Harninkontinenz ist definiert als Unfähigkeit, den Harn willkürlich zurückzuhalten.
Sie wird nicht als Krankheit, sondern als Symptom verschiedener Erkrankungen gesehen.
Vor allem bei älteren Patienten tritt eine Harninkontinenz selten isoliert auf. Sie
ist häufig assoziiert mit zerebralen Durchblutungsstörungen, eingeschränkter physischer
Mobilität, rezidivierenden Infekten und chronischen obstruktiven Lungenkrankheiten
[7]. Eine besondere Bedeutung haben auch Stoffwechselerkrankungen wie der Diabetes
mellitus.
Epidemiologie
Epidemiologie
Gemäß aktueller Daten haben 20-35 % der über 40-Jährigen eine Urininkontinenz [1]
[11]. Die epidemiologischen Daten hängen von Untersuchungsmethoden, verwendeter Definition
und Patientenalter ab. Bei zu Hause lebenden Frauen im Alter zwischen 45 und 64
Jahren liegt die Prävalenz der Urininkontinenz bei 8-15 %, bei den über 65-Jährigen
bei 10-20 % (Abb. [1]) [6]. Bei Pflegebedürftigen ist die Prävalenz deutlich höher: Bei den akut Pflegebedürftigen
zu Hause sind es bis zu 35 %, im Krankenhaus ca. 30-35 % und in Pflegeheimen ca.
70 % [6].
Abb. 1 Häufigkeit und Altersabhängigkeit der Harninkontinenz.
Die Altersabhängigkeit der Inkontinenz hat bei unserer derzeitigen Bevölkerungsentwicklung
enorme Bedeutung, auch unter dem Aspekt der Multimorbidität (Tab. [1]). Die Prävalenz ist bei Frauen höher als bei Männern. Darüber hinaus zeigen viele
ältere Patienten zwar keine Harninkontinenz, haben aber bereits andere irritative
oder obstruktive Blasensymptome, die bei Verschlechterung einer vorliegenden Grunderkrankung
oft dekompensieren [8]. Hinzu kommt die ausgeprägte Tabuisierung der Erkrankung bei den Betroffenen. Eine
Untersuchung in allgemeinmedizinischen Praxen ergab, dass über 40 % der Patienten
vorhandene Symptome einer Inkontinenz nicht mitteilten. Inkontinenz ist nicht nur
ein klinisches und hygienisches, sondern auch ein ökonomisches Problem.
Tab. 1 Erkrankungen und Zustände, die Inkontinenz fördern können.
<TD VALIGN="TOP">
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Höheres Lebensalter
-
M. Parkinson, Multiple Sklerose, Querschnittslähmung
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Zerebrovaskuläre Erkrankungen, Schlaganfall
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Diabetes mellitus
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Adipositas, Bindegewebserkrankungen
-
Multiparität, Geburtsfolgen, Voroperationen im Beckenbereich
-
Östrogenmangel
-
Bestrahlung
-
Benigne Prostatahyperplasie, Blasensteine, Tumoren
</TD>
Pathogenese
Pathogenese
Die Harnblase soll den kontinuierlich anfallenden Urin speichern, so dass eine Entleerung
größerer Portionen in Abständen möglich ist. Die klassischen Eigenschaften der glatten
Detrusormuskulatur ermöglichen dabei eine Akkomodation unterschiedlicher Füllungsvolumina,
ohne dass eine wesentliche Erhöhung des Blaseninnendruckes auftritt. Dabei wird in
der Speicherphase durch den Sympathikus die Motorik des Detrusors inhibiert (β-Rezeptoren),
gleichzeitig der glatt muskuläre Sphinkter als Verschlussapparat tonisiert (α-Rezeptoren).
Der Dehnungsreiz wird über die vegetativen Nerven im Hirn weitergeleitet und als
Harndrang bewusst wahrgenommen. Die Steuerung der Füllungsphase und der Entleerungsphase
erfolgt durch verschiedene Hirnareale (Abb. [2]). Die unterschiedlichen Bereiche koordinieren die muskuläre Tonuserhöhung im Beckenboden
mit steigendem Blasenvolumen, sowie die Unterdrückung von Detrusorkontraktionen während
der Speicherphase. Nur wenn hemmende und aktivierende Impulse transmittervermittelt
zwischen Blase und Verschlussorgan synchronisiert gesteuert sind, ist man kontinent
(Abb. [3]) [3]
[10]. Bei einer Inkontinenz ist dieses System gestört. Vier Mechanismen können alleine
oder in Kombination zu Harninkontinenz führen:
-
nervale Steuerungsdefekte (z. B. Schlaganfall, Diabetes)
-
lokale Veränderungen (Prostatahyperplasie, Uterus myomatosus)
-
Koordinationsstörungen des Miktionsablaufs (Multiple Sklerose)
-
iatrogene Einflüsse auf die Miktion (Multimedikation)
Abb. 2 Steuerungszentren des Miktionsablaufes.
