Das akute Abdomen stellt keine eigene Diagnose dar, sondern ist vielmehr ein Symptomenkomplex, der auf einer Reaktion des Organismus auf eine Vielzahl von Veränderungen mit Läsionen des Abdomens beruht. Die eigentliche Diagnose ergibt sich erst durch die weitere diagnostische Abklärung, welche unabdingbar für ein zielgerichtetes weiteres therapeutisches Handeln ist. Unheimlich ist, dass die Ursache für den Untersucher durch mehr oder weniger dicke Bauchdecken verborgen ist.
Differentialdiagnostik
Differentialdiagnostik
Charakteristisches Zeichen des akuten Abdomens ist der Schmerz. Der bekannteste Schmerzcharakter ist die Kolik als Folge spastischer Kontraktionen eines abdominellen Hohlorgans mit heftigem wehenartigen Charakter. Daneben werden auch häufig brennende Schmerzen beschrieben, typisch für eine Schleimhautreizung wie bei akuter Gastritis oder aber drückend dumpfe Schmerzen, welche sich häufiger bei Lebererkrankung oder chronischen Gallenblasenveränderungen finden. Entscheidend ist auch die Zeitbeziehung des Schmerzes, welche bei funktionellen Störungen und Koliken eher kurzdauernd oder episodisch sind, bei chronischen Prozessen oder langsam progredienten Leiden einen eher anhaltenden Charakter erhalten. Für die Diagnosefindung hilfreich kann auch eine Abhängigkeit von der Nahrungsaufnahme als nüchtern oder Nachtschmerz bei Ulcus duodeni mit Besserung nach Nahrungsaufnahme oder als Direktschmerz postprandial bei Ulcus ventriculi sein.
Eine plötzliche Schmerzzunahme deutet auf eine möglicherweise drohende Perforation, eine plötzliche Schmerzfreiheit weist auf eine bereits eingetretene Perforation hin. Entscheidend ist die topographische Differentialdiagnostik. Findet sich häufig - insbesondere bei älteren Lehrschemata - noch die horizontale Einteilung in drei Etagen, so hat sich die modernere Aufteilung des Abdomens in vier Quadranten unter Berücksichtigung einer gegebenenfalls zusätzlichen periumbilicalen Region bewährt [1].
Diese entscheidenden Charakteristika können bereits durch eine sorgfältige Anamnese sowie eine einfache klinische Untersuchung erhoben werden und sollten bereits zu einer richtungsweisenden Verdachtsdiagnose führen [2]. Eine weitere apparative Diagnostik, sei es in Form laborchemischer oder bildgebender Verfahren, dient lediglich zur weiteren Differenzierung beziehungsweise zur Bestätigung der bereits bestehenden Diagnose.
Wahl der Therapie
Wahl der Therapie
Ist die Diagnose gestellt, kann eine zielgerichtete Therapie erfolgen. Oberstes Therapieziel ist die Wiederherstellung stabiler Lebensfunktion mit, wenn möglich, endgültiger Behebung der eingetretenen Störung. Gegebenenfalls muss dadurch eine passagere Einschränkung der Lebensqualität, wie zum Beispiel durch einen protektiven Anus praeter, in Kauf genommen werden. Unabdingbar ist hierfür jedoch ein rasches und zielgerichtetes Handeln. Gerade beim alten Menschen sollte wegen der geringen Toleranzbreite die Entscheidung rasch gefällt werden [3].
Konservative Therapie nur bei rascher Besserung
Jeder Patient mit dem Symptomenkomplex eines akuten Abdomens benötigt - da sich eine enterale Ernährung über kurz oder lang verbietet - unabdingbar eine Infusionstherapie zum Ausgleich der benötigten Flüssigkeitsmenge. Darüber hinaus sollte das Legen einer Magensonde sowie gegebenenfalls eines Blasenkatheters Standard sein und nur in begründeten Ausnahmefällen unterbleiben. Häufig ist auch eine therapeutische oder eventuell auch perioperative Antibiotikagabe indiziert.
