Der Klinikarzt 2003; 32(1): 3-8
DOI: 10.1055/s-2003-36968
Onkologie

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

In jeder Hinsicht heterogen: Maligne Lymphome (Teil 1)

Von der Genforschung zur neuen WHO-KlassifikationHeterogeneous in Every Respect: Malignant Lymphomas (Part 1)Genetic Research and the New WHO ClassificationR. Souchon1 , W. Lindemann2 , H. Eimermacher2
  • 1Strahlenklinik des Allgemeinen Krankenhauses Hagen (Chefarzt: PD Dr. R. Souchon)
  • 2Klinik für Hämatologie und Onkologie, Katholisches Krankenhaus Hagen (Chefarzt: Dr. H. Eimermacher)
Weitere Informationen
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Anschrift für die Verfasser

PD Dr. R. Souchon

Strahlenklinik

Allgemeines Krankenhaus Hagen gGmbH

Grünstr. 35

58095 Hagen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
13. Februar 2003 (online)

Inhaltsübersicht #

Zusammenfassung

Maligne Lymphome entwickeln sich aus Lymphozyten einschließlich ihrer Vorläufer und Stammzellen und bilden eine Gruppe klonaler maligner Erkrankungen. Sie zeichnen sich durch eine große Heterogenität hinsichtlich ihrer Histopathologie, Pathomorphologie, Zytogenetik und Immunologie aus. Ihre auf molekularer Ebene liegenden zell- und lymphomarttypischen Unterschiede begründen ihr differentes biologisches Verhalten und ihren unterschiedlichen klinischen Verlauf. Moderne genetische und molekularbiologische Untersuchungsmethoden haben das Wissen über die Pathogenese dieser Tumorentität in den letzten Jahren maßgeblich erweitert. Hierdurch gelang es, präzisere Charakterisierungen und Definitionen der sehr unterschiedlichen Formen vorzunehmen. Eine neue WHO-Klassifikation berücksichtigt diese neuen Definitionen und hebt die „klassische” Einteilung hämatologischer Erkrankungen nach Lymphomen und lymphatischen Leukämien auf. Neue Therapiestrategien sind zunehmend stärker an individualisierten, prognostischen Kriterien ausgerichtet.

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Summary

Malignant lymphomas are characterised by considerable heterogeneity in terms of their histopathology, pathomorphology, cytogenetics and immunology. The cell- and lymphoma-type-typical differences at the molecular level are responsible for their differing biological behaviours and clinical courses. The use of modern genetic and molecular-biological investigative methods, in particular, has greatly expanded our knowledge of the pathogenesis of this tumour entity in recent years. This has resulted in a more precise characterisation and definition of the highly differing forms. A new WHO classification takes account of these new definitions, and replaces the „classical” classification of haematological diseases into lymphomas and lymphatic leukaemias. Furthermore, the therapeutic strategies now give increasing consideration to individualised prognostic criteria.

Charakteristisches Merkmal aller malignen Lymphome, die T. Hodgkin 1832 als eigenständige Erkrankungsentitäten beschrieb, ist ihre Abstammung von Zellen des lymphatischen Systems. Sie treten klinisch vor allem in Form von Lymphomen, lymphatischen Leukämien oder als Plasmozytom in Erscheinung und weisen eine große Vielfalt im Hinblick auf ihre Histopathologie, Pathomorphologie, Zytogenetik und Immunologie auf. Auf molekularer Ebene unterscheiden sich die verschiedenen Zell- bzw. Lymphomarten hinsichtlich ihres Genoms, ihrer Genexpression und Immunhistologie und belegen ihre jeweilige Eigenständigkeit. Diese Merkmale begründen das differente biologische und immunologische Verhalten und die verschiedenen klinischen Verläufe der zwischenzeitlich über 40, jeweils als eigenständige Form identifizierten Lymphomarten [1] [5] [7].

Ein malignes Lymphom wird jährlich bei etwa 20000 Patienten in Deutschland neu diagnostiziert (6). Damit repräsentieren sie einen Anteil von etwa 5 % aller Malignomerkrankungen und gehören bei Männern zu den zehn häufigsten Krebsarten. Die in einer bevölkerungsbezogenen Inzidenzstudie festgestellten Auftretensformen sind repräsentativ für den norddeutschen Raum in [Abbildung 1] dargestellt [4].

