Die Transkranielle Magnetstimulation (TMS) wurde erstmals 1985 von Barker und Kollegen zur nicht-invasiven Stimulation des motorischen Kortex beim Menschen angewandt und basiert auf dem Prinzip der elektromagnetischen Induktion, das 1831 von Michael Faraday entdeckt wurde. Während eines TMS-Einzelimpulses entläd sich innerhalb einer Millisekunde ein Strom von bis zu 8000 Ampere. Über einer elektromagnetischen Spule entsteht dabei für die Dauer von 200 bis 600 Mikrosekunden ein Magnetfeld der Stärke von bis zu zwei Tesla, das etwa die Größenordnung des konstanten Magnetfeldes eines Kernspintomographen hat. Das rasch zunehmende und abklingende Magnetfeld führt zur Depolarisation kortikaler Neuronen oder Neuriten ohne durch Haut, Muskulatur, Knochen oder Meningen abgeschwächt zu werden. Die Stärke des Magnetfeldes verringert sich exponentiell mit zunehmendem Abstand von der Spule. Die direkte Stimulation neuronaler Strukturen ist daher im Wesentlichen auf kortikale Areale des Gehirns begrenzt. Eine Wirkung in tieferen Hirnregionen kann transsynaptisch über kortiko-subkortikale Verbindungen erreicht werden. Eine TMS mit Serien aufeinander folgender Stimuli wird als repetitive TMS (rTMS) bezeichnet und bietet weitere Möglichkeiten zur funktionellen Beeinflussung neuronaler Systeme, die über die Anwendung von Einzelimpulsen hinausgehen. Im Rahmen zahlreicher Pilotstudien wurden frühzeitig mögliche therapeutische Effekte der rTMS bei verschiedenen neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen untersucht. Den Untersuchungen lag hierbei die Vorstellung einer gezielten Stimulation kortiko-subkortikaler Regelkreise zugrunde, deren Dysfunktion bei verschiedenen psychiatrischen Erkrankungen eine Rolle spielt. In der Psychiatrie wurde die rTMS erstmals bei depressiven Patienten eingesetzt [5]. In der Folgezeit stand die Anwendung der rTMS präfrontaler Regionen bei depressiven Erkrankungen auch weiterhin im Zentrum der Untersuchungen zahlreicher Forschergruppen, sodass hierzu mittlerweile ein umfangreicher Datenschatz aus zahlreichen präklinischen und klinischen Studien vorliegt.
Tierexperimentelle Befunde
Modulation der serotonergen Neurotransmission und dopaminerge Effekte
Eine elektrische Stimulation mit Mikroelektroden im anteromedialen präfrontalen Kortex führt bei Ratten zur Freisetzung von Serotonin im Hippokampus und der Amygdala [7]. Unter rTMS konnte eine Serotoninfreisetzung nicht beobachtet werden, jedoch sprechen zahlreiche Befunde für eine rTMS-vermittelte Modulation des serotonergen Systems auf verschiedenen Ebenen [16]: Die Zunahme der 5HT1A-Bindungsstellen in verschiedenen frontalen Hirnregionen, die Down-Regulation des 5HT2A-Rezeptors im frontalen Kortex und im Striatum sowie der rTMS-assoziierte Abfall der 5HT1A- und 5HT1B-Autorezeptorsensitivität. In tierexperimentellen Untersuchungen konnten zudem Effekte einer hochfrequenten rTMS auf die dopaminerge Neurotransmission gezeigt werden. So fanden Keck et al. im Hippokampus, Striatum und im Nucleus accumbens septi von Ratten unter Anwendung von in-vivo-Mikrodialyseverfahren eine selektive Stimulation der Dopamin-Freisetzung unter rTMS [9]. Dieser Effekt wird am wahrscheinlichsten über eine Aktivierung frontaler Projektionen zu dopaminergen Neuronenpopulationen der Area ventralis tegmentalis und der Substantia nigra vermittelt, die wiederum als mesolimbisches und mesostriatales System u.a. zum Hippokampus, Striatum und Nucleus accumbens projizieren.
