Dtsch Med Wochenschr 2003; 128(11): 568
DOI: 10.1055/s-2003-37851
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DRGs: Diagnosen belohnen, Therapie nicht?

DRG’s: Rewarding diagnostics, what’s about therapy?M. Wehling1
  • 1Institut für Klinische Pharmakologie Mannheim
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eingereicht: 6.2.2003

akzeptiert: 27.2.2003

Publication Date:
13 March 2003 (online)

In unserem Gesundheitssystem sind die Anstrengungen, mit den vorhandenen, begrenzten Ressourcen auszukommen, vielseitig. Der Erfolg dieser Anstrengungen hingegen ist angesichts rasant zunehmender Möglichkeiten in Diagnostik und Therapie wenig evident. Die Normierung von Krankheitskosten auf DRGs, also „diagnosis related groups”, ist ein sicher positiv zu wertender Versuch, Kalkulierbarkeit, Vergleichbarkeit und Transparenz zu fördern.

In der Diskussion um DRGs ist jedoch eine Gefahr offensichtlich wenig abgebildet: Die deutsche Medizin wird diagnoselastiger. Schon jetzt gibt es Strategien, wie viele und welche Diagnosen gestellt werden müssen, um die Remuneration zu optimieren. Es ist eine Binsenweisheit, dass die Intensität der Diagnostik über Inhalt und Ausmaß der Diagnosenliste entscheidet. Der zynische Spruch - es gibt keine gesunden, sondern nur nicht ausreichend untersuchte Patienten - wird unter DRG-Bedingungen zur allgegenwärtigen Realität, denn in der Marktwirtschaft verkauft sich das, was bezahlt wird. Und bezahlt wird im DRG-System eben die Diagnose, nicht die Therapie.

Nun müsste die Diagnoselastigkeit der Medizin hierzulande aber grundsätzlich zum Nachdenken anregen, denn der Patient kommt eigentlich zum Arzt um der Therapie willen, die natürlich eine korrekte Diagnose voraussetzt. Häufig wird aber aus gesicherten Diagnosen keinerlei therapeutische Konsequenz gezogen. Die skandalösen Qualitätsmängel insbesondere der Pharmakotherapie verursachen eine extreme Schieflage: Eine antihypertensive Therapie ist nur bei 6 % der Patienten [1], eine lipidsenkende Therapie zur Sekundärprophylaxe bei KHK bei 4 % [2], eine ACE-Hemmertherapie bei Herzinsuffizienz bei 8 % leitliniengerecht realisiert. In Deutschland könnten Jahr für Jahr von 500000 Todesfällen durch Herzkreislauferkrankungen 100000 verhindert werden. Dies ergibt aneinandergereiht eine Sarglänge von Frankfurt bis Düsseldorf.

Das immer angeführte Argument, bei einer Vollversorgung wäre das System pleite, ist richtig. Eine leitliniengerechte Versorgung bei etwa 30 % der Patienten wäre aber durch Umschichtung, rationale Therapie und vor allem eine rationale, also sparsamere Diagnostik schon jetzt kostenneutral möglich.

Wie aber soll das DRG-System diese skandalöse Versorgungskrise günstig beeinflussen, wenn die Diagnostik zunimmt? Leider ist die Forschung hinsichtlich der Therapieergebnisse in Ländern, die das DRG-System praktizieren, unterentwickelt. Ein überzeugender Beweis einer Therapieoptimierung konnte nicht erbracht werden.

Was in dem jetzt beschlossenen DRG-System zur Kostenberechnung eindeutig fehlt, ist eine Qualitätskontrolle des Therapieergebnisses, zumindest in den Bereichen einfach messbarer und zu beeinflussender Parameter wie Blutdruck und Blutfettwerte. Dies darf nicht im Einzelfall beurteilt werden, sondern im lokalen Kollektiv, damit qualitätsunabhängiges Therapieversagen nicht zu monetären Bestrafungen führt. Da diese Therapien in den Krankenhäusern meist „nur” eingeleitet werden, kann hier oft nur die Qualität der Therapieempfehlung bei Entlassung beurteilt werden. Diese müsste Hand in Hand gehen mit einer Qualitätssicherung der ambulanten Therapie, die dann aber Zielwertvorgaben erfüllen sollte. In dieser Hinsicht sind Disease-Management-Programme sicher zu begrüßen, nur scheint das Ergebnis der Interessenabwägung aller Beteiligten nicht unbedingt zu einem modernen, fortschrittsorientierten Zielkonzept zu führen.

In der jetzigen Form der Vergütungssteuerung fällt die Therapie, vor allem die Pharmakotherapie, wieder zwischen den Stühlen (insbesondere der stationär-ambulanten Schnittstelle) durch; sie macht letztendlich einer umfassenden Diagnostik für die Abrechnungsstatistik Platz, von der der Patient (wieder einmal) nichts hat.

Autorenerklärung: Der Autor erklärt, dass er keine finanziellen Verbindungen mit einer Firma hat, deren Produkt in dem Beitrag eine wichtige Rolle spielt (oder mit einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt).

Literatur

  • 1 Hense H W. Epidemiologie der arteriellen Hypertonie und Implikationen für die Prävention. 10-Jahres-Ergebnisse der MONICA-Studie Augsburg.   Dtsch Med Wochenschr. 2000;  125 1397-1402
  • 2 Klein G, Ruof J, März W, Wollschläger H, Neiss A, Wehling M. Leitlinien zur Lipidsenkung zu wenig beachtet: Ergebnisse einer retrospektiven Analyse an KHK-Patienten.  MMW-Fortschr Med. 2000;  142 667-669

Prof. Dr. M. Wehling

Institut für Klinische Pharmakologie Mannheim

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