Glossar
ABL = Abelson
Ara-C = Cytarabin
BCR = reakpoint-Cluster-Region
CML = Chronische myeloische Leukämie
HU = Hydroxyurea
IFN-α = Interferon-α
KM = Knochenmark
KO = Körperoberfläche
PB = peripheres Blut
Ph-Chromosom = Philadelphia-Chromosom
SZT = Stammzelltransplantation
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Die chronische myeloische Leukämie (CML) ist eine klonale
myeloproliferative Erkrankung, die durch die maligne Entartung und
unkontrollierte Expansion hämatopoetischer Stammzellen entsteht.
Die Inzidenz der CML liegt bei ca. zwei Fällen pro 100 000
Einwohner. Damit macht diese Erkrankung etwa 15-20 % aller
Leukämien im Erwachsenenalter aus. Eine CML kann in jedem
Lebensalter auftreten, der Altersgipfel liegt jedoch im fünften
und sechsten Dezennium (medianes Erkrankungsalter: 48 Jahre). Männer
erkranken häufiger als Frauen (M:W = 3:2) [3]
[5]
[8]
.
Die Ätiologie der CML ist weitgehend unklar. Erbliche
oder infektiöse Ursachen sind nicht bekannt. Eine Häufung
tritt nach radioaktiven Bestrahlungen auf. Chemische Leukämogene
werden diskutiert.
Pathogenese
Pathogenese
Die Pathogenese der CML ist relativ gut aufgeklärt.
Diese Kenntnisse spielen eine wichtige Rolle für das Verständnis
der Diagnostik und neuerdings auch der Therapie der Erkrankung.
Bei 90-95 % der Patienten mit klinisch
typischer CML lässt sich das Philadelphia-Chromosom (Ph)
nachweisen. Das Ph-Chromosom ist ein verkürztes Chromosom
22, das durch einen reziproken Austausch von genetischem Material
zwischen den langen Armen von Chromosom 9 und 22 entsteht. Dieser
Vorgang wird als Translokation t(9;22) bezeichnet. Der Bruchpunkt
auf Chromosom 9 liegt im Bereich des Abelson Proto-Onkogens (c-ABL),
welches normalerweise für das 145 kD ABL-Protein - eine
Tyrosinkinase (p145ABL) - kodiert. Das verkürzte
ABL-Gen wird auf Chromosom 22 in die Region des Breakpoint Cluster
Region (BCR) Gens eingefügt, es entsteht ein BCR-ABL-Fusionsgen.
Dieses kann bei bis zu 98 % der Patienten mit
CML nachgewiesen werden. Je nachdem, welche Exons fusionieren, entstehen
unterschiedliche chimäre Gene. Bei der CML entsteht am
häufigsten das p210BCR-ABL Genprodukt, welches
gegenüber dem normalen p145ABL eine deutlich
erhöhte Tyrosinkinaseaktivität besitzt. Vermittelt über Regulatorproteine
führt p210BCR-ABL zu einer gesteigerten Mitoserate
und damit zur unkontrollierten Proliferation der CML-Zellen. Das
Ph-Chromosom und die BCR-ABL-Translokation lassen sich in allen
proliferierenden Zellen der Hämatopoese, sowie in B-Lymphozyten
nachweisen. Dagegen gehört nur ein Teil der T-Lymphozyten
zum malignen Klon [1]
[2]
[7]
[9].
Symptome
Symptome
Die Symptomatik der CML ist meist uncharakteristisch. In 50 % der
Fälle wird die Erkrankung als Zufallsbefund über
eine Blutbildbestimmung oder eine Oberbauchsonographie diagnostiziert.
Bei Patienten mit symptomatischer Erkrankung stehen uncharakteristische
Befunde wie Abgeschlagenheit, Schwäche, Inappetenz, Gewichtsverlust,
Knochenschmerzen und Oberbauchbeschwerden im Vordergrund. Bei etwa
70 % der Patienten findet sich eine palpabel vergrößerte
Milz [2]. Extramedulläre Infiltrate
und Fieber sind ungünstige Zeichen und finden sich nur
selten.
