Der Klinikarzt 2003; 32(11): 400-402
DOI: 10.1055/s-2003-44529
Der interessante Fall

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Kombinationstherapie bei HIV und Tuberkulose - Arzneimittelwechselwirkungen vermeiden, Therapie optimieren

Combination Therapy of HIV and Tuberculosis - Avoiding Drug Interactions for Optimal Success of TherapyE. Voigt1
  • 1Immunologische Ambulanz, Medizinische Universitätsklinik Bonn (Direktor: Prof. Dr. T. Sauerbruch)
Weitere Informationen
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Anschrift der Verfasserin

Esther Voigt

Medizinische Universitätsklinik

Immunologische Ambulanz

Sigmund-Freud-Str. 25

53105 Bonn

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
20. November 2003 (online)

Inhaltsübersicht #

Zusammenfassung

Seit Beginn der HIV-Pandemie ist die Tuberkulose mehr denn je zu einem der bedeutendsten Gesundheitsprobleme der Welt geworden. Die HIV-assoziierte Immunsuppression wirkt sich auch auf die gegen Mycobacterium tuberculosis gerichtete Immunantwort aus, die wiederum die Progression der HIV-Symptomatik verstärken kann. Die Koinfektion mit HIV und Tuberkulose stellt den behandelnden Arzt vor die Herausforderung, die richtige Kombination an Therapeutika zu wählen, um Wechselwirkungen gering zu halten und einen optimalen Therapieerfolg zu erreichen. Wir berichten über eine Patientin, die mit einer akuten Tuberkulose-Infektion und einer neu diagnostizierten HIV-Infektion zu uns kam. Aufgrund des fortgeschrittenen Immundefekts musste eine antiretrovirale mit der antituberkulostatischen Behandlung kombiniert werden. In dieser Kasuistik wird ein Beispiel aufgezeigt, wie diese beiden Therapien trotz drohender Wechselwirkungen sinnvoll kombiniert werden können.

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Summary

Since the onset of the pandemic of HIV, tuberculosis has developed more than ever to an important health problem of the world. HIV-associated immunosuppression influences the immune response to Mycobacterium tuberculosis which vice versa may enhance the progression of HIV. Therefore, coinfection of HIV and tuberculosis is a challenge for chosing the appropriate drug combination with minimal interactions and optimal success of therapy. This case report describes a patient with acute tuberculosis and a recently diagnosed HIV infection. Because of the progressed immunodeficiency we had to combine antiretroviral and antituberculostatic therapy. This is an example how to combine both therapies despite impending drug interactions.

Die Tuberkulose ist weltweit eines der vordringlichen medizinischen und sozioökonomischen Probleme und hat mit dem Beginn der HIV-Pandemie noch an Bedeutung gewonnen. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO leiden weltweit allein elf Millionen Menschen an einer Doppelinfektion mit HIV und Mycobacterium tuberculosis. Nach der Klassifikation der „Centers for Disease Control” (CDC) zählt die Tuberkulose zu den AIDS-definierenden Erkrankungen [1]. Denn der fortschreitende zelluläre Immundefekt im Rahmen der HIV-Infektion begünstigt die Reaktivierung einer Tuberkulose und bedingt einen schlechteren Verlauf der Erkrankung. Eine Tuberkulose ihrerseits scheint sich zudem ungünstig auf den Verlauf der HIV-Infektion auswirken zu können [2] [5].

Mit Einführung der hoch aktiven antiretroviralen Therapie (HAART) sind AIDS-Manifestationen insgesamt und auch die Tuberkulose zwar seltener geworden. Zudem konnte die HAART eine deutliche Verbesserung der Prognose von HIV-Patienten mit einer Tuberkulose erzielen. Trotz dieser Fortschritte kann es jedoch zu einer Manifestation der Tuberkulose kommen - auch bei quantitativ noch verhältnismäßig gutem Immunstatus.

