Bei der Volkskrankheit COPD (Chronic Obstructive Pulmonary Disease) findet sich eine
Kombination aus chronisch obstruktiver Bronchitis und Lungenemphysem, das gekennzeichnet
ist durch eine irreversible Erweiterung der Alveolen distal der terminalen Bronchiolen.
Bis heute ist kein medikamentöses Behandlungskonzept bekannt, welches das Fortschreiten
eines Lungenemphysems verhindern könnte [1]. 1995 wurde von Cooper u. Mitarb. als chirurgisches Verfahren zur Behandlung des
schweren Lungenemphysems die operative Lungenvolumenreduktion (LVR) propagiert. Bereits
ein Jahr später wurden von derselben Arbeitsgruppe die Einjahresresultate von 150
operierten Patienten mit schwerem Lungenemphysem publiziert [2]. Aufgrund exzellenter Kurzzeitergebnisse machte diese Methode unter Thoraxchirurgen
in USA und Europa schnell Furore. Binnen weniger Monate wurde dieses Operationsverfahren
bei mehr als eintausend Patienten durchgeführt. Während J. Cooper strenge Ein- und
Ausschlusskriterien vorgab und bevorzugt Patienten mit apikalen Zielzonen operierte,
die zudem eine Tabakentwöhnung und eine intensive Rehabilitation erfolgreich durchlaufen
hatten, propagierten andere Gruppen die LVR auch beim basalen oder diffusen Emphysem
und verzichteten zum Teil gänzlich auf eine vorausgehende Rehabilitation. Es häuften
sich Berichte über steigende perioperative Mortalität, zunehmende postoperative Komplikationen
und zweifelhafte mittelfristige Ergebnisse. In den USA drohte ein finanzieller Kollaps
des nationalen Gesundheitssystems, da mehrere Millionen Menschen mit COPD bei Zugrundelegung
der immer weniger stringenten Operationskriterien potenzielle Kandidaten für eine
teure LVR mit ungewissem Ausgang gewesen wären.
In Zeiten einer evidenzbasierten Medizin (EBM) wurde in den USA konsequenterweise
die Entscheidung getroffen, die Kosten der Behandlung nur noch für solche Patienten
zu übernehmen, die sich im Rahmen einer breit angelegten multizentrischen Studie behandeln
lassen. In dieser randomisierten Studie, dem „National Emphysema Treatment Trial”
(NETT), sollten die Ergebnisse der LVR und der bestmöglichen medizinischen Behandlung
miteinander verglichen werden. Auf dem Jahreskongress der American Thoracic Society
wurden die Ergebnisse in diesem Jahr vorgestellt und mittlerweile in Auszügen publiziert
[3]
[4].
Ein wichtiges Ziel von NETT war die Identifizierung von Auswahlkriterien für Patienten
mit Lungenemphysem, die am ehesten von einer LVR profitieren könnten. Deshalb wurden
zunächst breite Einschlusskriterien gewählt und sowohl Patienten mit Betonung des
Emphysems in den Oberlappen als auch in den Unterlappen sowie mit homogener Destruktion
eingeschleust. Die beiden letztgenannten Gruppen wurden zum so genannten nicht Oberlappen-betonten
Emphysem zusammengefasst. Die Beurteilung der Heterogenität basierte auf der visuellen
Bewertung der Emphysemausprägung im HRCT des Thorax und dem Durchblutungsmuster im
Lungenperfusionsszintigramm. Außerdem wurden neben den Standardtests der Lungenfunktion
(FEV1, RV, TLC) der Transferfaktor für Kohlenmonoxid (TLCO) sowie zusätzlich ein 6-Minuten-Gehtest
und eine Fahrradergometrie zur Bestimmung der maximalen Belastungskapazität durchgeführt.
Dabei wurde der Patient sitzend auf dem Fahrradergometer belastet. Während der Ergometrie
atmete der Patient 30 % Sauerstoff. Nach 3 Minuten Treten ohne Belastung (0 W) wurde
mit einem Rampenprotokoll in Stufen von 5 bis 10 Watt bis zur maximal tolerierten
Leistung belastet. Anhand dieses gut reproduzierbaren Belastungstests wurden im NETT
Schwellenwerte für Patienten mit niedriger und hoher Belastungskapazität definiert.
Eine niedrige Belastungskapazität lag bei Frauen vor, wenn ≤ 25 Watt geleistet wurden
und bei Männern wenn ≤ 40 Watt erreicht wurden.
Die klinisch relevanten Ergebnisse des NETT können wie folgt zusammengefasst werden:
-
Klare Überlebensvorteile (p < 0.005) und funktionelle Verbesserungen über mindestens
zwei Jahre mit Zunahme der Belastungskapazität um ≥ 10 Watt (p < 0.001) gegenüber
dem rein medizinisch behandelten Kontrollkollektiv fanden sich in der Subgruppe von
Patienten mit apikalen Defektzonen und geringer Belastungskapazität (≤ 25 W für Frauen,
≤ 40 Watt für Männer).
-
Funktionelle Verbesserungen über mindestens zwei Jahre ohne Überlebensvorteile gegenüber
der konservativen Gruppe wurden bei Patienten mit apikal betontem Emphysem und hoher
Belastungskapazität sowie in der Gruppe mit nicht oberlappenbetontem Emphysem, aber
hoher Belastungskapazität nachgewiesen. In der letztgenannten Gruppe war die Mortalität
gegenüber der Kontrollgruppe sogar erhöht.
-
Für die Gesamtgruppe aller operierten Patienten fand sich kein Überlebensvorteil,
obwohl funktionelle Verbesserungen auch zwei Jahre nach der Operation noch nachgewiesen
werden konnten, wenn auch mit großer Streubreite.