Die zunehmende klinische Bedeutung der malignen Lymphome begründet sich zum einen in der durch jährlich um mehr als 4 % steigenden Inzidenz (bedingt durch die höhere Lebenserwartung), zum anderen in der biologischen Heterogenität der verschiedenen Lymphomentitäten. Sie unterscheiden sich in ihren klinischen Erscheinungsformen und weisen große Unterschiede in ihrer Prognose auf. Darauf lassen sich die bisherigen, auf unterschiedlichen Beurteilungskriterien basierenden und daher nicht kompatiblen Klassifikationen zurückführen. Erst 1997 erfolgte eine Vereinheitlichung in Form der international anerkannten neuen WHO-Klassifikation [1] [5] [7].

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Identifizierung und Typisierung

Der biologische Unterschied von Normalgewebe und bösartigem Tumorgewebe resultiert aus physiologischen Vorgängen, die in normalen und malignen Zellen unterschiedlich ablaufen. Assoziiert sind diese Vorgänge mit genetischen Variationen - einer modifizierten Genexpression. Ein Beispiel ist die Inaktivierung von Tumorsuppressorgenen wie dem p53 in Tumorgewebe. Assoziiert ist dies mit einem weitgehenden Verlust der Kontrolle über die Zellteilung, die Proliferation der Tumorzellen erfolgt damit autonom.

Werden solche Abweichungen der physiologischen Abläufe zwischen Tumorzellen und Normalgewebszellen identifiziert, können neue Erkenntnisse zur molekularen Typisierung von Tumoren und darüber hinaus zur Diagnose und Prognose von Krebserkrankungen gewonnen werden. Letztlich ermöglichen sie - anhand der vorliegenden spezifischen („Marker”-)Gene oder Genfragmente (cDNA) - die Diagnose einer bestimmten Tumorerkrankung und möglicherweise auch eine Zuordnung zu frühen oder fortgeschrittenen Krankheitsstadien. Vergleiche der Genexpressionsmuster von Tumor- und Normalgewebszellen mit klinischem Verlauf sollen auch krankheitsspezifische Prognoseabschätzungen möglich machen.

Voraussetzung für solche Analysen sind Technologien, mit denen die Expressionen tausender von Genen in unterschiedlichen Geweben (z.B. Tumor- versus Normalgewebe) simultan bestimmt werden können. Die hierfür eingesetzte Technik ist die so genannte „cDNA-Chip-Technologie” auf der Basis von Mikroarray-Verfahren. Hierzu gehört die vergleichende genomische Hybridisierung („comparative genomic hybridization” = CGH), mit der es gelingt, die den Malignomentstehungen zugrunde liegenden genetischen Veränderungen zu identifizieren, zu lokalisieren und so einzelne Malignomentitäten zu spezifizieren und zu (sub-)typisieren.

Mithilfe dieser Verfahren ist belegt, dass bei malignen Lymphomen zumeist Gentranslokationen vorliegen. Diese führen in der Regel zu einer Zunahme von spezifischen Proteinfunktionen, die das Wachstum des Lymphozytenklones begünstigen und Vorgänge des aktiven Zelltodes (Apoptose) blockieren. Beispiele für solche, bestimmte Lymphomentitäten charakterisierende chromosomale Aberrationen sind:

  • Translokationen 8;14, 8;22 und 2;8 beim großzelligen diffusen B-Zell-Lymphom vom Burkitt-Typ

  • Translokation 14;18 bei follikulären Lymphomen

  • Translokation 11;14 beim Mantelzell-Lymphom.

