Einleitung
Einleitung
Die Kopfbehaarung besitzt beim Menschen neben einer protektiven Funktion gegen Wärme-, UV- und Kälteeinwirkung vor allem eine wichtige soziale und kommunikative Funktion. So prägt das Kopfhaar das äußere Erscheinungsbild und trägt entscheidend zum Selbstwertgefühl bei. Entsprechend können Störungen des Haarwachstums und Haarausfall das Wohlbefinden und die Lebensqualität der Betroffenen deutlich beeinträchtigen und sogar psychische Beschwerden auslösen. Im Folgenden sollen die Ursachen und Pathomechanismen der androgenetischen oder anlagebedingten Alopezie und moderne Therapiekonzepte dargestellt werden.
Von anlagebedingtem Haarausfall ist hier zu Lande rund die Hälfte aller Männer ab dem 40. Lebensjahr betroffen. Bei Frauen ist die Prävalenz deutlich niedriger, und auch die Ausprägung unterscheidet sich: Beim männlichen Typ beginnt der Haarverlust beidseitig frontoparietal („Geheimratsecken”) und dehnt sich später über den Scheitelbereich u. U. bis zur Entstehung einer Glatze aus [1 ] (Abb. [1 ]
[2 ]
[3 ]). Bei Frauen manifestiert sich der Haarausfall vor allem im Mittelscheitelbereich [2 ]
[3 ] (Abb. [4 ]
[5 ]).
Pathomechanismen des anlagebedingten Haarausfalls
Pathomechanismen des anlagebedingten Haarausfalls
Genetische Prädisposition und Androgene sind als wichtigste Faktoren für den anlagebedingten Haarausfall verantwortlich. Genetisch prädisponierte Follikel sind aufgrund einer speziellen Enzymausstattung in der Lage, vor Ort vermehrt Hormone, speziell Androgene [4 ]
[5 ], zu synthetisieren. Diese Haarfollikel reagieren auf lokal gebildete Androgene mit einer Verkürzung der Anagenphase und einer kontinuierlichen Miniaturisierung der Haarfollikel. Im Verlauf der immer kürzer werdenden Wachstumszyklen bilden sich die kräftigen Terminalhaare zu dünnen, kurzen und weichen Vellushaaren um, die nicht mehr ausreichen, um die Kopfhaut kosmetisch zufriedenstellend zu bedecken. Auf diese Weise entwickelt sich schließlich eine verminderte Haardichte bis hin zur kompletten Alopezie. Diese anlagebedingte oder androgenetische Alopezie folgt einem polygenen Vererbungsmodus und weist in der Regel weitgehend normale Androgenspiegel auf [1 ]
[2 ].
Nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen unterscheidet sich jedoch die Enzym- und Rezeptorausstattung in den für den anlagebedingten Haarausfall prädeterminierten Arealen von der in der übrigen Kopfhaut. Bei Männern liegt in diesen Arealen eine erhöhte Expression der für die Umwandlung von Testosteron zu Dihydrotestosteron (DHT) verantwortlichen 5α-Reduktase vor. Bei Frauen ist die Aromatase, die die Aromatisierung von Testosteron zu Östrogenen katalysiert, in geringerer Menge vorhanden [4 ]. Dementsprechend finden sich in den Zielzellen der dermalen Papille, in Follikelkeratinozyten und Sebozyten erhöhte Androgenspiegel. Da auch die Androgenrezeptordichte in den betroffenen Arealen vermehrt exprimiert ist, reagieren die Zielzellen auf das Androgensignal verstärkt. Dies führt zu einer hemmenden Wirkung auf die Haarfollikelaktivität speziell der Keratinozytenproliferation und zu vermindertem Haarwachstum sowie zu einer Stimulation der Talgdrüsenaktivität mit Seborrhö [5 ].
