Wenn auch eine ursächliche Therapie und damit eine Heilung bei
den meisten Demenzen und vor allem der Alzheimer-Krankheit - wie im
Übrigen auch bei vielen anderen Erkrankungen - nicht möglich
ist, so kann entgegen landläufiger (auch ärztlicher!) Meinung
für Demenzkranke sehr viel getan werden.
Zu beachten ist, dass der Demente stets in seinem psychosozialen
Umfeld gesehen werden muss. Neben dem Ausgleich von Defiziten sollten vor allen
Dingen die vorhandenen Ressourcen auf Seiten des Patienten sowie z. B.
der Familie herausgefunden und in den Therapieplan einbezogen werden.
Aufklärung und rechtliche Belange
Auch auf Seiten der Betroffenenverbände besteht Konsens
darüber, dass eine Aufklärung über die Krankheitsdiagnosen in
jedem Fall anzustreben ist. Hier gibt es also keinen Unterschied zu anderen
schweren, auch vital bedrohlichen Erkrankungen. Genau wie bei diesen muss die
Aufklärung oft prozesshaft erfolgen und Vorsorge getroffen werden, dass
dadurch eingeleitete Krisen auch erfolgreich gelöst werden können.
Dies ist umso leichter, je eher auch eine hoffnungsvolle Perspektive bzw. eine
zuverlässige Begleitung angeboten werden. Rechtlich relevant ist, dass
insbesondere in noch frühen Erkrankungsstadien auch rechtliche Regelungen
für die Zukunft (Testament) noch selbst getroffen werden können.
Zudem ist es ratsam, bereits früh auf Selbsthilfe-Organisationen,
insbesondere die regionale Alzheimer-Gesellschaft, sowie Beratungsstellen
hinzuweisen. Auch das Internet hält heute eine Vielzahl an
Informationsmöglichkeiten bereit.
Mit fortschreitender Demenz sind Fragen der Fahrtauglichkeit und
Geschäftsfähigkeit Thema. Rechtzeitig sollte auch über die
Einrichtung einer Betreuung, z. B. für finanzielle Belange und die
medizinische Behandlung oder über Vorabverfügungen und das Testament
gesprochen werden.
Allgemeine Therapie
Es beeinflusst den Verlauf und das Wohlbefinden, wenn Demenzkranke
in möglichst guter körperlicher Verfassung sind. Andererseits sind
diese Kranken mit zunehmender Krankheitsschwere oft nicht in der Lage, ihre
Beschwerden adäquat zu artikulieren. Dies ist eine diagnostische
Herausforderung. So können hinter Unruhezuständen beispielsweise
Schmerzen, Ängste oder paranoide Befürchtungen,
Blasenentleerungsstörungen oder eine Neuroleptika-induzierte Akathisie
stecken.
Das Einhalten eines strukturierten
Tagesrhythmus mit ausreichender körperlicher Bewegung, festen
Essenszeiten, einem regelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus und festen
Toiletten-Zeiten ist zu empfehlen. Dadurch können Inkontinenzen vermieden
bzw. hinausgezögert werden. Für die notwendige externe Stabilisierung
der zunehmend fragilen endogenen Rhythmen scheint auch eine ausreichende
Lichtzufuhr von besonderer Bedeutung zu sein.
Medikamentöse Therapie
Die derzeitige Zulassungspraxis unterscheidet zwischen der
Behandlung von Patienten mit leichter und mittelschwerer Demenz und der mit
mittelschwerer und schwerer Demenz. Die Autoren halten dies für eine
vorübergehende Lösung, zumal sie formal derzeit bedeutet, dass die
Behandlung im Krankheitsverlauf geändert werden muss, um nicht „off
label” zu behandeln. Zudem liegen zumindest schon Studien vor, die eine
Wirksamkeit z.B. der Cholinesterasehemmer auch bei mittelschweren und schweren
Demenzen vom Alzheimer Typ nachweisen.
Demenzen vom Alzheimer-Typ
Mittel der Wahl in der Behandlung leichter bis
mittelschwerer Demenzen vom Alzheimer-Typ sind Substanzen aus der Gruppe
der Cholinesterasehemmer (Donepezil, Galantamin,
Rivastigmin, Tetrahydroaminoacridin) [4]
[5]. Sie gleichen das bei der Krankheit ausgeprägte
cholinerge Defizit aus, das verantwortlich ist für die
Beeinträchtigungen von Lernen und Gedächtnis, aber auch Vigilanz und
Schlaf-Wach-Rhythmus [2] (Abb. [1]). In einer Reihe
von Studien wurde für diese Substanzen konsistent eine signifikante
Wirksamkeit auf den Ebenen Kognition, klinischer Gesamteindruck und in der
Regel auch in den „Aktivitäten des täglichen Lebens“
nachgewiesen.
Abb. 1 Übersicht
über die Transmitterdefizite bei der Demenz vom Alzheimer Typ, die bei der
Pharmakotherapie berücksichtigt werden müssen [2].