Effekte der rTMS auf Stressbewältigungsverhalten und HPA-Achse
Im Porsoltschen Schwimmtest, einen tierexperimentellen Modell, korreliert die Entwicklung aktiver Stressbewältigungsstrategien positiv mit der klinischen Wirksamkeit eines Antidepressivums, sodass dieses und ähnliche Verhaltensmodelle auch in der präklinischen Prüfung neuer antidepressiver Substanzen eine Rolle spielen. Ratten, die mit rTMS behandelt wurden, zeigten im Gegensatz zu scheinbehandelten Kontrolltieren ein ausgeprägteres aktives Stressbewältigungsverhalten im Schwimmtest [8]
[16]. Vor dem Hintergrund, dass verschiedene antidepressiv wirksame Substanzen zu einer Suppression der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden (HPA)-Achsen-Aktivität führen, wurden Effekte auf das HPA-System zunehmend als wesentliche Eigenschaft bei Antidepressiva angesehen. Keck et al. [8]
[16] konnten dementsprechend zeigen, dass eine rTMS über frontalen Hirnregionen zu einer Abschwächung der stressinduzierten HPA-Aktivität führt.
Funktionelle Bildgebung und rTMS
Funktionell bildgebende Verfahren wie funktionelle Magnetresonanz-Tomographie (fMRT), Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und Single-Photon Emission Computed Tomographie (SPECT) wurden in einer Reihe von Studien eingesetzt, um die Effekte der rTMS auf die Hirnfunktion darzustellen. In mehreren Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass eine rTMS über dem präfrontalen Kortex sowohl am Stimulationsort als auch in verschiedenen entfernten Regionen die regionale Gehirnaktivität beeinflussen kann [15]. Diese Befunde erhärten die Hypothese, dass eine präfrontale rTMS die Aktivität in fronto-limbischen Regelkreisen modulieren kann, die bei Depressionen pathologisch verändert ist. Strafella und Kollegen zeigten, dass eine rTMS über dem präfrontalen Kortex zu einer Verminderung der [11C] Racloprid-Bindung führte, die aus einer Zunahme der Freisetzung von endogenem Dopamin im dorsalen Nucleus caudatus bei gesunden Probanden resultiert [17]. Das schlechtere Ansprechen depressiver Patienten mit psychotischen Symptomen auf eine rTMS-Behandlung könnte hierdurch ebenso erklärt werden wie das kasuistisch beobachtete Auftreten psychotischer Symptome während einer Behandlung.
Klinische Studien bei Major Depression
Offene Studien
Anfang der 90er-Jahre begann eine Reihe von Arbeitsgruppen in Europa, Israel und den USA, als erste die Arbeitsgruppe von Möller et al. an der Bonner Universitätsklinik, die möglichen antidepressiven Effekte der rTMS zu untersuchen [5]. In der überwiegende Mehrzahl dieser frühen Studien wurden Einzelpuls-Stimulatoren, Frequenzen von weniger als 1 Hertz, ringförmige Spulen verwendet [2]. In späteren offenen Studien wurden hingegen eine fokalere, höherfrequente (1-20 Hz) Stimulation [Abb. 1] des dorsolateralen präfrontalen Kortex (DLPFC) untersucht. In diesen Studien wude eine klinisch relevante Besserung depressiver Symptome mit einer Reduktion des HRSD Scores zwischen 30 und 50 % sowie Ansprech-Raten zwischen 30 und 50 % nach zwei Wochen rTMS beobachtet [2].
Einige der offenen Studien hatten primär die Untersuchung möglicher Wirkmechanismen zum Ziel. Vor dem Hintergrund, dass sowohl die HPA- als auch die Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsen HPT)-Achse bei Depressionen in ihrer Funktion verändert sein können, wurden die Effekte auf diese Hormonsysteme untersucht. So wurde bei depressiven Patienten eine Normalisierung des Dexamethason-Suppressionstests (DST) nach rTMS-Behandlung beobachtet, wobei allerdings keine Effekte einer rTMS-Behandlung auf die CRH-induzierte Kortisol-Hypersekretion im kombinierten Dexamethason-Suppressions/CRH-Test nachgewiesen wurden [18]. Ähnlich wie bei gesunden Probanden, konnte auch bei depressiven Patienten ein Anstieg des TSH unter rTMS gefunden werden, sodass Effekte auf die Hypothalamus Hypophysen-Schilddrüsen-Achse ebenfalls als möglicher Wirkmechanismus diskutiert werden.
