Aktuelle Dermatologie 2003; 29(1/2): 58-59
DOI: 10.1055/s-2003-38234
Kongressbericht
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Das 35. Internationale Ascona-Gespräch 2002

35th International Ascona MeetingE.  G.  Jung
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Prof. Dr. E. G. Jung

Maulbeerweg 20 · 69120 Heidelberg

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Publication Date:
27 March 2003 (online)

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    Am 15. Juni 2002 fand auf dem Monte Verita, dem „Berg der Wahrheit”, über Ascona im Schweizerischen Südkanton Tessin das 35. Internationale Ascona-Gespräch statt.

    Diese Gespräche über die therapeutische Arzt-Patient Beziehung wurden unter dem Einfluss von Michael Balint (1896 - 1970) im Jahre 1968 in Ascona durch Boris Luban-Plozza begonnen und seither jeden Frühsommer mit wachsendem Echo durchgeführt. Während die ursprünglichen Balint-Gruppen vor allem die therapeutischen Teams umfassen, hat Boris Luban-Plozza die Ausweitung der Gruppen unter Einbeziehung von Patienten und Studenten erreicht. So kommt, neben einem studentischen Lerneffekt, der Patientenaspekt in der therapeutischen Beziehung auch zu seinem Recht. Neue Dimensionen werden erschließbar. Dieses besondere Lern- und Ausbildungsmodell für Studenten und Ärzte wird Ascona-Modell genannt und ist von der WHO anerkannt worden. Auf dem Monte Verita entstand ein Schulungs- und Weiterentwicklungszentrum von großer Wirkung.

    Nach dem Postulat der WHO ist „Gesundheit nicht nur die Abwesenheit von Krankheit und Gebrechen, sondern umfasst auch das körperliche, geistige und soziale Wohlbefinden”. In den letzten Jahren gibt es Bemühungen, dem auch noch das Postulat des spirituellen Wohlbefindens hinzuzufügen. Die Internationalen Ascona-Gespräche haben sich 34 Jahre lang erfolgreich mit den psychosomatischen und den psychosozialen Aspekten der Beziehungsmedizin beschäftigt. Im Jahre des 35. Jubiläums wurde das Postulat der WHO zum spirituellen Aspekt von Gesundheit aufgegriffen und mit dem Thema: „Die Spiritualität in der Therapie, von der Krankheit zum Sinn des Lebens” Neuland betreten.

    Mehr als 100 Teilnehmer, Theologen, Ärzte, Therapeuten jeglicher Couleur und Studenten fanden zusammen. Kurze Referate im Plenum leiteten die Halbtage ein, worauf die Teilnehmer, in 6 Gruppen aufgeteilt, in den Park gingen, um sich mit dem Thema auseinander zu setzen. Es folgten Berichte aus den Gruppen im Plenum mit abschließender Synopsis. Die Veranstaltung fand teils in Deutsch, teils in Italienisch statt. Die meisten Teilnehmer verstanden die komplementäre Sprache, gelegentlich wurde auch Französisch und Englisch zu Hilfe genommen. Die Organisation lag in den Händen von Rolando Pancaldi, Florian Bihl und Graziano Martignoni, sie war trefflich und unauffällig.

    Der Begriff der Spiritualität erwies sich als schwer fassbar, sperrig und ausgesprochen subjektiv. „Mehr als Religion”, ja deren Voraussetzung in jedem Menschen, so wurde Spiritualität benannt und auch als „religiöse Gefühle”, als ein umspannendes Fluidum, sowie als „alles was lebt in Geist und Natur”.

    In den Gesprächen ist die große Fülle und Weite an individuellen Vorstellungen dazu deutlich geworden und es lag nahe, auf den Versuch einer Vereinheitlichung der Vorstellungen oder gar einer Definition zu verzichten.

    Die subjektiven Vorstellungen der teilnehmenden Therapeuten stand deutlich im Vordergrund, wozu einige Teilnehmer zudem Patienten-Gesichtspunkte aus Phasen eigener Erkrankung mit einbrachten. Spiritualität sei eine Basis, auf welcher die Arzt-Patient Beziehung und jedes therapeutische Gespräch aufzubauen sei. Darauf kam die Diskussion immer wieder zurück. Einig war man sich zudem, dass verfehlte Einschätzung des Gesprächspartners, Überheblichkeit und Voreingenommenheit das anvisierte Ziel gefährden.

