Der Klinikarzt 2003; 32(4): 113-118
DOI: 10.1055/s-2003-39217
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Funktionelle Allergologie - Warum und wann exazerbieren allergische Symptome?

Functional Approach of Allergy - Why and When do Allergic Symptoms Exacerbate?H.W. Baenkler1
  • 1Medizinische Klinik III mit Poliklinik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (Direktor: Prof. Dr. Dr. h.c. J.R. Kalden)
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Anschrift des Verfassers

Prof. Dr. H.-W. Baenkler

Abteilung für Allergologie

Medizinische Klinik mit Poliklinik III

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Krankenhausstr. 12

91054 Erlangen

Publication History

Publication Date:
13 May 2003 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Allergien sind Folge einer unnötigen überschießenden Immunreaktion gegen harmlose Ziele. Diese funktionelle Definition kennzeichnet sie als krank machende Reaktionen. Da dies in sämtlichen Körperregionen, mittels aller verfügbarer Elemente des Immunsystems und gegen beliebige Antigene/Allergene erfolgen kann, gibt es eine schier unendliche Zahl an Erkrankungsformen. Die funktionelle Allergologie berücksichtigt vor allem auch die Umstände, die zur Sensibilisierung führen und den Verlauf der manifesten Erkrankung bestimmen. Erbgut, Umwelt und Verhaltensweisen tragen dazu bei. Schließlich kommen noch Infekte, immunkompromittierende Erkrankungen und persönliche Umstände wie Lebensalter oder Schwangerschaft ins Spiel. Dies alles erklärt neben dem Erkrankungsrisiko Verlauf und Prognose einer Allergie. So fördert die funktionelle Allergologie das Verständnis für die im Einzelfall zu beobachtenden Besonderheiten und hilft bei Diagnostik, Therapie und Prophylaxe.

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Summary

Allergy is an abnormal state basing upon normal immune-reactions. Since the target is nonpathogenic and any reaction should be omitted, hypersensitivity is a true pathogenic event. This definition covers all adverse sensations no matter the location, the type of immune-reaction and the origin of allergens. This, in turn, yields a nearly unlimited number of different allergic diseases. The functional approach is respecting also the circumstances causing allergy. Genes, environment and lifestyle contribute to the manifestation. However, this depicts the theme in broad outline since, in addition, also infections or immunocompromising diseases are as important as sensitization, progress and outcome. Taking into account all mentioned aspects it is possible to explain individual peculiar features of patients. So a functional approach is an practical tool for understanding allergy and for handling diagnosis, therapy and prophylaxis.

Die funktionelle Darstellung der Allergien bedient sich der Zusammenschau von Ursachen, Entstehung und Auswirkung der zugrunde liegenden Abläufe. Dabei bleiben die molekularen Vorgänge im Hintergrund. Aufmerksamkeit wird hingegen dem Umfeld geschenkt, welches für das Auftreten einer Allergie, der sich aktuell präsentierenden Variante und den daraus für den Alltag abzuleitenden Gesetzmäßigkeiten von Bedeutung ist. Es geht also um die Vermittlung gerade der Kenntnisse, welche die Zuordnung der zahlreichen Allergien ebenso gestatten wie den Zugang zu Diagnostik und Therapie. Dieses Wissen soll es dem Arzt ermöglichen, das besondere eines jeden einzelnen Patienten zu erfassen.

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Stellung unter den Immunkrankheiten

Allergien sind dem Immunsystem anzulastende Erkrankungen. Ihnen liegt im Gegensatz zu der zweiten großen Gruppe der Defizienzen eine überschießende Reaktion zugrunde. Somit sind Allergien Folge einer unnötigen Immunreaktion. Sie sind spürbare Auswirkung einer Immunantwort gegenüber harmlosen Antigenen (die hier auch als Allergene bezeichnet werden) und sinngemäß als krank machende Immunreaktion anzusehen - anders als die permissiven Mangelzustände. Damit stehen sie aus funktioneller Sicht auf gleicher Stufe wie die Autoimmunopathien (als Reaktionsfolge gegen harmlose körpereigene Antigene auch „Autoallergie” genannt) und Reaktionsfolgen gegen Blutkonserven, Transplantate oder fötale Antigene (wie bei der Rhesus-Krankheit).

