Der Klinikarzt 2003; 32(8): 277-283
DOI: 10.1055/s-2003-42197
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Hepatische Enzephalopathie - Neue Diagnostik und Standards der Therapie

Hepatic Encephalopathy - New Diagnostic Measures and Treatment StandardsG. Kircheis1 , J. Hemker1 , D. Häussinger1
  • 1Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf(Direktor: Prof. Dr. D. Häussinger)
Further Information
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Anschrift für die Verfasser

Dr. Gerald Kircheis

Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Moorenstraße 5

40225 Düsseldorf

Publication History

Publication Date:
15 September 2003 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Die hepatische Enzephalopathie (HE) ist ein neuropsychiatrisches Krankheitsbild, das infolge akuter und chronischer Leberkrankheiten auftreten kann. Es ist funktioneller Natur und daher potenziell reversibel. Man unterscheidet die manifeste, klinisch erfassbare, von der minimalen (subklinischen, latenten) hepatischen Enzephalopathie. Während die Diagnose der manifesten hepatischen Enzephalopathie anhand des klinischen Bildes erfolgt, sind zur Aufdeckung der nichtmanifesten Formen der hepatischen Enzelphalopathie psychometrische und neurophysiologische Tests erforderlich. Pathogenetisch wird die hepatische Enzephalopathie heute als klinische Manifestation eines geringgradigen, chronischen Gliaödems angesehen, welches zu Änderungen der Astrozytenfunktion mit nachfolgender Störung der glioneuronalen Kommunikation führt. Wichtigste therapeutische Schritte sind die Erkennung und konsequente Behandlung der Faktoren, die eine solche Gliaschwellung auslösen (z.B. Ammoniak, aber auch inflammatorische Zytokine oder Benzodiazepine) - ergänzt durch diätetische und medikamentöse Maßnahmen. Nachgewiesenermaßen gesicherte Therapieformen sind die Gabe pflanzlichen Eiweißes, Laktuloseeinläufe, die Gabe von L-Ornithin-L-Aspartat und die orale Gabe verzweigtkettiger Aminosäuren. Auch auf die Effektivität der Transplantation muss verwiesen werden. Dagegen konnten plazebokontrollierte Studien die Effektivität der als Standardtherapieform angesehenen oralen Laktulosegabe bislang nicht belegen.

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Summary

Hepatic encephalopathy is a potential complication of acute and chronic liver disease. It is of a functional nature and thus potentially reversible. A differentiation is made between clinically manifest and minimal (subclinical, latent) hepatic encephalopathy. While the diagnosis of the former is established on the basis of the clinical picture, psychometric and neurophysiological tests are needed to identify the two latter forms. With regard to its pathogenesis, hepatic encephalopathy is now considered to represent the clinically manifestation of a low-grade glial swelling leading to changes in astrocyte function and subsequent disordering of glioneuronal communication. The most important diagnostic steps are the detection and rigorous treatment of the factors triggering such glial swelling (e.g. ammonia, inflammatory cytokines, benzodiazepines or electrolyte imbalances) - supplemented by dietary measures and medication. Evidence-based therapies include the application of vegetable protein, lactulose enemas, L-ornithine-L-aspartate and oral branched-chain amino acids. Liver transplantation is also an effective option. In contrast, placebo-controlled studies have failed to confirm the effectiveness of oral administration of lactulose, which is considered the standard form of treatment.

Die hepatische Enzephalopathie (HE) ist heute als die Summe aller neurologisch nachweisbaren Funktionsstörungen des Gehirns definiert, welche bei akuten oder chronischen Lebererkrankungen auftreten können. Die reversible Funktionsstörung ist dabei das Resultat der Wirkung unterschiedlicher Faktoren. Häufigste Auslöser der hepatischen Enzephalopathie sind Blutungen im Magen-Darm-Trakt, Gewebsblutungen, eiweißreiche Mahlzeiten und Infektionen. Auch Obstipationen, Schockzustände, selbst kleinere operative Eingriffe oder Bluttransfusionen können die Erkrankung bei vorbestehenden Lebererkrankungen auslösen. Erwähnenswert ist, dass auch ärztliche Maßnahmen wie die Gabe von Diuretika oder von Sedativa und Benzodiazepinen, eine hepatische Enzephalopathie auslösen und verstärken können (4, 13, 16).

