Einleitung und Forschungsstand
Einleitung und Forschungsstand
Der Erfassung der psychischen Gesundheit als Teil der subjektiven Gesundheit wird
- speziell im Kindes- und Jugendalter - zunehmende Bedeutung auch im Hinblick auf
Prävention und Intervention beigemessen [Kolip et al. 1995 ]. Trotz dieser Tatsache wird die Beurteilung der Güte der in klinischen Untersuchungen
eingesetzten Instrumente und ihre Eignung für epidemiologische Surveys und die Gesundheitsberichterstattung
bislang stark vernachlässigt.
Das Ziel, die Prävalenz psychischer Auffälligkeiten und Störungen in epidemiologischen
Surveys valide zu erfassen, ist schwer zu erreichen. Für die Diagnose einer psychischen
Störung sind die Auskünfte verschiedener Beurteiler, ein face-to-face-Kontakt mit
dem Probanden sowie dessen Eltern und klinischer Sachverstand erforderlich. In großen
epidemiologischen Studien und bevölkerungsbezogenen Surveys ist dies aus Zeit- und
Kostengründen nicht zu leisten, so dass es nahe liegt, stattdessen mit einem Fragebogen
Selbstauskünfte der Probanden bzw. Fremdberichte ihrer Eltern zum Vorliegen psychischer
Auffälligkeiten einzuholen.
Mit der Child Behavior Checklist (CBCL) [Achenbach 1991a ] als Elternfragebogen und dem zugehörigen Youth Self Report (YSR) [Achenbach 1991b ] als Selbstbericht liegt ein solcher international anerkannter und auch im deutschen
Sprachraum häufig eingesetzter und normierter Fragebogen vor [Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist 1998a ]
[Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist 1998b ], der allerdings für individualdiagnostische Zwecke entwickelt wurde. Der neuere
Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ) [Goodman 1997 ]
[Goodman et al. 1998 ] ist ebenfalls ein mehrdimensionaler Fragebogen zur Erfassung psychischer Auffälligkeiten
bei Kindern und Jugendlichen, der als Screening-Instrument für epidemiologische Zwecke
entwickelt wurde. Die englische Originalform wurde bereits psychometrisch getestet
und validiert.
Nach ersten Untersuchungen scheint der SDQ bei der Erfassung psychischer Störungen
Ergebnisse zu liefern, die denen der CBCL vergleichbar sind [Goodman, Scott 1999 ]
[Klasen et al. 2000 ]. Allerdings sind bisher diagnostische Aussagekraft und Akzeptanz beider Verfahren
in einer nicht-klinischen Population noch nicht hinreichend untersucht. Die Eignung
beider Verfahren für bevölkerungsbezogene Surveys mit umfangreichen Fragebogen und
Untersuchungen ist nicht erwiesen. Insbesondere die CBCL erscheint aufgrund ihrer
sehr großen Anzahl von Fragen unter dem Aspekt des Aufwands für die UntersuchungsteilnehmerInnen
weniger gut geeignet. Andererseits steht für den wesentlich kürzeren SDQ eine psychometrische
Überprüfung der deutschsprachigen Version noch aus. Noch nicht erwiesen ist weiterhin,
ob der SDQ zwischen verschiedenen psychischen Auffälligkeiten genauso gut differenzieren
kann wie die CBCL.
Der Pretest des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys wurde daher dazu genutzt, einen
Methodenvergleich der beiden Fragebogeninstrumente CBCL/YSR und SDQ vorzunehmen mit
dem Ziel, eine Entscheidung zu treffen, welches der beiden Instrumente für die Erfassung
psychischer Auffälligkeiten in der Hauptphase des Surveys und auch generell für Zwecke
der Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung besser geeignet ist. Für diesen
Methodenvergleich von CBCL/YSR und SDQ wurden Zusatzbefragungen innerhalb des Kinder-
und Jugendgesundheitssurvey-Pretests vorgenommen.