Prädisponierend wirken altersphysiologische Veränderungen wie die Reduktion der Blasenkapazität,
häufigerer Harndrang und ungewollte Detrusorkontraktion durch degenerative Veränderungen
der Harnblase. Auch Umgebungseinflüsse spielen eine Rolle.
Abb. 3 Nervale Steuerung des Miktionsablaufes.
Die Klassifikation der International Continence Society (ICS) unterscheidet insgesamt
fünf Hauptformen. Wegen der Häufigkeitsverteilung wird nur auf die ersten vier näher
eingegangen (Urinary Incontinence Guideline 1992).
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kurzgefasst: Harninkontinenz ist ein Symptom, das mit zahlreichen Erkrankungen assoziiert ist
und häufiger bei Frauen sowie gehäuft im höheren Lebensalter auftritt. Ca. 4 Millionen
Menschen in Deutschland sind betroffen. Unterschieden werden Stress-, Urge-, Reflex-,
Überlauf- und extraurethrale Inkontinenz.
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Formen und Ursachen der Harninkontinenz
Formen und Ursachen der Harninkontinenz
Stressinkontinenz
Wenn beim Lachen, Husten oder Niesen Harn abgeht, ohne dass Harndrang besteht, spricht
man von Stress- oder Belastungsinkontinenz. Sie tritt auf, wenn der Druck im Bauchraum
(und damit auch in der Blase) den Druck des Blasenverschlussmechanismus übersteigt.
Die Diagnose darf rein theoretisch nur gestellt werden, wenn unwillkürliche Detrusorkontraktionen
urodynamisch ausgeschlossen wurden. Eine erschlaffte Beckenbodenmuskulatur ist häufig
für den Harnverlust verantwortlich [9]. Ist diese durch Geburten, Operationen oder Alter geschwächt, kann sie dem plötzlichen
Druck nicht mehr standhalten. Schwere körperliche Arbeit, Fettleibigkeit, anlagebedingte
Bindegewebsschwäche, chronische Verstopfung verbunden mit starkem Pressen sowie ein
Östrogenmangel jenseits der Wechseljahre können dieses Symptom verstärken (Tab. [2]). Von der Stressinkontinenz sind aufgrund der anatomischen Gegebenheiten fast ausschließlich
Frauen betroffen.
Tab. 2 Zustände, die vorübergehend zu Inkontinenz führen können.
<TD VALIGN="TOP">
Obstipation, Husten
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<TD VALIGN="TOP">
Psychiatrische Erkrankungen, Delir
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Medikamente
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Schwere Allgemeinerkrankungen, Bettlägerigkeit
</TD>
Der Verschlussmechanismus kann auch durch Veränderungen von Harnröhre oder Blasenhals
gestört sein. Fibrosierungen nach Operation, Entzündung oder Bestrahlung führen zur
Harnröhrenhypotonie. Bindegewebsschwäche und Östrogenmangel wirken sich ebenfalls
auf Funktion und Morphologie der Harnröhre aus. Auch neurogene Störungen (Schädigung
des N. pudendus) können die Schließmuskelfunktion der Harnröhre beeinflussen. In diesen
Fällen, jedoch v.a. nach transurethraler Prostataresektion sind auch Männer betroffen.
Urge-(Drang)inkontinenz
Die Dranginkontinenz ist die häufigste Form der Inkontinenz im Alter [10]. Die Blasenmuskulatur zieht sich unwillkürlich zusammen, so dass Harn austritt.
Der Betroffene erreicht die Toilette oft nicht früh genug. Begleitend tritt häufig
eine Nykturie auf. Bei der motorischen Form ist der Detrusormuskel hyperaktiv. Liegt
eine neurogene Ursache vor, dann spricht man von Detrusorhyperreflexie. Jede Form zentralnervöser und spinaler Erkrankungen kann zu einem Defizit der zentralnervösen
Hemmung des Miktionsreflexes führen. Die genaue Lokalisation der dabei degenerierten
neuronalen Strukturen ist noch weitgehend unbekannt [2]. Es sind jedoch zahlreiche Strukturen an der Hemmung des Miktionsvorganges beteiligt.