Man unterscheidet zwischen der hepatischen Enzephalopathie bei chronischen Lebererkrankungen und der hepatischen Enzephalopathie bei akutem Leberversagen. Welche dieser Formen auftritt, hängt von der Geschwindigkeit des Auftretens bzw. dem Umfang der Leberschädigung und der auslösenden Faktoren sowie der Ausprägung der Leberumgehungskreisläufe ab. Beim akuten Leberversagen handelt es sich um eine innerhalb von Stunden bzw. Tagen bis zu wenigen Wochen auftretende schwerste Beeinträchtigung der Leberfunktion - ohne dass zuvor eine Lebererkrankung vorlag. Eine vorbestehende chronische Leberzellschädigung dagegen ist die Grundlage des Entstehens der chronischen Form der hepatischen Enzephalopathie (4, 8, 13, 16).

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Pathogenese

Die Bedeutung des Hirnödems bei der hepatischen Enzephalopathie des akuten Leberversagens ist bereits seit langem bekannt. Heute wird jedoch auch einer Zellschwellung der Astrozyten im Gehirn, die eine Umstellung der Astrozytenfunktion bedingt und eine gestörte glioneuronale Kommunikation zur Folge hat, in der Pathogenese der geringgradigen Formen der hepatischen Enzephalopathie (HE) besondere Bedeutung zugemessen (4, 8, 13-15).

Für die Störung der Gliazellfunktion, die sich morphologisch in einer so genannten Alzheimer-Typ-II- Degeneration der Astrozyten widerspiegelt, sind einerseits direkte toxische Effekte von Ammoniak verantwortlich. Andererseits sind indirekte Wirkungen infolge der intrazellulären Glutaminakkumulation und Modulation von Transportmechanismen für die Induktion der Schwellung der Astrozyten von zentraler Bedeutung. Diese metabolischen Störungen im Hirn von Patienten mit unterschiedlichem Schweregrad der hepatischen Enzephalopathie und ihre Verbesserung unter entsprechender Behandlung, sind unter Anwendung der Proton-(1H)-Magnetresonanzspektroskopie (MRS) als auch der Messung der „Metabolic Transfer Ratio” (MTR) nachweisbar (2, 4, 6, 13-15).

Bei Patienten mit minimaler und manifester hepatischer Enzephalopathie sind ein Anstieg des Glutamins mit kompensatorischer Reduktion des Myoinositol-Signals bzw. eine Abnahme der MTR und die Normalisierung nach Lebertransplantation festzustellen. Diese Veränderungen reflektieren Störungen im Bereich der Volumen-Homeostase im Gehirn und insbesondere in den Astrozyten, welche sich bereits in den präklinischen Stadien der Erkrankung manifestieren. Neben Ammoniak können aber auch Substanzen wie Mangan, Tumornekrosefaktor (TNF), Zytokine, Benzodiazepine oder Neurosteroide und Hyponatriämien diese Modifikationen des Astrozytenvolumens auslösen. Damit erklärt die „Astrozyten-Schwellungs-Hypothese” die Ursachen einer im Einzelfall oftmals fehlenden Korrelation zwischen der Höhe des Ammoniakspiegels und der Schwere der hepatischen Enzephalopathie (4, 14, 15).

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Klinik und Diagnostik

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Manifeste hepatische Enzephalopathie

Die Diagnose der manifesten hepatischen Enzephalopathie erfolgt anhand des klinischen Bildes, wobei die Stadieneinteilung entsprechend der West-Haven-Kriterien vorgenommen wird (Tab. 1). Die klinisch manifesten Störungen im Rahmen der hepatischen Enzephalopathie gehen sowohl mit einer Beeinträchtigung neurologischer, muskulärer und/oder intellektueller Funktionen als auch mit Veränderungen der Persönlichkeit und des Bewusstseins einher.

Von neurologischer Seite entwickelt sich die chronische hepatische Enzephalopathie langsam: Sie beginnt mit Veränderungen

  • der Bewusstseinslage (allgemeine Verlangsamung, verminderte visuelle Selektionsleistung, Inversion des Schlaf-Wachrhythmus)

  • des Intellekts (Verminderung der Konzentrations- bzw. Aufmerksamkeitsdauer, Verlängerung der Reaktionsgeschwindigkeit)

  • des Verhaltens (Unruhe, Rastlosigkeit, Ängstlichkeit, Reizbarkeit) sowie muskulären Störungen (Feinmotorik, Zittern).