Instrumente und Methoden
Instrumente und Methoden
Stichprobe
Aus der Gesamtstichprobe des Pretests nahm eine zufällig ausgewählte Unterstichprobe
von 414 Kindern und Jugendlichen im Alter von 6-17 Jahren (Mittelwert 12,9 Jahre)
bzw. deren Eltern an einer zusätzlichen Befragung zum Vergleich von SDQ und CBCL teil.
Die Unterstichprobe bestand aus 199 Mädchen (48,1 %) und 215 Jungen (51,9 %). Insgesamt
füllten 404 Eltern den SDQ aus, 395 beantworteten die Fragen der CBCL. Von den Kindern
und Jugendlichen ab einem Alter von 11 Jahren beantworteten 299 den SDQ und 287 den
YSR. Zur Beurteilung der klinischen Aussagekraft beider Instrumente wurde anschließend
in einem Fall-Kontroll-Design mit 155 Kindern bzw. Jugendlichen und deren Eltern ein
psychodiagnostisches Interview durchgeführt. Das Ergebnis dieses Interviews wurde
als klinisches Außenkriterium zur Beurteilung der diagnostischen Qualität der beiden
Fragebogenverfahren herangezogen.
Bei einer Gruppe von 54 Probanden bzw. deren Eltern wurde die Akzeptanz beider Instrumente
erfragt. In die Akzeptanzbefragung wurden an den Sample Points Berlin-Friedrichshain
(n = 23) und Berlin-Steglitz (n = 31) während einiger Untersuchungswochen freiwillige
Probanden konsekutiv einbezogen. Die TeilnehmerInnen - 23 Jungen (42,6 %) und 31 Mädchen
(57,4 %) - waren zwischen 9 und 17 Jahre alt, der Mittelwert liegt bei 13,7 Jahren.
Instrumente
Innerhalb der Methodenstudie wurde in der schriftlichen Befragung der SDQ-Elternfragebogen
bei 6- bis 17-jährigen Probanden und die SDQ-Selbstbeurteilungsversion in der Altersgruppe
11-17 Jahre eingesetzt. Dieses Instrument erfasst mit 25 Items auf fünf Skalen emotionale
Probleme, Hyperaktivität, Verhaltensprobleme, Probleme mit Gleichaltrigen und prosoziales
Verhalten. Aus der Summe der vier Problemskalen wird ein Gesamtproblemwert berechnet.
Da bislang deutsche Normen fehlen, werden für den Gesamtproblemwert und für die Skalenwerte
der fünf Skalen die Cut-off-Werte der englischen Normstichprobe [Goodman et al. 2000 ] verwendet, um eine Einstufung des Kindes bzw. Jugendlichen als psychisch unauffällig,
grenzwertig oder auffällig vorzunehmen.
Die ebenfalls in der Methodenstudie eingesetzte CBCL bzw. der YSR erfasst mit 112
Items Erlebens- und Verhaltensauffälligkeiten sowie psychiatrische Symptome auf den
acht Skalen „sozialer Rückzug”, „körperliche Beschwerden”, „ängstlich/depressiv”,
„soziale Probleme”, „schizoid/zwanghaft”, „Aufmerksamkeitsprobleme”, „dissoziales
Verhalten” und „aggressives Verhalten”. Alle acht Skalen gehen in einen Gesamtproblemwert
ein; weiterhin können die ersten drei Skalen zu einem übergeordneten Skalenwert „internalisierende
Probleme” und die Skalen „dissoziales” und „aggressives Verhalten” zu einem übergeordneten
Skalenwert „externalisierende Probleme” aggregiert werden. Für den Gesamtproblemwert
und sämtliche Skalen liegen Cut-off-Werte aus der deutschen Normstichprobe vor [Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist 1998a ]
[Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist 1998b ].
