Die nationale Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Patienten mit chronischer
Bronchitis und Lungenemphysem liegt vor [1]. Die Leitlinie wurde von der Deutschen Atemwegsliga in Zusammenarbeit mit der Deutschen
Gesellschaft für Pneumologie erstellt und signalisiert damit den Konsens der in der
Pneumologie tätigen Ärzteschaft. Die Leitlinien wurden nach den methodischen Vorgaben
zur Entwicklung von Leitlinien für Diagnostik und Therapie der Arbeitsgemeinschaft
der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) erstellt. Aufgrund
der formalen Konsensbildung handelt es sich um eine S2-Leitlinie. Die AWMF hat bisher
für die Innere Medizin 26 wissenschaftlich begründete Leitlinien veröffentlicht. 16
dieser Leitlinien entsprechen der Stufe S1, 8 der Stufe S2 und 2 der Stufe S3. Die
Pneumologie verfügt über eine S1-Leitlinie (schlafbezogene Atmungsstörungen beim Erwachsenen),
eine S3-Leitlinie (Langzeitsauerstofftherapie) sowie die jetzt erstellte Leitlinie
zur Behandlung von Patienten mit chronisch obstruktiver Bronchitis und Lungenemphysem.
Damit unterstreichen die pneumologischen Gesellschaften ihre Bereitschaft und Fähigkeit
zur qualitativ hochwertigen Medizin.
Den Autoren - insbesondere Heinrich Worth - gebührt der besondere Dank, da hinter
der Erstellung einer derartigen Leitlinie eine für Außenstehende kaum vorstellbare
Arbeit liegt.
Die chronisch obstruktive Bronchitis und das Lungenemphysem sind die häufigsten Erkrankungen,
die Pneumologen beschäftigen. Da der Pneumologe jedoch in der Regel erst die fortgeschrittenen
Stadien der Erkrankung sieht, muss der besondere Wert auf die Früherkennung gelegt
werden. Die Früherkennung kann jedoch erfolgreich nur in der Zusammenarbeit mit nicht
spezialisierten Ärzten und nicht-ärztlichem, medizinischem Personal erreicht werden.
Leitlinien sollen und müssen sich daher auch an diejenigen wenden, die nicht über
eine besondere Fachkompetenz in der Pneumologie verfügen. Die Kitteltaschenversion
sowie die Patientenbroschüre, die in Kürze zur Verfügung stehen, sind Ausdruck dieser
Überlegungen.
Die jetzt vorgelegte Leitlinie ist in enger Anlehnung an die Global Initiative for
Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD) erstellt worden. Die Global Initiative for
Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD) ist eine Initiative des National Institutes
of Health, National Heart, Lung and Blood Institute sowie der World Health Organisation.
Die Initiative gründet sich auf die Erkenntnis, dass die COPD eine wesentliche Ursache
der chronischen Morbidität und Mortalität weltweit darstellt. GOLD wurde gegründet,
um das Bewusstsein um die COPD bei den medizinischen Experten, dem Gesundheitswesen
sowie der Öffentlichkeit zu verstärken. Die Initiative zielt auf die Prävention und
das Management der COPD in einer weltweiten Aktion. Der aktuelle GOLD Newsletter (www.goldcopd.com)
fasst die vergangenen und gegenwärtigen Aktivitäten zusammen. Die Bedeutung von GOLD
kann anhand folgender Tatsachen verdeutlicht werden:
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In mehr als 100 Ländern werden die Publikationen von GOLD den nationalen Besonderheiten
angeglichen (GOLD Launch Activities).
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Der 20. November 2002 wird der World COPD Day sein. Das Thema lautet: Raising COPD
Awareness Worldwide und der Slogan ist: Breathing for life!
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Die unmittelbare Aufgabe von GOLD ist die Einführung von Standards zur Durchführung
der Spirometrie.
Die nationalen Aktivitäten der Launch Leader (für Deutschland H. Magnussen) sollen
die Besonderheiten des jeweiligen Landes mit der weltweiten Perspektive abgleichen.
Für die Bundesrepublik Deutschland ergeben sich gesonderte Überlegungen, da bereits
erhebliche Vorarbeiten geleistet wurden.