Klinisch auffallende Symptome insbesondere einer manifesten hepatischen Enzephalopathie bei Patienten mit Zirrhose sind eine schnelle Ermüdbarkeit, eine verringerte Daueraufmerksamkeit und eine Reduktion der Vigilanz. Schreitet die Erkrankung fort, nimmt zum einen der Schweregrad dieser initialen Symptome zu, zudem verkürzen sich die Aufmerksamkeitszeiträume bis hin zu einer muskulären Unkoordiniertheit (einschließlich Asterixis) und Muskelkrämpfen, Verwirrtheitszuständen, Bewusstseinstrübungen und dem Koma als Endzustand [Tab. 1] (5, 8, 10).

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Minimale hepatische Enzephalopathie

Die Existenz einer minimalen hepatischen Enzephalopathie (mHE) ist anzunehmen, wenn bei klinisch asymptomatischen Patienten mit einer stabilen Zirrhose abnormale Testresultate in mindestens zwei computerpsychometrischen bzw. psychometrischen Untersuchungen vorliegen (8, 19, 27). Die klinische Bedeutung dieser Form der hepatischen Enzephalopathie wird daraus abgeleitet, dass zirrhotische Patienten mit einer minimalen hepatischen Enzephalopathie eine schlechtere Langzeitprognose sowie eine verminderte Lebensqualität und Leistungsfähigkeit aufweisen als Patienten ohne mHE (3, 12). Dies ist möglicherweise auch unter dem Aspekt der Fahrtüchtigkeit von Bedeutung.

Wesentliche Kriterien zur Beurteilung der psychischen Leistungsfähigkeit und -bereitschaft wie optische Orientierung, Konzentrationsfähigkeit, Aufmerksamkeit, Daueraufmerksamkeit, Reaktionsfähigkeit und Belastbarkeit können mithilfe unterschiedlicher Methoden und Verfahren gemessen werden. Als derzeitiger Standard zur Diagnostik der minimalen hepatischen Enzephalopathie wurde die Anwendung des PSE-Scores empfohlen (8, 27). Die Testbatterie zur Ermittlung dieses Scores beinhaltet fünf psychometrische Papier- und Bleistiftteste:

  • Zahlenverbindungstest A

  • Zahlenverbindungstest B

  • Liniennachfahrtest (Auswertung von Zeit und Fehler)

  • Zahlensymboltest

  • Test „Kreise punktieren”.

Dabei werden die in den Einzeltests erreichten Leistungen mit Referenzwerten einer Kontrollgruppe verglichen. Leistungen im Bereich der Standardabweichung wird ein Wertpunkt von 0 zugeordnet. Testwerte außerhalb der einfachen, zweifachen bzw. dreifachen Standardabweichung führen zu -1, -2 bzw. -3 Wertpunkten. Die Summe der Wertpunkte aller sechs Testwertungen (maximal -18 Punkte) entspricht dem PSE-Score. Als pathologisch wird ein Score von -4 Wertpunkten angesehen (8, 27). Da alle im PSE-Score involvierten Tests wesentliche Nachteile wie Trainingseffekte, Alters- und Bildungsgradabhängigkeit aufweisen, ist dessen Validität jedoch fraglich. Auch klinische Studien konnten die Therapiesensitivität dieses Scores bislang nicht belegen. Unseres Erachtens ist der diagnostische Wert der dem Score zugrunde liegenden Papier- und Bleistifttests eher enttäuschend (19).

Die zeitaufwändige Computerpsychometrie und die einfache Bestimmung der kritischen Flimmerfrequenz erlauben dagegen eine zuverlässige Diagnose der Erkrankung. Die in Tabelle 2 vorgeschlagene Testbatterie ist in unserer Klinik Standard der neurophysiologischen Beurteilung zur Differenzierung zwischen HE 0 (klinisch asymptomatischer Patient mit maximal einem pathologischen Test) und mHE. Zur Beurteilung der Fahrtüchtigkeit werden drei zusätzliche Tests (Corsi-Block-Tapping-Test, Daueraufmerksamkeit und Wiener Determinationstest) empfohlen (19, 26).

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Ermittlung der Flimmerfrequenz

Mithilfe der Ermittlung der Flimmerfrequenz - einem in der neurologischen und neurophysiologischen Diagnostik seit langem etablierten Verfahren zur Erfassung zentralnervöser Aktiviertheitszustände - eröffnete sich in der Diagnostik der geringgradigen Formen der hepatischen Enzephalopathie eine neue diagnostische Option zur Optimierung der Schweregraduierung (19). Hierzu wird mittels eines Flimmerfrequenzanalysators eine intrafoveale Lichtreizung erzeugt, wobei das definierte Licht im Bereich von 25-60 Hz in Schritten von 0,1-0,5 Hz in absteigender Richtung einer Testperson vorgegeben wird. Die kritische Frequenz, bei der im absteigenden Verfahren der Eindruck des Gleichlichts in den des Flimmerns übergeht, ist als Flimmerfrequenz definiert. Die gemessene visuelle Diskriminationsfähigkeit gibt im Sinne der Aktivierungstheorie das aktuelle „Arousal” der Testperson an.