Als klinisches Außenkriterium zur Beurteilung der diagnostischen Qualität der beiden
Fragebogeninstrumente wurde das halbstandardisierte Kiddie-SADS-Interview [Delmo et al. 2000 ] durchgeführt. Das Kiddie-SADS erfasst in einem Screening-Interview und fünf Erweiterungsinterviews
Punkt- und Lebenszeitprävalenzen psychischer Störungen nach DSM-IV und ICD-10. Hierzu
werden die Antworten von den Kindern bzw. Jugendlichen und deren Eltern zu einem zusammenfassenden
klinischen Urteil aggregiert. Die erfragten Störungsbilder lassen sich den Bereichen
depressive Störungen, manische Störungen, Psychosen, Angststörungen, Zwangsstörungen,
Enuresis, Enkopresis, Essstörungen, Aufmerksamkeits-/Hyperaktivitätsstörungen, Störungen
des Sozialverhaltens, Ticstörungen, Alkohol- oder Substanzmissbrauch und posttraumatische
Belastungsstörungen zuordnen. Das Interview wurde zusätzlich ergänzt um Fragen zu
somatoformen Störungen und nichtorganischen Schlafstörungen.
Durchführung
Die TeilnehmerInnen an der Methodenstudie zum Vergleich von SDQ und CBCL/YSR füllten
- ebenso wie alle anderen Pretest-Probanden - während ihres Kernsurvey-Untersuchungstermins
den SDQ aus. Anschließend wurden sie zu einem von ihnen selbst gewählten Termin telefonisch
kontaktiert und mit der CBCL bzw. dem YSR befragt.
Alle TeilnehmerInnen, die sich in einem der Fragebogen (SDQ und/oder CBCL/YSR) laut
Eltern- und/oder Selbsturteil als psychisch auffällig darstellten, wurden zum diagnostischen
Interview aufgefordert (Fallgruppe). Ein diagnostisches Interview wurde ebenfalls
mit einer Vergleichsgruppe von Probanden durchgeführt, die aufgrund der Fragebogenangaben
in SDQ und CBCL/YSR als psychisch unauffällig klassifiziert wurde (Kontrollgruppe).
Die Kontrollgruppe wurde hinsichtlich der Kriterien Alter, Geschlecht und Untersuchungsort
der Fallgruppe parallelisiert. Das diagnostische Interview wurde bei den Probanden
zu Hause durch klinisch erfahrene und diagnostisch geschulte Interviewerinnen persönlich
durchgeführt; die Interviewerinnen waren gegenüber der Gruppenzugehörigkeit der zu
untersuchenden Person blind.
Die Akzeptanzbefragung erfolgte während des Survey-Untersuchungstermins. Die TeilnehmerInnen
füllten unmittelbar nacheinander im Rahmen der schriftlichen Befragung SDQ und CBCL/YSR
in randomisierter Reihenfolge aus und wurden danach in einem standardisierten face-to-face-Interview
gebeten, die Akzeptanzfragen zu beantworten. Die Akzeptanzbefragung umfasste Aspekte
wie die Schwierigkeit der Beantwortung, die Angemessenheit der Fragen und die Länge
des Fragebogens. Es wurden neun bzw. zehn Akzeptanzfragen (für Jugendliche bzw. Eltern)
formuliert, die in Bezug auf beide Fragebogen zu beantworten waren (absolutes Urteil),
sowie drei Fragen, die ein Präferenzurteil für einen der beiden Fragebogen erfordern
(vergleichendes Urteil).
Die Daten zum methodischen Vergleich der beiden Fragebogen wurden mit dem Statistikprogramm
SPSS erfasst und ausgewertet. Geprüft wurden die psychometrischen Eigenschaften einschließlich
der Akzeptanz beider Instrumente, die Häufigkeit der durch die beiden Fragebogen ermittelten
psychischen Auffälligkeiten in der Stichprobe und schließlich die Übereinstimmung
der Aussagen beider Fragebogen hinsichtlich psychischer Auffälligkeiten mit den Ergebnissen
der psychodiagnostischen Interviews.