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Wesen der Allergie

Immunreaktionen sind Aktivitäten gegenüber Strukturen, mit denen Immunzellen in Wechselwirkung treten. Die Grundlage der selektiven Natur - der Spezifität - dieses Vorganges ist der einer Immunzelle angehörende Antigen-Rezeptor. Da es zufolge eines doppelt angelegten Auswahlverfahrens (positive und negative Selektion) normalerweise nur Immunzell-Familien (Klone) gibt, die mit körperfremden Strukturen zu reagieren vermögen, ist das Immunsystem in seiner Gesamtheit in der Lage, zwischen eigen und fremd zu unterscheiden. Eindeutig schwieriger ist es für die Abwehr jedoch, zwischen gefährlich und harmlos zu differenzieren. Doch diese Fähigkeit zur Diskriminierung ist wichtig und geradezu lebensrettend, weil dadurch pathogene Erreger attackiert und nützliche Fremdstoffe wie Nahrungsmittel unbehelligt bleiben.

Die Definition der Allergie stützt sich also allein auf das Ziel und die Folgen. Die Immunreaktion läuft hier genauso ab wie gegen schädliche Antigene. Somit gibt es keine Besonderheiten oder Unterschiede. Der Fehler des Immunsystems liegt bei der Allergie allein in der falschen Zielsetzung. Dagegen beinhaltet die Definition nichts über den Typ und den Ort der Reaktion wie auch über die Natur des Antigens/Allergens. Damit kann sich diese Gruppe von Erkrankungen an jeder Stelle im Organismus, unter verschiedenen Erscheinungsformen und gegen beliebige Allergene äußern, woraus eine schier unbegrenzt hohe Zahl an verschiedenartigen Allergien resultiert.

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Einteilung der Allergien

Die Vielfalt der Allergien macht eine Einteilung erforderlich, die naturgemäß jeweils nur Teilansprüchen genügen kann. Am gängigsten und für die Patienten verständlich sind die beiden Varianten:

  • nach der Herkunft der Allergene, also zum Beispiel Nahrungsmittelallergie, Medikamentenallergie, Pollenallergie

  • nach dem Ort der Beschwerden, beispielsweise also Hautallergie, Darmallergie, Atemwegsallergie.

Aus der Sicht des Arztes ist die Gruppierung nach der Pathophysiologie von Vorteil (z.B. IgE-vermittelte Allergie, zellvermittelte Allergie). Denn eine solche Systematik legt neben dem diagnostischen auch den therapeutischen Zugang fest. Dies haben bereits Gell und Coombs erkannt und in ihrer Definition verschiedene Typen von Allergien (z.B. Typ 1 = Anaphylaxie = IgE-vermittelt) berücksichtigt.

Im medizinischen Alltag gibt es im Übrigen althergebrachte Krankheitsbegriffe, die allein durch die Erscheinungen und Veränderungen geprägt worden sind und sowohl Manifestationsort als auch Pathomechanismen beinhalten (z.B. Alveolitis, Asthma bronchiale). In Einzelfällen ist dieser Weg sogar der einfachste, und zwar dann, wenn Mischtypen wie bei der Aspergillose vorliegen.

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Mechanismen der Allergie

Die Allergie folgt - bei funktioneller Betrachtung - denselben Gesetzmäßigkeiten wie die schützenden Immunreaktionen. Stets sind Immunzellen beteiligt. Bei der zellvermittelten Immunantwort treten sie selbst und unmittelbar mit dem Antigen/Allergen in Wechselwirkung, bei der immunproteinvermittelten Antwort geschieht dies nur mittelbar über die von ihnen produzierten und abgegebenen Antikörper. Da es verschiedene Immunzellen und Immunglobulin-Klassen gibt, lassen sich mehrere Typen der Immunreaktion unterscheiden.

Bereits hier ist auf die in jedem Falle unerlässliche Zusammenarbeit unterschiedlicher Zellpopulationen hinzuweisen. Es sind kooperierende und auch unabhängig vom Immunsystem anzutreffende Einzelzellen, die an Anfang und Ende des Prozesses stehen. Zumindest beim ersten Kontakt mit der überwiegenden Mehrheit von Allergenen sind sie entscheidend: Sie präsentieren das Allergen als so genannte antigenpräsentierende Zelle (APC) und stehen auch am Ende der Kaskade. Denn die Allergie-Immunantwort dient der Beseitigung der Allergene. Eine Killerzelle tötet andere Zellen ab, lässt aber - bildhaft geprochen - die Leiche liegen, und ein Antikörper vermag ebenfalls nur zu binden, zu blockieren oder zu neutralisieren, aber nicht zu eliminieren!