Die Flimmerfrequenz nimmt signifikant ab, je schwerer die hepatische Enzephalopathie ausgeprägt ist [Abb. 1]. Während zwischen Zirrhotikern mit HE 0 und Kontrollpatienten keine Unterschiede in Bezug auf die Flimmerfrequenz festzustellen waren, bestanden zwischen Kontrollpatienten ohne Zirrhose und Patienten mit mHE, HE I, HE II sowie auch zwischen den zirrhotischen Subpopulationen hoch signifikante Unterschiede (19).

Die Flimmerfrequenz erwies sich als ein reproduzierbarer Parameter, der durch Trainingseffekte, Bildungsgrad, Tageszeit- bzw. untersucherbedingte Variabilitäten nur geringfügig zu beeinflussen war. Die Untersuchungstechnik weist eine nur geringgradige Altersabhängigkeit auf, welche für die Routineanwendung zu vernachlässigen ist. Daher scheint sie ein sensitiver Parameter zur Objektivierung und Verlaufskontrolle der minimalen hepatischen Enzephalopathie zu sein.

Dabei erlaubt der parallele Abfall der Flimmerfrequenz bei gleichzeitiger Zunahme der motorischen, kognitiven und mentalen Störungen zirrhotischer Patienten die Quantifizierung der hepatischen Enzephalopathie im Sinne eines Kontinuums über einen weiten Bereich. Signifikante Korrelationen wurden zwischen der Flimmerfrequenz und den psychometrischen bzw. computerpsychometrischen Tests gefunden. Dies zeigt, dass die Flimmerfrequenz offensichtlich ein großes Spektrum neuropsychologischer Qualitäten in einer integrierten Art und Weise in sich vereinigt.

Der diagnostische Wert der Ermittlung der Flimmerfrequenz zur Diagnostik der geringgradigen HE-Formen ist unseres Erachtens dabei höher als der der vorhandenen psychometrischen Testbatterien (19). Parallel zu den Veränderungen der hepatischen Enzephalopathie zeigen die Werte eine konsistente Veränderung beim individuellen Patienten. Damit scheint die Flimmerfrequenz-Analyse geeignet, Fluktuationen abzubilden, wie sie durch therapeutische Interventionen oder durch präzipitierende Faktoren induziert werden (19).

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Weitere diagnostische Verfahren

Weitere apparative Untersuchungen wie Elektroenzephalografie, Computertomografie, Magnetresonanztomografie und Magnetresonanzspektroskopie haben ihren Stellenwert in erster Linie in der Differenzialdiagnostik zu anderen Ursachen einer gestörten Hirnfunktion, bei der Verlaufskontrolle in Einzelfällen und bei wissenschaftlichen Fragestellungen. Zur Routinediagnostik der hepatischen Enzephalopathie eignen sich diese Verfahren jedoch nicht.

Neuere Untersuchungen widersprechen der alten These, dass die Höhe der venösen Plasmaammoniakkonzentration nicht zuverlässig mit dem Grad der hepatischen Enzephalopathie korreliert (22). Bessere Ergebnisse wurden mit arteriellen Blutproben erzielt, jedoch erscheint auch die venöse Ammoniakkonzentration adäquat. Entscheidend für die Genauigkeit der Aussage scheint eine sofortige Verarbeitung der Probe zu sein (z.B. Schnelltest mittels Ammoniak-Checker II). Eine einmalige Bestimmung des Plasmaammoniaks kann in der Differenzialdiagnostik sinnvoll sein, wiederholte Bestimmungen zur Verlaufskontrolle sind jedoch entbehrlich. Sie können die klinische Beurteilung keinesfalls ersetzen (22).

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Therapie präzipitierender Faktoren

Die hepatische Enzephalopathie entwickelt sich bekanntermaßen aus vielfältigen präzipitierenden Faktoren. Deren Erkennung und Therapie muss also der erste Schritt im Rahmen der Versorgung eines Patienten mit einer chronischen hepatischen Enzephalopathie sein. Erst in zweiter Linie sind medikamentöse Behandlungsmaßnahmen notwendig (17, 23). Zu den allgemeinen Maßnahmen zählen der Stopp von Blutungen im Magen-Darm-Trakt und die Entfernung stickstoffreicher Substanzen, wie zum Beispiel Blut, aus dem Darm. Auch die Behandlung von Infektionen oder die Vermeidung eiweißreicher Mahlzeiten gehört hierzu.