Ergebnisse
Ergebnisse
Die psychometrischen Eigenschaften der Instrumente und somit die Qualität der Skalen
von CBCL/YSR und SDQ wird anhand der Reliabilität der Gesamtproblemskalen sowie der
Einzelskalen beurteilt. Hierzu wird Cronbachs α als Maß für die interne Konsistenz
herangezogen. Beide Instrumente als Gesamtskalen betrachtet sowie die internalisierenden
und externalisierenden Summenskalen von CBCL und YSR weisen eine ausreichend hohe
(SDQ-Selbsturteil: Cronbachs α = 0.71) bis sehr gute (CBCL und YSR: Cronbachs α =
0.93) interne Konsistenz auf. Bei der Bewertung dieser Reliabilitätsmaße ist zu berücksichtigen,
dass Cronbachs α mit steigender Zahl der Items in der Skala prinzipiell größer wird,
so dass für CBCL und YSR aufgrund der größeren Zahl von Items höhere Werte zu erwarten
sind. Für die Einzelskalen liegen die Reliabilitätskoeffizienten mehrheitlich unter
Cronbachs α = 0.70; diese müssen somit als nicht ausreichend konsistent betrachtet
werden. Das gilt für sämtliche Skalen der SDQ-Selbstbeurteilungsversion mit α zwischen
0.46 und 0.68, die SDQ-Elternskalen mit Ausnahme der Skala Aufmerksamkeitsprobleme
(α = 0.77) und je fünf der acht Einzelskalen der CBCL und des YSR.
Im Hinblick auf die Akzeptanzbewertung als ein Gütekriterium zur Qualitätsbeurteilung
von Fragebogen werden beide Instrumente sowohl von den Eltern als auch von den Kindern
und Jugendlichen insgesamt eher positiv bewertet. Es zeigt sich durchgängig, dass
der SDQ im Mittel etwas besser bewertet wird als die CBCL (Eltern: t(49) = -2.59, p < .05; Jugendliche: t(50) = -2.53, p < .05). Statistisch signifikante Unterschiede in einzelnen Items zur Akzeptanz
finden sich in zwei Fällen: Die Aussage Es sind zu viele Fragen (t(101) = -5.29, p < .01) wird, wie zu erwarten, eher in Bezug auf die CBCL getroffen. Auch
die Aussage Ich konnte einige Fragen nicht beantworten, weil ich bestimmte Dinge über mein Kind
nicht weiß (t(48) = -3.50, p < .01) wurde von Eltern eher im Zusammenhang mit der CBCL gemacht.
Im direkten Vergleich der beiden Fragebogen halten 59 % der befragten Personen die
CBCL für geeigneter, um etwas über das Befinden eines Jugendlichen herauszufinden.
Lediglich 17 % finden den SDQ besser geeignet, 24 % finden beide gleich gut geeignet.
Gefragt danach, welche Skala die Teilnehmer insgesamt präferieren, entscheiden sich
insgesamt 35 % für den SDQ, 31 % für die CBCL. Etwa ein Viertel der Befragten (27
%) gibt an, beide gleich gern beantworten zu wollen. Zusammenfassend lässt sich feststellen,
dass die Akzeptanz der Instrumente SDQ und CBCL durch die StudienteilnehmerInnen vergleichbar
ist. Beide Skalen werden gut angenommen. Die Verständlichkeit der Items scheint in
beiden Fällen keine nennenswerten Schwierigkeiten zu bereiten.
Betrachtet man die Häufigkeit fehlender Werte in einem Fragebogen ebenfalls als Indikator
für die Akzeptanz, ist zu vermerken, dass fehlende Werte bei beiden Instrumenten nur
vereinzelt mit einer Häufigkeit von unter 1 % auftreten und sich keine Häufungen fehlender
Werte auf einzelnen Items zeigen.
Die Ergebnisse zur Häufigkeit des Auftretens psychischer Auffälligkeiten zeigen, dass
im SDQ weniger Kinder und Jugendliche als grenzwertig oder psychisch auffällig eingeschätzt
werden als in der CBCL (χ2 = 135.91, df = 4, p < .01). Die Jugendlichen beurteilen sich bei beiden Instrumenten
insgesamt seltener auffällig, als ihre Eltern sie einschätzen, wobei der Anteil auffällig
klassifizierter Jugendlicher beim YSR wiederum höher ist als beim SDQ (χ2 = 65.79, df = 4, p < .01; vgl. Abb. [1 ]).