Bei jeder Immunantwort sind verschiedene Zellpopulationen beteiligt. Das Immunsystem ist klonal gegliedert (als Summe zahlreicher Einzel-Familien), es reagiert allergengerichtet, selektiv und somit spezifisch. Funktionell betrachtet markiert oder zerstört es die zu attackierende Struktur, welche dann die kooperativen Zellen beseitigen. Diese sind nicht klonal gegliedert, es gibt davon jeweils nur eine einzige Familie, die allerdings sämtliche Allergene zu entsorgen vermag. Somit ist dieser Vorgang allergenunabhängig, global und unspezifisch.

Die Verknüpfung beider Systeme sowie die Einzelsteuerung übernehmen Signalstoffe vom Typ der Zytokine (z.B. Interferone, Interleukine) und Mediatoren verschiedenster Herkunft, Biologie und Pharmakologie (z.B. Histamin, Eicosanoide). Diese Zweiteilung ist insofern zweckdienlich, als biologische Ressourcen bestmöglich angepasst (an die Erfordernisse der Beseitigung) und genutzt (Phagozyten arbeiten auch unabhängig vom Immunsystem etwa bei Gicht oder Blutergussbildung) werden. Aus dem Wechselspiel ergeben sich Dynamik und Erscheinungsbild der Allergie.

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Zellvermittelte Allergie

Klassisches Bild für diese Form der Allergien sind die Dermatitis oder ein Kontaktekzem. Sofern ein Allergen auf sensibilisierte T-Lymphozyten trifft, kommt es zu deren Aktivierung mit einer Erhöhung des Stoffwechsels und Teilungsvorgängen. Die dabei abgegebenen Signalstoffe locken Phagozyten in großer Zahl an. Dort werden sie festgehalten, bis das Allergen beseitigt ist. Damit beginnt die Reaktion zwar sofort, die Wirkung ist aber erst mit zeitlicher Verzögerung zu erkennen. Daher wird dieser Typ auch als verzögerte Immunreaktion bezeichnet.

Die starke Phagozytose ist verbunden mit einer Weitstellung der kleinen Gefäße, einer Zellanschoppung und einem erhöhten Stoffwechsel. Oft ist auch eine nervale Irritation beteiligt. Insgesamt entsteht also das Bild einer Entzündung (Rubor, Tumor, Calor, Dolor). Im günstigen Falle bleibt nach Ablauf des Vorganges das Terrain erhalten. Bei heftiger Aktivität kann es zu Schäden selbst der unbeteiligten nächstgelegenen Gewebe kommen, und am Ende kann eine Defektheilung mit Nekrosen und Narben stehen.

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Antikörpervermittelte Allergie

Bei einer IgE-vermittelten Reaktion gelangen die nach der Sensibilisierung von Plasmazellen abgegebenen Antikörper in den Organismus, wo sie mit ihrem Fc-Teil an Oberflächenstrukturen von Mastzellen und Basophilen haften bleiben. Sofern ein Allergen an dessen freie Fab-Teile bindet und dies an zwei benachbarten IgE-Molekülen geschieht, wird die Zelle veranlasst, das in ihr gespeicherte Histamin und Serotonin sofort freizusetzen. Beide Substanzen gelangen in die Umgebung, wo sie ihrerseits an die komplementären Rezeptoren binden und weitere Zellen aktivieren.

Im Vordergrund stehen die Kontraktion glatter Muskelzellen, eine Dyskrinie in verschiedenen Hohlsystemen (Bronchien, Intestinum) und die Erschlaffung kleiner Blutgefäße mit Überfüllung der Peripherie, Extravasaten und Schwellung insbesondere lockerer Gewebe. Dies ist Grundlage von Rhinopathie, Asthma, Koliken, Urtikaria, Quincke-Ödem und Schock.

Da unverzüglich präformierte Mediatoren freigesetzt werden, kommt es zu dramatischen Phänomenen (Sofortreaktion und Anaphylaxie). Der rasche Abbau dieser Strukturen führt zur baldigen Rückbildung dieser ersten Welle auf die eine zweite folgt - ausgelöst durch die Freisetzung neu gebildeter Signalstoffe mit entzündungsfördernder Wirkung. Oftmals wird diese zweite Phase durch die Therapie unterdrückt oder aufgrund der milderen Symptome übersehen. Bleibende Schäden sind hier seltener zu erwarten und dies erst nach wiederholten heftigen Ereignissen.