Da in jedem Fall eine Dosis-Wirkungs-Beziehung besteht, sollte
stets versucht werden, entsprechend der Einnahmevorschrift, die Maximaldosis zu
erreichen. Die Behandlung sollte stets über 3-6 Monate erfolgen,
erst dann sollte eine Verlaufsbeurteilung (dokumentiert!) die Weiterverordnung
respektive das Umsetzen oder Absetzen begründen [4] (Tab. [1]). Es ist letztendlich noch unklar, warum manche
Patienten besser auf das eine oder andere Präparat aus der Gruppe der
Cholinesterasehemmer ansprechen. Deshalb kann auch ein zweiter Versuch mit
einem anderen Präparat indiziert sein.
Tab. 1 Pragmatische
Empfehlungen zur Antidementivatherapie. Es ist letztendlich weder bekannt,
welche Patienten auf ein Präparat besonders gut ansprechen, noch welches
der Präparate individuell zu bevorzugen ist. Grundsätzlich kann ein
zweiter Versuch dann auch wieder mit einem (anderen) Cholinesterasehemmer
erfolgen. Auch eine Kombination, z. B. von Memantine und
Cholinesterasehemmer ist eine Option.
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Zur Dokumentation der Wirksamkeit kann pragmatisch z.B. die vor
Behandlungsbeginn durchgeführte Testung wiederholt werden (nach 6-12
Monaten; s. Tab. [1]).
So ist z.B. vom MMSE bekannt, dass sich Alzheimer-Patienten im Jahr im Mittel
um 3-4 Punkte verschlechtern. Wenn also eine Behandlung eine Verbesserung
oder zumindest Stabilisierung erreicht, so ist ein Ansprechen der Therapie
anznehmen. Die hohen Behandlungskosten dieser Medikamente rechnen sich nach
neueren gesundheitsökonomischen Studien [9].
Dies vor allen Dingen deshalb, weil es offensichtlich gelingt, den Zeitpunkt
der Heimeinweisung in der Behandlungsgruppe signifikant um bis zu ein Jahr zu
verzögern.
Für die Behandlung der mittelschweren und
schweren Demenz vom Alzheimer Typ ist Memantine neu zugelassen[3]
. Für alle früheren Indikationen
besteht derzeit keine Zulassung mehr. Grundsätzlich ist eine Kombination
mit Cholinesterasehemmern denkbar. Ob dies eine verbesserte Wirkung hat, wird
in den nächsten Jahren im anlaufenden Kompetenznetz
„Demenzen” untersucht .
Für alle anderen Antidementiva, insbesondere Gingko-Biloba,
sowie die klassischen Nootropika, ist die Datenlage vergleichsweise schlechter.
Für die genaue Bewertung sei auf die entsprechende Spezialliteratur
verwiesen [4]. Eine schematische Darstellung der
Grundsätze der Antidementiva-Behandlung findet sich in Tab. [1].
In letzter Zeit wird viel Hoffnung auf die Entwicklung einer
Immuntherapie gesetzt, die die Amyloidbildung beeinflussen soll. Sie befindet
sich jedoch noch im experimentellen Stadium [6].
Vaskuläre und andere Demenzen
Vaskuläre Demenzen sollten immer eine Behandlung der
vaskulären Grundkrankheit erfahren (d.h. gegebenenfalls Antihypertensiva,
Cholesterinsenker, ASS etc.). In neuen Studien konnte auch eine Wirksamkeit der
Cholinesterasehemmer nachgewiesen werden.
Für die Behandlung der Lewy-Körper-Demenz sind
Cholinesterasehemmer ebenfalls zu empfehlen. Erfahrungsgemäß machen
sie auch den Einsatz von Neuroleptika bei diesen Patienten oft unnötig.
Dies ist von besonderer Relevanz, weil diese Patienten oft schon früh
Halluzinationen und paranoide Symptome zeigen. Konventionelle Neuroleptika
führen bei den oft auch schon primär bewegungsgestörten
Patienten rasch zu extrapyramidalen Störwirkungen im Sinne einer
„neuroleptischen Sensitivität“. Sofern nötig sollten
deshalb atypische Neuroleptika eingesetzt werden.
Ähnliches gilt auch für Parkinson-Patienten mit
kognitiven Störungen. In entsprechenden Studien konnte eine gestörte
cholinerge Transmitterfunktion nachgewiesen werden. Auch diese Patienten zeigen
in ersten Studien eine Verbesserung mit Cholinesterasehemmern.
Bei der frontotemporalen Degeneration sind Cholinesterasehemmer
dagegen in der Regel nicht hilfreich, weshalb die Differentialdiagnose auch
wichtig ist. Eine spezielle Therapieempfehlung kann hier bisher nicht gegeben
werden.