Neben genetischer Prägung und Hormonen ist darüber hinaus eine Reihe weiterer Faktoren an der Entwicklung der androgenetischen Alopezie mitbeteiligt (Abb.[6 ]). So werden infolge der gesteigerten Talgproduktion im Haarkanal vermehrt proinflammatorische Zytokine synthetisiert, die eine lokale Entzündungsreaktion initiieren [6 ]. Bei rund 40 % aller Männer mit anlagebedingtem Haarausfall konnten Anzeichen einer chronischen perifollikulären Entzündung mit Einwanderung von Mastzellen nachgewiesen werden [7 ]. Diese Entzündungszellen initiieren in den Keratinozyten des Haarfollikels die Apoptose und leiten so die Katagenphase ein. Diese Regressionsphase stellt den Übergang zur Ruhe- oder Telogenphase dar, in der das Haar zwei bis vier Monate verweilt und bei Neueinleitung der nächsten Anagenphase eliminiert bzw. durch das nachwachsende Haar herausgetrieben wird [8 ]. Darüber hinaus kann die androgen gesteuerte Seborrhö auch aufgrund der erleichterten Kolonisation von Mikroorganismen entzündungsfördernd wirken.
Abb. 4 Androgenetische Alopezie vom female pattern bei einer 33-jährigen Frau, Ludwig-Typ II.
Abb. 5 Androgenetische Alopezie vom male pattern bei einer 42-jährigen Frau mit Ausbildung von „Geheimratsecken”.
Abb. 1 Androgenetische Alopezie vom female pattern bei einem 48-jährigen Mann mit erhaltenem frontalen Haarkranz.
Abb. 2 Klassische androgenetische Alopezie vom male pattern Hamilton Grad VIII, Ausbildung von Trianguli und Alopezie im Vertexbereich.
Abb. 3 Frühes Einsetzen einer androgenetischen Alopezie bei einem 12-jährigen Jungen.
Abb. 6 Mögliche Wirkmechanismen bei der Miniaturisierung des Haarfollikels vom Terminal- zum Vellushaarfollikel.
Während der Wachstumsphase (Anagenphase) wird der Haarfollikel über ein reiches Gefäßsystem versorgt (Abb.[6 ]). Der Aufbau dieses Kapillargefäßsystems erfolgt u. a. durch den Haarfollikel selbst, der Wachstumsfaktoren wie VEGF (vascular endothelial growth factor) und PDGF (platelet derived growth factor) freisetzt [9 ]
[10 ].
Bei der androgenetischen Alopezie werden diese gefäßstimulierenden Faktoren nur noch eingeschränkt synthetisiert, so dass die Gefäßneubildung und damit auch die Nährstoffversorgung des Haarfollikels unterbleiben. Andererseits stimuliert DHT die Produktion von Stickoxid (NO), das einmal toxisch, also wachstumshemmend, und zum zweiten aufgrund seines vasodilatatorischen Effektes proinflammatorisch wirkt und so die Einwanderung von Entzündungszellen unterstützt wird [11 ]. Nach neueren Untersuchungen können zudem unter Stressbedingungen vom perifollikulären Nervensystem ausgeschüttete neuroimmunologische Faktoren die lokale Entzündung weiter stimulieren [8 ].
Mögliche therapeutische Ansatzpunkte bei anlagebedingtem Haarausfall
Mögliche therapeutische Ansatzpunkte bei anlagebedingtem Haarausfall
1. Hormonelle Therapien
Die Androgene als wichtigster ursächlicher Faktor des anlagebedingten Haarausfalls, aber auch die verschiedenen Nebenfaktoren (Seborrhö und Kolonisation, Vaskularisierung und Gefäßversorgung sowie Mikroinflammation und Fibrosierung), werden als therapeutische Ansatzpunkte im integrativen Behandlungskonzept genutzt. Die meisten Erfahrungen liegen für Substanzen vor, die in den Hormonmetabolismus eingreifen (Tab. [1 ]). Einschränkend muss jedoch gesagt werden, dass hormonelle Lokaltherapeutika den wenigen Untersuchungen zufolge nur eingeschränkt effektiv sind. Topisch applizierte Antiandrogene stehen nicht zur Verfügung. Progesteron, lokal angewendet, erwies sich als unwirksam. Lokale Östrogene (Alfatradiol 0,15 %, 17β-Östradiol 0,05 % und Östradiolbenzoat 0,05 %) werden in Deutschland und der Schweiz bei anlagebedingtem Haarausfall der Frau gerne eingesetzt, sind aber in allen anderen europäischen Ländern nicht verfügbar. Bei Männern ist der Einsatz von Östrogenen - mit Ausnahme von Alfatradiol - wegen des Risikos der systemischen Resorption und einer möglichen Mastopathie nur kurzfristig zu empfehlen. Studien zufolge können Östrogene den Verlauf der androgenetischen Alopezie aufhalten; die genauen Erfolgsraten und der Wirkmechanismus sind jedoch noch nicht abschließend geklärt [12 ]
[13 ]
[14 ].