Die Bruchpunkte auf den Chromosomen 14, 2 und 22 liegen in Genen, die für die Schwerkette (Chromosom 14), die Leichtkette Kappa (Chromosom 2) oder die Leichtkette Lambda (Chromosom 14) der Immunglobuline kodieren. Die jeweiligen Translokationspartner auf den Chromosomen 8, 18 und 11 dagegen regulieren den Zellzyklus. Die zugehörigen Genprodukte steuern den Zellteilungszyklus (Chromosom 11), die Transskription (Chromosom 8) bzw. die Apoptose (Chromosom 18). Durch solche Translokationen gelangen die zellzyklusregulatorischen Gene unter die transskriptionelle Kontrolle von Immunglobulinen, was zu einer Überexpression spezifischer Onkogene führt.

Immunologische Merkmale lassen sich an der Oberfläche von Lymphozyten mit farbmarkierten Antikörpern durchflusszytometrisch oder histochemisch nachweisen. Ihr Antigenmuster ist Merkmal ihres Reifungsgrades. Auf der Oberfläche der Stammzellen ist im Wesentlichen CD 34 zu finden. Schon bei den Prä-B-Zellen ist dieser Marker nicht mehr nachweisbar. Sie exprimieren jedoch als Erkennungsmerkmal fast aller B-Zellen CD 19. Dieses Antigen geht erst bei den reifen Plasmazellen wieder verloren [Abb. 2].

Die genaue Kenntnis chromosomaler Aberrationen und deren molekularbiologischen Folgen beispielsweise in Form von Onkogen-Überexpressionen begründen maßgeblich neue klinische Forschungsansätze zur Entwicklung molekulargenetisch basierter und damit kausaler Therapiekonzepte. Ein Beispiel hierfür ist der Versuch einer Neutralisation pathologischer mRNA-Transskripte durch komplementäre RNA-Sequenzen und eine Blockade der Expression lymphomassoziierter Gene durch so genannte Antisense-Oligonukleotide.

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Klassifikation maligner Lymphome

Ein Meilenstein zur Klassifiktion der Lymphomentitäten ist die von der „International Lymphoma Study Group” (ILSG) erarbeitete, international anerkannte pathohistologische Klassifikation der WHO [1] [5]. Sie ersetzt die europäischen bzw. US-amerikanischen Klassifikationen wie die Working-Formulation, die Kiel- oder die REAL[1]-Klassifikation und löst Probleme, die aufgrund der nicht kompatiblen und somit konkurrierenden Klassifikationsversuche zuvor aufgetreten waren. Damit werden Auswertungen von Therapieresultaten, Vergleiche von Behandlungsergebnissen und somit ein eindeutiger und nachvollziehbarer Informationsaustausch möglich.

Die WHO-Klassifikation kategorisiert die einzelnen Entitäten gleichrangig nach morphologischen, molekularzytogenetischen und immunologischen Kriterien (Genotyp, Immunphänotyp) sowie ihrer zellulären Herkunft. Die klassische Aufteilung der malignen hämatologischen Erkrankungen nach Lymphomen und lymphatischen Leukämien wird damit aufgehoben. Die jeweiligen Variationen im Vergleich zu früheren Klassifikationen - für die Hodgkin-Lymphome sind das die Rye-Klassifikation (1966) bzw. die REAL-Klassifikation (1994), für die Nicht-Hodgkin-Lymphome (NHL) die 1988 aktualisierte Kiel-Klassifikation - hat Stein in einer Übersicht zusammengefasst [7].

Neu aufgenommen in der WHO-Klassifikation sind die Vorläuferzellen („precursor cells”) der Lymphopoese. Zudem wurden lymphonodale, primär extranodale und leukämische Formen der malignen Lymhome weiter differenziert [1] [2] [4] [7] [9]. Die aktuelle Klassifikation berücksichtigt aber auch die Lokalisation der malignen Entartung innerhalb des Lymphknotens. Sie unterscheidet zwischen den follikulären Lymphomen und denen der Mantel- und der Marginalzone. Unverändert blieb die Trennung zwischen B- und T-Zell-Lymphomen. Die bislang entsprechend ihrer Zytomorphologie erfolgte Aufteilung in „blastäre” (klinisch hoch maligne) oder „zytische” (klinisch niedrig maligne) Formen dagegen entfällt. Auch auf ein lymphomentitätenübergreifendes „Grading”-System verzichtet die WHO-Klassifikation.