Nicht-kognitive Störungen
Nicht-kognitive Störungen, wie Agitation, Aggression,
depressive Verstimmung etc. sind bei allen Demenzen häufig und oft
für die Betroffenen mit größerem Leid verbunden. Insbesondere
Aggressionen und nächtliche Unruhe sind aus nachvollziehbaren Gründen
starke Prädiktoren für eine Heimeinweisung. Sie können und
sollten medikamentös behandelt werden, vor allem wenn sie folgende
Bedingungen erfüllen:
-
Sie sollten über mindestens 2 Wochen bestehen.
-
Eine anders behandelbare Ursache sollte ausgeschlossen
werden.
-
Der Einsatz von Maßnahmen in der Umgebung, z. B. ein
anderer Umgang mit dem Symptom, sollte vorher erfolglos verlaufen sein.
-
Es besteht Aussicht auf Erfolg. Symptome wie Schreien,
Wandern, Räumen, Horten und weitere stereotype Verhaltensweisen sind in
der Regel medikamentös kaum zu beeinflussen.
Bei der Auswahl der Psychopharmaka ist wichtig, dass keine
anticholinerge Wirkkomponente vorhanden ist. Dies bedeutet vereinfacht, dass
bei den Antidepressiva Serotonin-Wiederaufnahmehemmer
oder andere nicht-tri/tetrazyklische Antidepressiva eingesetzt werden
sollten. Bei den Benzodiazepinen und Analoga sollten die
Substanzen eingesetzt werden, die eine kurze bzw. mittellange Halbwertszeit
haben und auch im Alter keine Kumulationsgefahr mit sich bringen. Dies sind vor
allem Lorazepam, Lormetazepam, Oxazepam, Temazepam sowie Zolpidem. Bei denNeuroleptika
ist neben einer fehlenden anticholinergen
Wirkung auch eine Reduktion des Risikos für extrapyramidale Nebenwirkungen
wichtig. Deshalb sind atypische Neuroleptika und hier vor allen Dingen
Risperidon (in einer Dosis von 0,5-1 mg) bzw. Olanzapin (in einer
Dosis bis 5 mg) zu diskutieren. Grundsätzlich sollte die
Einnahmedauer kurz sein. Insbesondere die Langzeiteinnahme von Neuroleptika ist
nicht zu begründen. Zumindest sollten nach 2 Monaten Reduktions- bzw.
Absetzversuche erfolgen [8].
Nicht-medikamentöse Maßnahmen
Nicht-medikamentöse Maßnahmen sind
in ihrer Wirksamkeit „evidenzbasiert” oft nur unsicher belegt.
Das oftmals propagierte und allgemein positiv attribuierte Hirnleistungstraining ist allenfalls bei frühen
Demenzformen bzw. zur Vorbeugung sinnvoll, nicht bei mittelschweren und
schweren Demenzen. Es muss zudem individualisiert, idealerweise unter
Einbeziehung der Angehörigen, erfolgen und verschiedene Modalitäten
ansprechen. Empfehlungen zur „Applikationshäufigkeit“
ließen sich bisher jedoch nicht sicher ableiten.
Besonders bei schweren Demenzen bewähren sich Methoden, in
denen über sinnliche Wahrnehmung (z. B. über Gerüche,
Farben, Musik, Rhythmen, dazugehörige Begriffe: basale Stimulation,
Snoezeln) oder das Ansprechen von Emotionen (z. B. in der Musiktherapie)
non-verbaler Zugang gesucht wird. Diese Kompetenzen sind im Vergleich zur
Kognition noch lange unbeeinträchtigt. Wiederholte Orientierungshilfen von
außen (Realitätsorientierungstraining) und die Validation sind
weitere Maßnahmen. Letztere vertritt vereinfacht den Ansatz, sich auf die
jeweilige innere Welt des Demenzkranken verstehend einzulassen, um Unruhe und
Aggressionen zu vermindern. In Institutionen aber auch zuhause ist der Einsatz
„subjektiver Barrieren“ bei Weglauftendenz oft hilfreich. Eher im
frühen Krankheitsabschnitt ist die Krankheitsbewältigung und
-verarbeitung, auch mit psychotherapeutischen Methoden, zu fördern.
Maßnahmen bei den Angehörigen wirken sich auch positiv auf die Gesundheit der von ihnen betreuten Dementen
und andersherum aus. Sie führen außerdem zu einer Verzögerung
der Heimeinweisung [7]. Eine Zusammenarbeit mit den
lokalen Alzheimer-Vereinen bzw. Senioreneinrichtungen ist in der Versorgung zu
empfehlen.
Fazit
Entgegen landläufiger Meinung kann für Demenzkranke sehr
viel getan werden. Harte Endpunkte wie die Heimeinweisung können durch
medikamentöse Maßnahmen sowie durch Angehörigentraining um
nahezu ein Jahr verschoben werden. Bei der Beratung der Angehörigen und
Gestaltung des Umfeldes empfiehlt sich die Zusammenarbeit mit
Selbsthilfegruppen, Sozialstationen und Beratungsstellen.
Autorenerklärung: Die Autoren
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die ein Konkurrenzprodukt vertreibt).