Ein zu hoher Eiweißkonsum kann eine hepatische Enzephalopathie auslösen oder verschlimmern. Obwohl der Effekt nicht durch kontrollierte Studien gesichert ist, wird bei chronischer hepatischer Enzephalopathie eine Eiweißrestriktion auf etwa 1 g/kg Körpergewicht/Tag empfohlen. Bei schweren Verläufen kann initial die Eiweißmenge - allerdings nur für wenige Tage - auf 20-30 g täglich limitiert werden. Eine Restriktion auf unter 1 g/kgKG/Tag führt jedoch auf Dauer zu Katabolie und ist daher ungünstig. Pflanzliches Protein wird besser toleriert als tierisches, jedoch ist die Akzeptanz beim Patienten gering. Durch orale Applikation verzweigtkettiger Aminosäuren kann bei hochgradig proteinintoleranten Patienten mit chronischer hepatischer Enzephalopathie eine positive Stickstoffbilanz und eine Verbesserung der Symptomatik erreicht werden. Eine latente hepatische Enzephalopathie wird ebenfalls gebessert (7, 17, 23, 25).

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Medikamentöse Therapie

Während die Therapie der auslösenden Faktoren, Diätmaßnahmen und Lebertransplantation die hepatische Enzephalopathie nachgewiesenermaßen verbessern kann, ist die Effektivität zahlreicher medikamentöser Therapieansätze weniger klar. Denn üblicherweise führt bereits die Beseitigung auslösender Faktoren zu einer Besserung der Erkrankung. Daher muss die Testung HE-wirksamer Medikamente vor dem Hintergrund einer Spontanbesserung erfolgen.

Gleichfalls ist aufgrund der unterschiedlichen pathogenetischen Faktoren, die zur Gliaschwellung führen, zu erwarten, dass von einem medikamentösen Therapieansatz nur Patientensubgruppen profitieren. Klinische Studien auf diesem Gebiet haben - da die Patientenzahlen in den Subgruppen nur klein sind - immer einen eher anekdotischen Charakter.

Das wichtigste Problem bei der Bewertung klinischer Studien besteht aber darin, dass die meisten der Therapiestudien als Kontrollgruppe den Vergleich zu Laktulose wählten. Obwohl Wirksamkeitsnachweise für die Effektivität von Laktulose im Vergleich zu Plazebo fehlen (9, 17, 20), erlangte diese Therapieoption frühzeitig den Status eines Goldstandards in der HE-Therapie. Dies führte zum Schluss, dass die Wirkungsäquivalenz eines zu untersuchenden Medikaments mit Laktulose gleichzusetzen ist mit dessen Wirksamkeitsnachweis.

Diese Punkte gilt es bei der derzeit verfügbaren medikamentösen Therapie der hepatischen Enzephalopathie zu berücksichtigen. Tabelle 3 fasst den derzeitigen Stand des Wirksamkeitsnachweises gängiger HE-Therapieformen auf der Grundlage der Resultate von evidenzbasierten klinischen Studien zusammen (9, 17, 20).

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Laktulose und Laktitol

Laktulose und Laktitol sind nichtresorbierbare Disaccharide, die durch ihre laxierende Wirkung, Umstellung der Darmflora und durch Verschiebung des intestinalen pH-Wertes (Ansäuerung) die Bildung von Ammoniak im Darm vermindern. Die Wirkung von Laktulose-Einläufen ist gesichert (24). Die Wirksamkeit von oral verabreichter Laktulose ist gleichwertig mit der von oralen Aminoglykosiden und anderen Antibiotika, wie Metronidazol oder Rifaximin.

Allerdings stellen die wenigen und mit geringen Patientenzahlen durchgeführten Studien, die Laktulose mit Plazebo verglichen, die Wirksamkeit von Laktulose infrage (9, 17, 20, 23). Ungeachtet dessen hat sich die orale Verabreichung von Laktulose in der klinischen Praxis jedoch sowohl bei akuter als auch bei chronischer oder latenter hepatischer Enzephalopathie als Standard durchgesetzt.

