Dtsch Med Wochenschr 2002; 127(48): 2583-2584
DOI: 10.1055/s-2002-35791
Leserbriefe
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die „Neue Zeit“ in der Hochschulmedizin - Zuschrift Nr. 2

Zum Beitrag aus DMW 13/2002, Seite 665
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Publication Date:
28 November 2002 (online)

Sind Ärztinnen für den postulierten Rückgang des Hochschullehrernachwuches verantwortlich?

In einem Editorial über die „Neue Zeit“ in der deutschen Hochschulmedizin [5] stellt der Autor fest, dass Bewerber um wissenschaftliche Assistentenstellen in der deutschen Hochschulmedizin rar geworden seien, die deutsche Universität an Attraktivität verloren habe, und er denkt über mögliche Ursachen nach: „Durch den zunehmenden Anteil an Frauen in der Medizin - in Heidelberg 50 % der Studierenden - kommen zusätzliche Faktoren ins Spiel. Die Zahl derer, die sich primär für den universitären Weg entscheiden und diesen auch konsequent begehen, ist relativ gering. Die Mehrzahl der Frauen entscheiden sich aus verständlichen Gründen für Fachgebiete, die neben der Option einer universitären Karriere auch eine Chance auf Niederlasssung bzw. Teilzeitbeschäftigung offenhalten. Die Zahl derer, die die Ausübung ihres Berufes aus familiären Gründen langfristig unterbrechen bzw. beenden, reduziert zusätzlich den Nachwuchs für die Hochschulmedizin“.

Anders formuliert heißt das: „Die Tatsache, dass Frauen in einem Prozentsatz Medizin studieren, der dem Anteil der Frauen in der Bevölkerung entspricht, ist mitverantwortlich für einen Ärztemangel in der Hochschulmedizin“. Der Absatz ist als nüchterne Feststellung gedacht, doch diese reflektiert ein Weltbild, das heute keine Gültigkeit mehr hat. Ein Familien-ideal, in dem Frauen nur in geringem Prozentsatz studieren, Frauen sich nicht für den universitären Weg entscheiden, Frauen sich niederlassen, Frauen Teilzeit arbeiten, Frauen aus familiären Gründen langfristig die Ausübung ihres Berufes unterbrechen und abbrechen, wird von der heutigen Studentinnengeneration abgelehnt, wurde schon von der Generation ihrer Mütter abgelehnt und vermutlich auch von ihren Großmüttern, hätte es damals eine Demokratie und nicht eine Diktatur gegeben.

Die in diesem Absatz steckende Botschaft heißt auch: Frauen nehmen den Männern die Studienplätze weg, Frauen studieren nicht ernsthaft, sie arbeiten nicht ernsthaft und streben keine ernsthafte und wichtige berufliche Position an, Frauen schädigen die deutsche Hochschulmedizin (die allerdings auch ohne Frauen nicht zu den besten Europas gehört [6]). Diese Dinge stehen nicht wörtlich in dem Absatz, doch sie werden dem Leser suggeriert.

Diese Aussage steht in einem Editorial einer der wichtigen deutschsprachigen medizinischen Fachzeitschriften. Und da Editorials im deutschsprachigen Raum meist von Männern, von Hochschullehreren, von sogenannten Meinungbildnern, geschrieben werden, bedarf es einer kritischen Stellungnahme, zumal man davon ausgehen kann, dass der Aussage weder eine böse Absicht zugrunde liegt noch dem Autor die negativen Wirkungen seiner Worte bewusst sein werden. Im Gegenteil, er verfolgt ja eine gute Absicht damit, er sorgt sich um die Zukunft der deutschen Hochschulmedizin und er hat Verständnis dafür, dass sich Frauen, wie er meint, dem harten, unphysiologischen Alltag [2] nicht aussetzen wollen.

Literatur

  • 1 Abele A E. Arztberuf. Zwischen Erwartung und Realität. Eine Studie der Universität Erlangen-Nürnberg belegt: Die AiP- und Assistenzarztzeit sind oftmals ernüchternd.  Dtsch Ärztebl. 2001;  98 A3008-3011
  • 2 Bühren A. Ist die Chirurgie männlich? Diskussion eines Vorurteiles. Chirurgische Praxis, Sonderband zum Chirurgenkongress 2001. Hans Marseille Verlag, München 2001: 177-190
  • 3 Bulmahn E. Women in Science in Germany.  Science. 1999;  286 2081
  • 4 Gerst T. 105. Deutscher Ärztetag: Top III: Zukunftsperspektive für die Medizin. Familie und Beruf - beides muss möglich sein.  Deutsches Ärzteblatt. 2002;  99 B1316-1320
  • 5 Hagl S. Die „Neue Zeit“ in der Hochschulmedizin (Editorial).  Dtsch Med Wochenschr. 2002;  127 665-666
  • 6 Zuber M A. Geringe Publikationsfreuigkeit der deutschen biomedizinischen Forschung - Habilitation als Bremse?.  Dtsch Med Wochenschr. 2000;  125 A13-A16
  • 7 Zuber M A. Fairness für weibliche Wissenschaftler und Ärzte - Lehren vom Massachusetts Institute of Technology (MIT).  Dtsch Med Wochenschr. 2001;  126 59-62
  • 8 Zuber M A. Analyse des Frauenanteiles bei verschiedenen Qualifikationsstufen des Fachgebietes Humanmedizin in Deutschland.  Dtsch Med Wochenschr. 2001;  126 65-72

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