Zu berücksichtigen ist, dass zwischen den zur HAART eingesetzten Substanzen - insbesondere den Proteaseinhibitoren (PI) und nichtnukleosidalen Hemmern der reversen Transkriptase (NNRTI) - und den Tuberkulostatika vielfältige Wechselwirkungen bestehen [4]. Diese setzen zum einen die Wirksamkeit einzelner Substanzen herab, können aber auch deren Toxizität erhöhen [6].

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Fallbericht

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Anamnese

Eine 38-jährige, aus Kenia stammende Patientin stellte sich erstmals im September 2000 in schlechtem Allgemeinzustand beim Hausarzt vor. Sie berichtete über anhaltendes Fieber bis 40°C, Nachtschweiß, einen signifikanten Gewichtsverlust (8 kg/2 Wochen) und diffuse abdominelle Schmerzen mit wässriger Diarrhö. Im Mai 2000 hatte die Patientin bereits an einem thorakalen Herpes zoster gelitten.

Im Rahmen der stationären Abklärung in einem peripheren Krankenhaus fanden sich in der Abdomensonografie freie Flüssigkeit, eine Splenomegalie sowie eine unklare zystische Raumforderung im Unterbauch, die von den Adnexen nicht sicher abzugrenzen war. Eine Röntgenübersicht des Abdomens zeigte Spiegel im Kolon, das Röntgenbild des Thorax dokumentierte ausgedehnte Pleuraergüsse beidseits. Die Patientin wurde laparoskopiert, wobei ein trüber Aszites nachzuweisen war, zudem imponierten peritoneale Granulome. Daher wurde die Patientin an die Medizinische Klinik der Universität Bonn überweisen.

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Aufnahmebefund

Die Patientin wurde im September 2000 in einem reduzierten Allgemein- und Ernährungszustand (Körpergröße etwa 160 cm, Körpergewicht 49 kg) bei klarem Bewusstsein und adäquater Psyche in die Klinik aufgenommen. Die Temperatur war mit 40°C - sublingual gemessen - deutlich erhöht. Die Kopf- und Halsorgane waren unauffällig, insbesondere war kein Soor und keine orale Haarleukoplakie zu sehen.

Die Herztöne waren rein und rhythmisch, pathologische Geräusche waren nicht zu verzeichnen. Blutdruck und Herzfrequenz lagen im Normbereich (RR 110/70 mmHg, HF 130/min). Es zeigten sich beidseits Pleuraergüsse, Rasselgeräusche über den Lungen waren nicht zu hören.

Im rechten Unterbauch war ein Druckschmerz festzustellen, Abwehrspannung oder tastbare Resistenzen fanden sich nicht. Die Leber war nicht vergrößert, die Milz nicht tastbar, das Nierenlager war klopfschmerzfrei. Zu sehen waren reizlose Narben bei Zustand nach Laparoskopie.

Eine generalisierte Lymphknotenschwellung (< 1cm) wurde dokumentiert. Der Hautbefund war unauffällig, Ödeme waren nicht zu sehen. Sowohl der knöcherne als auch der gelenkige Bewegungsapparat waren unauffällig.

Wegweisende diagnostische Befunde waren:

  • die Lymphozytendifferenzierung: CD4-Lymphozyten 39/μl, 7 %; CD4/CD8-Ratio 0,12

  • die mikrobiologische Diagnostik: HIV1-IgG/IgM positiv, HIV-RNA (bDNA) > 500000 cps/ml; mikroskopisch und kulturell kein Nachweis säurefester Stäbchen in Sputum, Magennüchternsaft, Stuhl und Urin.

  • die Histologie der peritonealen Granulome: granulomatöse, käsig-nekrotisierende Entzündung mit Nachweis säurefester Stäbchen.

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Diagnosen

Aufgrund der Befunde wurden eine HIV-Infektion (Erstdiagnose 09/00, Stadium CDC C3), eine peritoneale Tuberkulose und ein Zustand nach Herpes zoster (05/00) diagnostiziert.