Die nationale Leitlinie wird am 06.11.02 der Presse vorgestellt, so dass medizinische
Experten, das Gesundheitswesen und die Öffentlichkeit von der Initiative unterrichtet
werden.
Einen World COPD Tag kann es in diesem Jahr nicht geben, da bereits der Lungentag
die öffentliche Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hat.
Die Gründung der pneumologischen Arbeitskreise hat zu einer deutlichen Verbesserung
der Zusammenarbeit zwischen Allgemeinärzten und Pneumologen auf dem Gebiet der spirometrischen
Diagnostik geführt. Dennoch bedarf es anhaltender Anstrengungen, um die Spirometrie
zu einer routinemäßig einsetzbaren Methode zu entwickeln, die allen Ärzten zur Objektivierung
eines Funktionsschadens der Lunge zur Verfügung steht.
Die nationale Leitlinie hat sich in besonderer Weise verdient gemacht, da sie medizinische
Aspekte betont, die in einigen Ländern anders gesehen werden. Während der Ausdruck
COPD, chronic obstructive pulmonary disease, von der GOLD-Initiative ausdrücklich
gewählt wurde, um den Begriff chronische Bronchitis und Lungenemphysem nicht mehr
zu verwenden, geht die nationale Leitlinie bereits in ihrem Titel andere Wege. Hier
heißt es nach wie vor Diagnostik und Therapie von Patienten mit chronischer Bronchitis
und Lungenemphysem. Es handelt sich hier um keine semantische Auseinandersetzung,
sondern vielmehr um ein grundlegendes Verständnis derjenigen Erkrankungen, die mit
einer chronischen Atemwegsobstruktion einhergehen. Die chronisch obstruktive Bronchitis
hat eine andere medizinische Dimension je nachdem ob sie mit oder ohne Emphysem einhergeht.
Auch gibt es seltenere Krankheitsbilder, bei denen das Lungenemphysem die klinische
Symptomatologie bestimmt. Das Lungenemphysem lässt sich mit geeigneten diagnostischen
Verfahren (Ganzkörperplethysmographie, Diffusionskapazität, dynamische Lungenüberblähung
während körperlicher Belastung, aerodynamic airway morphology sowie der Computertomographie)
mit ausreichender Präzision bestimmen.
Die qualitative und quantitative Beschreibung eines Lungenempyhsems ist daher nicht
mehr ausschließlich pathologischen anatomischen Methoden vorbehalten. Die nationalen
Leitlinien haben daher besonderen Wert darauf gelegt, verfügbare und evaluierte funktionelle
Verfahren zur Abgrenzung der chronisch obstruktiven Bronchitis und des Lungenemphysems
nicht einem Sammelbegriff zu opfern. Ich halte dies für einen der wesentlichen Fortschritte,
die sich aus der nationalen Leitlinie ergeben. Der Streit um die Wirksamkeit von inhalativen
Corticosteroiden bei der COPD ist meines Erachtens nach ein Streit um die differenzialdiagnostische
Abgrenzung der Atemwegs- versus parenchymatösen Komponente des Krankheitsbildes. Ein
Lungenemphysem wird nicht durch inhalative Corticosteroide zu verbessern sein, während
dies sehr wohl bei einer Atemwegserkrankung denkbar ist. Eine Abgrenzung der Bronchitis
und des Emphysems bei der COPD ist daher nach wie vor aus prognostischen und therapeutischen
Aspekten wünschenswert. Der von der GOLD-Initiative gewählte Begriff COPD ist daher
nur unter dem Aspekt zu begrüßen, dass er weltweit verstanden wird und die funktionelle
Konsequenz (Obstruktion) mit einfachen Mitteln (Spirometrie) objektivierbar ist. Hier
zeigt sich aber lediglich die Notwendigkeit, einen Mangel an pneumologischer Expertise
auszugleichen, ein solches Bemühen sollte jedoch nicht als ein Fortschritt im pneumologischen
Können missverstanden werden.
Ich wünsche den nationalen Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von Patienten mit
chronischer Bronchitis und Lungenemphysem eine weite Verbreitung. Ich wünsche dies
umsomehr, um das große Leid derjenigen Patienten zu vermindern, die keine adäquate
Diagnostik und damit Therapie erfahren haben.