Anamnese
Ein 62-jähriger adipöser Rentner stellte sich
in der Notfallambulanz des Krankenhauses vor. Er berichtete über
eine Schwellung des linken Beines mit Spannungsschmerzen, die einige
Tage zuvor erstmals aufgefallen war und jetzt zugenommen hatte.
Eine arterielle Hypertonie und ein nicht insulinpflichtiger Diabetes
mellitus waren bekannt. Etwa eine Woche zuvor war der Patient mit
einem Reisebus von Spanien nach Deutschland unterwegs gewesen. Während der
Reise waren keine gesundheitlichen Probleme aufgetreten. Atembeschwerden,
auch unter Belastung, wurden ebenso verneint wie thorakale Schmerzsensationen.
Untersuchungsbefund
Der Patient war 174 cm groß, wog 96 kg und
war kardiopulmonal kompensiert. RR 180/90 mmHg, Herzfrequenz
76/min, kapillärer Astrup ohne Sauerstoffgabe
ausgeglichen (pO2 83 mmHg, pCO2 38 mmHg,
pH 7,41, Standardbikarbonat 22 mmol/l). Das linke Bein
war im Seitenvergleich auf Höhe der mittleren Wade um 4 cm
und auf Höhe des mittleren Oberschenkels um 2 cm
umfangsvermehrt. Am Unterschenkel fand sich ein eindrückbares Ödem,
die Wade war bei manuellem Druck verhärtet. Das Abtasten
entlang der medialen Tibikante und des medialen Oberschenkels wurde
als schmerzhaft empfunden. Als Hinweis auf eine chronisch venöse
Insuffizienz fanden sich an beiden Innenknöcheln fleckige
bräunliche Pigmentierungen sowie an den Ober- und Unterschenkeln
beidseits zahlreiche Seitastvarizen und eine Erweiterung der paraplantaren
Venen (Corona phlebectatica paraplantaris). Ein D-Dimer Test ergab
einen Wert von 0,9 mg/l (Norm < 0,2 mg/l).
Duplexsonographisch waren links die tiefen Beinvenen thrombotisch
verlegt. Die Thrombose erstreckte sich von den dorsalen Unterschenkelvenengruppen
(Venae tibiales posteriores und Venae fibulares) über die
doppelt angelegte Vena poplitea bis zur Mündung der Vena
femoralis superficialis in die Vena femoralis communis. Die Vena
femoralis communis, die Mündung der Vena profunda femoris und
die distal einsehbare, normal atemvariabele Vena iliaca externa waren
ebenso frei wie die Mündung der Vena saphena magna und die
Venae tibiales anteriores des Unterschenkels. Die Echogenität der
Thrombusmasse war inhomogen, in den größeren Venen
waren echoreiche Binnenstrukturen zu erkennen.
Therapie und Verlauf
Das Bein wurde mit elastischen Langzugbinden bis zur Leiste komprimiert,
die Frau des Patienten hierzu angeleitet. Direkt nach Diagnosestellung
wurde dem Patienten der erste gewichtsadaptierte Bolus eines niedermolekularen
Heparins injiziert. Patient und Ehefrau wurden in die korrekte Injektionstechnik
eingewiesen. In Abstimmung mit dem Hausarzt wurde vereinbart:
-
körperliche Schonung
mit Hochlagerung des Beines,
-
zweimal tägliche Injektionen mit niedermolekularem
Heparin unter Thrombozytenkontrolle,
-
überlappend Einstellung auf orale Antikoagulation
(Ziel INR 2-3),
-
Fortführung der Kompressionstherapie sowie
-
duplexsonographische Untersuchung in 1, 4 und 12 Wochen.
Der Patient wurde auf Symptome einer Lungenembolie hingewiesen und
für diesen Fall zur sofortigen Inanspruchnahme ärztlicher
Hilfe angehalten. Bei der ersten Nachuntersuchung war das Bein nicht mehr ödematös
oder umfangsvermehrt, es wurde ein unterschenkellanger Kompressionsstrumpf
der Klasse II verordnet. Der Patient hatte keine Spontanbeschwerden
mehr. Er war inzwischen mit Phenprocoumon auf einen INR-Wert von
2,8 eingestellt. Neue Beschwerden, z.B. Hinweise auf eine Lungenembolie,
waren nicht aufgetreten. Duplexsonographisch war die Vena femoralis
teilrekanalisiert. Die Teilrekanalisation setzte sich bis zur letzten
Untersuchung 6 Monate nach dem Ereignis in die Poplitealvenen und
die Venae tibiales posteriores fort. Die Antikoagulation wurde abgesetzt
und empfohlen, die Kompressionstherapie für mindestens
2 Jahre fortzuführen und bei absehbarer längerer
Immobilisation (z.B. Reise ≥ 4 Stunden) eine Einmalprophylaxe mit
niedermolekularem Heparin durchzuführen.
Fazit
Eine tiefe Beinvenenthrombose wird durch Risikofaktoren wie (in
diesem Fall) längere Immobilisation in sitzender Körperhaltung
(Busreise), chronische venöse Insuffizienz, Adipositas und höheres Lebensalter begünstigt.
Methode der Wahl zur Diagnosesicherung ist die Duplexsonographie,
Therapie der Wahl die initiale Behandlung mit niedermolekularem
Heparin subkutan und die anschließende, meist zeitlich
begrenzte orale Antikoagulation (INR 2-3). Diese Therapie
kann unter bestimmten Voraussetzungen ambulant erfolgen.