANA, c-ANCA, Cardiolipin-AK, Komplementfaktoren CH50‘, C3, C4 und zirkulierende Immunkomplexe.
Ergänzende Untersuchungen
Ergänzende Untersuchungen
EKG, Rö.-Thorax, Oberbauchsonographie sowie CT-Thorax und Abdomen ohne pathologische Befunde. HNO-, MKG-, Gyn.- und Neurol.-Konsil unauffällig, kein Hinweis für entzündliche Fokalgeschehen oder Tumorerkrankungen.
Therapie und Verlauf
Bei einem Körpergewicht von 65 kg wurde die Behandlung mit 130 mg Prednisolon (Decortin®H) täglich eingeleitet. Darunter kam es zu einer schlagartigen Verbesserung des Allgemeinbefindens mit vollständiger Rückbildung der Myalgien und Arthralgien. Die Patientin erklärte uns bereits zwei Tage nach Einleitung der Therapie, dass sie gar nicht gewusst habe, wie krank sie doch gewesen sei. Die Erytheme, Papeln und Knoten heilten ebenfalls innerhalb weniger Tage ab, während die Ulzera naturgemäß eine deutlich langsamere Rückbildung aufwiesen. Nach zwei Monaten war die tägliche Prednisolondosis auf 40 mg reduziert. Zu diesem Zeitpunkt sistierte die Abheilungstendenz der Ulzera und darüber hinaus traten erneut Arthralgien auf. Die Patientin erhielt nun eine zusätzliche Behandlung mit 2 × 125 mg Cyclosporin (Sandimmun®Optoral) täglich. Darunter bildeten sich die Arthralgien vollständig zurück, während die Ulzera langsam epithelisierten und weitere drei Monate später im Januar 2002 vollständig abgeheilt waren. Bei einer Erhaltungstherapie mit der unveränderten Cyclosporindosis und 10 mg Prednisolon täglich ist die Patientin bis heute erscheinungs- und beschwerdefrei geblieben. Mit Ausnahme der Erythrozyturie und dem weiter bestehenden Nachweis von p-ANCA und Myeloperoxidase-AK haben sich alle anderen Laborparameter normalisiert.
Diskussion
Diskussion
Die mikroskopische Polyangiitis ist auch innerhalb der Gruppe der Systemvaskulitiden eine seltene Erkrankung. Bei epidemiologischen Untersuchungen in Nordengland fand sich eine Inzidenz von jährlich 2 - 4 Neuerkrankungen pro 1 Million Einwohner [16]. Die Mehrzahl der Patienten ist zu Beginn der Erkrankung älter als 50 Jahre, wobei Männer etwas häufiger betroffen sind als Frauen [5]. Die Ätiologie der mikroskopischen Polyangiitis ist ungeklärt. Neben einer diskutierten genetischen Disposition wurden auch einzelne exogene Faktoren für ihr Auftreten verantwortlich gemacht [3]. Dabei finden sich in der Literatur gehäuft Berichte über Grippeschutzimpfungen als mögliche Ursache der Erkrankung, während die für andere Vaskulitisformen häufig typische Provokation, z. B. durch Medikamente oder Infektionen, für die Auslösung der mikroskopischen Polyangiitis offensichtlich keine Bedeutung besitzt [1]
[12].
Die klinische Symptomatologie der mikroskopischen Polyangiitis kann sich durch eine deutliche Variabilität auszeichnen und ist im Einzelfall von den bevorzugt betroffenen Organsystemen abhängig. Bei der Mehrzahl der Patienten wird zunächst jedoch ein bisweilen auch längere Zeit bestehendes Prodromalstadium beobachtet, das durch Allgemeinsymptome wie Adynamie, subfebrile Temperaturen, Nachtschweiß und Gewichtsverlust gekennzeichnet ist. Etwa die Hälfte der betroffenen Patienten entwickelt zusätzlich rheumatische Beschwerden in Form von wechselhaft auftretenden Myalgien und Arthralgien. Im weiteren Verlauf gewinnt die in ca. 80 % der Fälle auftretende nekrotisierende Glomerulonephritis zunehmend an Bedeutung. Eine Proteinurie, eine Erythrozyturie und die Entwicklung eines Hypertonus werden dabei als typische Zeichen einer renalen Beteiligung gewertet. Die gleichzeitige Entwicklung einer pulmonalen Kapillaritis, die bei ca. 25 % der Patienten beobachtet wird und sich klinisch vor allem in Form von Hämoptysen, Pleuritiden und Pneumonien bemerkbar machen kann, wird auch als pulmo-renales Syndrom bezeichnet, eine kombinierte Organmanifestation, die für die mikroskopische Polyangiitis besonders typisch ist. Darüber hinaus können weitere Organsysteme in beliebiger Kombination am Krankheitsprozess beteiligt sein. Hierzu zählen die gastrointestinale Manifestation mit abdominellen Krämpfen, Erbrechen und blutigen Diarrhöen, die Beteiligung des peripheren Nervensystems mit einer gehäuft an den unteren Extremitäten auftretenden Mononeuritis multiplex sowie eine kardiale Symptomatik mit pektanginösen Beschwerden und Rhythmusstörungen. Eine Episkleritis, Iritis oder Neuritis n. optici werden als ophthalmologische Beteiligungen gewertet, während im HNO-Bereich die Sinusitis oder die Otitis media als Manifestationsformen einer mikroskopischen Polyangiitis beschrieben werden [4]
[5]
[12]
[14].
