Kardiovaskuläre Krankheiten bleiben die Hauptursache von Morbidität und Mortalität
auch zu Beginn unseres neuen Jahrhunderts. Der tödliche Herzinfarkt ist immer noch
in mehr als der Hälfte der Fälle die Erstmanifestation der koronaren Herzerkrankung.
Oft - z.B. nach Apoplex - fallen immense Kosten für die medizinische und pflegerische
Versorgung an. Die Prävention stellt die kausale Therapie der Atherosklerose in ihren
verschiedenen Manifestationsformen dar. Bei der Prävention sind nicht nur Nutzen-Risiko-Analysen
besonders wichtig, sondern auch Kosten-Nutzen-Analysen.
Qualität und Größe der klinischen Interventionsstudien haben in den letzten Jahren
zugenommen. Klinische Endpunkte wie Gesamtmortalität, kardiovaskuläre Mortalität,
und größere kardiovaskuläre Ereignisse sind mittlerweile üblich und haben mehr Gewicht
als Veränderungen der Symptomatik. Diese großen Studien werden dann Metaanalysen unterzogen,
z.B. von der Cochrane Collaboration. Erst nach eingehender Prüfung und bei positivem
Ergebnis finden Maßnahmen der Prävention dann Eingang in die Leit- und Richtlinien
der kardiologischen Gesellschaften. Dies hat eine Konvergenz der Leit- und Richtlinien
zur Prävention der koronaren Herzerkrankung zur Folge: Bis hin zur graphischen Gestaltung
ähneln sich z.B. die derzeit aktuellen Richtlinien der amerikanischen und der deutschen
kardiologischen Gesellschaften (Circulation 2001;104:1577-1579, Z Kardiol 2001;90:148-149).
Die Richtlinien der European Society for Cardiology werden gegenwärtig überarbeitet.
Hier soll eine Synopsis der amerikanischen und deutschen Richtlinien in möglichst
knapper Form versucht werden.
Primäre Prävention gilt für diejenigen, die noch kein kardiovaskuläres Ereignis erlitten
haben. Sekundäre Prävention umfasst die Patienten, die z.B. einen Myokardinfarkt erlitten
haben. Da aber z.B. Diabetiker ohne bisherigen Myokardinfarkt das gleiche Risiko haben,
einen Myokardinfarkt zu erleiden, wie Nicht-Diabetiker, die bereits einen Myokardinfarkt
überlebt haben (N Engl J Med 1998; 339: 229-234), empfiehlt die deutsche Gesellschaft
für Kardiologie die Maßnahmen der sekundären Prävention auch für Diabetiker. Gleichzeitig
beobachtet man derzeit eine Abkehr von den Begriffen "Primäre" und "Sekundäre" Prävention
und eine Hinwendung zum Konzept einer risikoadaptierten Prävention. Der Einfachheit
halber wird hier die konventionelle Unterscheidung beibehalten.
Sekundäre Prävention
Rauchen
Ziel: Abstinenz des Patienten und seiner Familie
Weg: Beratung, Teilnahme an Rauch-Entwöhnungsprogrammen. Nikotinersatz (wenn Konsum <
5 Zigaretten/Tag).
Blutdruck
(s.a. JNC VI, NIH Publication 98-4080, und DMW 2001; 126: Suppl 4)
Ziel:≤140/90 mmHg oder <130/85 mmHg bei Herz- oder Niereninsuffizienz, < 130/80 mmHg bei
Diabetikern
Weg: 1. Gewichtsreduktion, Ausdaueraktivität, wenig Alkohol, wenig Salz, Obst, Gemüse,
fettarme Milchprodukte bei allen Patienten mit RR > 130/80 mmHg; 2. Medikation (unter
Beachtung der Kontraindikationen): zu bevorzugen sind b-Blocker, ACE-Hemmer (s.u.),
Diuretika frühzeitig einsetzen, als viertes Medikament auch lang wirksame Ca++-Antagonisten (z.B. Amlodipidin)
Lipidmanagement
Ziel:LDL < 100 mg/dl
Weg:1. Diätberatung: kalorienarme, fettarme Kost (< 7% gesättigte Fettsäuren, <200 mg
Cholesterin/Tag), Ausdaueraktivität, Gewichtsreduktion. 2. Statin bis maximal zugelassene
Dosierung, ggf. ergänzend Fibrat oder Austauscherharz (z.B. Cholestyramin), bei niedrigem
HDL/hohen Triglyceriden: Niacin
2. Ziel:a) TG < 200 mg/dl
Weg:Gewichtsreduktion, Ausdaueraktivität, Fibrat oder Niacin, Fischöl;
b) HDL > 35 mg/dl
Weg:a) Gewichtsreduktion, körperliche Ausdaueraktivität; b) Fibrat, z.B. Gemfibrozil
Ausdaueraktivität
Minimum: 30 min 3-4 mal pro Woche, am besten täglich Ausdauersport (laufen, radeln
o.ä. aerobe Aktivität). Trainingsniveau vorzugsweise mit Belastungs-EKG festlegen
(Circulation 2001; 104: 1694- 1740). Zusätzlich mehr Alltagsbewegung (Gehen zur Arbeitsstätte
u.ä.), zu ambulanter Herzgruppe ermutigen.