Je nach Laborwerten sind weiterhin Elektrolytdefizite oder aber Blutverluste auszugleichen. Es darf nicht vergessen werden, dass einem Patienten mit einem akuten Abdomen aufgrund der Schmerzen eine analgetische Therapie nicht vorenthalten werden darf. Diese darf jedoch erst nach Diagnosestellung erfolgen und sollte so ausgelegt sein, dass ein eventueller Verlauf mit möglicher Befundzunahme nicht verschleiert wird.
Rechtzeitiger Operationszeitpunkt
Das Standardvorgehen beim Vorliegen eines akuten Abdomens ist bis auf begründete Ausnahmefälle die Operation. Der Operationszeitpunkt sollte rechtzeitig gewählt werden, um unnötige Verzögerungen mit daraus resultierender Befundverschlechterung mit zunehmender Gefährdung des Patienten zu vermeiden. Ziel ist daher der rechtzeitige kleinstmögliche Eingriff zur Sicherung des Therapieerfolges. Die vielseitigste Möglichkeit als Zugangsweg für eine Laparotomie stellt die mediane Inzision dar. Andere Varianten sind jedoch je nach Ort der Läsion, so zum Beispiel der rechtsseitige Rippenbogenrandschnitt bei der konventionellen Cholezystektomie oder der linksseitige Rippenbogenrandschnitt bei einer Milzruptur, möglich. In Ausnahmefällen kann bei einem akuten Abdomen auch eine Thorakotomie, beispielsweise beim Vorliegen eines eventuell traumatisch bedingten Enterothorax oder einer Oesophagusläsion, notwendig werden [4] [Tab. 1], [Tab. 2]).
Extraabdominelles „akutes Abdomen”
Extraabdominelles „akutes Abdomen”
Auch außerhalb des Abdomens liegende Veränderungen können die Symptome eines akuten Abdomens vortäuschen. Die Therapie einer solchen Veränderung richtet sich natürlich nach der Grunderkrankung.
Kardiale Ursache
Kardiale Erkrankungen, wie eine akute Perikarditis oder das Rechtsherzversagen mit Leberstauung, können ebenso wie ein Hinterwandinfarkt, welcher aufgrund der fortgeleiteten Schmerzen eine gastrale Genese vortäuscht, zu einem Symptomenkomplex des akuten Abdomens führen.
Pulmonale Erkrankung
Zwerchfellnahe und basale Lungenerkrankungen wie eine Pneumonie oder Pleuritis aber auch eine Embolie oder ein Infarkt basaler Lungensegmente können zu dem Bild eines akuten Abdomens führen.
Intoxikation und metabolische Erkrankungen
Neben einer akuten intermittierenden Porphyrie kann auch ein entgleister Diabetes mit Hyperglykämie zu dem Bild eines akuten Abdomens führen. Auch systemische Vergiftungen mit Schwermetallen führen zu abdominellen Beschwerden.
Erkrankungen der Bauchwand
Veränderungen der Bauchdecke wie Prellungen mit sub- oder epifaszialen Einblutungen, aber auch Erkrankungen wie Herpesbefall oder andere neurale Läsionen können aufgrund ihrer Symptomatik ein akutes Abdomen vortäuschen. Hierzu gehören die eher seltene tabische Krise oder aber Erkrankungen aus dem psychotischen Formenkreis. Nicht selten sind Einblutungen in die Bauchdecken bei Marcumar- oder Heparin-Therapie.
Hämatologische Erkrankungen
Auch Leukosen, hämolytische Krisen oder aber die Purpura Schoenlein-Henoch können klinisch als akutes Abdomen imponieren [5].
Gute Prognose durch rasches Handeln
Alle akuten abdominellen Erkrankungen bedürfen einer raschen klinischen Behandlung, damit bereits die Frühphase eines akuten Abdomens erfasst werden kann und nicht erst der Endzustand mit gegebenenfalls diffuser eitriger Peritonitis und der daraus resultierenden wesentlich schlechteren Prognose therapiert werden muss. Als Sofortmaßnahmen zur Einleitung der Therapie ist insbesondere bei noch nicht gesicherter Diagnose bereits durch den erstbehandelnden Arzt die absolute orale Nahrungs- und Flüssigkeitskarenz von entscheidender Bedeutung.
