Dieses Schwerpunktheft ist für den deutschsprachigen Raum die erste systematische,
historisch-kritische Zusammenstellung von suchtpräventiver Theorie, überprüfbaren
Interventionskonzepten und modellhafter Praxis seit den wegweisenden „BZgA-Expertisen”
des Münchner Instituts für Therapieforschung zu Beginn der 90er-Jahre [1]
[2]. In Übernahme US-amerikanischer, stark verhaltenstherapeutisch geprägter Interventionskonzepte
und Forschungsweisen wurden seinerzeit Lebenskompetenzförderung und Standfestigkeitstraining
zu Leitlinien, fast: „Königswegen” der personalkommunikativen Suchtprävention erhoben.
Zwar wurden die substanzspezifischen Komponenten wie auch strukturelle Herangehensweisen
in Prävention und Intervention nicht ausgeblendet, aber doch geringer geschätzt. Impulse
aus der Drogenhilfe und der Suchttherapie wie Schadensminimierung, niedrigschwellige
und konsumakzeptierende Ansätze gerieten Anfang des letzten Jahrzehnts (noch) nicht
in das Blickfeld.
Hier haben sich bedeutsame Akzentverschiebungen ergeben und neue Interventionsansätze
herausgebildet. Das gegenwärtige Spannungsfeld zwischen abstinenzfokussierter Verhaltensprävention,
Förderung von Widerstands- und Lebenskompetenzen sowie Konsumregulierung und Schadensminimierung
mit pädagogischer Begleitung bilden die Beiträge in diesem Heft ab. Neben drei Übersichtsartikeln
zur Entwicklung und zum Stand von Praxis und Forschung werden einige evaluierte Projekte
vorgestellt, die die Bandbreite suchtpräventiver Interventionen aufzeigen. Darunter
befinden sich „klassische” Schulprogramme, peerorientierte Aufklärungsarbeit im Partydrogensetting
und angeleitete Selbsterfahrungsübungen mit Risikogruppen.
In den vergangenen Jahren erschienen unzählige thematische Arbeiten, Konzept(weiter)entwicklungen,
Manuale und Praxisberichte, Evaluationen und Forschungsarbeiten. Doch waren die Quellen
verstreut und der innere Zusammenhang der Weiterentwicklung für Außenstehende kaum
erkennbar. Dieses Schwerpunktheft illustriert die neue Fachlichkeit auch dadurch,
dass es die gewachsene Bedeutung eigenständiger Ansätze aus dem deutschsprachigen
Raum anerkennt, dabei insbesondere auf die Querverbindungen der über Jahrzehnte getrennten
Systeme der Suchkrankenhilfe/-therapie zur Suchtprävention verweist. Exemplarisch
herauszuheben ist in diesem Zusammenhang die - 1993 noch nicht vorhersehbare - Wiederaufwertung
der substanzspezifischen Prävention bei gleichzeitiger Einbindung der Lebenskompetenzansätze
in übergreifende Modelle der „Risikokompetenz” [3]
[4].
Die Zukunft der Suchtpräventionspraxis dürfte in erheblichem Maße von verbindlichen,
überprüfbaren und überprüften Qualitätsstandards geprägt werden - bei aller notwendigen
Freiheit zur Innovation bei Konzepten wie Maßnahmen. Dies gilt nicht zuletzt, weil
neue Gefährdungen, beispielsweise die wachsende Prävalenz des „multiplen Risikoverhaltens”
[5] analog zur Polytoxikomanie im therapeutischen Setting, ein Erproben neuer Interventionsformen
erforderlich machen. Gerade deshalb ist Evaluation unverzichtbar: Im Anschluss an
die Verwissenschaftlichung der Theorie verwissenschaftlichen sich nun auch Praxis
und Qualitätssicherung in der Suchtprävention - so unser Fazit, das zugleich Prognose
ist. Wir brauchen mehr Evaluation in der Suchtprävention, um zu empirisch gesicherten
Erkenntnissen über die Wirkungen spezifischer Interventionen zu gelangen und damit
fortlaufend die Qualität der Arbeit weiterentwickeln zu können.
Die öffentliche Förderung für die Evaluierung suchtpräventiver Maßnahmen war bislang
- um es milde zu formulieren - zurückhaltend. Dazu konnte es u. a. kommen, weil in
der Politik bislang mehr Wert auf die Legitimität als auf die Effektivität der Suchtprävention
gelegt worden ist [6]. Suchtprävention genießt in der Bevölkerung ein positives Image; deshalb können
schon über das Erheben pauschaler Forderungen Zustimmung und Legitimität hergestellt
werden. Je unbestimmter die Mittel-Ziel-Relation gehalten werden kann, desto allgemeiner
und unrealistischer können die Ziele formuliert werden und desto besser kann die Diskussion
über den Mittelaufwand - kostensparend - abgekoppelt werden. Der Einsatz der Mittel
für Prävention bestimmte sich von daher bislang stärker nach politisch-legitimatorischen
Kriterien als nach fachlichen Gesichtspunkten, welcher Aufwand notwendig wäre, um
welche Ziele tatsächlich erreichen zu können.
Hier muss trotz knapper öffentlicher Kassen ein Umdenken einsetzen und die Suchtpräventionsforschung
stark ausgebaut werden, ähnlich wie es in der Schweiz schon seit einigen Jahren der
Fall ist. Zudem müsste die Politik zukünftig den Fokus mehr auf die Verhältnis- und
strukturelle Prävention legen (wie Werbungsverbote, Abbau von Zigarettenautomaten
etc.). Auch hier wären Evaluations- und Vergleichsstudien nötig, um Erkenntnisse zu
gewinnen und ideologiebehafteten und moralingesäuerten Auseinandersetzungen den Nährboden
zu entziehen. Der von der Nationalen Drogen- und Suchtkommission im letzten Jahr vorgelegte
Bericht zur Verbesserung der Suchtprävention [7] zielt mit seinen Forderungen in die gleiche Richtung. Er ist ein bedeutsamer Meilenstein
auf dem Weg zu einer modernen Suchtprävention in Deutschland.
In diesem Sinne hoffen wir, dass wir mit diesem Schwerpunktheft einen Beitrag für
eine empiriegestützte und wissenschaftlich abgesicherte Suchtpräventionsarbeit leisten.