Körpergewicht
Ziel:BMI 18,5-25 kg/m2. BMI (Body-Mass-Index) berechnen und im Verlauf verfolgen.
Weg:Beratung zu weniger Verzehr / mehr Verbrauch
Diabetestherapie
Ziel: HbA1c <7%.
Weg:Entsprechende Blutzuckersenkende Therapie. Zusätzlich Ausdaueraktivität, Gewichtsreduktion,
Blutdruck- und LDL-Senkung
Mittelmeerkost
(wird von AHA nicht explizit empfohlen)
Mehr Obst, mehr (Wurzel-) Gemüse, statt rotem Fleisch: Geflügel, Fisch, Brot, keine
Butter, keine Sahne, als Fett Olivenöl
w-3-Fettsäuren
(wird von AHA und DGK ohne explizite Dosis empfohlen)
2-3 mal pro Woche Fisch oder täglich ca 900 mg maritime w-3-Fettsäuren in Kapselform
Medikamente
Plättchenhemmer: Bei allen kardiovaskulär Erkrankten Acetylsalicylsäure 75 - 325 mg, zumeist 100
mg/Tag, Ersatzmedikament Clopidogrel 75 mg/Tag, ggf. Antikoagulation mit Ziel INR
2.0 - 3.0
ACE-Hemmer: Bei allen Patienten nach Myokardinfarkt oder mit eingeschränkter linksventrikulärer
Funktion, bei Diabetikern, sonstigen Patienten mit erhöhtem Risiko unabhängig von
Ventrikelfunktion. Minimale Dosierung z.B. Ramipril 2.,5 mg oder Äquivalent, ggf
nach Blutdruck. Sartane als Ersatzmedikament
β-Blocker: Bei Patienten nach akuter Ischämie, Myokardinfarkt, Bypassoperation oder eingeschränkter
linksventrikulärer Funktion, ggf. nach Blutdruck. Zur Behandlung von Angina pectoris,
Hypertonie und Herzrhythmusstörungen
Statine: Dosissteigerung bis zur zugelassenen Maximaldosis bis LDL < 100 mg
Hormonersatztherapie:
Obwohl beobachtende Studien einen protektiven Effekt der Hormonersatztherapie nahelegten,
weisen die Ergebnisse der bisher vorliegenden Interventionsstudien darauf hin, dass
die Hormonersatztherapie bei postmenopausalen Frauen nicht nur keinen protektiven
Effekt hat, sondern sogar eine geringe kardiovaskuläre Gefährdung bedeutet (Circulation
2001; 104: 499-503, JAMA 2002; 288: 321-333). Letztere zeigt sich in leicht erhöhten
Inzidenzen von Myokardinfarkten, Venenthrombosen, Lungenembolien oder Apoplexen. In
den Richtlinien wird deshalb zur Hormonersatztherapie aus kardiovaskulärer Indikation
nicht mehr geraten.
Eine Ernährung mit mehr Obst und mehr Gemüse trägt dazu bei das Risiko für eine koronare
Herzkrankheit zu senken.
(Photo: PhotoDisc)
Unwirksame oder nicht anerkannte Maßnahmen
Alle oben nicht genannten Maßnahmen, z.B. Vitaminsupplemente (einzeln oder in Kombination,
z.B. Lancet 2002; 360: 23-33), Selen, Coenzym Q, Carnitin, Knoblauch, Akupunktur u.v.a.m.
Primäre Prävention
Alle bei "Sekundäre Prävention" genannten nicht-medikamentösen Maßnahmen. Zusätzlich
konventionelle Blutdrucktherapie (JNC VI, NIH Publication 98-4080 und DMW 2001;126:Suppl 4) und die folgenden Maßnahmen.
