Das Oxybutynin wirkt effektiv gegen die Drangsymtomatik, allerdings limitierten hohe
Nebenwirkungsrate (Mundtrockenheit) häufig die Therapie (1). Mit der Einführung einer
Extended-release-Form (ERF) konnte bei gleichbleibender Wirkung durch eine gleichmäßige
Freisetzung des Wirkstoffs die Nebenwirkungsrate gesenkt werden.
Pathophysiologie der hyperaktiven Blase
Pathophysiologie der hyperaktiven Blase
Der genaue Mechanismus der Hyperaktivität der Blase ist nicht in allen Einzelheiten
bekannt. Neurogene und muskuläre Aspekte kommen in Betracht (2, 3). Die Acetylcholin-induzierte
Stimulation der postganglionären muskarinischen Rezeptoren der glatten Blasenmuskulatur
beeinflusst die willkürliche und unwillkürliche Blasenkontraktionen. Hier unterscheidet
man 5 unterschiedliche Muskarin-Rezeptoren (M1- M5) mit unterschiedlicher Verteilung
an den Zielorganen. Der menschliche Blasenmuskel hat vorwiegend M2- und M3-Rezeptoren.
Die Kontraktionen des glattmuskulären Detrusors werden aber vornehmlich über die in
der Minderzahl vorliegenden M3-Rezeptoren mediiert (4, 5, 6). Die einzelnen Muskarin-Rezeptoren
weisen neben unterschiedlicher Organverteilung ein unterschiedliches Bindungsverhalten
zu Antagonisten auf, wodurch sich therapeutische Konsequenzen ergeben können [Tab. 1].
Wirkweise von Oxybutynin
Wirkweise von Oxybutynin
Oxybutynin wurde in den 1960er Jahren für die Therapie der gastrointestinalen Hypermobilität
entwickelt. Weitere Untersuchungen zeigten einen Effekt auf den Detrusor mit Unterdrückung
ungehemmter Blasenkontraktionen (7).
Effektivität
Die Effektivität von Oxybutynin auf die Miktionssymptomatik wurde in zahlreichen Studien
belegt. So konnten Mardersbacher et al. zeigen, dass sich bei 80 % der mit Oxybutynin
(3 x 5 mg) behandelten Patienten die Symptome verbesserten (8). Dies konnte auch in
einer multizentrischen, randomisierten Doppelblindstudie untermauert werden. Hier
zeigten 58 % der 154 untersuchten Patienten eine Verbesserung der Symptomatik einer
Detrusorhyperkontraktilität. Im Vergleich zu Plazebo trat der erste Harndrang der
Patienten unter Oxybutynin deutlich später ein (9). Allerdings brachen ca. 30 % der
mit Anticholinergika therapierten Patienten die Therapie aufgrund von Nebenwirkungen
ab (10).
Intravesikale Applikation
Vorteil dieser Applikation ist, dass weniger Nebenwirkungen auftreten. Dies erklärt
sich durch die Umgehung des First-pass-Effektes (Metabolite). Nachteil dieser Applikationsform:
wenig praktikabel und teuer.
Rektale Applikation
Ähnlich wie bei der intravesikalen ist bei der rektalen Applikation der First-pass-
Metabolismus vermindert. Ebenso liegt eine langsamere Resorption vor (10).
Orale Applikation
Durch eine verzögerte Freisetzung aus dem Osmotic-Drug-Delivery-System OROS® können
gleichbleibende Wirkspiegel erreicht werden. Dieses System besteht aus einer semipermeablen
Membran, die eine Schicht mit Oxybutynin und eine Schicht mit einer osmotisch wirkenden
Substanz enthält [Abb. 1]. Durch das Eindringen von Wasser expandiert die osmotische Substanz und Oxybutynin
wird über eine kleine Öffnung kontrolliert ausgetrieben (11).
Hierdurch lassen sich gleichmäßige Serumspiegel ohne Schwankungen erzielen. Dies steht
im Gegensatz zu den Wirkstoffspitzen des Serumspiegels bei einer 3-maligen Gabe bei
der Immediate-release-Form (IRF). Dennoch stellt auch bei dieser Form die Mundtrockenheit
die Hauptnebenwirkung dar, wenngleich sie bei der ERF geringer ist (12).
Bei gleicher Effektivität konnte mit der ERF in 50 % der Fälle die Mundtrockenheit
reduziert werden (13). Da die Nebenwirkungen seltener eintreten, ist eine höhere Dosierung
möglich (14). Nach 6 Monaten behalten ca. 67 % der Patienten die Therapie mit der
ERF bei, während nur ca. 30 % die Therapie mit der Immediate-release-Form beibehalten
(15). Die ERF wird in einer Dosis von 5-30 mg/die als einmal tägliche Gabe empfohlen.
Bei Gabe von 15 mg/die wurde eine Spitzen-Plasmakonzentration von 6,7 μg/l gemessen,
die nach 5,2 Stunden erreicht wurde (16). Im Vergleich dazu erreicht die IRF bei Gabe
von 15 mg eine maximale Serumkonzentration von 15 μg/l bereits nach einer Stunde (17).
