Das Institut für Kinderkrebsforschung (Children’s Cancer Research Institut - CCRI)
am St. Anna Hospital in Wien begeht in diesem Jahr sein 15-jähriges Bestehen mit einem
internationalen Symposium, zu dem führende Grundlagenforscher aus der ganzen Welt
eingeladen sind. Sie werden ihre neuesten Forschungsergebnisse zu den Krebserkrankungen
des Kindes- und Jugendalters vorstellen und diskutieren sowie gegenüber kritischen
Fragen der Fachkollegen zu verteidigen haben.
Ungewöhnlich ist, eine Tagung von und für Grundlagenforscher mit der Halbjahrestagung
der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH) zu kombinieren,
da diese interdisziplinäre Fachgesellschaft mehrheitlich aus klinisch tätigen Kinderärzten
besteht. Es handelt sich jedoch nicht um ein zufälliges Zusammentreffen oder einen
einsamen Vorstandsbeschluss, sondern um den Mehrheitsentscheid der Mitgliederversammlung.
Dies entspricht dem Selbstverständnis der GPOH und ihrer Mitglieder, wie an drei Beispielen
sichtbar wird:
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1966 haben Kinderärzte, die sich der Behandlung krebskranker Kinder zugewandt hatten,
die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Leukämieforschung und -behandlung e. V. gegründet,
aus der 1991 durch Vereinigung mit der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie die
GPOH entstanden ist. Von Beginn an war die kliniknahe Grundlagenforschung als wichtig
erkannt, da die Kenntnis der Erkrankungsbiologie Grundlage einer rationalen und rationellen
Therapie ist.
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Forschungsergebnisse werden seit 1977 regelmäßig in den „Ergebnissen der Pädiatrischen Onkologie” als Spezialheft der Zeitschrift „Klinische Pädiatrie” veröffentlicht und allen Mitgliedern der GPOH zugänglich gemacht. Hierbei sind immer
Arbeiten der kliniknahen Grundlagenforschung unter dem Aspekt der Translation für
innovative Behandlungsverfahren präsentiert worden. Der Titel des ersten Originalbeitrages
im Jahr 1977 „Klassifikation der Non-Hodgkin-Lymphome im Kindesalter” (Prof. Dr. Dr.
h. c. K. Lennert) beinhaltete den Paradigmenwechsel von einer rein morphologischen
Diagnostik zu einer entwicklungsbiologisch orientierten Einteilung.
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Das CCRI ist von Herrn Prof. Dr. H. Gadner 1988 im St. Anna Spital gegründet worden,
nachdem er 8 Jahre vorher zum Ärztlichen Leiter dieses Kinderkrankenhauses der Maximal-versorgung
berufen worden war und es aufgrund seiner Kompetenz zu einer führenden Institution
in der Kinderkrebsbehandlung im deutschsprachigen Raum entwickelt hat. Die Gründung
eines selbständigen Forschungsinstitutes an einer Kinderklinik ist im deutschsprachigen
Raum bisher einmalig.
Klinische und experimentelle Forschungen sind die Voraussetzung zum Verständnis der
Krebserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen und wesentliche Grundlage der erreichten
Behandlungserfolge. Heute werden 65 % der erkrankten Kinder und Jugendlichen durch
die Primärtherapie geheilt und durch Zusatzmaßnahmen weitere 18 %, während vor 30
Jahren noch 90 % der betroffenen Kinder verstorben sind.
Meilensteine auf dem Weg zu diesem Erfolg sind in Tab. [1] zusammengefasst, von denen zwei näher kommentiert werden:
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Das Kinderkrebsregister hat eine zentrale Funktion, da hier die Meldung eines neu
erkrankten Kindes und auf der Grundlage einer hohen Prozessqualität die Einbindung
in das Kompetenznetzwerk der Pädiatrischen Onkologie erfolgt. Das bevölkerungsbezogene
Kinderkrebsregister führt Forschungen z. B. zur Ätiologie oder zur Inzidenz von bösartigen
Zweiterkrankungen durch. In Ergänzung hierzu sind die diagnosespezifischen, d. h.
klinisch ausgerichteten Register bei den Studienleitungen entstanden, die eine zunehmend
individualisierte Therapie ermöglichen.