Diagnostik
Diagnostik
Neben der Anamnese, der körperlichen Untersuchung (Hepatosplenomegalie,
extramedulläre Infiltrate, Blutungszeichen) und der Abdomen-Sonographie
sind für die Diagnose der CML vor allem Laboruntersuchungen
erforderlich:
-
Komplettes
Blutbild/Differentialblutbild: Leitbefund der CML
ist eine Leukozytose, die sich bei 98 % der
Patienten nachweisen lässt. Leukozytenzahlen bis über
600 × 109/l sind
keine Seltenheit. Im Differentialblutbild findet sich eine kontinuierliche Linksverschiebung
mit dem Auftreten von
unreifen Vorstufen der Myelopoese (Metamyelozyten, Myelozyten, Promyelozyten,
Myeloblasten). Häufig liegt eine Eosinophilie und Basophilie
vor. In über 30 % der
Fälle besteht eine Thrombozytose.
Der Index der alkalischen Leukozytenphosphatase (ALP) ist meistens
erniedrigt.
-
Knochenmarkaspiration- und Biopsie: Es
findet sich eine ausgeprägte Hyperplasie
der Myelopoese und häufig auch der Megakaryopoese.
Gelegentlich zeigt sich bereits bei der Erstdiagnose ein erhöhter
Fasergehalt. Dieser Anteil nimmt im Verlauf der Erkrankung zu. Häufig
lassen sich glykolipidspeichernde Makrophagen, die als Pseudo-Gaucher-Zellen bezeichnet werden,
darstellen.
-
Chromosomenanalyse: Das Ph-Chromosom ist bei 90-95 % der
Patienten mit klinisch typischer CML nachweisbar. In etwa 10 % der
Fälle werden weitere Aberrationen gefunden, wie ein zweites
Ph-Chromosom, das Isochromosom 17 oder eine Trisomie 8 oder 19.
-
Nachweis des BCR/ABL-Transkripts: Der
molekularbiologische Nachweis des BCR-ABL-Transkripts erfolgt in
der Regel über eine Multiplex-RT-PCR. Dadurch kann die
BCR/ABL-Translokation in 3-5 % der
Ph-negativen Fälle nachgewiesen werden. Die quantitative
PCR eignet sich für die Verlaufsbeurteilung und den Nachweis
einer minimalen Resterkrankung (minimal residual disease, MDR),
insbesondere nach allogener Zelltransplantation [2]. Mit Hilfe der FISH-Technik (Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung)
kann die Translokation auch morphologisch in einzelnen Zellkernen markiert
werden.
-
Laborchemische Bestimmung von LDH
und Harnsäure: Hervorgerufen durch den hohen Zellumsatz
findet sich häufig eine Hyperurikämie,
sowie eine Erhöhung der LDH.
-
Immunzytologie: Liegt eine
Blastenkrise vor, so kann mit Hilfe der Immunzytologie zwischen lymphatischem und myeloischem Phänotyp unterschieden
werden.
Diagnosesicherung
Diagnosesicherung
Ein typischer Blutbild- und Knochenmarkbefund in Verbindung mit
dem Nachweis des Ph-Chromosoms bzw. des BCR-ABL-Fusionstranskripts
sichern die Diagnose der CML.
Differenzialdiagnose
Differenzialdiagnose
Bei Ph-negativen Fällen ohne BCR-ABL-Nachweis ist die
differentialdiagnostische Abgrenzung anderer myeloproliferativer Erkrankungen
(Polycythaemia vera [PV], idiopathische Myelofibrose [IMF],
essentielle Thrombozythämie [ET], sowie
der chronischen myelomonozytären Leukämie schwierig.
Hier können der ALP-Index, der bei den anderen myeloproliferativen
Erkrankungen normal oder erhöht ist, die Knochenmarkhistologie
sowie letztlich der Krankheitsverlauf richtungsweisend sein.
