Ab der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehrten sich Berichte über Patienten mit
im Vordergrund der Symptomatik stehenden Atrophien und Paresen der Skelettmuskulatur.
Die Genese eines Muskelschwunds wurde zunächst in Veränderungen der motorischen Vorderhornzellen
vermutet und die Erkrankung(en) als „progressive Muskelatrophie(n)” bezeichnet.
In den folgenden Jahrzehnten wurde immer offensichtlicher, dass von neurogenen Muskelatrophien
Erkrankungen abzugrenzen sind, die auf einer primär myopathischen Ursache beruhen.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnten verschiedene Myopathien beschrieben
werden, die zunächst nach ihrem Erstbeschreiber (z.B. Duchenne-Muskeldystrophie),
nach dem jeweiligen Phänotyp (z.B. fazioskapulohumerale Muskeldystrophie), anhand
des Erkrankungsbeginns (z.B. späte juvenile Muskeldystrophie) und/oder einer Kombination
aus mehreren der genannten Kriterien (z.B. juvenile skapulohumerale Muskeldystrophie
Erb) benannt wurden. Der Begriff „progressive Muskeldystrophie” wurde ab 1884 von
Wilhelm Erb eingeführt [1]. Erb wollte damit bei dieser Erkrankungsgruppe - im Unterschied zu den Muskelatrophien
- auf das klinische und histopathologische Nebeneinander von Hypertrophie und Atrophie
sowie auf weitere myopathologische Veränderungen wie Kernvermehrung, Spaltbildung
und Vakatwucherung des endomysialen Binde- und Fettgewebes hinweisen [Abb. 1], ohne damit eine sichere primär myogene Ursache postulieren zu wollen.
Die erste allgemein akzeptierte und für lange Zeit gültige Klassifikation von Myopathien
lieferten Mitte der 50er-Jahre Walton und Natrass [8]. Diese stellten den bis dahin bekannten Muskeldystrophien auf derselben Hierarchieebene
u.a. verschiedene, ebenfalls hereditäre und durch besondere klinische Phänomene charakterisierte
Myotonien (z.B. Dystrophia myotonica) sowie einige erworbene Muskelkrankheiten (z.B.
thyreotoxische Myopathie) gegenüber.
Fortschritte in der biochemischen Diagnostik ermöglichten ab der zweiten Hälfte des
20. Jahrhunderts die Identifizierung verschiedener Myopathien, die auf Defekte von
Glykogen-, Glukose- und Lipidstoffwechsel beruhen und als metabolische Myopathien
bezeichnet wurden. Die jeweiligen Krankheitsentitäten wurden - teilweise auch synonym
- nach dem zugrunde liegenden Enzymdefekt (z.B. Myophosphorylase-Mangel), nach dem
Erstbeschreiber (z.B. McArdle-Erkrankung) oder numerisch in der Reihenfolge ihrer
Entdeckung (z.B. Glykogenose Typ V) benannt.
Neue Möglichkeiten der myohistologischen Aufarbeitung und Untersuchung führten ebenso
seit den 1950er-Jahren zu Beschreibungen von früh beginnenden Muskelerkrankungen mit
vergleichbarem Phänotyp und jeweils charakteristischen, namensgebenden Strukturveränderungen
(z.B. Central core-Myopathie, [Abb. 2]), die in der Folge als kongenitale Myopathien zusammengefasst und als Krankheitsgruppe
von den Muskeldystrophien abgegrenzt wurden.
Hinsichtlich erworbener Muskel-erkrankungen gelang der Nachweis, dass entzündliche
Veränderungen in der Muskulatur Ausdruck unterschiedlicher Erkrankungen und Pathomechanismen
sein können, die zur Gruppe der Myositiden oder Muskelentzündungen zusammmengefasst
wurden.