-
Da sich bei Patienten mit schwerer Obstruktion (FEV1 < 20 % des Sollwertes) und entweder einem homogenen Emphysem oder einem stark erniedrigten
Transferfaktor für Kohlenmonoxid (TLCO < 20 % des Sollwertes) eine extrem hohe 90-Tage-Mortalität
fand, sind diese Patienten von der LVR definitiv auszuschließen [4].
Bei Verwendung dieser Selektionskriterien für klinische Entscheidungen muss unbedingt
berücksichtigt werden, dass deren Anwendung streng genommen nur dann zulässig ist,
wenn beim potenziellen Kandidaten die Rahmenbedingungen eingehalten werden, die im
Studiendesign von NETT verwendet wurden. Es ist also zu fordern, dass der Erhebung
der Basisdaten, die als Selektionskriterien für oder gegen die LVR verwendet werden,
eine Tabakentwöhnung mit Abstinenz über 4 Monate, eine pulmonale Rekonditionierung
(Rehabilitation) über 6 bis 10 Wochen und eine Optimierung der medikamentösen Therapie
nach Leitlinien [1] vorausgehen.
Kritisch anzumerken bleibt, dass im NETT eine extrem hohe 90-Tage-Mortalität von 7,9
% in der LVR-Gruppe versus 1,3 % in der Kontrollgruppe berichtet wurde. Im eigenen
Krankengut haben wir bei den letzten 100 LVR-Operationen in den ersten 3 Monaten hingegen
keinen Todesfall registriert. Dies deutet darauf hin, dass in einigen NETT-Zentren
weniger erfahrene Teams operiert haben und möglicherweise die in Amerika unter dem
Kostendruck von Fallpauschalen wesentlich frühzeitigere Entlassung sich negativ ausgewirkt
hat. Zudem lassen diese Daten den Schluss zu, dass die LVR nur in hochspezialisierten
pneumologisch-thoraxchirurgischen Zentren mit erfahrenem Team und hoher Operationsfrequenz
durchgeführt werden sollte. Aus unserer Sicht ist eine 90-Tage-Mortalität über 2 %
nicht vertretbar. Potenzielle Patienten oder einweisende Ärzte sollten den Thoraxchirurgen
deshalb nach der Zahl der durchgeführten LVR-Operationen und der 90-Tage-Mortalität
in dieser Gruppe fragen. Bei der anstehenden Zertifizierung und Offenlegung der Qualität
anhand von entsprechenden Statistiken wird dieser Faktor zunehmend an Bedeutung gewinnen.
Abschließend soll die Frage diskutiert werden, ob, und wenn ja, welchen, Patienten
mit schwerem Lungenemphysem eine operative Lungenvolumenreduktion auf der Basis von
NETT empfohlen werden kann. Zunächst sollten alle Patienten von einer LVR ausgeschlossen
werden, die nach Ausschöpfung aller medikamentösen, physikalischen und apparativen
Behandlungsmöglichkeiten und nach ausreichend lange andauernder Tabakabstinenz die
im NETT definierten Kriterien des Hochrisikokollektivs (FEV1 < 20 % Soll plus TLCO <20 % Soll oder homogenes Emphysem) erfüllen. Auch Patienten
mit einer Belastungskapazität >40 Watt sollten nach heutigem Kenntnisstand insbesondere
dann ausgeschlossen werden, wenn ein nicht oberlappenbetontes Emphysem vorliegt. Unter
anderem bedeutet dies im Regelfall, dass Patienten mit typischem Alpha-1-PI-Mangelemphysem
keine geeigneten Kandidaten für eine LVR sind, selbst wenn für kurze Zeit ein funktioneller
Vorteil erzielbar wäre [5]. Gute Kandidaten für eine operative Lungenvolumenreduktion scheinen hingegen Patienten
zu sein, bei denen sich ein stark apikal betontes Emphysem findet, deren 6-Minuten-Gehstrecke
über 140 Meter liegt (Gehstrecke ≤ 140 m Ausschlusskriterium in NETT!) und deren Belastungskapazität
bei Frauen ≤ 25 Watt und bei Männern ≤ 40 Watt beträgt. Diesen Patienten sollte man
nur dann zu einer LVR raten, wenn keine sonstigen gravierenden Erkrankungen vorliegen
und von einer guten Langzeitcompliance in der Zeit nach der Operation auszugehen ist.
Denn für die langfristige Stabilisierung des Behandlungserfolges nach erfolgter LVR
ist eine konsequente Fortsetzung der medikamentösen Behandlung, der Physiotherapie
und der Tabakabstinenz von zentraler Bedeutung.
NETT ist die erste große randomisierte Multizenterstudie, die den Stellenwert eines
neuen pneumologisch-thoraxchirurgischen Behandlungskonzeptes für das schwere Emphysem
(COPD) mit den modernen Werkzeugen einer EBM prospektiv analysiert hat. EBM kann zwischen
dem, wovon wir glauben, dass es wirkt und dem, was tatsächlich wirkt, trennen. Geeigneten
Patienten sollten wir eine wirksame Therapie nicht vorenthalten; allerdings müssen
die Selektionskriterien streng beachtet werden. In diesem Sinne hat NETT einen Meilenstein
in der klinischen Erforschung von medizinischen und chirurgischen Behandlungskonzepten
für Patienten mit schwerem Lungenemphysem gesetzt. NETT kann allerdings nur der erste
Schritt sein. Es müssen Studien folgen, in denen die Zuverlässigkeit der Selektionskriterien
aus NETT in einem prospektiven Ansatz geprüft und eine Langzeitbeobachtung der Patienten
über 5 bis 10 Jahre sichergestellt ist. Warum sollte eine gesundheitsökonomisch so
bedeutsame Studie nicht auch in Deutschland möglich sein?