Analgetika sollten bis zur endgültigen Diagnosestellung beziehungsweise bis zum Entschluss zur Operation aufgrund der Verschleierung der Symptomatik und des Verlaufs nicht gegeben werden. Eine Magensonde ist zur Dekompression des Gastrointestinaltraktes zu empfehlen. Ein intravenöser Zugang sollte zur Elektrolyt- und Flüssigkeitssubstitution und eventuell zur Schockbehandlung angelegt werden. Die weiteren Maßnahmen richten sich nach der Entscheidung, ob abwartend konservatives Verhalten oder eine operative Therapie indiziert ist. Dabei gilt der Grundsatz: „Lieber eine diagnostische Laparotomie zu viel, als eine notwendige Operation zu wenig.”
Abb. 1 Die konsekutive Durchblutungsstörung machte eine Dünndarmteilresektion notwendig
Abb. 2
Abb. 3
Abb. 4
Abb. 5 Die Pinzettenspitze weist auf den Stein
Tab. 1 Konservative versus operative Behandlung
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Kardiovaskuläre Erkrankungen:
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Myokardinfarkt
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akute Perikarditis
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Überdigitalisierung
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Pleuropulmonale Erkrankungen:
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Stoffwechselerkrankungen:
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Diabetes
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Hypoglykämie
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akute Porphyrie
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Addison-Krise
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Vergiftungen (Blei, Arsen, Thallium, Alkohol, Nikotin)
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Erkrankungen des Blutes:
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Neurologische Erkrankungen:
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Infektionskrankheiten:
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Malaria
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Typhus
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Meningitis
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Perforation eines Hohlorgans (Appendix, Magen und Duodenum, Gallenblase, Dickdarm)
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Mechanischer Ileus
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Peritonitis
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Ruptur parenchymatöser Organe (spontan,
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aumatisch)
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Akute Appendizitis
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Extrauteringravidität (Tubarruptur)
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Tab. 2 Möglichkeiten der operativen Versorgung bei verschiedenen abdominellen Läsionen
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Ileus
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Blutung
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Perforation
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Peritonitis
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Trauma
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Magen
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Stenteinlage, Ernährungsfistel
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(1. Wahl: endoskopische Blutstillung), Umstechung, Teilresektion
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Exzision, Übernähung
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Herdsanierung, Lavage
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Übernähung, Teilresektion, Gastrektomie
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Duodenum
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Gastroenterostomie (GE)
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Umstechung, BI, BII
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Übernähung
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Herdsanierung, Lavage
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Übernähung
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Dünndarm
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Segmentresektion
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Segmentresektion
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Resektion
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Herdsanierung, Lavage
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Übernähung, Segmentresektion
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Leber
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Teilresektion „Packing”
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Herdsanierung, Lavage
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Übernähung, Kompression, Resektion
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Galle
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Exstirpation
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Exstirpation
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Herdsanierung, Lavage
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Exstirpation
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Milz
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Exstirpation, Erhaltungsversuch
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Übernähung, Exstirpation, Fibrinkleber
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Herdsanierung, Lavage
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Erhaltungsversuch, Exstirpation
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Appendix
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Exstirpation
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Exstirpation
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Herdsanierung, Lavage
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Exstirpation
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Kolon
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Anus praeter-Anlage, Resektion, Enteroanastomose
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Segmentresektion
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Übernähung, Resektion, evtl. Anus praeter (AP)
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Herdsanierung, Lavage
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Übernähung, Resektion, Anus praeter (AP)
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Pankreas
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(Teil-)Exstirpation
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Ruptur: Resektion
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Herdsanierung, Lavage
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Übernähung, (Teil-)Resektion
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