Dagegen sind sowohl IgG als auch IgM Immunglobulin-Klassen, die den gesamten Organismus durchdringen. IgM ist mehr im Blut, IgG mehr in den Geweben anzutreffen. Bedeutsam ist ihre Fähigkeit zur Bindung und Aktivierung von Komplement. Entscheidend für die biologischen Folgen sind die Umstände der Begegnung dieser Antikörper mit den Antigenen/Allergenen.

Bei der zytotoxischen Reaktion beispielsweise übernimmt eine Zelle die Rolle des Antigens. Der Antikörper bindet dort und aktiviert bei hoher Dichte Komplement. Dessen Komponenten in der zweiten Hälfte der Reaktionskette weisen Enzym-Charakter auf, wodurch die Zellwand punktuell aufgelöst wird. Dieser Vorgang bis zum Zelltod wird als zytotoxisch bezeichnet. Phagozyten beseitigen dann die zerstörte Zelle oder deren Bruchstücke.

Die antikörpervermittelte zelluläre Zytotoxizität ähnelt zwar dieser Reaktion. Es kommt aber nicht zum Zelltod durch das Komplement, vielmehr zerstören und beseitigen die angelockten Phagozyten (das Komplement potenziert diesen Vorgang im Sinne der Opsonierung) die durch den Antikörper markierte Zelle.

Binden Antikörper an lösliche Strukturen, formieren sich Immunkomplexe, die anschließend phagozytiert werden (= Immunkomplex-Reaktion). Zu pathogenen Erscheinungen kommt es bei starker Ausprägung dieses Vorganges, der übrigens am heftigsten an Oberflächen abläuft. Damit lösen zirkulierende Immunkomplexe erst nach einer Anlagerung an Endothel oder Serosa Krankheiten aus. Die Phagozytose führt wiederum zu Entzündungserscheinungen, die als Vaskulitis oder Serositis in Erscheinung treten. Sie imponieren als Dermatitis, Retinitis, Iridozyklitis, Nephritis, Arthritis einerseits bzw. als Pleuritis, Endokarditis oder Perikarditis andererseits, um die Wichtigsten zu nennen.

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Weitere Reaktionen

IgA steht als Ursache für Allergien ganz im Hintergrund, weil es kaum Komplementbindung erzielt und seine Effekte ohnehin bevorzugt als sekretorischer Antikörper (SIgA) in Hohlsystemen agiert. IgD tritt ebenfalls nicht als Träger pathogener Reaktionen in Erscheinung.

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Grundregeln allergischer Reaktionen

Die aufgeführten Gesetzmäßigkeiten bedingen bei Immunkrankheiten einige wenige Besonderheiten, die sich bei Allergien wiederfinden:

  • Zeitregel: Allergien gibt es nur, solange das Allergen im Organismus ist. Vermeintliche Ausnahmen wie etwa Arzneimittelexantheme mit wochenlanger Rückbildungsphase spiegeln lediglich die Dauer der endgültigen Elimination wider.

  • Orts- oder Kontaktregel: Allergien treten an der Stelle auf, an der das Allergen den Organismus berührt. In vielen Fällen ist das gut erkennbar (Kontaktekzem, Heuschnupfen), in anderen dagegen nicht (Nahrungsmittelallergie an der Haut, nicht im Darm!).

  • Erscheinungsregel: Die Symptome werden vom Typ der Immunreaktion bestimmt, nicht vom Allergen. Ursache ist die unspezifische Form der Elimination. Daher lässt etwa eine Rhinitis nicht erkennen, worauf sie beruht - sie läuft immer monoton ab.

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Von der Sensibilisierung zur Allergie

Bei Hauttestung und Blutanalysen finden sich trotz Beschwerdefreiheit nicht selten positive Resultate. In diesem Fall liegt eine Sensibilisierung vor. Ursache hierfür sind verschiedene Besonderheiten. In der Summe wird die Schwelle zur Manifestation nicht überschritten und so eine Allergie im Alltag nicht ausgelöst. Dieser Zustand ist allerdings als Vorstufe zur Allergie anzusehen. Es besteht die Gefahr einer Fortentwicklung, sodass bei einer stärker werdenden Sensibilisierung und massivem Allergenkontakt eine Allergie durchbrechen kann.