Damit wird heute auch nicht mehr zwischen „hoch malignen” (z.B. das Burkitt-Lymphom oder großzellige Lymphome), „intermediär malignen” (z.B. das Mantelzell-Lymphom) und „niedrig malignen” Lymphomen (z.B. follikuläre Keimzentrumlymphome), sondern zwischen „(sehr) aggressiven” bzw. „indolenten” Lymphomen unterschieden.

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Kasuistik

Eine 53-jährige Patientin mit 17 Jahre zuvor erfolgreich therapiertem Endometriumkarzinom wurde durch eine zervikale Lymphknotenschwellung und B-Symptomatik auffällig. Das exstirpierte Lymphom führte zur histologischen Diagnose einer „Lymphogranulomatose” (Hodgkin-Lymphom vom nodulär sklerosierenden Typ). Klinisch lag ein initiales Stadium II B nach der Ann-Arbor-Klassifikation vor.

Es folgte stadienentsprechend eine kombinierte Chemo-/Radiotherapie im Rahmen der Deutschen Morbus-Hodgkin-Studie im seinerzeit aktuellen HD8-Protokoll. Eine nach Abschluss der Chemotherapie (zweimal COPP[2]/ABVD[3]) wegen erneuter

B-Symptomatik bei unveränderter Lymphomgröße veranlasste weitere Lymphomexstirpation bestätigte die primäre Diagnose. Daraufhin wurde eine Radiotherapie aufgenommen.

In dieser Phase korrigierte die Referenzpathologie die Diagnose des aktuell exstirpierten Lymphoms („großzelliges pleomorphes Lymphom (ALCL), das aus einem nodulär sklerosierenden Hodgkin-Lymphom entstanden ist”). Dementsprechend wurde die Radiotherapie angepasst: Die Dosis im betroffenen Bereich („involved field”) wurde erhöht, benachbarte Lymphgebiete („extended field”) nicht mitbestrahlt.

Sieben Monate später aufgetretene infradiaphragmale Lymphome bei zusätzlicher Splenomegalie veranlassten eine Laparotomie mit Splenektomie und diagnostischer Lymphonodektomie. Hierbei wurde erneut ein großzelliges pleomorphes Lymphom diagnostiziert. Die anschließende Chemotherapie (DexaBEAM[4]) induzierte eine Vollremission, die eine nachfolgende Hochdosischemotherapie mit bis heute anhaltender kompletter Remission konsolidieren konnte.

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Mögliche klinische Auswirkungen

Zu klären ist jetzt, inwieweit mit der neuen WHO-Klassifikation der Lymphomentitäten auch neue therapeutische Gruppierungen vorgenommen werden müssen. Klinisch relevant ist die Frage, ob und in welchem Umfang die neuen Erkenntnisse zur Pathogenese auch unterschiedliche therapeutische Konzepte und Strategien erfordern und welche prognostische Relevanz diese hätten. Dazu werden methodisch hochwertige prospektive Therapiestudien auf der Grundlage der WHO-Klassifikation und interdisziplinärer Basis benötigt.

Obligat sind hierfür eine qualifizierte klinische Diagnostik mit sorgfältiger Asservierung von Tumormaterial durch den Kliniker - eine Voraussetzung für eine korrekte pathologische Beurteilung. Notwendig ist zudem eine referenzpathologische Begutachtung in einem der sechs in Deutschland ausgewiesenen Zentren. Damit können zusätzliche therapierelevante Informationen wie beispielsweise Oberflächenmerkmale der Lymphomzellen gewonnen werden (s. Kasuistik).

Um für alle Lymphompatienten die bestmögliche Behandlung, Betreuung und Information zu erreichen, haben sich die auf diesem Gebiet in Deutschland arbeitenden Forschungsgruppen im „Kompetenznetz Maligne Lymphome” (http://www.lymphome.de bzw. email: lymphome@medizin.uni-koeln.de) zusammengeschlossen und nicht zuletzt dadurch mit ihren Studien international eine führende Position erreicht. Sechs Studiengruppen erforschen die einzelnen Lymphomentitäten:

  • Deutsche Studiengruppe für Hochmaligne Non-Hodgkin Lymphome (DSHNHL bzw. GHNHLSG)

  • Deutsche Studiengruppe Niedrigmaligne Lymphome (GLSG)

  • Deutsche Hodgkin Lymphom Studiengruppe (DHSG bzw. GHSG)

  • Deutsche Studiengruppe Chronisch Lymphatische Leukämie (DCLLSG)

  • Deutsche Studiengruppe Gastrointestinale Lymphome

  • Ostdeutsche Studiengruppe für Hämatologie und Onkologie e.V. (OSHO).