Ein anderer Forschungsschwerpunkt lag in der Kombination von bildgebenden Verfahren und rTMS, mit den Zielen, mögliche Prädiktoren für eine klinische Response zu identifizieren sowie rTMS-induzierte Veränderungen der regionalen Hirnaktivität bei Depressionen unter rTMS darzustellen. Es konnte gezeigt werden, dass Patienten, die einen reduzierten Metabolismus im 18-Fluor-Deoxyglucose-PET aufwiesen, eher von einer 10-20 Hz rTMS profitierten, während Patienten mit einem Hypermetabolismus eher auf eine niederfrequente (1 Hz) rTMS-Behandlung ansprachen [2]. Darüber hinaus wurden Vorbefunde zur Modulation frontolimbischer Regelkreise unter rTMS aus präklinischen Untersuchungen auch bei depressiven Patienten bestätigt [15].
Kontrollierte klinische Therapiestudien
Zahlreiche plazebo-kontrollierte klinische Studien, in denen die antidepressive Wirksamkeit der rTMS untersucht wurde, liegen mittlerweile vor und haben - bei allerdings eher kleinen Fallzahlen - in der Mehrzahl signifikante Unterschiede zwischen den Verum- und Plazebo-Gruppen ergeben [Abb. 2].
Die Effektgrößen schwankten dabei zwischen marginalen und ausgeprägten antidepressiven Effekten [1]
[3]
[4]
[10]
[13]
[14]. Nur wenige Untersuchungen konnten keine Plazebo-Überlegenheit des Verfahrens zeigen [11]
[12].
In den meisten Studien erhielten die Patienten eine stabile Begleitmedikation mit Antidepressiva [3]
[10]
[11]
[12]
[13]
[14]. Lediglich zwei Arbeitsgruppen untersuchten eine rTMS-Monotherapie bei nicht medikamentös behandelten Patienten [1]
[4]. Zudem variierten die Studien hinsichtlich des ausgewählten Patientenkollektivs: Vor dem Hintergrund, dass eine rTMS-Behandlung auch als möglicher Ersatz für eine Elektrokrampftherapie (EKT) diskutiert wurde, untersuchte die Mehrzahl der Autoren die Wirksamkeit der rTMS bei pharmakotherapieresistenten oder therapierefraktären Patienten [1]
[3]
[4]
[12]
[13]
[14]. Auch die große Variation der angewandten Stimulationsparameter könnte vor dem Hintergrund anzunehmender Dosis-Wirkungsbeziehungen für die unterschiedlichen Effektgrößen verantwortlich sein. Der „Dosierungsmodus” der rTMS ist komplex und setzt sich aus einer großen Anzahl unterschiedlicher Stimulationsparametern zusammen (z.B. Frequenz, Intensität, Stimulationsort, Gesamtzahl der Stimuli, Behandlungsdauer etc.). Letztlich wurden in den verschiedenen Studien unterschiedliche Stimulationsparameter angewandt [Abb. 3]. In einer kürzlich publizierten Studie konnten Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen der applizierten Stimulationsintensität und der antidepressiven Wirksamkeit gefunden werden [14]. Dieser Befund ist gut mit den Ergebnissen einer kürzlich veröffentlichten fMRT-Studie vereinbar, in der ebenfalls intensitätsabhängige Effekte einer präfrontalen rTMS beobachtet wurden. Für eine Intensitäts-Wirkungsbeziehung spricht darüber hinaus, dass bei älteren Patienten eine überproportionale frontale Atrophie und die daraus resultierende geringere magnetische Feldstärke auf Kortexebene mit einer geringeren antidepressiven Wirksamkeit assoziiert ist.
Aufgrund zum Teil erheblicher methodischer Unterschiede gestaltet sich eine Metaanalyse der kontrollierten Studien als schwierig, zumal die unterschiedlichen Stimulationsbedingungen eigentlich als eigene Behandlungsformenruppen betrachtet werden müssen. Mehrere kürzlich vorgelegte Meta-Analysen kamen jedoch übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass eine hochfrequente rTMS des linken DLPFC antidepressive Effekte besitzt, wobei die Effektgrößen moderat sind [2].