Neben den Erkrankungen der bisher aufgeführten Organsysteme entwickeln sich bei zahlreichen Patienten auch dermatologische Symptome. Dabei ist das Auftreten einer kutanen Beteiligung mit 30, 62 oder 76 % unterschiedlich häufig beobachtet worden [5]
[12]
[14]. In der Regel entwickelt sich das klinische Bild der mikroskopischen Polyangiitis im Sinne einer Systemerkrankung, so dass gleichzeitig mehrere Organe vom Krankheitsprozess betroffen sind. In Einzelfällen kann aber auch die dermatologische Symptomatik allein bestehen und als Prodromalstadium der eigentlichen Generalisationsphase um Jahre vorausgehen [8]. Die kutane Manifestation der mikroskopischen Polyangiitis zeigt eine deutliche Variabilität der klinischen Morphologie, wobei neben monomorphen klinischen Bildern auch unterschiedliche Morphen nebeneinander auftreten können. Am häufigsten findet sich die palpable Purpura, typischerweise an den unteren Extremitäten, gluteal oder am Stamm, vereinzelt aber auch in ungewöhnlichen Lokalisationen wie z. B. im Gesicht [5]
[8]
[12]. Die Livedo, urtikarielle Exantheme oder subkutane Knoten zählen zu den seltener vorkommenden Manifestationsformen. Hämorrhagische Pusteln, Vesikel oder Pyoderma-gangraenosum-artige Ulzera sind weitere, allerdings nur in einzelnen kasuistischen Beiträgen beschriebene Morphen der mikroskopischen Polyangiitis [7]
[13]
[17]. Die ebenfalls nur selten vorkommenden Ulzera der Mundschleimhaut und Splitter-Blutungen der Nagelplatten vervollständigen das klinische Bild [7]
[11]
[13]. Während der dermatologische Befund somit deutliche Unterschiede aufweisen kann, zeigen alle Formen der kutanen Beteiligung histopathologisch das typische Bild einer leukozytoklastischen Vaskulitis [7]
[8]
[11]
[13]
[17]. Die mögliche klinische Polymorphie der kutanen Manifestation kann die Diagnose einer mikroskopischen Polyangiitis erschweren, was besonders für diejenigen Patienten gilt, bei denen die dermatologische Symptomatik im Vordergrund stehend, das klinische Bild der mikroskopischen Polyangiitis prägt. So ist auch unsere Patientin unter der Vorstellung einer bakteriell bedingten Infektion des Hautorgans wiederholt antibiotisch behandelt worden. In der Literatur werden darüber hinaus Arzneimittel- und Virusexantheme, die nekrotisierende Fasciitis und das Pyoderma gangraenosum als weitere Diagnosen beschrieben, die bei Patienten mit einer mikroskopischen Polyangiitis zunächst gestellt worden waren [7]
[8]
[11]
[17]. Des Weiteren sind die kutanen Symptome der mikroskopischen Polyangiitis keineswegs spezifisch und finden sich in wechselnder Häufigkeit auch bei anderen systemischen Vaskulitiden [4]. Ein besonders differenzialdiagnostisches Problem ist dabei die Abgrenzung zur Vasculitis allergica, die sich ebenfalls am häufigsten in Form einer palpablen Purpura manifestiert [1]. Histopathologische Untersuchungen reichen für die Differenzierung der beiden Vaskulitisformen nicht aus, da in beiden Fällen eine leukozytoklastische Vaskulitis gefunden wird und in Abhängigkeit von der Bestandsdauer der biopsierten Morphen auch das Fehlen von Immunkomplexablagerungen bei der Vasculitis allergica erfahrungsgemäß durchaus vorkommt. Diese Situation macht es im Einzelfall notwendig, auch bei einer vermeintlichen Vasculitis allergica eine Bestimmung der ANCA durchzuführen, wenn die Patienten eine lange Anamnese aufweisen, sich keine Hinweise für eine mögliche Ursache der angenommenen Vasculitis allergica finden lassen und weitere Organsysteme in den Krankheitsprozess mit einbezogen sind. Die in der Dermatologie sicher seltene Erstdiagnose einer mikroskopischen Polyangiitis beruht somit auf der Kenntnis der Variabilität der dermatologischen und internistischen Symptomatik sowie der histopathologischen und laborchemischen Befunde.