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Therapie und Verlauf

Daraufhin wurden umgehend eine HAART und eine Vierfach-Tuberkulostase eingeleitet. Die HAART wurde begonnen mit Saquinavir softgel (Fortovase®; zweimal 1000 mg täglich), Ritonavir (Norvir®; zweimal 100 mg täglich), Lamivudin (Epivir®; zweimal 150 mg täglich), Stavudin (Zerit®; zweimal 30 mg täglich). Die gleichzeitig eingeleitete tuberkulostatische Behandlung bestand aus Isoniazid (einmal 300 mg täglich), Rifampicin (einmal 600 mg täglich), Ethambutol (einmal 1500 mg täglich) und Pyrazinamid (einmal 2000 mg täglich).

Die Patientin vertrug die medikamentöse Behandlung gut, ihr Allgemeinzustand besserte sich rasch. Daher konnte sie im Oktober 2000 in die ambulante Weiterbehandlung entlassen werden. Die HAART wurde wie oben beschrieben fortgeführt. Hierunter sank die HI-Viruslast kontinuierlich und lag nach etwa vier Monaten anhaltend unter der Nachweisgrenze von 50 cps/ml. Die CD4-Zellzahl stieg entsprechend kontinuierlich von initial 39/μl auf 474/μl im November 2002 an [Abb. 1].

Die tuberkulostatische Therapie wurde nach drei Monaten auf die Kombination aus Isoniazid und Rifampicin reduziert und im Juli 2001 vollständig abgesetzt. Der Lokalbefund im Bereich der Adnexe zeigte sich sonografisch seit Oktober 2000 langsam regredient, freie Flüssigkeit wurde im Verlauf nicht mehr nachgewiesen. Das Röntgenbild des Thorax stellte sich im Verlauf unauffällig dar. Auch nach Absetzen der Tuberkulostase im Juli 2001 blieb der Verlauf klinisch und nach bildgebender Diagnostik unauffällig. Weitere wichtige Laborwerte sind in [Tabelle 1] gezeigt.

Im September 2002 stellte sich die Patientin mit einem großen Abszess links axillär ohne Allgemeinsymptome erneut vor, der daraufhin operativ geöffnet wurde. Aus dem Abszessmaterial konnte Staphylococcus aureus kultiviert werden. Granulome oder säurefeste Stäbchen jedoch fanden sich weder in der Histologie noch mikroskopisch oder in der Kultur.

Der körperliche Untersuchungsbefund im Dezember 2002 war unauffällig und zeigt die 40-jährige Patientin in gutem Allgemeinzustand (etwa 160 cm, 76 kg).

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Diskussion

Die initiale Standardtherapie der Tuberkulose ist die Vierfach-Kombination mit Isoniazid, Rifampicin, Ethambutol und Pyrazinamid [2]. Liegt gleichzeitig eine HIV-Infektion vor, sind vielfältige Wechselwirkungen mit den zur Behandlung dieser Infektion eingesetzten Substanzen zu berücksichtigen. So induziert Rifampicin das Cytochrom-P450-Enzymsystem, das somit Proteaseinhibitoren beschleunigt metabolisiert. Dies wiederum kann zu einem Verlust ihrer antiviralen Effektivität und damit möglicherweise zu einem Therapieversagen und zur Resistenzentwicklung führen. Eine gleichzeitige Gabe von HAART und Tuberkulostatika erfordert daher gegebenenfalls Dosisanpassungen oder auch eine Umstellung der Therapie.

Ein wertvolles Instrument zum Therapiemanagement ist auch hier das therapeutische Drug-Monitoring. Aufgrund der Problematik von Medikamenteninteraktionen kann es unter Umständen ratsam sein, den Beginn einer HAART zu verzögern [3]. In dem vorliegenden Fall erschien aber angesichts des weit fortgeschrittenen Immundefektes der Beginn der Behandlung unaufschiebbar - nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass eine erfolgreiche Therapie der Tuberkulose nur mit einer Immunrekonstitution möglich erscheint.

Ritonavir-geboosterte Proteinaseinhibitoren-Regime führen zu höheren und sichereren Plasmaspiegeln, was eine höhere Barriere gegen die Resistenzentwicklung bei verbesserter Einnahmefreundlichkeit bedeutet und hiermit zu einem dauerhaften Therapieerfolg beiträgt. Für Saquinavir, verstärkt mit Ritonavir, konnte gezeigt werden, dass auch bei gleichzeitiger Gabe von Rifampicin ausreichende Plasmaspiegel erreicht werden [7], weshalb es in diesem Falle trotz der hohen Pillenanzahl als Regime der Wahl erschien.