Abb. 1 Häufigkeit psychischer Auffälligkeiten in SDQ und CBCL/YSR.
Die Übereinstimmung von Eltern- und Selbsturteil ist bei beiden Instrumenten nur von
mittlerer Höhe (SDQ Spearmans ρ = 0.50, CBCL - YSR Spearmans ρ = 0.42); bei Betrachtung
der einzelnen Subskalen fällt die Beurteilerübereinstimmung mit Werten von Spearmans
ρ zwischen 0.18 und 0.48 noch niedriger aus.
Im Elternurteil wie auch im Selbsturteil zeigt sich bei beiden Instrumenten kein Unterschied
in der Häufigkeit psychischer Auffälligkeiten zwischen den untersuchten Altersgruppen.
Geschlechtsunterschiede im Auftreten psychischer Auffälligkeiten zeigen sich lediglich
im SDQ-Elternurteil, wonach Jungen jeweils etwa doppelt so häufig als grenzwertig
und als auffällig klassifiziert werden wie Mädchen (χ2 = 8.64, df = 2, p < .05). Im SDQ-Selbsturteil sowie in CBCL und YSR ist dieser Geschlechtseffekt
nicht zu beobachten. Allerdings liegt der CBCL-Gesamtproblemwert für Jungen signifikant
höher als für Mädchen (t(392.4) = 2.01, p<.05), durch die geschlechtsspezifischen Normen der CBCL ergibt sich jedoch
kein signifikanter Unterschied im Anteil psychisch auffälliger Jungen und Mädchen.
Eine Unterteilung der Stichprobe nach Sozialschichtindex ergibt lediglich im SDQ-Elternurteil
signifikante Unterschiede bezüglich psychischer Auffälligkeiten: Kinder und Jugendliche
in der Unterschicht werden von ihren Eltern im SDQ doppelt so häufig als psychisch
auffällig eingeschätzt wie in der mittleren oder oberen Sozialschicht (χ2 = 14.53, df = 4, p < 01).
Eine zentrale Fragestellung der zusätzlichen telefonischen Befragung war, ob die beiden
Instrumente übereinstimmende Einschätzungen der psychischen Gesundheit der Kinder
und Jugendlichen aufweisen. Zur Beantwortung dieser Frage wurden Rangkorrelationen
(Spearmans ρ) zwischen den Skalensummenwerten berechnet. Die Rangkorrelation zwischen
dem Gesamtproblemwert im SDQ-Elternurteil und dem CBCL-Gesamtproblemwert beträgt 0.66.
Zwischen dem Gesamtproblemwert im SDQ-Selbsturteil und dem YSR-Gesamtproblemwert besteht
eine Korrelation von 0.58, was auf eine befriedigende Übereinstimmung hinweist. Die
Korrelationen auf der Ebene der Subskalensummen sind sämtlich niedriger. Hierbei ist
zu berücksichtigen, dass die Skalensummenwerte von SDQ einerseits und CBCL sowie YSR
andererseits wegen unterschiedlicher Itemformulierungen und Schwerpunktsetzungen nur
eingeschränkt vergleichbar sind. Die größte Übereinstimmung besteht im Eltern- und
Selbsturteil bezüglich der Skalen „Hyperaktivität/Aufmerksamkeitsprobleme”, gefolgt
bei den Eltern von den Skalen „Verhaltensprobleme (SDQ)/aggressives Verhalten (CBCL)”
und bei den Jugendlichen von den Skalen „emotionale Probleme (SDQ)/ängstlich/depressiv
(YSR)”.
Zur Beurteilung der diagnostischen Qualität beider Verfahren liegen Daten zu n = 155
Kindern und Jugendlichen vor, die sich dem diagnostischen Interview unterzogen haben.