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Steuerung der Immunreaktion

Die Aktivierung der beteiligten Immunzellen erfolgt über spezielle Mechanismen. Wesentlichen Anteil haben daran regulierende Lymphozyten. Helferzellen treiben die Reaktion an, Suppressorzellen hemmen sie. Offenbar handelt es sich um verschiedene Zellpopulationen, die als Gegenspieler nacheinander auftreten, wodurch die Immunantwort zunächst rasch in Schwung gebracht und später moderat abgebremst wird. Diese Regelung ist auf den aktivierten Klon begrenzt.

Von größtem Interesse ist die Frage, wie es zur Sensibilisierung und damit letztendlich zur Allergie kommt. Voraussetzung ist stets der Kontakt mit dem Allergen. Wichtig sind dabei die Begleitumstände (vgl. den Abschnitt Manifestationsfaktoren).

Bezüglich allergischer Prozesse stehen zwei Typen von Helfer-T-Lymphozyten im Vordergrund. So stimulieren TH1-Zellen insbesondere die zellvermittelte Reaktion, TH2-Zellen dagegen treiben insbesondere die Bildung von IgE voran. Gesteuert wird dieser Prozess durch Zytokine. Das dabei in Erscheinung tretende Zytokinmuster - beteiligt sind hier Interleukine und Interferone - ist höchst unterschiedlich, mehr noch, es behindert stets die andere Helferzelle. Daher ist eine gleichermaßen starke Immunantwort verschiedener Varianten bei allergischen Prozessen nicht zu erwarten, vielmehr bricht sich die eine oder die andere Bahn und überdeckt weitgehend den Rest.

Die TH3-Zellen, ein dritter Zelltyp, haben eine gewisse Eigenständigkeit. Sie scheinen ihre Wirkung vorzugsweise im Darm zu entfalten, aber auch sie inhibieren die anderen Helferzellen. Damit sind TH3-Zellen für die oral-induzierte Toleranz interessant.

Neben dieser intraklonalen Regulation gibt es eine interklonale. Sie entfaltet sich zwischen verschiedenen Klonen und tritt bei den Allergien in den Hintergrund.

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Tropie der Immunreaktion

Bei der Vielzahl an Antigenen/ Allergenen sind verschiedenste Gelegenheiten und Umstände einer Sensibilisierung denkbar. Es kommt indes nicht zu einer zufälligen Verteilung der Varianten einer Immunantwort, vielmehr zeigen sich bemerkenswerte Verschiebungen. Am auffallendsten ist die Synthese von IgE vor allem bei Riesen-Antigenen oder (treffender) bei Allergenen, die von vergleichsweise großen Organismen stammen. Ansonsten ist die Verteilung wenig auffällig: Alle übrigen Varianten der Immunantwort sind offenbar weniger fremdbestimmt.

Bedeutsam ist die Form des Erstkontaktes: Treffen Allergene auf Immunzellen an Oberflächenbezügen und hier vor allem der Schleimhäute führt dies häufiger zur Bildung von IgE. Dies liegt am Umfeld mit den antigenpräsentierenden Zellen und der Ausbildung IgE-synthetisierender Plasmazellen. Schleimhautkontakt führt ebenfalls überdurchschnittlich häufig zur Bildung von IgA, welches als SIgA schützt und keine Allergie auslöst.

Aus dieser Besonderheit ergibt sich auch der - nicht nur hypothetische - Zweck des IgEs. Ausgehend von der Tatsache, dass das Immunsystem zur endgültigen Beseitigung von Allergenen kooperative Zellen benötigt und dadurch eine Verstärkerwirkung eintritt, dient diese Immunglobulinklasse der Beseitigung der größten Allergene unter Mithilfe der stärksten vom Organismus aufzubringenden Effekte. Funktionell betrachtet gelingt es dem Immunsystem auf diesem Wege, beim Heuschnupfen die Pollen „aus der Nase zu schleudern” und deren Anwachsen zu verhindern.