Tab. 1 Behandlung des anlagebedingten Haarausfalls mit Hormonen und in den Hormonmetabolismus eingreifenden Substanzen
lokale Behandlung
Östrogene Alfratradiol 0,15 % 17β-Östradiol 0,05 % Östradiolbenzoat 0,05 %
Antiandrogene ohne Erfolg
Progesteron ohne Erfolg
systemische Behandlung
5α-Reduktase-Hemmer Finasterid (Propecia®)
Androgenantagonisten Östrogene
Antiandrogene Flutamid, Benorteron
Progestagene Cyproteronazetat (CPA) Chlormadinonazetat (CMA)
Kombinationstherapien CPA + Ethinylestradiol (Diane®35, Lafemme, Climen) CMA + Ethinylestradiol (Neo-Eunomin®, Valette®, Belara®)
Im Rahmen der systemischen hormonellen Behandlung ist Finasterid das am häufigsten eingesetzte Präparat zur Behandlung der androgenetischen Alopezie beim Mann. Dieser 5α-Reduktase-Typ II-Hemmer verhindert die Metabolisierung von Testosteron zu DHT und führte in einer Dosierung von 1 mg/Tag in plazebokontrollierten Doppelblindstudien bei 66 % der männlichen Teilnehmer zu neuem Haarwachstum. Bei 83 % konnte zudem der weitere Haarverlust verhindert werden [15 ]. Wegen der Bedeutung von DHT bei der genitalen Differenzierung im Verlauf der Fetalentwicklung ist Finasterid bei Frauen im gebärfähigen Alter kontraindiziert. Auch gibt es keine Hinweise für eine Wirksamkeit von Finasterid bei postmenopausalen Frauen mit androgenetischer Alopezie [16 ].
Bei der Frau werden in erster Linie systemische Antiandrogene wie Cyproteronazetat und Chlormadinonazetat, meist in Form von Kombinationstherapien mit Östrogenen (Antibabypille), eingesetzt. Die neuen niedrig dosierten Präparate können als gut verträglich und bei einem gewissen Prozentsatz von Frauen auch als effektiv betrachtet werden. Allerdings profitieren nicht alle Betroffenen von dieser Therapieform.
2. Stimulation des Haarwachstums
Seit vielen Jahren wird das aus der Hypertonie-Forschung stammende Minoxidil beim anlagebedingten Haarausfall eingesetzt. Der genaue Wirkmechanismus des Kaliumkanalöffners ist unbekannt; vermutlich stimuliert Minoxidil die Vasodilatation, evtl. auch über die Stimulation der Produktion von VEGF [17 ] das Gefäßwachstum (Tab. [2 ]). Die topisch applizierte Substanz wurde in mehreren großen, plazebokontrollierten Doppelblindstudien geprüft und führte bei rund 30 % der Behandelten zu einer Umwandlung von Vellus- in kräftige Terminalhaare [18 ]
[19 ]
[20 ]
[21 ]. In Deutschland ist Minoxidilhaltiges Haarwasser (5 %) bislang nur für Männer, in anderen europäischen Ländern eine 2 %ige Lösung auch für Frauen zugelassen. Für die Vielzahl weiterer als vasodilatatorisch aktiv bezeichneter Präparate (Nicotinsäureamidester, Peroxylipide, Koffein u. a.) liegen im Gegensatz zu Minoxidil keine plazebokontrollierten Doppelblindstudien, sondern im besten Falle Anwendungsbeobachtungen vor. Die Effektivität dieser Substanzen kann daher nicht eindeutig belegt werden.
