Laryngorhinootologie 2003; 82(3): 197-198
DOI: 10.1055/s-2003-38402
Aktuelle Habilitation
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Untersuchungen zur Bedeutung der Inaktivierung des Tumorsuppressorgens p16, Reaktivierung der Telomerase und Mutation von p53 in der Karzinogenese von Kopf-Hals-Karzinomen

Examinations on the Importance of the Inactivation of the Tumor Suppressor Gene p16, Reactivation of the Telomerase and Mutation of p53 in the Pathogenesis of Head and Neck TumorsS.  Koscielny1
  • 1HNO-Klinik der Friedrich-Schiller-Universität Jena
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Publication Date:
02 April 2003 (online)

Wir sind heute noch nicht in der Lage, für Patienten mit Kopf-Hals-Karzinomen eine individuelle Prognose der Tumorerkrankung mit hinreichender Sicherheit zu bestimmen. Patienten erleben trotz ähnlicher Voraussetzungen hinsichtlich der Tumorerkrankung und der allgemein-biologischen Ausgangssituation sehr unterschiedliche Krankheitsverläufe. Wegen der fehlenden prätherapeutischen Differenzierungsmöglichkeiten für die Individualprognose muss sich die Mehrzahl der Patienten einem allgemeinen Therapieschema mit nachfolgenden z. T. erheblichen funktionellen und ästhetischen Störungen unterziehen. Deshalb wird unter anderem durch molekularbiologische Untersuchungen von Kopf-Hals-Tumoren versucht, Faktoren in den Tumorzellen zu finden, die eine genauere Bestimmung der individuellen Prognose der Tumorerkrankung zur individuellen Therapieplanung ermöglichen. Wir wissen, dass die Entstehung einer malignen Tumorzelle das Resultat eines vielschichtigen Prozesses ist. Erst über die Ansammlung vielfältiger unterschiedlicher molekularbiologischer Veränderungen führt ein dynamischer Prozeß zur Entstehung einer malignen Tumorzellpopulation. Neben Mutationen von bestimmten Genen, die zur Tumorentstehung führen, spielen auch damit zusammenhängende Störungen in der Kontrolle des Zellzyklus eine wichtige Rolle. Dabei nimmt der Prozess der Zellalterung eine Schlüsselstellung ein. Dafür wurde folgendes zweistufiges Modell postuliert:

Stufe M1 (Übergang von der G1- zur S-Phase)Hier prüft die Zelle, ob der Defekt des Genoms reparabel ist. Ist eine Reparatur nicht möglich, leiten die Kontrollmechanismen (p53-Protein, pRb) den Alterungsprozess der Zelle und die Apoptose ein. Kann eine Zelle mit verändertem Genom diese „Grenzstation” der Zellkontrolle überwinden, vermehrt sie sich unter stetiger Verkürzung der Telomeren. Stufe M2 Die stetige Verkürzung der Telomeren führt zum Selektionsdruck auf die mutierte Zellpopulation. Es kommt zur Selektion von Zellklonen, welche über Expression der Telomerase die Länge der Telomeren stabilisieren und den Prozess der Verkürzung der Telomeren umgehen können. So werden diese Zellen zur immerwährenden Zellteilung befähigt.

Es wurde die prognostische Bedeutung der molekularbiologischen Faktoren Inaktivierung des Tumorsuppressorgens p16, Reaktivierung der Telomerase und Mutationen des p53-Gens im Vergleich zu bekannten klinischen Prognosefaktoren an einem Kollektiv von 87 Patienten mit Plattenepithelkarzinomen des Pharynx und Larynx untersucht.