  • ben der Grundlagenforschung befassen sich diese Studiengruppen mit weiteren Aufgaben:

  • Prüfung der Durchführbarkeit und Standardisierung von Lymphomtherapien (Vermeidung von Therapie-Spätfolgen durch Verminderung der Behandlungsintensität bei Patienten mit hoher Kurationswahrscheinlichkeit ohne Kompromittierung bisher erreichter Therapieergebnisse und der Therapieintensivierung und -ausweitung bei Patienten mit unzureichendem Ansprechen auf bisher etablierte Therapien)

  • Validierung von Prognosefaktoren (z.B. Internationaler Prognose-Index)

  • Entwicklung prognoseorientierter und risikofaktorenberücksichtigender Therapiekonzepte und -verfahren (z.B. Antikörper- oder zytostatische Hochdosistherapie) als Voraussetzung für eine Individualisierung der Therapie

  • Erfassung therapieinduzierter Akut- und Spätfolgen.

Als Beispiel für die hohe klinische Relevanz dieser Forschungsarbeit sei eine Therapiestudie der GLSG angeführt. Ihre prospektive Therapiestudie konnte belegen, dass die früher aufgrund ihrer zytischen Morphologie der Gruppe der niedrigmalignen Lymphome zugeordneten follikulären Keimzentrum- (FCL; früher: zentrozytisch-zentroblastische) und Mantelzell-Lymphome (MCL; früher: zentrozytische) sich in ihrem biologischen Verhalten, ihrem Ansprechen auf Chemotherapie und hinsichtlich ihrer Prognose signifikant unterscheiden [3] [9]. Dies unterstützt aus klinischer Sicht zunächst die in der WHO-Klassifikation vorgenommene Beschränkung auf eine molekularbiologische Einteilung der Lymphome. Sie belegt zudem, dass aufgrund der dokumentierten biologischen Unterschiede für diese Lymphomentitäten auch modifizierte Therapieansätze erforderlich sind.

Bisher sind für die in der Gruppe der aggressiven Lymphome zusammengefassten Subtypen zwar klinische und prognostische Unterschiede belegt, wie beispielsweise zwischen Burkitt-Lymphomen und anderen aggressiven B-Zell-Lymphomen. Ein Beweis aber, dass diese Unterschiede für die bislang bei diesen Lymphomen eingesetzten Therapien von Bedeutung wären und andere Therapien erforderlich machten, ist bislang nicht erbracht [9].

Aufgrund einer Metaanalyse mit Therapiedaten von über 5000 Patienten mit aggressiven Lymphomen wurden unabhängige prognostische Faktoren identifiziert. Diese fasst der so genannte „International Prognostic Index” (IPI) zusammen [Tab. 1]. Er bewertet Allgemeinzustand und Alter des Patienten, klinisches Ausbreitungsstadium, LDH-Wert und die Anzahl der extranodalen Manifestationen [8].

Der Rückgriff auf einen solchen Prognose-Score bleibt trotz der neuen Entwicklungen weiterhin erforderlich und für die klinisch-therapeutische Entscheidungsfindung wichtig. Wie lange - das hängt unter anderem davon ab, wann mit der cDNA-Chip-Technologie routinemäßig exakte komplexe genetische Schädigungen diagnostiziert werden können. Dann wären möglicherweise Individualdiagnosen der vorliegenden Lymphomentität und auch „maßgeschneiderte” Therapien zu realisieren - die neben der herkömmlichen Chemo- und/oder Strahlentherapie auch Antikörper und den Einsatz von Antisense-Oligonukleotiden beinhalten könnten. Damit wäre für diese Tumorentität die Kluft zwischen der onkologischen Grundlagen- und der klinisch-therapeutischen Forschung zum Nutzen des betroffenen Patienten überbrückt.