Hiervon wurden aufgrund der Angaben in SDQ und CBCL/YSR 75 als psychisch auffällig
klassifiziert (Fälle) und 80 als unauffällig (Kontrollen). Im diagnostischen Interview
werden nur die gegenwärtigen Störungen betrachtet, da sich auch die Fragebogenverfahren
nur auf gegenwärtige Störungen (letztes halbes Jahr) beziehen. Zudem wurden Störungen
auch dann diagnostiziert, wenn nicht das Vollbild der Störung vorlag, jedoch mehrere
Symptome und Kriterien für die Diagnosestellung erfüllt waren.
Von den 155 Kindern und Jugendlichen erweisen sich im diagnostischen Interview lediglich
53 als tatsächlich psychisch gestört (Tab. [1 ]), und zwar nur gut die Hälfte der Fälle, allerdings auch 15 % der durch die Fragebogen
als unauffällig eingestuften Kontrollen. Die Übereinstimmung des kombinierten Fragebogenkriteriums
mit dem Ergebnis des diagnostischen Interviews beträgt nach dem Kappa-Koeffizienten
0.40.
Tab. 1 Psychische Störungen im Fragebogenurteil und im diagnostischen Interview
diagnostisches Interview: gegenwärtige Störung
nein
ja
Summe
auffällig in SDQ und/oder CBCL/YSR
nein
68
12
80
ja
34
41
75
Summe
102
53
155
Von den 53 Kindern und Jugendlichen mit einer gegenwärtigen psychischen Störung liegen
bei 20 Probanden (17 Fälle und 3 Kontrollen) Anhaltspunkte für mehr als eine Störung
vor. Am häufigsten wurden im diagnostischen Interview Anhaltspunkte für Aufmerksamkeitsstörungen/Hyperaktivität
(13-mal), Störungen des Sozialverhaltens (10-mal) und depressive Störungen (9-mal)
ermittelt.
Für den direkten Vergleich der Fragebogenverfahren ist von Interesse, wie viele derjenigen
Kinder und Jugendlichen, für die im diagnostischen Interview eine psychische Störung
diagnostiziert wurde, durch das jeweilige Instrument entdeckt wurden, und wie viele
derjenigen, denen im diagnostischen Interview keine Störung attestiert wurde, auch
durch das jeweilige Fragebogenverfahren als unauffällig eingestuft wurden. Diese Anteile
und auch der Anteil insgesamt aufgrund der Fragebogenverfahren richtig Klassifizierter
sind in Tab. [2 ] aufgeführt.
Tab. 2 Anteil richtig Klassifizierter durch SDQ und CBCL/YSR
Instrument
richtig positiv
richtig negativ
richtig insgesamt
SDQ-Elternurteil
46 %
87 %
73 %
CBCL-Elternurteil
63 %
72 %
69 %
SDQ-Selbsturteil
43 %
93 %
78 %
YSR-Selbsturteil
61 %
82 %
76 %
Bei beiden Verfahren werden im Selbsturteil mehr Kinder und Jugendliche zutreffend
klassifiziert als im Elternurteil. SDQ und YSR schneiden im Selbsturteil insgesamt
gleich gut ab, wobei der SDQ mehr richtig negative Urteile (Kind hat keine Störung
und wird auch durch den Fragebogen als unauffällig klassifiziert) und weniger richtig
positive Urteile als der YSR hervorbringt.
Beide Fragebogenverfahren können nicht sämtliche Störungen identifizieren, die im
diagnostischen Interview erfragt werden. Für den Instrumentenvergleich wurden daher
Störungsgruppen gebildet, die emotionale Störungen, Aufmerksamkeitsstörungen und Störungen
des Sozialverhaltens umfassen. Der Anteil der in diesen drei Störungsgruppen durch
die Fragebogeninstrumente richtig klassifizierten Kinder und Jugendlichen ist in Tab. [3 ] zusammengefasst. Eine Unterteilung in richtig positiv und richtig negativ Klassifizierte
ist aufgrund der kleinen Fallzahlen für die einzelnen Störungsbilder nicht sinnvoll,
deshalb wird nur der Anteil insgesamt richtig Klassifizierter dargestellt.
