Sprache · Stimme · Gehör 2003; 27(2): 53-54
DOI: 10.1055/s-2003-40257
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Sprache, Stimme und Emotion - das Thema des 73. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Sprach- und Stimmheilkunde e. V. (DGSS) zu Ehren des Schweizer Phoniaters Professor Richard Luchsinger vom 2. - 4. Mai 2003 im Kongress-Zentrum Basel (Schweiz)

R. Schönweiler1
  • 1Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Lübeck
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Publication Date:
25 June 2003 (online)

Die menschliche Stimm- und Sprachproduktion wird durch einen komplexen Regelkreis gesteuert. In diesen Regelkreis greifen bewusste und unbewusste physiologische Prozesse ein, zu denen die Emotionen gehören. Zu den positiven Emotionen zählt man z. B. Liebe und Freude bis hin zur Ekstase, zu den negativen z. B. Furcht, Ärger, Ekel und Schmerz. Emotionen haben sich in der Evolution zwar als überwiegend vorteilhaft erwiesen, können sich aber auch gegen die individuelle Gesundheit wenden. Emotionale Störungen können beispielsweise zu Stimm- und Sprachkrankheiten führen - denken wir an psychogen (mit-) verursachte Heiserkeiten. Umgekehrt drücken sich Sprach- und Stimmkrankheiten oft durch Abnahme positiver und Zunahme negativer Emotionen aus - die Furcht stimmkranker Lehrer vor ihren Schülern ist ein typisches Beispiel dafür.

Ärzte, Psychologen, Logopäden, Pädagogen, Musiker und Therapeuten sind deshalb daran interessiert, die emotionalen Ursachen und Auswirkungen von Kommunikationsstörungen zu verstehen und Emotionen vielleicht sogar positiv für die Therapie zu nutzen. Dazu sind in den vergangenen Jahren wichtige neue Erkenntnisse erarbeitet worden, die noch nicht in die Lehrbücher eingegangen sind. Deshalb lag es auf der Hand, die „Emotionen” als Hauptthema des 73. Kongresses der DGSS in Basel auszuwählen.

Mit dem Tagungsort Basel fand der Kongress erstmals seit der Gründung der Gesellschaft anno 1925 außerhalb Deutschlands statt und leitete damit die Umgestaltung von einer „deutschen” zu einer „deutschsprachigen” Gesellschaft ein. Dieses Heft enthält Original- und Übersichtsarbeiten neun wissenschaftlicher Hauptvorträge zum Thema „Stimme, Sprache und Emotion”, die vielleicht Ihr „Weltbild” über Emotionen verändern könnten.

Es wurden Arbeiten aus den Bereichen Zoologie, Evolution, (Neuro-) Physiologie, Psychologie, klinische Medizin, Logopädie, Linguistik, Musik und (Sonder-) Pädagogik in das Heft aufgenommen, die die ganze Vielfalt des Themas widerspiegeln. Die Arbeit von Roland Kehrein legt neue experimentelle Daten vor, die belegen, dass sich hinter stimmlicher Prosodie verschiedene (oben genannte) authentisch elizierte Emotionen mit definierten akustischen und temporalen Merkmalen verbergen. Diese Merkmale können von verschiedenen unvoreingenommenen Beobachtern übereinstimmend interpretiert werden, womit eine eindeutige Signalübermittlung nachgewiesen wird. Stefan Koelsch und Tom Fritz beweisen mit ihrer fMRI-Studie, dass beim Hören angenehmer Musik - d. h. Musik, die positive Emotionen auslöst -, die prämotorische Larynxrepräsentation im Rolandischen Operculum der rechten Hemisphäre aktiviert wird, ohne dass es zu einer Aktivierung der motorischen Larynxrepräsentation kommt. Damit ist - einfach ausgedrückt - gewissermaßen ein emotionales „inneres Mitsingen” nachgewiesen. Diese Fähigkeit könnte die Basis für stimmliche (und ggf. auch sprachliche) Imitation sein, die für einen normalen Spracherwerb notwendig ist. Uwe Jürgens stellt Strukturen im limbischen System von Totenkopfaffen vor, die bei elektrischer Stimulation emotional interpretierbare Vokalisationen auslösen, die mit spontanen Vokalisationen identisch sind. Er weist einen hierarchischen Aufbau von an emotionalen Vokalisationen beteiligten Strukturen nach, der möglicherweise dem Menschen ähnlich ist. Alfons Schnitzler u. Mitarb. erklären in einer Übersichtsarbeit, wie durch die Beobachtung des Gesichtsausdrucks z. B. eines Gesprächspartners Emotionen visuell erkannt und mit motorischer Aktivität beantwortet werden. Dabei besagt die sog. Emotions-Simulations-Theorie, dass durch ein auf Lernen und Wissen basiertes visuelles Erkennen einer bestimmten Emotion beim Beobachter eine ähnliche Emotionen ausgelöst wird. Dieter Bürgin fasst in seiner Übersichtsarbeit zusammen, welche Entwicklungsschritte ein Kind durchlaufen muss, damit emotionale Äußerungen und Affekte möglich werden. Er zeigt auf, wie man diese Entwicklungsschritte erkennen kann und wie sie in Beziehung zum Spracherwerb stehen. Eberhard Seifert zeigt am Beispiel der kindlichen funktionellen Dysphonie auf, dass emotionale und psychosoziale Ursachen für Kommunikationsstörungen vorliegen können, die kausal behandelt werden sollten. Damit erhält die oft versuchte Stimmübungstherapie einen („nur”) symptomatischen Stellenwert. Alois Scherer verdeutlicht in seinem Beitrag die Variabilität der sprachlichen Symptome beim Poltern, Stottern und beim Mutismus aus therapeutischer Sicht.

Die richtigen Antworten der Fragen zur Selbstkontrolle werden bereits in diesem Heft abgedruckt. Weitere Hauptvorträge von Johannes Pahn zum Einfluss von Emotionen auf Stimmgebung und Artikulation, Ute Horsch zum dialogischen Prinzip des „Motherese“ und Kurt Schneider zu neuen Thesen der Basisemotionen „Liebe“ und „Schmerz“ werden in einem der kommenden Hefte erscheinen.

Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre und neue Anregungen für Diagnose und Therapie bei stimm- und sprachkranken Menschen!

R. Schönweiler

Prof. Dr. med. R. Schönweiler

Leiter der Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie (in der HNO-Klinik)

Universitätsklinikum Schleswig-Holstein

Campus Lübeck

Ratzeburger Allee 160

23562 Lübeck