Nach gastrointestinalen Blutungen wird Laktulose im Abstand von ein bis zwei Stunden oral oder als Einlauf (500-1000 ml 20 %iger Laktulose) appliziert. In der Langzeittherapie sollten zwei weiche Stühle am Tag angestrebt werden. Neuerdings verfügbare Applikationsformen als Pulver umgehen das Problem des süßlichen Geschmacks.

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Schwer bzw. nichtresorbierbare Antibiotika

Nichtresorbierbare Antibiotika sollen die Ammoniakbildung durch die Darmflora reduzieren. Zahlreiche klinische Studien zeigten, dass ihre Wirksamkeit mit der von Laktulose gleichzusetzen ist. Neomycin wird in einer Dosierung von 3-4 x 1 g/Tag eingesetzt, gelegentlich auch in Dosierungen bis zu 12 g/Tag. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass mit einer Resorption von 1-3 % der verabreichten Dosis zu rechnen ist und Aminoglykoside oto- und nephrotoxische Nebenwirkungen haben können. Zur Dauertherapie sind Antibiotika daher eher ungeeignet. Dies gilt auch für Antibiotika mit äquivalenter Wirkung, wie Metronidazol oder Rifaximin. Bei Paromomycin (1-3 g/Tag) und Vancomycin scheint die Resorptionsrate geringer zu sein (9, 17, 23).

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L-Ornithin-L-Aspartat

L-Ornithin-L-Aspartat verbessert unter anderem die Ammoniumentgiftung durch eine Bereitstellung von Aspartat, das als Kohlenstoffgerüst für die Glutaminsynthese in den perivenös lokalisierten Scavenger-Zellen der Leber dient. Zusätzlich wird mit Ornithin ein Intermediat des Harnstoffzyklus in den periportalen Hepatozyten zur Verfügung gestellt.

L-Ornithin-L-Aspartat gehört zu den wenigen Medikamenten, deren Wirksamkeit in kontrollierten Studien nachgewiesen werden konnte. Bei intravenöser Infusion über mehrere Stunden konnte in plazebokontrollierten Studien eine Reduktion der Ammoniakspiegel und eine klinische Besserung einer manifesten hepatischen Enzephalopathie gezeigt werden. Die wirksame intravenöse Dosierung liegt bei 20-40 g täglich. Zentralnervöse Nebenwirkungen (Übelkeit und Erbrechen) treten auch bei höheren Dosierungen (maximale Dosierung 5 g/Stunde) selten auf (18).

Auch bei oraler Applikation führt L-Ornithin-L-Aspartat in einer Dosierung von 3 x 3-6 g/Tag im Vergleich zu Plazebo zu einer Besserung einer manifesten hepatischen Enzephalopathie. Dagegen gelang der Wirksamkeitsnachweis bei Vorliegen einer minimalen hepatischen Enzephalopathie nicht (9, 17, 23).

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Verzweigtkettige Aminosäuren

Mehrere plazebokontrollierte Studien haben die Wirksamkeit von oral applizierten, verzweigtkettigen Aminosäuren gezeigt. Als Zusatznahrung gegeben, sind sie bei proteinintoleranten Patienten indiziert. Dagegen ist die Datenlage für die parenterale Gabe von adaptierten Aminosäurelösungen mit erhöhtem Anteil verzweigtkettiger Aminosäuren widersprüchlich. Ihre Verabreichung für drei bis sechs Tage bei höhergradiger hepatischer Enzephalopathie wurde empfohlen, um die Bewusstseinslage zu bessern. Nach den Wirksamkeitskriterien für klinische Studien konnte ihr Effekt jedoch nicht gesichert werden (7, 9, 17, 21, 23, 25).

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Behandlungsalternativen

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Benzodiazepinrezeptorantagonisten

Nach ermutigenden Einzelbeobachtungen liegen inzwischen auch mehrere kontrollierte, aussagekräftige Studien sowohl bei Patienten mit schweren (Grad III/IV) als auch geringgradigen bzw. minimalen Formen der hepatischen Enzephalopathie vor. Mithilfe einer Behandlung mit Benzodiazepinrezeptorantagonisten fand sich eine signifikante, wenn auch geringe Verbesserung der Symptomatik (1, 9, 11, 17, 23).

Alle Studien stimmten darin überein, dass Flumazenil die Mortalität der Patienten nicht beeinflussen konnte. Daher ist Flumazenil heute kein Standardtherapeutikum bei einer hepatischen Enzephalopathie. Wichtig ist die Substanz aber in der Differenzialtherapie, wenn es um den Ausschluss oder die Behandlung von HE-Episoden geht, welche durch Benzodiazepineinnahme ausgelöst sind (9, 17, 23).