Tab. 3 Richtig klassifizierte Störungsbilder durch SDQ und CBCL/YSR
Instrument
emotionale Störungen
Aufmerksamkeitsstörungen
Störungen des Sozialverhaltens
SDQ-Elternurteil
82 %
88 %
82 %
CBCL-Elternurteil
72 %
88 %
93 %
SDQ-Selbsturteil
81 %
91 %
93 %
YSR-Selbsturteil
79 %
96 %
93 %
Im Vergleich der beiden Elternurteile schneidet der SDQ hinsichtlich emotionaler Störungen
etwas besser ab als die CBCL, hinsichtlich der Störungen des Sozialverhaltens jedoch
etwas schlechter. Die Selbsturteile von SDQ und YSR unterscheiden sich nicht hinsichtlich
der Anteile richtig Klassifizierter in den drei Störungsformen.
Im Design einer Fall-Kontroll-Studie, die für die vorliegende Unterstichprobe mit
diagnostischem Interview gewählt wurde, lassen sich Sensitivität und Spezifität der
Verfahren nicht berechnen, jedoch positiv und negativ prädiktive Werte. Der positiv
prädiktive Wert (ppW) gibt die Wahrscheinlichkeit dafür an, dass bei positivem Screening
durch das Fragebogen-Instrument (Urteil: „auffällig”) auch tatsächlich eine psychische
Störung vorliegt, der negativ prädiktive Wert (npW) die Wahrscheinlichkeit dafür,
dass bei negativem Screening auch tatsächlich keine Störung vorliegt. Tab. [4 ] fasst die positiv und negativ prädiktiven Werte beider Verfahren für alle gegenwärtigen
psychischen Störungen insgesamt und für die drei Störungsgruppen zusammen.
Tab. 4 Positiv und negativ prädiktive Werte von SDQ und CBCL/YSR
Instrument
alle gegenwärtigen Störungen
emotionale Störungen
Aufmerksamkeitsstörungen
Störungen des Sozialverhaltens
ppW
npW
ppW
npW
ppW
npW
ppW
npW
SDQ-Elternurteil
0.65
0.76
0.44
0.91
0.38
0.96
0.22
0.96
CBCL-Elternurteil
0.54
0.79
0.28
0.89
0.35
0.95
0.67
0.94
SDQ-Selbsturteil
0.71
0.79
0.33
0.85
0.31
0.98
1.00
0.93
YSR-Selbsturteil
0.59
0.83
0.35
0.88
0.50
0.98
0.50
0.96
Betrachtet man alle gegenwärtigen Störungen, so schneiden beide Instrumente im Selbsturteil
erneut etwas besser ab als im Elternurteil. Bei der Unterteilung nach emotionalen
Störungen, Aufmerksamkeitsstörungen und Störungen des Sozialverhaltens ergeben sich
wiederum kaum nennenswerte Unterschiede zwischen den einzelnen Instrumenten. Im YSR
werden Aufmerksamkeitsstörungen, im SDQ-Selbsturteil dagegen Störungen des Sozialverhaltens
etwas besser erfasst als mit den anderen Fragebogen.
Die hier dargestellten Ergebnisse sind im Rahmen des methodischen Vergleichs der beiden
Erfassungsinstrumente zu interpretieren. Sie erlauben keine Aussagen über die Prävalenz
psychischer Auffälligkeiten und Störungen von Kindern und Jugendlichen in Deutschland,
da es sich bei der Untersuchungsgruppe nicht um eine repräsentative Stichprobe handelt.
Diskussion und Ausblick
Diskussion und Ausblick
Bei der Entscheidung, welches der beiden Fragebogeninstrumente - SDQ oder CBCL/YSR
- in der Hauptphase des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys in den Fragebogen aufgenommen
werden sollte, waren verschiedene Kriterien zu berücksichtigen. Der Survey widmet
sich einem breiten Bereich von Fragestellungen, was zu einer insgesamt hohen zeitlichen
und konzentrativen Belastung der UntersuchungsteilnehmerInnen und ihrer Eltern führt.