Lipidmanagement
(Circulation 1997;95:2329-31, DMW 2000;125:881-7)
Ziel: LDL = 160 mg/dl, wenn nur ein Risikofaktor mittlerer Ausprägung (z.B. 10 Zigaretten/Tag):
Ziel: LDL = 130-135 mg/dl, wenn ein Risikofaktor hochgradiger Ausprägung (z.B. 20 Zigaretten/Tag
oder zwei Risikofaktoren mittlerer Ausprägung) (Cholesterin 200-300 mg/dl plus HDL<
40 mg/dl)
Weg: 1. Diätberatung: Kalorienarme, fettarme Kost (< 7% gesättigte Fettsäuren, <200 mg
Cholesterin), Ausdaueraktivität, Gewichtsreduktion. 2. Statin bis max. zugelassene
Dosierung bei LDL = 160 mg/dl erwägen
2. Ziele:
a) TG < 200 mg/dl, b) HDL > 35 mg/dl
Wege: s. o., zunächst keine Medikamente
Der Blutdruck sollte unter 140/90 mmHg liegen - bei Herz- oder Niereninsuffizienz
unter 130/80 mmHg.
(Photo: PhotoDisc)
Diskussion
In der Sekundären Prävention reduziert Einstellen des Nikotinabusus die Mortalität
um relative 50 %, Plättchenhemmer, ACE-Hemmer, β-Blocker, Statine und w-3 Fettsäuren
um relative 20 - 30%. Bei Blutdrucksenkung, Ausdaueraktivität und möglicherweise Diabetestherapie
besteht in bestimmten Grenzen eine Dosis-Wirkungs-Beziehung. Trotz dieser positiven
Nutzen-Risiko-Relation werden die Maßnahmen der sekundären Prävention nur unvollständig
akzeptiert und angewendet (Lancet 2001;357: 995- 1001). Dieses Implementierungsdefizit
ist umso bedauerlicher, als zudem positive Kosten-Nutzen Relationen bestehen: für
nicht-medikamentöse Maßnahmen ohnehin, für Statine nachgewiesenermaßen (Med Klin 2000;95:305-13).
Letzteres impliziert bei kostenbewusster Wirkstoffauswahl auch für die anderen genannten
Substanzgruppen eine positive Kosten-Nutzen-Relation. Hier zeigt sich exemplarisch
der Unsinn des Medikamentenbudgets, da eine korrekte Implementierung der Sekundären
Prävention die Gesamtkosten der Behandlung senkt.
Viel Geld wird investiert in die Forschung an patentfähigen Substanzen / Werkzeugen
in der Behandlung der koronaren Herzerkrankung mit der Konsequenz, dass kontinuierlich
neue teure Behandlungsformen Eingang in die Leitlinien finden. Vernachlässigt wird
leider die Forschung an billigen Maßnahmen. Diesem Grund für die Kostenexplosion im
Gesundheitswesen wird merkwürdigerweise untätig zugesehen. Als Beispiel sei hier die
Senkung des Homocysteins mit Folsäure als noch zu beweisende Maßnahme der sekundären
Prävention genannt (JAMA 2001; 286: 936-943). Eine weitere Möglichkeit zur Kostenreduktion
wäre die Implementierung kostensparender Maßnahmen zu fördern. Die konventionellen
Ernährungsempfehlungen gelten zwar als kostengünstiges Mittel der Prävention, ihre
Wirksamkeit ist aber unlängst stark in Frage gestellt worden (BMJ 2001;332:757-763,
MMW 2002; 144: 37-39).
Im kardiovaskulären Bereich sind alle Maßnahmen nur langfristig, nach Jahren erfolgreich.
Im Rahmen einer traditionellen dreiwöchigen Kur oder Anschlussheilbehandlung als Maßnahme
der Prävention und Rehabilitation können hier erste Anstöße gegeben werden. Die langfristige
spezialisierte ambulante Betreuung am Wohnort hingegen ist im deutschen Medizinsystem
unvollständig entwickelt / genutzt.
Ausblick
In Zukunft werden die Leitlinien weitere Teile der Bevölkerung als Risikopopulation
identifizieren und eine Pflicht zur Intervention konstatieren, wie z.B. die Ergebnisse
der "Heart Protection Study" ahnen lassen (Lancet 2002;360:7-22). Dies wird die traditionelle
Unterteilung von primärer Prävention und sekundärer Prävention weiter auflösen und
die Abschätzung des individuellen Risikos des einzelnen mittels z.B. der Sheffield
Tabellen (BMJ 2000;320:671-676) oder nach dem PROCAM Algoritmus (www.chd- taskforce.com)
erfordern. Möglicherweise wird dies auch dazu führen, dass sich unsere traditionellen
Versorgungstrukturen in diesem Bereich ändern werden.
Ansprechpartner:
www.dgkardio.de
www.americanheart.org
Fachliche Betreuung der Serie:
Prof. Dr. Dr. h. c. Peter C. Scriba, München
Prof. Dr. Friedrich W. Schwartz, Hannover