Dennoch scheint in gewissen Fällen eine Behandlung mit Benzodiazepinrezeptorantagonisten sinnvoll, wenn trotz der Therapie präzipitierender Faktoren, einer Gabe von Laktulose bzw. L-Ornithin-L-Aspartat weiterhin eine hepatische Enzephalopathie vorliegt (9, 17, 23). Zwei große Metaanalysen bestätigen die - wenn auch geringe - Überlegenheit dieser Wirkstoffe gegenüber Plazebo (1, 9, 11, 17, 23).

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Zink

Viele Zirrhosepatienten weisen erniedrigte Serumzinkspiegel auf. Ob eine Zinksubstitution die HE-Symptomatik beeinflussen kann, wird momentan kontrovers diskutiert. Während in einer Untersuchung eine Zinksubstitution die mentale Leistungsfähigkeit und die Harnstoffsynthese verbessern konnte, stellten andere Autoren keinen Einfluss auf die HE-Symptomatik fest. Zweifelsfrei vermag aber Zink die häufig bei Zirrhosepatienten vorliegende Dunkeladaptationstörung zu verbessern (9, 17, 23).

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Helicobacter-Eradikation

Da Helicobacter pylori Urease produziert und so durch die Spaltung von Harnstoff einer Hyperammoniämie Vorschub leisten kann, wurde seine Bedeutung bei der Entstehung einer hepatischen Enzephalopathie in Erwägung gezogen. Hierfür sprachen das häufigere Vorhandensein von Helicobacter-Infektionen bei Zirrhosepatienten mit hepatischer Enzephalopathie verglichen mit solchen ohne und die Tatsache, dass nach Proteinbelastung Patienten mit einer Helicobacter-Infektion höhere Blutammoniakspiegel aufwiesen als solche nach erfolgter Eradikationstherapie.

Inzwischen gibt es mehre Studien zum Einfluss einer Eradikationsbehandlung auf die Symptomatik einer hepatischen Enzephalopathie, die keinen Vorteil hinsichtlich einer Verbesserung des Nüchtern-Ammoniakspiegels zeigten. Die Eradikationstherapie ist daher nicht als primär wirksame Therapieform anzusehen und sollte Patienten mit hepatischer Enzephalopathie, Hyperammoniämie und nachgewiesener Helocobacter-pylori-Infektion vorbehalten bleiben (9, 17 ,23).

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Lebertransplantation

In ausgewählten Fällen ist auch eine Lebertransplantation möglich. Aufgrund einer neueren Publikation sollte ihr Einsatz bereits nach dem Auftreten einer erstmaligen Komaepisode erwogen werden (3).

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Abb. 1 Die Daten stammen aus einer eigenen Untersuchung von 92 zirrhotischen Patienten und 23 altersentsprechenden Kontrollpatienten mit hepatischer Enzephalopathie unterschiedlicher Schweregrade (19)

Tab. 1 Klinisches Spektrum der zerebralen und neuromuskulären Störungen

Grad der Enzephalopathie

Bewusst-seinslage

Intellekt

Verhalten

neuromuskuläre Störungen

Neuropsychometrie

Grad 0 (keine HE)

unauffällig

unauffällig

unauffällig

nicht nachweisbar

unauffällig

Grad 0 (SHE) (keine manifeste HE)

unauffällig

unauffällig

unauffällig

nicht nachweisbar

pathologische Testresultate

Grad I (geringgradig manifeste HE)

Schlafstörungen,

Schläfrigkeit,

Schlaflosigkeit,

Umkehrung des Schlaf-Wachrhythmus

verminderte Konzentration,

verminderte Aufmerksamkeit,

verminderte Reaktions-geschwindigkeit

zunehmende Erschöpfung,

Euphorie oder Depression,

Geschwätzigkeit,

Reizbarkeit

gestörte einmotorik,

einschlägiges Fingerzittern,

Schriftänderung

pathologische

Testresultate

Grad II (mittelgradig manifeste HE)

Verlangsamung,

starke Schläfrigkeit,

träger Gedankenfluss,

Lethargie

kein Zeitgefühl,

Rechnen

beeinträchtigt,

Erinnerungslücken

Enthemmung,

Persönlichkeitsänderung,

Angst,

Teilnahms-losigkeit

Zunahme des Händezitterns,

verwaschene Sprache,

verminderte Reflexe,

verstärkter Muskeltonus

pathologische Testresultate

Grad III (schwere, manifeste HE, Vorstufe des Komas)