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Allgemein wichtigster Prognoseparameter ist das Ansprechen auf die eingesetzte Therapie,
deren Effekt mit Hilfe neuer Untersuchungstechniken auch im submikroskopischen Bereich
möglich ist und als Diagnostik der minimalen residualen Resterkrankung zu festgesetzten
Untersuchungszeitpunkten erfolgt. Dieses mittlerweile allgemein anerkannte Prinzip
ist zuerst im Rahmen der BFM-ALL-Studie geprüft und belegt worden. Entscheidende Voraussetzung
ist hierzu gewesen, die entsprechenden Kooperationspartner innerhalb der Gruppe der
klinischen Behandler und der kooperierenden Grundlagenforscher zusammen zu führen,
um innovative Hypothesen zu generieren, zu formulieren, zu prüfen und die erforderliche
Forschungsunterstützung einzuwerben. Dieses wissenschaftliche Begleitprojekt ist als
Multicenterstudie dank der Förderung durch die Deutsche Krebshilfe bundesweit erfolgreich
aktiviert worden.
Wesentlicher Inhalt der stratifizierten und individualisierten Therapiemaßnahmen sind
Referenzbegutachtungen der Leukämiezellen oder des Tumormaterials aufgrund der morphologischen
Diagnose, Immunphänotypisierung und - zunehmend mehr - molekularer Marker. Diese mit
der Biologie der Erkrankung assoziierten Merkmale haben inzwischen eine größere Bedeutung
für die Therapiestratifikation als die konventionellen Risikofaktoren wie Lokalisation
und Stadium, wie es beispielhaft auch für das Neuroblastom gesichert ist.
Der aktuelle Wissenstand zur Diagnostik und Therapie ist in den Therapieoptimierungsstudien
zusammengefasst, die flächendeckend für die ganze Bundesrepublik eine gleich gute
Behandlungssituation für die erkrankten Kinder und Jugendlichen unabhängig vom Wohnort
ermöglichen sollen. Diese Therapieoptimierungsprotokolle sind gleichzeitig ein Instrument
der klinischen Forschung und werden alle 3 bis 5 Jahre überarbeitet. Ohne die langjährige
Förderung der Deutschen Krebshilfe für die überwiegende Mehrzahl der Protokolle wäre
die Versorgung der Patienten auf dem international anerkannt hohen Niveau nicht gewährleistet
und die Patientengerechtigkeit nicht gegeben. Wesentliche Voraussetzungen sind also
die flächendeckende Erfassung, Diagnostik nach einheitlichen Kriterien und die schnelle
Interaktion mit den Repräsentanten der patientennahen Grundlagenforschung.
Für die pädiatrische Onkologie stellt sich die Startphase derartiger interdisziplinärer
Projekte häufig insofern schwierig dar, als die für die Voruntersuchungen erforderlichen
Ressourcen von den potenziell infrage kommenden Kooperationspartnern vornehmlich bei
Erkrankungen mit größerer Häufigkeit eingesetzt werden. Dies trifft besonders für
prospektive Kooperationspartner zu, die nicht der pädiatrischen Onkologie zuzurechnen
sind.
Um die Fortschritte der molekularen Medizin mit den in sie gesetzten Hoffnungen auch
für krebskranke Kinder und Jugendliche nutzbar zu machen, sind weitere Schnittstellen
zwischen Grundlagenforschung und klinischer Anwendung zu definieren und zu besetzen.
Dies gelingt durch die Einrichtung von Forschergruppen in den etablierten Abteilungen
für pädiatrische Hämatologie und Onkologie, die Brückenfunktionen für jeweils eins
der in Tab. [2] genannten Forschungsfelder wahrnehmen können. Erleichtert wird dies durch die Förderung
der pädiatrischen Onkologie im Kompetenznetzprogramm der Bundesrepublik Deutschland
durch Stärkung der über Jahre entwickelten Netzwerkstruktur. Eine erste Forschungsprofessur
für Experimentelle Onkologie ist 1998 in Münster eingerichtet worden. Weitere derartige
Forschungsprofessuren mit einem jeweils anderen Schwerpunkt sind inzwischen ausgeschrieben
oder befinden sich noch im Beantragungsverfahren.