Eingeschlossen in die Studie wurden operable Karzinome, die mit einem kurativen Therapieansatz behandelt wurden. Die Plattenepithelkarzinome waren lokalisiert in Mundhöhle (n = 12), Oropharynx (n = 34), Larynx (n = 30) und Hypopharynx (n = 11). Die Nachuntersuchungen erfolgten entsprechend eines Protokolls mit einer minimalen Nachbeobachtungsdauer von 28 Monaten. Zum Studienabschluss lebten noch 56 Patienten. Am Tumorleiden sind 21 Patienten, 2 Patienten an Zweittumoren und 8 Patienten tumorunabhängig verstorben. Für das tumorabhängige Überleben erwiesen sich als signifikante klinische Faktoren das Auftreten eines Lokalrezidives und das extrakapsuläre Wachstum der Lymphknotenmetastasen. Alle anderen bekannten klinischen Faktoren (TNM-Klassifikation, Tumorstadium, Lokalisation, Ausmaß der lymphogenen Metastasierung, Regionalrezidiv) zeigten im untersuchten Kollektiv keine signifikanten Einflüsse.

Die p16-Inaktivierung spielt eine Rolle in der Karzinogenese von Plattenepithelkarzinomen des Larynx, Pharynx und der Mundhöhle. Die Hauptmechanismen der p16-Inaktivierung bildeten die Methylierung der Promotorregion und der Verlust der Heterozygotie (LOH). Punktmutationen stellten ein seltenes Ereignis dar. Eine Inaktivierung von p16 hatte keinen Einfluss auf das tumorabhängige Überleben, die lymphogene Metastasierung des Tumors, Anzahl und Zeit bis zum Lokal- oder Regionalrezidiv. Für Patienten mit einer Inaktivierung von p16 durch Methylierung der Promotorregion fiel die tendenziell geringere Rate an Lokal- und Regionalrezidiven auf.

Die Reaktivierung der Telomerase hat in der Karzinogenese von Plattenepithelkarzinomen des Pharynx und Larynx sowie der Mundhöhle eine erhebliche Bedeutung. Der Nachweis der Telomerase im Tumorgewebe (75 %) und im histologisch tumorfreien Resektionsrand (55 %) zeigte keinen Einfluss auf das tumorabhängige Überleben, die Zeit bis zum Lokalrezidiv sowie die Rate an Lokalrezidiven. Telomerase-positive Tumoren (Tumorgewebe und Resektionsrand) zeigten tendenziell häufiger bei Erstdiagnose Lymphknotenmetastasen. Die Bedeutung des Nachweises der Telomeraseaktivität in über der Hälfte der histologisch tumorfrei befundeten Resektionsränder könnte ein frühes molekularbiologisches Ereignis maligner Veränderungen darstellen. Der Nachweis einer Telomeraseaktivität im Lymphknotengewebe gelang in 90 % der Fälle unabhängig vom metastatischen Befall des Lymphknotens. Diese Telomeraseaktivität interpretieren wir als Folge der stimulierten Lymphozyten innerhalb dieser Lymphknoten.

Eine p53-Mutation beobachteten wir in 35 % der untersuchten Patienten. Das Auftreten einer p53-Mutation hatte keinen Einfluss auf tumorabhängiges Überleben, das Ausmaß der lymphogenen Metastasierung und das loko-regionale Rezidivverhalten.

In der multivariaten Analyse der klinischen und molekularbiologischen Faktoren mit dem Cox-Regressionsmodell fand sich das Auftreten eines Lokalrezidivs als einziger signifikanter Faktor.

Für die klinische Praxis kann aus den vorliegenden Daten geschlussfolgert werden, dass Tumoren mit einer p16-Inaktivierung seltener Rezidive entwickeln. Tumoren mit einer Reaktivierung der Telomerase metastasieren häufiger lymphogen, so dass für solche Tumoren eine Therapie des Lymphabflussweges notwendiger erscheint als für telomerase-negative Tumoren. So könnte anhand dieser molekularbiologischen Faktoren in fraglichen Situationen die Indikation zu einer Neck dissection, adjuvanten Strahlentherapie oder Chemotherapie unterstützt (Telomerase-positiv) oder entkräftet (p16-Inaktivierung) werden.

PD Dr. med. habil. Sven Koscielny, Jahrgang 1962.

Priv.-Doz. Dr. med. Sven Koscielny

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