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DOI: 10.1055/s-2002-36960
Was haben künstliche Intelligenz und fallbasiertes Schließen mit der Behandlung von Neurodermitis und Psoriasis zu tun?
Which Connection ist there between Artificial Intelligence and Case-Based Closure in the Treatment of Psoriasis and Neurodermitis?Zugegeben, die Lektüre von Anträgen auf Forschungsfinanzierung gehört nicht gerade zu den Lieblingsbeschäftigungen eines praktizierenden Dermatologen. Es stellte sich aber heraus, dass solches Tun durchaus nützlich sein kann. So ließ ein purer Zufall Interesse an einem im Internet frei zugänglichen Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft aufkommen (RA 479/12-1). Das Projekt handelt von künstlicher Intelligenz im Allgemeinen und den Vorzügen des fallbasierten Schließens (Case-Based Reasoning) im Speziellen. Letzteres ist ein alternatives Paradigma zu regel- oder wissensbasierten (Evidence-Based) Formen des Problemlösens und Planens. Zitat: Fallbasiertes Schließen bedeutet das Schließen anhand von früheren Erfahrungen, welche als Fälle gespeichert sind. Konfrontiert mit einem Problem, wird nach ähnlichen Fällen gesucht, der relevanteste wird ausgewählt und dieser der aktuellen Situation angepasst … Von besonderer Bedeutung ist die Nutzung episodischen Wissens.
Das kommt einem bekannt vor. So handeln wir doch seit Menschengedenken in der täglichen Praxis, wenn auch ohne die Fälle auf einem Rechner zu speichern oder speziell aufzubereiten. Diese traditionelle Vorgehensweise wurde zunehmend als antiquiert angesehen, weil unzureichend kontrolliert und überhaupt nicht statistisch gesichert. Dabei verwendeten die Kritiker unwiderstehliche Formulierungen wie … lediglich anekdotische oder nur episodische Evidenz. Aller Voraussicht nach wird die von Ärzten tagtäglich praktizierte Methode des fallbasierten Schließens durch Forschungen über künstliche Intelligenz weiter verbessert und verfeinert werden. Auch ist es tröstlich zu wissen, dass fallbasiertes Schließen schon jetzt wissenschaftstheoretisch als eine der zwei prinzipiell möglichen Herangehensweisen akzeptiert wird.
Und was hat das alles mit der Behandlung von Neurodermitis und Psoriasis zu tun? Ein wesentlicher Ausgangspunkt medizinischer Forschung ist das sorgfältige Beobachten des Kranken, seiner Erkrankung und deren Verlauf unter Therapie. Insbesondere bei nichtmedikamentösen Behandlungsweisen ist es weder sinnvoll noch möglich, einige bei wissensbasiertem Vorgehen als essenziell geltende Kriterien erfüllen zu wollen. So beschreibt in diesem Heft W. Menger (Sylt) die therapeutische Wirksamkeit von Kältereizen bei Neurodermitis. Seine fallbasierten Aussagen konnten naturgemäß nicht einfach- oder doppelblind und auch nicht plazebokontrolliert erarbeitet werden. Dennoch nicht vergessen: Konditionierende Kältereize sind gut gegen Neurodermitis.
Auch die Balneophototherapie der Psoriasis, die von ihrem Inaugurator, M. Ständer (Bad Bentheim) besprochen wird, könnte nur bei wenigen, ausgesprochen unkritischen Patienten erfolgreich verblindet oder plazebokontrolliert erprobt werden. Deshalb dürfte es nicht möglich sein, die nach Expertenmeinung unstrittige Wirksamkeit der Balneophototherapie mit den von der evidenzbasierten Betrachtungsweise geforderten Methoden zu beweisen. Einen Ausweg aus diesem Dilemma könnten im Internet (Medizinische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München) nachlesbare Worte weisen: Die Medizin unterscheidet sich von anderen Wissensgebieten dadurch, dass in der klinischen Praxis eine umfangreiche Falldokumentation erfolgt. Wissensbasierte Systeme nutzen aber die darin enthaltenen medizinischen Erfahrungen bisher noch nicht aus. Nun hat sich eine Technik - das fallbasierte Schließen - entwickelt, die sich bemüht, das in bekannten Fällen implizit verfügbare Wissen nutzbar zu machen. Bei dieser Methode hilft die aus vorherigen Fällen gewonnene Erfahrung, neue Probleme zu verstehen und zu lösen. Ein fallbasiertes System erinnert sich an eine der aktuellen ähnliche, frühere Situation und passt deren Lösung an das aktuelle System an.
Soviel zum fallbasierten Schließen. Es folgen Berichte über Wirksamkeitsuntersuchungen an zwei neu entwickelten kosmetischen Pflegeprodukten, über einen Fall mit Früh- und Spätreaktionen auf Röntgenkontrastmittel, über die Brachydaktylie Typ C und über eine Überprüfung der unmittelbaren Auswirkung eines Vortrags auf das Wissen von Dermatologen zum Thema Melanom. Besonders instruktiv und lesenswert ist auch der den Jahrgang 2002 abschließende, von S. W. Wassiliew verfasste Bericht über den 6. Krefelder Hautschutztag.