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Glossar

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Antikörpertherapie

immunologisch wirksame Therapieform, die an einem spezifischen Tumormerkmal ansetzt (Antigen-Eigenschaft), unter Einsatz von blockierenden Antikörpern statt einer ungezielten antiproliferativen Therapie (z.B. Chemotherapie)

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Apoptose

aktiv durch die Zelle selbst ausgelöster „programmierter” Zelltod, dessen Ablauf in Malignomzellen blockiert sein kann

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Genexpression

Der Gesamtprozess der Übersetzung der genetischen Information aus der DNA in RNA und Proteine. Exprimierte Gene werden zunächst in Boten-RNA (mRNA) umgeschrieben (Transkription) und können nachfolgend in Proteine übersetzt werden (Translation)

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Hybridisierung

Prozess der Verbindung zweier komplementärer DNA-Stränge oder eines DNA-Stranges mit einer komplementären RNA, um ein Gen (oder einen Genabschnitt) zu identifizieren und um ein Doppelstrang-Molekül zu bilden

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Klon

von einer einzelnen Zelle oder einem einzelnen Vorfahren abstammende genetisch identische Population von Zellen oder Organismen

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Mikroarray

in der molekularen Pathogenitätsforschung eingesetztes Analyseverfahren zur Visualisierung und Quantifizierung von Genexpressionsprofilen in einer Zellprobe

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molekulare zytogenetische Analyse

Untersuchungsverfahren zur Identifizierung (morphologische Lokalisation und Funktion) von Tumorsuppressorgenen und Onkogenen und damit verbundenen genetischen Veränderungen von prognostischer Relevanz

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Onkogene

Gene, die das Potenzial besitzen, eine Zelle maligne zu transformieren; sie kontrollieren direkt oder indirekt die Wachstumsrate von Zellen

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Tumorsuppressorgene

Gene mit antikanzerogenem Potenzial, z.B. durch die Blockierung von onkogeninduzierten Tumorinitiationsprozessen

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Abb. 1 *Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors W. Hoffmann (4), Bremer Institut für Präventivforschung, Sozialmedizin und Epidemiologie (BIPSE), 2002

Tab 1. Internationaler Prognose-Index (IPI) für aggressive B- und T-Zell-Lymphome[*]

Faktoren (jeweils 1 Punkt)

  • Alter über 60 Jahre

  • Karnowsky-Index < 80 % bzw. WHO-Performance-Score > 2

  • Stadium > II

  • Laktatdehydrogenase (LDH) pathologisch erhöht

  • mehr als eine extranodale Manifestation

Risikogruppen (= Summe aller Punkte)

0-1:

niedrig

2:

niedrig intermediär

3:

hoch intermediär

4-5:

hoch

1 Für Patienten unter 60 Jahren wird der altersjustierte IPI verwendet, bei dem nur der Allgemeinzustand des Patienten, das Stadium und der LDH-Wert prognostische Bedeutung haben. Hier zeigt bereits ein einzelner Faktor eine signifikante Prognoseverschlechterung an.

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Abb. 2 Im Rahmen der B-Zell-Reifung treten unterschiedliche Oberflächenmarker (CD-Antigene) auf. Leukämien und Lymphome werden anhand dieser Antigene identifiziert