Effektivität
Effektivität
Die Effektivität von Oxybutynin in seiner ERF ist mittlerweile in mehreren Studien
belegt. So zeigte die Studie von Zinner et al., dass die ERF die durchschnittliche
Anzahl der wöchentlichen Inkontinenz-Episoden um 90 vs. 49 % (Plazebo) senkt (18).
Eine komplette Kontinenz konnte in 50 vs. 13 % (Plazebo) in der Studie von Schmidt
et al. erzielt werden (19). Im Vergleich zu der IRF des Oxybutynin konnte in der Studie
von Anderson bei 107 Patienten mit Dranginkontinez ein Rückgang der wöchentlichen
Inkontinenz-Episoden erzielt werden. Eine Kontinenz konnte in 41 vs. 40 % erreicht
werden. Die Wirkung einer einmal täglichen Gabe des Extended-release Oxybutynin entsprach
somit der 3-4-maligen täglichen Gabe des Immediate-release Oxybutynin. Allerdings
traten Nebenwirkungen weniger häufig auf (20). Gleason zeigte, dass die Erhaltungsdosis
bei ca. 17 % der Therapierten höher liegt als bei der IRF (25-30 mg). Trotz dieser
höheren Erhaltungsdosis erhöhte sich die Rate des nebenwirkungsbedingten Absetzens
nicht (21). Im Vergleich zu Tolterodine zeigte Appel in einer 12-Wochen-Studie, dass
die ERF des Oxybutynin in den Zielpunkten wöchentliche Inkontinenz-Episoden, Kontinenzraten
und Miktionsfrequenz signifikant besser war. Allerdings konnte auch Tolterodine die
Symptome, verglichen zur Baseline, signifikant verbessern. (22).
Tolerabilität
Tolerabilität
Ebenso wie bei der IRF des Oxybutynin ist die Mundtrockenheit bei der ERF die häufigste
Nebenwirkung. Mundtrockenheit trat in der Studie von Anderson et al. (23) bei der
Gabe der ERF in 68 vs. 87 % bei der IRF auf. Die anderen Nebenwirkungen traten in
vergleichbarer Häufigkeit auf. In einer 12-Wochen-Studie lag die Rate des Therapieabbruchs
bei der ERF bei nur 1,6 vs. 7,8 % bei der IRF (24). Bei längeren Studien (6 Monate)
stieg die Rate der Patienten, die die Therapie aufgrund der Nebenwirkung abbrachen,
auf 7 (ERF) vs. 15 % (IRF) (25). Viele Studien beschränken sich auf einen kurzen Untersuchungszeitraum.
Andere Langzeitstudien zeigen, dass es in einem nicht unerheblichen Prozentsatz zum
Absetzen der Therapie kommt. So beschreibt Kelleher (26) in einer Studie, dass nur
18,2 % eine Therapie mit Anticholinergika länger als 6 Monate fortsetzen. Längere
Untersuchungen, die die Tolerabilität der ERF überprüfen, liegen bislang nicht vor.
Die geringere Nebenwirkungsrate lässt ein besseres Langzeitergebnis erwarten.
Schlussfolgerung
Schlussfolgerung
Anticholinergika stellen das Mittel der Wahl zur medikamentösen Therapie der hyperaktiven
Blase und der Dranginkontinenz dar. Unter den Anticholinergika hat sich in der Vergangenheit
Oxybutynin als Referenzsubstanz etabliert. Allerdings führte die hohe Rate an Nebenwirkungen
(besonders Mundtrockenheit) bei einer großen Zahl der Patienten trotz guten Therapieeffektes
zum vorzeitigen Absetzen der Medikation. Diese Nebenwirkungen treten besonders bei
der Form auf, die eine hohe enterale Absorptionsrate und damit schnell Spitzen in
der Serumkonzentration erreicht. Wird die Substanz zu schnell verstoffwechselt, ist
eine mehrmalige Gabe am Tag erforderlich. Mit der Einführung der ERF können die Nebenwirkungen
durch eine gleichmäßige Wirkstofffreigabe über einen längeren Zeitraum und damit gleichbleibenden
Serumspiegel reduziert werden. Die kontrollierte Wirkstofffreigabe ermöglicht daher
auch eine einmalige, tägliche Gabe. Nach ca. 4 Tagen befindet sich der Wirkspiegel
im Gleichgewicht. Größere Schwankungen der Serumkonzentration lassen sich dadurch
vermeiden. Dennoch muss festgehalten werden, dass die bislang gewonnen Erkenntnisse
zur Effektivität und Tolerabilität der ERF des Oxybutynin vorwiegend in kleineren
und zeitlich sehr begrenzten Studien gewonnen wurden. Hier allerdings konnte eine
gute Wirksamkeit bei reduzierten Nebenwirkungen nachgewiesen werden.
Abb. 1 Schema- tische Darstellung der Wirkstoff-freisetzung (modifiziert nach Gleason DM;
Urology 54; 1999)
|
|
Antagonist nmol/l
|
|
Rezeptor
|
Tolterodine
|
Oxybutynin
|
Darifenacin
|
|
M1 |
3,0 |
2,4 |
35,0 |
|
M2 |
3,8 |
6,7 |
56,0 |
|
M3 |
3,4 |
0,67 |
1,2 |
|
M4 |
5,0 |
2,0 |
18,0 |
|
M5 |
3,4 |
11,0 |
9,0 |