Die Wahrnehmung für die gefüllte Blase ist gestört, und es kommt erst bei irreversiblem
Beginn der Detrusorkontraktion zu einem Gefühl des Harndrangs. Auch Medikamente kommen
als Ursache in Frage [12]. Bei Störungen auf Rückenmarkebene oberhalb des Sakralmarkes kommt es zu einer Störung
der Koordination von Sphinkter und Detrusor. Eine Dranginkontinenz tritt dann bereits
bei gering gefüllter Blase auf. Bei nicht neurogener Ursache spricht man von Detrusorinstabilität (instabile Blase). Auslöser sind ungehemmte Nervenimpulse im Bereich des Miktionsreflexbogens,
die durch verschiedene Erkrankungen verursacht werden können, wie z. B. Blasenentzündung,
Tumoren, Bestrahlung, Blasensteine oder degenerative Erkrankungen [5]. Eine leichtere Form der Dranginkontinenz ist die so genannte Reizblase bzw. instabile
Blase. Sie zeichnet sich durch imperativen Harndrang ohne Einnässen aus.
Reflexinkontinenz
Die Reflexinkontinenz entsteht durch eine Unterbrechung der Nervensteuerung, bei der
das Rückenmark oberhalb des Sakralmarkes oder das Gehirn betroffen ist (z.B. durch
Querschnittslähmung, Multiple Sklerose). Sie wird als „Urinverlust durch Detrusorhyperreflexie
und/oder unfreiwillige Relaxation des Blasenhalses bei Abwesenheit einer Empfindung”
definiert. Durch den Verlust der willentlichen Kontrolle über das Blasenzentrum verhält
sich die Blase wie bei einem Säugling reflektorisch. Als Komplikation können hohe
intravesikale Drücke auftreten. Diese können zu sekundärem Reflux mit Dilatation des
oberen Harntraktes und ggf. zur Niereninsuffizienz führen.
Dysurie
Unter dem Begriff Dysurie werden alle Formen des erschwerten Wasserlassens zusammengefasst. Hierzu zählen der abgeschwächte
Harnstrahl, der verzögerte Miktionsbeginn, unterbrochene Miktion, Harnnachträufeln,
Algurie und jede Art von Sensationen im Bereich von Blase, Blasenhals und Harnröhre.
Die Dysurie kann auf mechanischen oder funktionellen Widerstandserhöhungen beruhen.
Auch eine Detrusorstörung kann Ursache für eine Dysurie sein.
Überlaufinkontinenz
Bei der Überlaufinkontinenz ist häufig der Urinabfluss bei intaktem Blasenverschlussmechanismus
behindert. Dadurch ist die Blase ständig überfüllt und presst unkontrolliert kleine
Urinmengen ab (Harnträufeln). Ursachen können eine Vergrößerung der Prostata, Blasensteine,
Harnröhrenstenosen oder Tumoren sein. Diese Form der Inkontinenz betrifft vor allem
ältere Männer. Seltener kommt auch eine Detrusorhypoaktivität oder eine Überaktivität
des Sphinkters als Ursache in Frage. Diese kann ihre Ursache in einem Diabetes mellitus,
aber auch vielen anderen neurogenen Störungen haben (neurogene Blase). Eine solche
atone Blase manifestiert sich oft oligosymptomatisch, z.B. durch sich ändernde Miktionsintervalle,
Schwäche des Harnstrahls, dem Gefühl unvollständiger Blasenentleerung und sehr spät
erst durch rezidivierende Infekte. Diese Form der Blasenfunktionsstörung wird deshalb
häufig nicht erkannt [4].
Extraurethrale Inkontinenz
Die extraurethrale Inkontinenz kommt durch eine angeborene Fehlbildung oder erworbene
Fistelbildungen der Harnwege zustande. Urin aus der Harnblase geht nicht über die
Harnröhre ab.
Gemischte Inkontinenz
Der Begriff „gemischte Inkontinenz“ wird v.a. für das gleichzeitige Auftreten von
Stress- und Dranginkontinenz verwendet. Die Häufigkeit ist nach wie vor unklar. Schätzungen gehen jedoch von ca.