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Literatur

  • 1 Harris NL, Jaffe ES, Diebold J. et al. . World Health Organization classification of neoplastic diseases of the hematopoetic and lymphoid tissues: report of the Clinical Advisory Committee meeting - Airlie House, Virginia, November 1997.  J Clin Oncol. 1999;  17 3835-3849
  • 2 Hartmann F, Hiddemann W, Pfreundschuh M. et al. . Maligne Lymphome.  Onkologe(Suppl 1). 2002;  8 521-527
  • 3 Hiddemann W, Unterhalt M, Herrmann R. et al. . Mantle-cell lymphomas have more widespread disease and a slower response to chemotherapy compared with follicle center lymphomas: Results of a prospective comparative analysis of the German Low-Grade Lymphoma Study Group.  J Clin Oncol. 1998;  16 1922-1930
  • 4 Hoffmann W.. Epidemiologie der malignen Lymphome.  Onkologie. 2002;  25 (S4) 258
  • 5 Jaffe ES, Harris NL, Stein H. et al. . World Health Organisation classification of tumours. Pathology and genetics of haematopoetic and lymphoid tissues.  IARC, Press, Lyon. 2001; 
  • 6 Kompetenznetz Maligne Lymphome.  http://www.lymphome.de.
  • 7 Stein H.. Die neue WHO-Klassifikation der malignen Lymphome.  Pathologe. 2000;  21 101-105
  • 8 The International Non-Hodgkin's lymphoma prognostic factors project. . A predictive model for aggressive non-Hodgkin's lymphoma.  N Engl J Med. 1993;  329 987-949
  • 9 Tiemann M, Trümper L.. Pathologie, Biologie und Klassifikation maligner Non-Hodgkin-Lymphome.  Onkologe. 2001;  7 940-959

1 revised european american lymphoma

2 Cyclophosphamid, Oncovin, Prokarbazin, Prednison

3 Adriablastin, Bleomycin, Vincristin, Dacarbacin

4 Dexamethason, Carmustin, Etoposid, Cytarbin, Melphalan + granulozytenkoloniestimulierender Faktor (G-CSF)

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Anschrift für die Verfasser

PD Dr. R. Souchon

Strahlenklinik

Allgemeines Krankenhaus Hagen gGmbH

Grünstr. 35

58095 Hagen

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Literatur

  • 1 Harris NL, Jaffe ES, Diebold J. et al. . World Health Organization classification of neoplastic diseases of the hematopoetic and lymphoid tissues: report of the Clinical Advisory Committee meeting - Airlie House, Virginia, November 1997.  J Clin Oncol. 1999;  17 3835-3849
  • 2 Hartmann F, Hiddemann W, Pfreundschuh M. et al. . Maligne Lymphome.  Onkologe(Suppl 1). 2002;  8 521-527
  • 3 Hiddemann W, Unterhalt M, Herrmann R. et al. . Mantle-cell lymphomas have more widespread disease and a slower response to chemotherapy compared with follicle center lymphomas: Results of a prospective comparative analysis of the German Low-Grade Lymphoma Study Group.  J Clin Oncol. 1998;  16 1922-1930
  • 4 Hoffmann W.. Epidemiologie der malignen Lymphome.  Onkologie. 2002;  25 (S4) 258
  • 5 Jaffe ES, Harris NL, Stein H. et al. . World Health Organisation classification of tumours. Pathology and genetics of haematopoetic and lymphoid tissues.  IARC, Press, Lyon. 2001; 
  • 6 Kompetenznetz Maligne Lymphome.  http://www.lymphome.de.
  • 7 Stein H.. Die neue WHO-Klassifikation der malignen Lymphome.  Pathologe. 2000;  21 101-105
  • 8 The International Non-Hodgkin's lymphoma prognostic factors project. . A predictive model for aggressive non-Hodgkin's lymphoma.  N Engl J Med. 1993;  329 987-949
  • 9 Tiemann M, Trümper L.. Pathologie, Biologie und Klassifikation maligner Non-Hodgkin-Lymphome.  Onkologe. 2001;  7 940-959

1 revised european american lymphoma

2 Cyclophosphamid, Oncovin, Prokarbazin, Prednison

3 Adriablastin, Bleomycin, Vincristin, Dacarbacin

4 Dexamethason, Carmustin, Etoposid, Cytarbin, Melphalan + granulozytenkoloniestimulierender Faktor (G-CSF)

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Anschrift für die Verfasser

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Strahlenklinik

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Grünstr. 35

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Abb. 1 *Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors W. Hoffmann (4), Bremer Institut für Präventivforschung, Sozialmedizin und Epidemiologie (BIPSE), 2002

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Abb. 2 Im Rahmen der B-Zell-Reifung treten unterschiedliche Oberflächenmarker (CD-Antigene) auf. Leukämien und Lymphome werden anhand dieser Antigene identifiziert