Vergleich von rTMS und Elektrokrampftherapie (EKT)
Vor dem Hintergrund, dass es sich sowohl bei der rTMS als auch bei der EKT im weitesten Sinne um Hirnstimulationsverfahren handelt, wurde zunächst spekuliert, dass die rTMS die EKT in Zukunft möglicherweise ablösen könnte. Diese hohe Erwartung wurde bislang nicht erfüllt, wobei die Behandlungsmodalitäten der rTMS im Vergleich zur EKT, die ein über Jahrzehnte etabliertes Behandlungsverfahren darstellt, methodisch weniger gut entwickelt sind. Die neurobiologischen Untersuchungen zu rTMS und EKT zeigen sowohl Überlappungen als auch Unterschiede. Mehrere Forschergruppen [Tab. 1] haben beide Verfahren direkt verglichen [2]
[6]. Eine dieser Studien ergab, dass eine rTMS über vier Wochen zwar insgesamt weniger wirksam als eine EKT war, jedoch bei nicht-psychotischen depressiven Patienten eine vergleichbare Wirksamkeit zeigte. Diese Arbeitsgruppe konnte ihre Ergebnisse in einer späteren Vergleichsuntersuchung mit verblindeten Ratern replizieren. In einer weiteren randomisierten Studie [6] erhielten 25 depressive Patienten entweder eine rTMS (10 bis 20 Behandlungen, 10 Hz Frequenz, hohe Stimulationsintensität bei 110 % bezogen auf die individuelle motorische Schwelle) oder eine bitemporale EKT (4 bis 12 Behandlungen). In dieser Untersuchung ergaben sich keine signifikanten Unterschiede in den Zielvariablen beider Gruppen. Einschränkend muss allerdings berücksichtigt werden, dass es sich bei diesen randomisierten Untersuchungen nicht um kontrollierte Studien im engeren Sinne handelt.
Mögliche klinisch-praktische Anwendung bei Depressionen
Bislang wurden in Studien insbesondere pharmakotherapieresistente Patienten mit rTMS behandelt, da gerade für diese Patientengruppe der Bedarf an effektiven Therapieverfahren hoch ist. Auf einer Konsensus-Konferenz deutscher TMS-Experten im Mai 2001 wurde die Datenlage zu dieser Indikation jedoch noch nicht als ausreichend für eine Einführung in die allgemeine Behandlungspraxis angesehen. Weitere denkbare Anwendungsgebiete, die ebenfalls noch in klinischen Studien untersucht werden sollten, sind u.a. eine primäre Behandlung mit rTMS, um das Ansprechen auf Antidepressiva zu beschleunigen oder zu verstärken sowie eine Erhaltungstherapie mit rTMS analog dem Konzept der Erhaltungs-EKT. Verglichen mit anderen neuen nicht-pharmakologischen Methoden wie der Schlafphasen-Vorverlagerung, der Vagus-Nerv-Stimulation und der Tiefenstimulation ist die aktuelle Daten- und Evidenzlage zur Anwendung der rTMS bei Depressionen umfangreicher. Um die antidepressive Wirksamkeit der rTMS adäquat nachzuweisen und die Methode weiter zu etablieren, sind größere kontrollierte Studien vergleichbar mit Phase III-Studien in der Entwicklung antidepressiver Pharmaka wünschenswert. Da präklinische Studien auf eine Stimulation des mesolimbischen dopaminergen Systems präfrontale rTMS hinweisen, könnte die Identifizierung und Behandlung von spezifischen Patientensubgruppen mit dopaminergem Defizit zu Behandlungsergebnissen führen, die über die bislang beschriebenen Effekte hinausgehen. Weiterführende Studien anderen psychiatrischen Erkrankungen, z.B. zur Negativsymptomatik bei Schizophrenie erscheinen unter diesem Aspekt lohnend.
Danksagung
Das Forschungsprojekt „Evaluierung der transkraniellen Magnetstimulation bei der Behandlung pharmakotherapieresistenter depressiver Patienten” an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der LMU München sowie die Projekte „Neurobiologische Effekte der transkraniellen Magnetstimulation” und „Die Rolle von Steroiden bei der Wirkung antidepressiver Therapieformen” am Max-Planck-Institut für Psychiatrie wurden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Förderschwerpunktes „Kompetenznetze in der Medizin” gefördert (Depression und Suizidalität; Subprojekte 4.3, 4.5. und 6.5).