Seit Anfang der 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts konnten verschiedene Erkrankungen
auf eine mitochondriale Genese zurückgeführt werden. Klinisch können sich derartige
Mitochondriopathien u.a. als Myopathien und Enzephalomyopathien wie auch in Form von
Multisystem-erkrankungen präsentieren. Im Jahre 1988 gelang der Nachweis pathogener
Veränderungen des mitochondrialen Genoms und eröffnete neue Möglichkeiten der Diagnostik
[3]. Mitochondriale Erkrankungen erhielten ihre Namen entweder nach der im Vordergrund
stehenden Symptomatik (z.B. chronisch-progressive externe Ophthalmoplegie), nach dem
Erstbeschreiber (z.B. Leigh-Syndrom) oder werden mit einem Akronym bezeichnet (z.B.
MELAS- Syndrom). Das zunehmende Verständnis hormoneller Veränderungen sowie die immer
exakteren Möglichkeiten der klinisch-chemischen Labordiagnostik zeigten, dass die
Skelettmuskulatur über die bekannten Schilddrüsenerkrankungen hinaus auch durch andere
endokrine Veränderungen geschädigt werden kann.
Die generelle Erweiterung des pharmakologisch-therapeutischen Spektrums in der Medizin
führte zu der Erkenntnis, dass viele Medikamente neben ihrer erwünschten spezifischen
Wirkung mit unterschiedlichen Pathomechanismen zu einer Vielzahl medikamentös-toxischer
Myopathien führen können.
Die Identifikation des Strukturproteins Dystrophin als Ursache einer Muskeldystrophie
im Jahre 1987 [2] stellte einen Meilenstein in der Myologie und zugleich einen Wendepunkt in der bis
dahin üblichen Nomenklatur und Klassifikation von Myopathien dar. Mit dieser bahnbrechenden
Entdeckung war es erstmals möglich, einer Muskelkrankheit das mutierte Genprodukt
zuzuordnen. In den folgenden anderthalb Jahrzehnten gelang dies für eine große Zahl
hereditärer Myopathien, wobei unterschiedliche zelluläre Bestandteile (z.B. Sarkolemm,
Kernmembran, Myofibrillen, Intermediärfilamente, Extrazellulärmatrix) betroffen sein
können [Abb. 3]. Bei vielen anderen Muskelerkrankungen ist bisher lediglich der Genort bekannt.
Die Konsequenzen für die Bezeichnung von hereditären Muskelkrankheiten sind erheblich.
Aktuell befinden wir uns in einer noch nicht abgeschlossenen Phase, in der man vielfach
dazu über geht, Myopathien nach dem jeweils zugrunde liegenden Protein- bzw. Gendefekt
zu benennen, wobei aktuell die herkömmliche und die „moderne” Bezeichnung häufig noch
synonym verwendet werden [6]. Da einerseits phänotypisch sehr ähnliche Myopathien auf völlig verschiedenen Proteindefekten
beruhen können und andererseits verschiedene Mutationen im selben Gen und sogar ein
und dieselbe Mutation zu völlig unterschiedlichen klinischen Syndromen führen können,
wird dies auch Auswirkungen auf die Klassifikation von Myopathien haben. Diesbezüglich
ist anzunehmen, dass die bisherige Praxis des Zusammenfassens von Muskelerkrankungen
nach klinischen, pathologischen, elektromyographischen bzw. biochemischen Kriterien
[4] ebenfalls einer an der Lokalisation bzw. Funktion der jeweils mutierten Proteine
orientierten Ordnung weichen wird [5].
Die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebenden ([Tabellen 1], [Tab. 2], [Tab. 3], [Tab. 4], [Tab. 5], [Tab. 6]) stellen den Versuch eines Kompromisses dar, Elemente einer traditionellen Unterteilung/Klassifikation
mit - soweit möglich - an den pathophysiologischen Grundlagen orientierten Krankheitsbezeichnungen
zu verbinden.
Die große Vielfalt von ganz unterschiedlichen Myopathien macht deutlich, dass eine
moderne Diagnostik von Patienten mit offensichtlichen Muskelerkrankungen nicht nur
auf die Elektrophysiologie, CK-Bestimmung und herkömmliche histologische Untersuchung
beschränkt sein kann, sondern ein umfassendes Repertoire an immunhistochemischen,
biochemischen und molekularbiologischen Methoden erfordert [7]
[9].