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Abb. 1

Tab. 1 Verlauf der Laborwerte während der Therapie

 

September 2000

März 2001

Oktober 2001

Juni 2002

Dezember 2002

Leukozyten/μl

1600

3300

3600

4900

5400

Thrombozyten/μl

181000

179000

224000

198000

218000

Hb (g/dl)

9,0

12,5

12,4

13,1

14,5

GPT (U/l)

23

20

20

24

21

LDH (U/l)

392

169

244

292

252

CRP (mg/l)

88

5,0

6,1

5,4

nd

vom Normalbereich abweichende Werte sind fett markiert

Hb = Hämoglobin

GPT = Glutamatpyruvattransaminase

LDH = Laktatdehydrogenase

CRP = C-reaktives Protein

nd = nicht durchgeführt

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Literatur

  • 1 CDC . 1993 revised classification system for HIV infection and expanded surveillance case definition among adolescents and adults.  MMWR Recomm Rep. 1992;  41 1-19
  • 2 Centers for Disease Control and Prevention . Prevention and treatment of tuberculosis among patients infected with human immunodeficiency virus: principles of therapy and revised recommendations.  MMWR Morb Mortal Wkly Rep. 1998;  47 1-58
  • 3 Dean GL, Edwards SG, Ives NJ. et al. . Treatment of tuberculosis in HIV-infected persons in the era of HAART.  AIDS. 2002;  16 75-83
  • 4 Finch CK, Chrisman CR, Baciewicz AM, Self TH. Rifampin and rifabutin drug interactions: an update.  Arch Intern Med. 2002;  162 985-992
  • 5 Havlir DV, PF Barnes. Tuberculosis in patients with human immunodeficiency virus infection.  N Engl J Med. 1999;  340 367-373
  • 6 Pozniak AL, Miller R, Ormerod LP. The treatment of tuberculosis in patients with human immunodeficiency virus infection.  AIDS. 1999;  13 435-445
  • 7 Veldkamp AI, Hoetelmans RM, Beijnen JH. et al. . Ritonavir enables combined therapy with rifampicin and saquinavir.  Clin Infect Dis. 1999;  29
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Anschrift der Verfasserin

Esther Voigt

Medizinische Universitätsklinik

Immunologische Ambulanz

Sigmund-Freud-Str. 25

53105 Bonn

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Literatur

  • 1 CDC . 1993 revised classification system for HIV infection and expanded surveillance case definition among adolescents and adults.  MMWR Recomm Rep. 1992;  41 1-19
  • 2 Centers for Disease Control and Prevention . Prevention and treatment of tuberculosis among patients infected with human immunodeficiency virus: principles of therapy and revised recommendations.  MMWR Morb Mortal Wkly Rep. 1998;  47 1-58
  • 3 Dean GL, Edwards SG, Ives NJ. et al. . Treatment of tuberculosis in HIV-infected persons in the era of HAART.  AIDS. 2002;  16 75-83
  • 4 Finch CK, Chrisman CR, Baciewicz AM, Self TH. Rifampin and rifabutin drug interactions: an update.  Arch Intern Med. 2002;  162 985-992
  • 5 Havlir DV, PF Barnes. Tuberculosis in patients with human immunodeficiency virus infection.  N Engl J Med. 1999;  340 367-373
  • 6 Pozniak AL, Miller R, Ormerod LP. The treatment of tuberculosis in patients with human immunodeficiency virus infection.  AIDS. 1999;  13 435-445
  • 7 Veldkamp AI, Hoetelmans RM, Beijnen JH. et al. . Ritonavir enables combined therapy with rifampicin and saquinavir.  Clin Infect Dis. 1999;  29
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Anschrift der Verfasserin

Esther Voigt

Medizinische Universitätsklinik

Immunologische Ambulanz

Sigmund-Freud-Str. 25

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Abb. 1