Daher ist es wichtig, die Akzeptanz der Verfahren durch die Befragten und ihre zeitliche
Belastung bei der Entscheidung für den Fragebogen der Hauptphase zu berücksichtigen.
Die Zusatzbefragung zur Akzeptanz beider Verfahren hat ergeben, dass beide Fragebogen
eine vergleichbar hohe Akzeptanz aufweisen, wenngleich im direkten Vergleich beider
Verfahren tendenziell der SDQ von den Befragten präferiert wird. Ein erheblicher und
von den Probanden wahrgenommener Unterschied besteht in der Länge beider Verfahren,
so dass die zeitliche Belastung der Befragten durch die längere CBCL/YSR als wesentlich
höher eingeschätzt werden muss.
Die psychometrische Qualität beider Verfahren ist insgesamt zufrieden stellend. Die
Einzelskalen verfügen allerdings teilweise nicht über eine hinreichend hohe interne
Konsistenz, um sehr zuverlässige Aussagen über einzelne psychische Störungen zu erlauben.
Beide Instrumente unterscheiden sich diesbezüglich kaum.
Aufgrund der Ergebnisse unter Einbeziehung des klinischen Interviews kann festgestellt
werden, dass SDQ und CBCL/YSR eine vergleichbare diagnostische Qualität aufweisen,
sowohl bezüglich der Frage, ob überhaupt eine psychische Störung vorliegt, als auch
bezüglich einzelner Störungsbilder. SDQ und CBCL/YSR erfassen psychische Auffälligkeiten
und Störungen insgesamt mit einer gleich großen Treffsicherheit. Die CBCL kann mehr
verschiedene Störungsbilder beschreiben, weist aber als Screening-Instrument zu der
Frage, ob überhaupt psychische Auffälligkeiten oder Störungen vorliegen, keine größere
Präzision auf als der SDQ. Dabei ist das Selbsturteil der Kinder und Jugendlichen
in allen Fällen dem Elternurteil zumindest ebenbürtig, in vielen Fällen sogar überlegen.
Emotionale Störungen, Aufmerksamkeitsstörungen und Störungen des Sozialverhaltens
können durch beide Instrumente mit vergleichbarer Genauigkeit festgestellt werden.
Die Ergebnisse zur diagnostischen Qualität weisen somit auf eine weit gehende Äquivalenz
der beiden Instrumente hin.
Für den Einsatz als Screening-Instrument ist die Frage nach Normen und Cut-off-Werten
von großer Bedeutung. Für den SDQ liegen lediglich aus der englischen Normstichprobe
entwickelte Cut-off-Werte vor, die für die Einstufung im Pretest herangezogen wurden.
CBCL und YSR verfügen dagegen über alters- und geschlechtsspezifische deutsche Normen
und Cut-off-Werte. Bei Anwendung der jeweils vorliegenden Normen werden mit CBCL/YSR
insgesamt mehr Kinder und Jugendliche als auffällig eingestuft als mit dem SDQ. Dies
führt bei Einsatz von CBCL/YSR zu überhöhten Prävalenzschätzungen, während bei einer
Entscheidung für den SDQ hingenommen werden muss, dass mehr Kinder und Jugendliche
fälschlicherweise als unauffällig klassifiziert werden.
Im Rahmen eines Surveys geht es vor allem darum, mittels eines Fragebogen-Screenings
Ergebnisse dazu zu erhalten, ob psychische Auffälligkeiten oder Störungen vorliegen
und welchem Bereich - emotionale Störungen, Aufmerksamkeitsstörungen, Störungen des
Sozialverhaltens oder andere Störungen - diese zuzuordnen sind. Hierfür weisen beide
Fragebogen eine gleich gute Eignung auf. Aufgrund der deutlich geringeren Länge und
der etwas höheren Akzeptanz wird der SDQ für den Einsatz im Kinder- und Jugendgesundheitssurvey
empfohlen.
Danksagung
Danksagung
Die Autorinnen danken den an der Studie beteiligten InterviewerInnen Stephanie Byner,
Anke Maschke, Claas Güthoff, Sandra Reichert, Verena Tanck und Sandra Wiegandt.