Desorientiertheit,

stärkste Schläfrigkeit,

Bewusstseins-eintrübung,

Verwirrtheit,

Bewegungslosigkeit,

z.T. „Erstarrungen”

fortschreitende Erinnerungslücken (z.B. für die Erkrankung),

Unfähigkeit zu Rechnen

Desorientiertheit (zeitlich und örtlich)

Wahnvorstellungen,

Aggressionen

verstärkte Reflexe,

Zunahme krankhafter

Fremdreflexe,

unwillkürliche rhythmische Augen-

bewegung (Augenzittern),

Augenflattern,

Muskelkrämpfe,

fortschreitende Spastik

keine psychometrischen

bzw. computerpsychometrischen Untersuchungen

durchführbar

Grad IV (schwerste Form der manifesten HE, Koma)

 

 

 

Pupillenerweiterung,

Streckkrämpfe,

Nackensteifigkeit

Erlöschen der Reflexe,

Tonusverlust

keine psychometrischen

bzw. computerpsychometrischen Untersuchungen

durchführbar

 

Bewusstlosigkeit

keine Funktion

erloschen

 

 

Das erstmalige Auftreten des jeweiligen klinischen Symptoms wurde in dem entsprechenden Schweregrad der hepatischen Enzephalopathie notiert. Dieses Symptom kann, möglicherweise in einer ausgeprägteren Form, natürlich auch in einem höheren Schweregrad diagnostiziert werden

Tab. 2 Die computerpsychometrische Diagnostik

Fähigkeit

Test

Dauer

Reaktionsfähigkeit

Wiener Reaktionstest (RT): Test zur Messung der Reaktionszeit auf akustische und optische Reize

6-8 Minuten

Konzentration, Daueraufmerksamkeit

Cognitrone (COG): allgemeiner Leistungstest zur Erfassung der Aufmerksamkeit und Konzentration

15 Minuten

Orientierungsleistung, Überblicksgewinnung

Linienverfolgungstest (LVT): visueller Test zur Erfassung konzentrierter, gezielter Wahrnehmung

15 Minuten

Motorik, Feinmotorik

motorische Leistungsserie (MLS): Messung feinmotorischer Fähigkeiten wie Zielgerichtetheit und Präzision der Bewegung, Tremor, Geschwindigkeit und Geschicklichkeit

10 Minuten

Aufmerksamkeit, Beobachtungsfähigkeit

tachystoskopischer Verkehrsauffassungstest (TAVTMB): Verfahren zur Überprüfung der optischen Wahrnehmungsleistung

10 Minuten

Die hier vorgestellte Testbatterie verwenden wir in unserem neurophysiologischen Labor. Ergänzend zu den fünf Standardtests werden zur Erfassung der Fahrtüchtigkeit eines Patienten der Wiener Determinationstest, die Daueraufmerksamkeit und der Corsi-Block-Tapping-Test empfohlen. Die Anwendung computerpsychometrischer Tests ermöglicht eine umfassende Analyse der Aufmerksamkeit, Konzentrations- und Wahrnehmungsfähigkeit, Feinmotorik und Reaktionszeiten und objektiviert die Beurteilung der mentalen Leistungsfähigkeit der zirrhotischen Patienten

Tab. 3 Gesicherte und ungesicherte Therapieformen

Wirksamkeit gesichert

unsicher

fehlend

pflanzliches Eiweiß

Laktuloseeinlauf

L-Ornithin-L-Aspartat

orale verzweigtkettige Aminosäuren

Transplantation

Laktulose

Neomycin

Metronidazol

Rifaximin

Zink

Benzoat

Flumazenil

i.v. verzweigtkettige Aminosäuren (BCAA)

Lactobacillus

Levodopa

Bromocriptin

Ornithinketoglutarat

Helicobacter-pylory-Eradikation

Die verschiedenen Therapieformen wurden aufgrund der Analyse plazebokontrollierter klinischer Studien eingeteilt, welche in Peer-review-Zeitschriften publiziert wurden und evidenzbasierten Kriterien für die Durchführung klinischer Studien entsprechen

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Anschrift für die Verfasser

Dr. Gerald Kircheis

Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Moorenstraße 5

40225 Düsseldorf

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Anschrift für die Verfasser

Dr. Gerald Kircheis

Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Moorenstraße 5

40225 Düsseldorf

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Abb. 1 Die Daten stammen aus einer eigenen Untersuchung von 92 zirrhotischen Patienten und 23 altersentsprechenden Kontrollpatienten mit hepatischer Enzephalopathie unterschiedlicher Schweregrade (19)