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Manifestationsfaktoren und präzipitierende Situationen Erbgut

Eine erbliche Belastung ist bei Allergien seit langem bekannt. Erste Hinweise kamen aus einer Häufung in Familien. Vor allem bei IgE-vermittelten Erkrankungen wurde die Erblichkeit belegt. Recht einfach ist die Faustregel, dass bei zwei gesunden Eltern etwa 15 % der Kinder IgE-vermittelte Allergien entwickeln. Leiden Vater oder Mutter an einer Allergie, entwickeln 30 % der Kinder ebenfalls eine allergische Erkrankung, und sind beide Elternteile betroffen, sind dies sogar um die 60 %

Bei Allergien auf dem Boden anderer Varianten der Immunreaktion ist dieses Verhalten nicht erkennbar. Nur bei einem funktionell verwandten Prozess - und zwar bei nicht-IgE-vermittelten Reaktionen gegenüber apathogenen Strukturen von Erregern gastrointestinaler und urogenitaler Infekte - kommt dieses Prinzip ebenfalls voll zum Tragen. Hier prädestiniert das immungenetische Merkmal HLA B 27 zu Arthritis und Uveitis.

Bei manchen Individuen macht sich die Neigung zu IgE-vermittelten Reaktionen oft bereits im frühesten Kindesalter und auf breiter Basis bemerkbar. So entwickeln sich viele Allergien gegen zahlreiche Allergene mit mehreren Organmanifestationen. Auffallend ist die Reaktion auf verschiedenste Nahrungsmittel, Tierhaare, Pollen und anderes mehr. Diese Besonderheit wird auch als Atopie, die Betroffenen als Atopiker bezeichnet.

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Umwelt

Jenseits der Tatsache, dass zur Allergie stets ein Kontakt mit Umweltfaktoren gehört, ist das Umfeld für die Dynamik der Entwicklung von Bedeutung. Nicht von ungefähr handelt es sich meist um lokale Einflüsse. So kommt es bei irritierter oder lädierter Haut und Schleimhaut rascher zur Sensibilisierung. Dies mag auf der Aktivierung der dort ansässigen Zellen beruhen. Reizende Stoffe und der Befall mit penetrierenden, also nicht saprophytären Keimen beschleunigen den Vorgang ebenfalls. In diesen Fällen treten die Symptome kräftiger auf und bilden sich nach Beruhigung des Umfeldes oder Reparatur der Gewebeschäden zurück. Selbst harmlose Irritationen begünstigen die Entwicklung vor allem der IgE-vermittelten Allergie. Lange bekannt sind zum Beispiel Autoabgase: Bei Personen, die an Hauptverkehrsstraßen wohnen, ist die Heuschnupfenrate erhöht.

Neuerdings wird auch dem Erstkontakt mit Krankheitserregern und harmlosen Keimen eine große Bedeutung zugemessen. Seit langem war das seltene Auftreten von Allergien bei der Landbevölkerung aufgefallen, darüber hinaus auch bei Kindern und Erwachsenen, die unter wenig hygienischen Verhältnissen aufwuchsen. Dies mag mit der frühzeitigen Entwicklung einer ausgewogenen Darmflora im Zusammenhang stehen. Auch TH3-Zellen haben einen Anteil daran.

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Lebensumstände Alter und Geschlecht

Im Laufe des Lebens ändert sich die Reaktionsbereitschaft des Immunsystems. Dies gilt vor allem für das IgE. Es steigt in der Kindheit im Blut steil an, erreicht seinen Höhepunkt in der Jugend und sinkt daraufhin merklich ab. Dies entspricht der Häufigkeit an neu auftretenden Allergien während des Lebens. Hinzu kommt der brüske Wandel der hormonellen Situation während der Pubertät und am Ende des Erwachsenenalters. In diesen Phasen ändern Allergien nicht selten den Charakter. Bei Kindern bilden sie sich oft deutlich zurück.

Ein eindeutiger Einfluss des Geschlechtes ist bei Allergien zunächst nicht zu erkennen. Doch haben bei Frauen offenbar selbst feine Änderungen des Hormonstatus Rückwirkungen auf die Ausprägung einer Allergie, wie dies jenseits von Pubertät und Klimakterium innerhalb des Monatszyklus und besonders während der Schwangerschaft sichtbar wird.

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Verhaltensweisen

Auch das Verhalten der Menschen kann zur Sensibilisierung und Allergiebildung beitragen. Stress jeder Art beispielsweise scheint die Schwelle abzusenken. Ein ganz wichtiger Punkt ist das Rauchen, das zu einem allgemeinen Anstieg der IgE-Synthese führt. Doch nicht nur die Raucher selbst sind davon betroffen, sondern auch passive Mitraucher. Besonders schädlich ist dies für Kleinkinder, deren Eltern ohne jede Rücksicht in Gegenwart ihres Nachwuchses zur Zigarette greifen.