    Im Einführungsreferat versuchte Dietrich Ritschl (Heidelberg) unter dem Titel „Was bedeutet Spiritualität?” den Begriff eng zu fassen und an die Religion anzunähern. Mit dem Ausdruck „Frömmigkeit” drückt er diese Nähe aus. Religion, religiöse Gefühle und im weiteren Sinne Spiritualität spielen, ausgehend von den Vereinigten Staaten von Amerika, eine zunehmend große Rolle, auch im Gesundheitsbereich und im Krankenhauswesen. Einer Abnahme der kirchlichen Bindungen der Patienten steht die Zunahme der „religiösen Gefühle” und Erwartungen gegenüber. Demzufolge greifen die Aufgaben der Klinikpfarrer zunehmend in die Bereiche der therapeutischen Allianz über, an welcher die Theologen deshalb vermehrt teilhaben müssen. Nur so können versteckte spirituelle Ressourcen im Patienten geweckt und angesprochen werden.

    Während Art und Bedeutung der Spiritualität in der Therapie noch sehr offen bleiben, ist man sich über das gemeinsame Ziel „Heilung” weitgehend einig. Um Missverständnissen vorzubeugen und falsche, nicht realisierbare Erwartungen gar nicht aufkommen zu lassen, sei viererlei unterschieden:

    • Heilung als Selbstheilung

    • Heilung durch Reparatur

    • Heilung als Defektheilung und Leben lernen mit derselben

    • Heilung ohne Erfüllung, Akzeptieren unserer Endlichkeit.

    Das Referat „Coppia terapeuta-patiente: due filosofie e due stili di vita” von Edmondo Pasini (Milano) zeigte an Beispielen, dass die Spiritualität des Therapeuten und diejenige des Patienten grundsätzliche Unterschiede aufweisen, die sich auch sehr schnell wandeln können. Eine stete Angleichung und Harmonisierung ist gleichsam als verbindender Bogen nötig, um den Zugang zu erleichtern und Brüskierungen zu vermeiden.

    Unter dem Titel „Die inneren Wege der Menschen” stellte Dorothea Wiehmann, Gemeindepfarrerin in Ascona, die Brauchbarkeit dieser Ansätze in ihrer praktischen Tätigkeit in Gemeinde und Krankenhaus vor.

    Konträre Vorstellungen wurden von Jakob Boesch (Basel) dargeboten und argumentiert in seinem Referat „Die spirituelle Kraft in der Arzt-Patienten Beziehung”. Er postuliert, ausgehend von umstrittenen Experimenten zur „Wirkung von Geist auf Materie”, mögliche Methoden geistigen Heilens. Dabei betont er die spirituellen Wechselkräfte in der Therapeut-Patient Beziehung. Nicht ohne Widerspruch hebt er darauf ab, dass der Therapeut in der Regel ein „passiver Empfänger”, der Patient der eigentlich Aktive sei, und dass die Arzt-Patienten-Gespräche nicht vordringlich eine therapeutische Kraft entfalten, sondern auch und besonders die spirituellen Ressourcen des Therapeuten öffnen. Es blieb unbestritten, dass er damit dem Bedarf nach unerklärten, naturwissenschaftlich nicht fassbaren Phänomenen entspricht und auch dem Drang nach neuentstandenen oder aus fernen Ländern und Zeiten beigebrachten, religiösen und geistigen Heilungspraktiken. Es stellt sich wieder einmal die Frage, ob wissenschaftlicher Erklärung und Reproduzierbarkeit Beweiskraft zukommt oder allein der Nachfrage.

    Das 35. Internationale Ascona-Gespräch hat erstmals die „Spiritualität in der Therapie” als mutiges und innovatives Thema gewählt. Es hat sich gezeigt, dass das Ziel der Heilung unter Einbeziehung der Spiritualität in das bio-psycho-soziale Therapiekonzept die Teilnehmer verbindet. Ebenfalls klar wurde, dass der Begriff der Spiritualität kein fester ist und von jedem Teilnehmer anders verstanden wird. Dies mag ein Grund dafür sein, dass innovative Elemente wenig hervortraten.

    Innovativ, stimulierend und erfreulich war zudem die anschließende Preisverleihung der internationalen Balint-Preise 2002 für Medizinstudenten, die von der Stiftung Psychosomatik und Sozialmedizin jährlich in Ascona vergeben werden für qualifizierte und persönlich erlebte Erfahrungen mit Patienten. Dabei sollen Entwicklung und Erlebnischarakter der Student-Patient-Erfahrung ebenso dargestellt werden, wie auch deren wirksame Umsetzung für den Autor selber im Zuge seiner ärztlichen Ausbildung. 43 Bewerbungen sind aus ganz Europa eingegangen. Die 6 Laureaten wurden in der Schweizerischen Ärztezeitung 2002; 83: Nr. 27 auf Seite 1446 publiziert.

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    Maulbeerweg 20 · 69120 Heidelberg

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