Stadieneinteilung
Stadieneinteilung
Die CML ist charakterisiert durch einen zwei- oder dreiphasigen
Krankheitsverlauf. Die Mehrheit der CML-Fälle (85 %)
wird in der chronischen Phase diagnostiziert [2].
Während dieser Phase ist der Krankheitsverlauf relativ
stabil und therapeutisch gut kontrollierbar. Nach 4-6 Jahren
geht die Erkrankungen entweder direkt oder über eine so
genannte akzelerierte Phase in die Blastenphase (Blastenschub, Blastenkrise) über ( Tab.
[1]).
Der Zeitpunkt der Akzeleration ist bei Diagnosestellung im Einzelfall
nicht vorhersagbar. Ca. 30 % der Blastenkrisen
sind phänotypisch B-lymphoblastisch. T-zelluläre
Marker werden sehr selten gefunden [6].
Die Prognose des Blastenschubs ist nach wie vor sehr ungünstig.
Tab. 1 Kriterien
der chronischen Phase, Akzeleration und Blastenkrise (WHO-Klassifikation
2001).
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Kriterien
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Mediane Dauer
|
Chronische Phase
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Blasten ≤ 10 % im
KM oder PB
|
4-6 Jahre
|
Akzeleration
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- Blasten ³ 10 % im
PB oder KM
- Basophilie/Eosinophilie ³ 20 %
-
Thrombozytose > 1000 × 10 9
/l,
therapierefraktär
- Thrombopenie < 1 00 × 10 9
/l,
nicht Therapie-assoziiert
- Neue chromosomale Aberrationen
- Progrediente Leukozytose,
therapierefraktär
-
Progrediente Splenomegalie,
therapierefraktär
|
Monate
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Blastenschub
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- Blasten ³ 20 % im
PB oder KM
- Zytologisch oder histologisch
gesicherte extra-medulläre
Infiltrate
- Große
Blasten-Cluster in der
KM-Biopsie
|
2-9 Monate
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PB = peripheres
Blut, KM = Knochenmark
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kurzgefasst: Die chronische
myeloische Leukämie wird häufig als Zufallsbefund
bei einer Blutbildkontrolle diagnostiziert. Für die Diagnose
richtungweisend ist das Differenzialblutbild, der morphologische
Knochenmarkbefund, sowie der Nachweis des Ph-Chromosoms bzw. der
BCR/ABL-Translokation. In 85% der Fälle
liegt bei
Diagnosestellung eine chronische Phase vor.
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Prognosescore
Prognosescore
Basierend auf Daten von Interferon-Therapie-Studien wurde ein neuer
Prognosescore entwickelt, der auf den Faktoren Alter, Milzgröße,
Eosinophilie, Basophilie, Myeloblastenanteil und der Thrombozytenzahl
basiert. Eine Berechnung des Scores über verschiedene Multiplikatoren
kann via Internet erfolgen (www.pharmacoepi.de). Es werden drei
Risikogruppen unterschieden (Niedrigrisiko ≤ 780, intermediäres
Risiko 781-1479, Hochrisiko ≥ 1480). Das 6-Jahres-Gesamtüberleben
liegt hierbei in der Niedrigrisiko-Gruppe bei ca. 76 %,
in der Gruppe mit intermediärem Risiko bei ca. 48 % und
in der Hochrisiko-Gruppe nur bei ca. 25 % [4].
Wichtigste verlaufsabhängige Prognoseparameter sind
das Erreichen einer kompletten hämatologischen Remission
mit der Normalisierung des Blutbildes, der Milzgröße
und der CML-bedingten Symptome sowie das Erreichen einer zytogenetischen Remission.
Fazit für die Praxis
Die chronische myeloische Leukämie kann in jedem Lebensalter
auftreten, die Symptomatik ist oft uncharakteristisch. Zur Diagnosesicherung
muss neben dem Differentialbludbild eine Knochenmarkpunktion einschließlich
zytogenetischer (Ph-Chromosom) und molekularbiologischer (BCR/ABL)
Untersuchung durchgeführt werden.
Autorenerklärung: Die Autoren
erklären, dass sie keine finanziellen Verbindungen mit
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