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Summationseffekte

Alle erwähnten Ausgangsbefunde und Einflussfaktoren sind für die Entwicklung und die Ausprägung von Allergien bedeutsam. Sie ergänzen, addieren oder potenzieren sich. Dies lässt sich gut an der Rolle von Erbgut und Umwelt dokumentieren. Bei einer Veranlagung zu Allergien bedarf es nur weniger Kontakte mit dem Antigen, um eine Sensibilisierung zu erreichen. Umgekehrt müssen zahlreiche Kontakte vorliegen, ehe es ohne Veranlagung zur Sensibilisierung kommt. Ist zu diesem Zeitpunkt die Kontaktstelle etwa in Form einer Schleimhaut irritiert, so erleichtert dies den Sensibilisierungsvorgang nochmals.

In Einzelfällen sind weitere Varianten zu beobachten. So gibt es Fälle mit Manifestation nur nach der Begegnung mit verschiedenen Allergenen, während der Kontakt mit einem einzigen folgenlos bleibt. Nicht selten tritt eine Allergie auf, wenn zu den Speisen Alkohol getrunken wird.

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Scheinallergien

Das typische an einer Allergie ist der Zusammenhang zwischen dem Kontakt mit einem bestimmten Stoff und dem Auftreten stets derselben Symptome. Aus diesem Wissen heraus werden oft auch dann Allergien vermutet, wenn keine vorliegen. In diesen Fällen handelt es sich um Scheinallergien. Unterteilt werden diese nach dem Pathomechanismus, wobei wiederum der funktionelle Aspekt im Vordergrund steht.

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Pseudoallergien

Bei einer Pseudoallergie sind die Symptome von echten Allergien nicht zu unterscheiden. Tatsächlich werden auch die Boten- und Signalstoffe freigesetzt, die eine echte Allergie auslösen. Am häufigsten sind Reaktionen, die einer Anaphylaxie gleichen (anaphylaktoide Reaktionen). Sie beruhen auf der Freisetzung insbesondere von Histamin. Dadurch werden Urtikaria und Asthma bronchiale ausgelöst.

Ursache für die Freisetzung ist die Fragilität der Mastzellen (Basophile sind weniger ursächlich beteiligt). Physikalische (Hitze, Kälte), aktinische (Sonne) und mechanische (Druck, Vibration) oder sogar nervale/nervöse Reize (Acetylcholin) veranlassen ihre sofortige Freisetzung, die dann als so genannte Hitze-, Kälte- oder Sonnenallergien empfunden werden. Im Respirationstrakt führt in Analogie Kälte oder auch bloße Hyperventilation (Belastungsasthma) zu Bronchialasthma. Wird ein kaltes Getränk zu schnell getrunken, können ein Ödem der Speiseröhre oder Hyperperistaltik des Darmes eine Allergie vortäuschen.

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Intoleranz

Auch die Intoleranz ist durch Beschwerden im Zusammenhang mit bestimmten Handlungen oder Begegnungen gekennzeichnet. Ursache ist hier ein relativer Enzymmangel. In unseren Breiten ist die Laktoseintoleranz auf dem Boden eines Laktasemangels am häufigsten. Treten nach dem Genuss von Milchprodukten Koliken auf, lässt sich eine Milchallergie vermuten. Eine weitere Intoleranzreaktion ist die Gicht, bei welcher die mit dem Essen anflutenden Mengen an Harnsäure nicht mehr abgebaut werden können und als Kristalle ausfallen. Eine Histaminintoleranz hingegen bedingt nach Aufnahme großer Mengen an Histamin mit der Nahrung (Käse und Rotwein) bei mangelhaftem Abbau durch Methyltransferase und Diaminooxydase anaphylaxieartige Sensationen mit Diarrhö, Urtikaria, Palpitation oder Migräne.

Interessant ist die Aspirinintoleranz. Hier wird iatrogen die Cyclooxygenase (COX) gehemmt, wodurch die anflutende Arachidonsäure überwiegend durch die Lipoxygenase (LOX) abgebaut wird und eine Verschiebung von den Prostaglandinen zu den Leukotrienen eintritt. Dies führt zu Asthma oder zu Nasenpolypen.