30 % aller Inkontinenzformen aus. Eine eindeutige Zuordnung eines Beschwerdebildes
nach der ICS-Klassifikation kann schwierig sein, da aufgrund der Komorbidität und
Ursachenkomplexe sowie der Symptomschilderung viele Kombinationen von Inkontinenzformen
in Frage kommen können. Die Treffsicherheit der klinischen Diagnose ist in diesen
Fällen oft schlecht, da z. B. eine Dranginkontinenz durch Husten und Pressen getriggert
und somit verstärkt werden kann, in der Symptomatik jedoch als Stressinkontinenz imponiert.
Auch die Übergänge zwischen Drang- und Überlaufinkontinenz können fließend sein. Deshalb werden vor Beginn einer spezifischen Therapie zunehmend
weitergehende Untersuchungen gefordert. Sie sind jedoch nur dann indiziert, wenn ein
Therapieversuch keinen ausreichenden Erfolg gezeigt hat.
Schweregrade der Inkontinenz
Im Laufe der letzten Jahre wurden zahlreiche Schweregradeinteilungen entworfen. Es
existiert keine allgemein gültige Einteilung. Es wird empfohlen, eine Inkontinenz
nach der Häufigkeit und Menge ungewollter Miktionen zu beurteilen (z. B. Wiegen der
Vorlagen).
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kurzgefasst: Eine Stressinkontinenz hat häufig ihre Ursache in einer erschlafften Beckenbodenmuskulatur
und äußert sich durch Urinverlust beim Husten oder Pressen. Bei der Urge-(Drang)inkontinenz
erreichen die Patienten wegen unkontrollierter Detrusorkontraktionen die Toilette
nicht schnell genug. Eine Überlaufinkontinenz verläuft häufig oligosymptomatisch,
Ursache ist häufig ein Prostataleiden.
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Diagnostik der Harninkontinenz
Diagnostik der Harninkontinenz
Die differentialdiagnostische Abklärung einer Harninkontinenz erfolgt im Rahmen einer
individuell angepassten Stufendiagnostik. Zu der einfach durchführbaren Basisdiagnostik
gehören gezielte Anamneseerhebung, ggf. mit Miktionsprotokoll, klinische Untersuchung,
Urinanalyse und Sonographie. Mit diesen Mitteln lässt sich häufig bereits ein Therapiekonzept
erstellen. Ist keine eindeutige Zuordnung zu einer Inkontinenzform möglich, ist eine
weiterführende ggf. auch invasive Diagnostik, wie die Urodynamik, notwendig.
Basisdiagnostik
In jeder Anamnese sollte bei entsprechendem Risikoprofil die gezielte Frage nach einer Inkontinenz
nicht fehlen, da viele Patienten sich scheuen, diese selbst anzusprechen. Neurologische
Vorerkrankungen, Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus können kausal oder
als Kofaktor das Krankheitsbild beeinflussen. Nach Medikamenten, welche die Blasenfunktion
beeinflussen, ist zu forschen (Tab. [3]). Ein standardisierter Fragebogen kann bei der Anamneseerhebung hilfreich sein.
Auch ist ein Miktionsprotokoll, in dem Häufigkeit und Menge dokumentiert sind, über
mehrere Tage sinnvoll. Es dient zur Objektivierung der Inkontinenz und als Grundlage
für einen späteren Therapieansatz [13]. Neben der allgemeinen körperlichen Untersuchung ist auch ein neurologischer Status und ggf. eine gynäkologische oder urologische Untersuchung notwendig. In der Urinuntersuchung wird ein möglicherweise vorhandener Infekt, der die Symptomatik auslösen oder verstärken
kann, nachgewiesen. Isolierte Mikrohämaturien müssen immer umgehend urologisch abgeklärt
werden. Sonographisch lässt sich neben der Suche nach morphologischen Veränderungen des unteren Harntraktes
eine Restharnbestimmung durchführen.
Tab. 3 Medikamente, die Inkontinenz auslösen / verstärken können.
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Diuretika
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Über eine zu schnelle oder tageszeitlich gestörte Blasenfüllung, aber auch über
tageszeitlich geänderte Unrinkonzentrationen kann eine Inkontinenz ausgelöst werden.
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<TD VALIGN="TOP">
Anticholinergika
</TD><TD VALIGN="TOP">
Die Detrusorkontraktion kann geschwächt werden.
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Sedativa
</TD><TD VALIGN="TOP">
Störungen für das Empfinden der Blasenfüllung können auftreten, ebenso Koordinationsstörungen
oder Verwirrtheitszustände.
