Anamnese: Die jetzt 63-jährige
Patientin wurde vor 10 Jahren wegen eines hoch schmerzhaften Herpes
zoster in reduziertem Allgemeinzustand und mit rezidivierenden Tachykardien
stationär aufgenommen. 6 Monate zuvor war eine Radiojod-Therapie
eines autonomen Adenoms durchgeführt worden (Herddosis
von 400 Gy). Das schlechte Allgemeinbefinden und die intermittierenden
Tachykardien waren durchaus durch den Herpes zoster zu erklären.
Befunde: Laborchemisch fand sich allerdings
eine manifeste Hyperthyreose mit erhöhtem freiem T3-Spiegel
(9,4 pg/ml) und T4/TBG-Quotienten (7,3) bei supprimiertem
TSH-Spiegel (0,02 mE/ml). Zum Zeitpunkt der Radiojod-Therapie
hatte lediglich eine Grenzwerthyperthyreose (Gesamt-T4 8,0 µg/dl,
Gesamt-T3 1,4 ng/ml, TSH basal < 0,10
mE/ml) bestanden. Die weitere Diagnostik 6 Monate nach
der Radiojod-Therapie ergab sonographisch, szintigraphisch sowie
serologisch eindeutig den Nachweis einer Immunthyreopathie, wenn
auch Zeichen der endokrinen Orbitopathie fehlten. Insbesondere waren
als serologisches Charakteristikum die Antikörper gegen
den TSH-Rezeptor (TRAK) massiv erhöht, ebenfalls die Antikörper
gegen die Schilddrüsenperoxidase (TPO-AK = mikrosomale
AK).
Verlauf: Die Patientin wurde thyreostatisch
mit Carbimazol über mehr als ein Jahr behandelt. Darunter
bestand eine Euthyreose (freies T3 2,5 pg/ml, normaler
T4/TBG-Quotient von 3,2, TSH basal 3,6 mE/ml).
Im weiteren Verlauf waren die TSH-Rezeptor-Antikörper (TRAK)
nicht mehr nachweisbar, aber weiterhin bestanden positive Titer
für TPO-Antikörper. Etwa 6 Jahre später
wurde erstmals eine subklinische Hypothyreose mit einem leicht erhöhten
TSH-Spiegel von 5,8 mE/ml nachweisbar, und die Patientin
erhielt eine Substitutionstherapie mit 50 µg L-Thyroxin/Tag.
Bei einer aktuellen Kontrolle fanden sich unter dieser Substitutionstherapie
normale Schilddrüsenhormonparameter mit einem basalen TSH-Spiegel von
1,7 mE/ml, lediglich die TPO-Antikörper waren
nachweisbar.
Fazit: Bei der Patientin ist die Kombination
einer Schilddrüsenautonomie sowie einer Immunthyreopathie
als gesichert anzusehen (Marine-Lenhart-Syndrom). Bei demselben
Patienten kann die Kombination einer Schilddrüsenautonomie
mit einer Autoimmunthyreopathie auftreten. Diese seltene Kombination
von Schilddrüsenerkrankungen ist als zufällig
zu werten: 1. ist im Jodmangelgebiet wie
der Bundesrepublik Deutschland bei einer mit steigendem Lebensalter zunehmend
hohen Prävalenz der Schilddrüsenautonomie, eine
Kombination mit einer Autoimmunthyreopathie bei entsprechend genetisch
prädisponierten Personen zu erwarten; 2. erscheint
die Reihenfolge des zeitlichen Auftretens der Autonomie bzw. Autoimmunthyreopathie
von einander unabhängig zu sein und 3. gibt
es keine Hinweis dafür, dass in Folge von Radiojodbehandlungen
der Schilddrüsenautonomie gehäuft Autoimmunthyreopathien
beobachtet werden [1]. Fließende Übergänge
bestehen bezüglich der Ausprägung sowie des klinischen
und serologischen Verlaufes der Autoimmunthyreopathie. Es ist anzunehmen,
dass es in Abhängigkeit des jeweiligen Zytokinmusters intrathyreoidal
zu einem „Shift”, d. h. einer Verschiebung,
der Antikörperproduktion im Krankheitsverlauf kommt und
dass sich somit zunächst eine TSH-Rezeptor-Antikörper
(TRAK) vermittelte Autoimmunhyperthyreose entwickeln kann, die langfristig
durch Überwiegen destruktiver Autoimmunprozesse als Autoimmunthyreoiditis
mit Hypothyreose imponieren kann.
Insgesamt belegt diese Kasuistik die Notwendigkeit einer sehr
genauen differentialdiagnostischen Vorgehensweise bei Patienten mit
Hyperthyreose und illustriert die große Bedeutung langfristiger
Kontrollen der Schilddrüsenfunktion auch nach abgeschlossener
Therapie der Hyperthyreose, um zu jedem Zeitpunkt eine individuelle,
angemessene Therapieentscheidung fällen zu können.