Die Kombination von klinischen Registern mit Tumorregistern bzw. Tumorbanken sind
ideale Voraussetzungen für erfolgreiche Kooperationen, die mittlerweile auch vom Ausland
als attraktiv angesehen werden.
Durch die Verbindung von molekularer und klinischer Medizin soll zuallererst den krebskranken
Kindern und Jugendlichen geholfen werden, die noch heute trotz aller intensiven Behandlungsmaßnahmen
versterben. Ein weiteres und genau so wichtiges Ziel ist die Verbesserung der Qualität
des Überlebens in subjektiver Weise für die Patienten und in objektiver Weise für
die Gesellschaft. Hierdurch wird die heute schon bei der ganz überwiegenden Mehrzahl
der Patienten zu ermöglichende soziale Integration zur Selbstverständlichkeit. Auf
diesem Wege sind noch einige Meilensteine zurückzulegen, die auch die immer noch sehr
hohe Therapiebelastung erleichtern.
Tab. 1 Wichtige Meilensteine der Pädiatrischen Onkologie auf dem Weg zur Heilung krebskranker
Kinder
| 1947 |
Einführung von Methotrexat und Start der systemischen Chemotherapie |
| 1966 |
Prophylaktische ZNS-Bestrahlung bei Kindern mit ALL (D. Pinkel, Memphis) |
| 1970 |
Intensivierte Polychemotherapie bei Kindern mit ALL nach dem Berliner Protokoll (H.J.
Riehm, Berlin) |
| 1958 |
Entdeckung des HLA-Systems als Grundlage der allogenen Knochenmarktransplantation
(J. Dausset, Paris) |
| 1974 |
Neoadjuvante Therapie von Knochensarkomen (G. Rosen, New York) In-vivo-Chemoresistenztestung
- Down Staging - Planung extremitätenerhaltender Operationen, hochdosierte MTX-Behandlung |
| 1977 |
Aufbau des Kindertumorregisters in Kiel und Referenzbegutachtung nach einheitlichen
Kriterien (D. Harms, Kiel) |
| 1980 |
Gründung des Kinderkrebsregisters der GPO in Mainz mit zentraler Koordination der
flächendeckenden Behandlung krebskranker Kinder und Jugendlicher in Deutschland (J.
Michaelis, Mainz) |
| 1991 |
Prospektive multizentrische Prüfung der Minimal-residual-disease-Diagnostik bei Kindern
mit ALL (C. Bartram, Heidelberg) |
| 1995 |
Prospektive Erfassung von Spätfolgen auf der Grundlage diagnosespezifischer Therapieprotokolle
(J. Beck, Erlangen) |
| 2000 |
Prospektive Selbstevaluation der Lebensqualität auf der Grundlage diagnosespezifischer
Therapieprotokolle (G. Calaminus, Düsseldorf) |
Tab. 2 Kliniknahe Grundlagenforschung und Vernetzung mit der pädiatrischen Onkologie
| Molekulargenetische Subklassifikation der malignen Erkrankungen für eine risikoadaptierte
Therapie |
| Pharmakokinetik und Pharmakodynamik zur Therapieoptimierung |
| In-vitro-Resistenztestung als Rationale individuell angepasster Therapien |
| Genexpressionsanalysen zur individuellen Risikoevaluation als Grundlage supportiver
Therapiestrategien |
| Immunologische Tumortherapie durch allogene Stammzelltransplantation |
Prof. Dr. med. U. Göbel Prof. Dr. med. H. JürgensMedizinischer Beirat der Vorsitzender
der Gesellschaft fürDeutschen Krebshilfe Pädiatrische Onkologie
und Hämatologie