3. Symptomorientierte und unterstützende Behandlungsmöglichkeiten
Als unterstützende Behandlung des anlagebedingten Haarausfalls können antientzündlich, antifibrotisch und antimikrobiell wirkende Substanzen den Erfolg einer hormonellen Therapie und damit auch die Zufriedenheit der meist recht anspruchsvollen und psychisch stark belasteten Patienten deutlich steigern (Tab. [2 ]). Als antiinflammatorische Substanzen werden beispielsweise Kortikosteroide eingesetzt, die jedoch nur kurzfristig angewendet werden sollten. Bei einer gleichzeitig vorliegenden seborrhoischen Dermatitis können antimikrobiell wirkende Ketoconazolhaltige Shampoos zum Einsatz kommen.
Ein weiterer Ansatzpunkt wird von dem Minoxidil-Abkömmling Aminexil (DERCAP-Aminexil®) genutzt: In vitro wirkt Aminexil der perifollikulären Verhärtung der Kollagenfasern entgegen und verhindert so das beschleunigte Absterben des Haarfollikels [22 ]. Im Gegensatz zu Minoxidil, das in hoher Dosierung zum Blutdruckabfall führen kann, sind derartige systemische Effekte durch die chemische Änderung der Struktur bei Aminexil auszuschließen.
Es gibt auf dem pharmazeutischen und kosmetischen Markt eine breite Palette von topischen und systemischen Haartherapeutika, jedoch ist für die meisten dieser Substanzen kein wissenschaftlich geführter Nachweis über den Erfolg in der Behandlung des anlagebedingten Haarausfalls gegeben. Diese Substanzen greifen nicht in den Pathomechanismus, der dem Haarausfall zugrunde liegt, ein, sondern führen zu einer häufig kosmetischen Verbesserung des äußeren Erscheinungsbildes der Haare. Dies gilt für eine Vielzahl von lokal anzuwendenden pflanzlichen Haarlotionen oder verschiedensten Haarwässern. Als eine unterstützende Therapiemaßnahme kann weiterhin eine innerliche Gabe von aminosäurehaltigen Präparaten gerechtfertigt sein. Hier konnten Untersuchungen zeigen, dass diese Aminosäure-Substitution zu einer Zunahme der Haare in der Anagenphase und des Haarschaftdurchmessers führte [23 ].
Bei schweren psychischen Auswirkungen sollte auch auf eine fachkundige psychologische Unterstützung bezüglich der Haarausfalls-Problematik nicht verzichtet werden und speziell das Coping im Mittelpunkt stehen.
Umfassendes, integratives Behandlungskonzept bei anlagebedingtem Haarausfall
Umfassendes, integratives Behandlungskonzept bei anlagebedingtem Haarausfall
Zur erfolgreichen Behandlung von Patienten mit anlagebedingtem Haarausfall gehört ein umfassendes, integratives Patienten-Managementkonzept (Abb. [7 ]). Dieses Konzept stützt sich auf 4 Säulen:
die gezielte, spezifische Therapie nach der sorgfältig diagnostizierten Haarerkrankung,
eine symptomorientierte, unterstützende Therapie,
eine sorgfältige Beratung zur Haarkosmetik und Haarpflege und
eine verständnisvolle psychologische Führung.
Nur wenn alle diese 4 Faktoren in der Betreuung der Patienten mit anlagebedingtem Haarausfall berücksichtigt werden, kann ein erfolgreicher therapeutischer Ansatz auch entsprechend umgesetzt werden. Der Dermatologe sollte sich in seiner gesamten Führung und Betreuung des Patienten immer ins Bewusstsein rufen, wie belastend der Haarausfall für die Betroffenen ist und sich immer das integrative Gesamtkonzept vor Augen halten.
Abb. 7 Konzept zum Management vom Haarausfall.
Tab. 2 Weitere therapeutische Ansatzpunkte beim anlagebedingten Haarausfall
Durchblutung und Blutgefäßversorgung
vasodilatatorisch wirkende Substanzen
Minoxidil 2 und 5 % (Regaine® 2 % * und 5 %)
Nicotinsäureamidester (K5-Tinktur)
Peroxylipide, Koffein, u. a.
Stimulation von VEGF (Gefäßwachstumsfaktoren)
RTH 16 (Anastim®)
Entzündung und Fibrose
antientzündliche Wirkstoffe
Kortikosteroide (keine Dauertherapie)
antimikrobielle Wirkstoffe
Ketokonazolhaltige Shampoos
antifibrotische Wirkstoffe
Aminexil (Dercap®)
Silikone
* in Deutschland nur Regaine® 5 % zugelassen.