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Einfluss der Menge

Die weit verbreitete Meinung, Allergien zeigten sich unabhängig von der Menge des Allergens, trifft nicht zu. Zwar vermögen im Einzelfall bereits Spuren fatale Folgen zu verursachen, doch selbst in diesem Fall gilt das Gesetz der Verhältnismäßigkeit. Neben der Antigenmenge ist jedoch der Grad der Reaktivität von großer Bedeutung. Eine hohe Sensibilisierung mit einem hohem Antikörpertiter beispielsweise führt zu heftigeren Reaktionen. Bei IgE kommt relativierend hinzu, dass die Verteilung der einzelnen Spezifitäten bedeutsam ist. Daher muss selbst ein extrem hoher IgE-Serumspiegel nicht zwangsläufig mit Symptomen einhergehen.

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Funktionelle Gesamtwertung

Allergien sind überwiegend aus ärztlicher Warte und sogar aus der des Patienten gut zu verstehen; als Beispiel dient der banale Heuschnupfen. In anderen Fällen scheinen die Gesetze der Medizin ungültig. Bei einer funktionellen Betrachtungsweise der Allergien ändert sich dies. Denn damit lässt sich - obgleich viele Einzelheiten bezüglich Sensibilisierung und immunologischer Therapiekonzepte ungeklärt sind - verstehen, weshalb Symptome unter bestimmten Bedingungen exazerbieren, Beschwerden in verschiedenen Lebensabschnitten unterschiedlich ausgeprägt sind und manches mehr.

Die funktionelle Betrachtung ermöglicht auch, durch eine gemeinsame Bewertung und angemessene Gewichtung der Begleitumstände die zugrunde liegenden Zusammenhänge zu erkennen: beispielsweise, dass etwa bei genetischer Belastung nur wenige Allergenkontakte zur Sensibilisierung genügen und umgekehrt. Sie trägt auch dazu bei, Manifestationstyp und Verlauf mit Exazerbation oder Beruhigung des Prozesses zuverlässig deuten zu können, sodass sich dem Summationseffekt mit einfachen Mitteln begegnen lässt. Dies hilft schließlich, jenseits der pharmakologischen und biologischen Therapie zur Glättung des Krankheitsgeschehens substanziell beizutragen und diesem sogar vorzubeugen.

Die funktionelle Allergologie erleichtert somit die

  • Zuordnung verschiedenster Phänomene bezüglich Reaktionstyp

  • Erklärung unerwarteter Änderungen der Krankheitsaktivität

  • Abschätzung zu erwartender Reaktionen - etwa unter Stress

  • Deutung unerwarteter Ergebnisse aus Testung und Labor

  • Erklärung therapierefraktärer Zustände.

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Abb. 1

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Abb. 2

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Abb. 3

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Literatur

  • 1 Adorini L, Ken-ichi A, Berck C, et al. Chemical Immunology.  Immunological Mechanisms in Asthma and Allergic Diseases. 2000;  78
  • 2 Sullivan K, Spergel J. Genetics of allergic and immunoregulatory disorders.  Immunology and Allergy Clinics of North America Philadelphia: Saunders. 2002;  22
  • 3 PA Steerenberg, JG Asterdam van, RJ Vandebriel. et al. . Environmental and lifestyle factors may act in concert to increase the prevalence of respiratory allergy including asthma.  Clin Exp Allergy. 1999;  29 1304-1309
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Anschrift des Verfassers

Prof. Dr. H.-W. Baenkler

Abteilung für Allergologie

Medizinische Klinik mit Poliklinik III

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Krankenhausstr. 12

91054 Erlangen

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Literatur

  • 1 Adorini L, Ken-ichi A, Berck C, et al. Chemical Immunology.  Immunological Mechanisms in Asthma and Allergic Diseases. 2000;  78
  • 2 Sullivan K, Spergel J. Genetics of allergic and immunoregulatory disorders.  Immunology and Allergy Clinics of North America Philadelphia: Saunders. 2002;  22
  • 3 PA Steerenberg, JG Asterdam van, RJ Vandebriel. et al. . Environmental and lifestyle factors may act in concert to increase the prevalence of respiratory allergy including asthma.  Clin Exp Allergy. 1999;  29 1304-1309
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Anschrift des Verfassers

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