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Narkotika
</TD><TD VALIGN="TOP">
Die Detrusorkontraktion kann geschwächt werden.
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
α- Rezeptor-Agonisten
</TD><TD VALIGN="TOP">
können den Sphinkter-Tonus erhöhen
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
α-Rezeptor Antagonisten
</TD><TD VALIGN="TOP">
können den Sphinkter-Tonus senken
</TD>
Lässt sich mit dieser Basisdiagnostik eine erste Diagnose bezüglich der Inkontinenzform
stellen, ist ein Therapieversuch ohne weitergehende invasive Diagnostik, insbesondere
bei älteren, oft multimorbiden Patienten, gerechtfertigt. Unklare Befunde oder das
Versagen der medikamentösen Therapie nach ca. 4 Wochen müssen Anlass zu weiteren Untersuchungen
geben.
Urodynamische Diagnostik
Zur weiteren Differenzierung der Inkontinenz stehen verschiedene urodynamische Methoden
zur Verfügung. Die Uroflowmetrie (Harnflussmessung) misst den Harnfluss pro Zeiteinheit. Der Patient entleert dabei
die Harnblase in einen Messtrichter. Es handelt sich um eine nicht-invasive Screening-Untersuchung,
d. h. sie erfasst einen pathologischen Miktionsverlauf ohne die Möglichkeit einer
weiteren Differenzierung. Die Zystometrie wird einerseits als Füllungszystometrie während der Harnspeicherphase und als Miktionszystometrie
während der Entleerung der Blase durchgeführt. Über einen Messkatheter wird die Blase
gefüllt, dabei werden Detrusorkontraktionen, Kapazität, Füllungsgefühl und die Compliance
unter Durchführung von Provokationsmanövern bestimmt. Im Anschluss an die Füllung
kann in Kombination mit einer Uroflowmetrie eine Druck-Fluss-Messung während der Miktionsphase
durchgeführt werden. Die Indikation für eine Füllungszystometrie besteht bei einem
Verdacht auf Detrusorinstabilität und einer neurogenen Blasenfunktionsstörung. Die
Funktion des Harnröhrenverschlussmechanismus kann mit der Urethradruckprofil-Messung in Ruhe und als Stressprofil überprüft werden. Dabei wird ein in der gefüllten Blase
platzierter Messkatheter mit einem externen Rückzuggerät mit konstanter Geschwindigkeit
zurückgezogen. So können u. a. der maximale Harnröhrenverschlussdruck und der „leak
point pressure” (Druck, bei dem es zu Inkontinenz kommt) bestimmt werden. In Kombination
mit der Zystometrie besteht die Indikation z. B. in der differentialdiagnostischen
Klärung einer Stressinkontinenzsymptomatik.
Bei jeder dieser Untersuchungen kann zusätzlich eine Elektromyographie des Beckenbodens durchgeführt werden, um die Aktivität des externen Sphinkters und eine mögliche Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie
zu beurteilen. Außerdem besteht die Möglichkeit einer simultanen Röntgenkontrolle
in der Videourodynamik. Dabei wird die Blase mit einer kontrastmittelhaltigen Flüssigkeit gefüllt. Morphologische
Veränderungen können so gleichzeitig beurteilt werden. Detrusor-Sphinkter- oder Beckenboden-Dyssynergien
können exakter differenziert werden.
Die Indikation der Untersuchungsmethoden ist abhängig von den klinischen Befunden
und der Zielsetzung. Vor einer Kontinenzoperation besteht eine zwingende Indikation
zur genauen Abklärung, um ein optimales Resultat zu gewährleisten. Auch in der Verlaufskontrolle
postoperativ oder unter medikamentöser Therapie ist eine urodynamische Evaluation
hilfreich. Bei älteren multimorbiden Patienten ohne Hinweis für eine andere organische
Erkrankung des Urogenitaltraktes (z. B. Tumor, Stein) ist die Indikation hinsichtlich
der Konsequenzen zu überprüfen.
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kurzgefasst: Die Diagnostik der Inkontinenz stützt sich auf Anamnese und klinischen Befund (internistisch,
neurologisch, urologisch/gynäkologisch). Urodynamische Untersuchungen sind erst
nötig, wenn eine probatorische Therapie nicht erfolgreich ist oder Operationen am
Kontinenzapparat geplant sind.
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Autorenerklärung: Die Autoren erklären, dass sie keine finanziellen Verbindungen mit einer Firma haben,
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ein Konkurrenzprodukt vertreibt).