Einleitung
In Deutschland erfolgte, bedingt durch die günstigen sozioökonomischen Verhältnisse, nach dem 2. Weltkrieg unter der deutschen Bevölkerung eine kontinuierliche Abnahme der Tuberkuloseinzidenz [1]; deshalb schien die Tuberkulose hier keine ernste Gefahr mehr darzustellen, zumal wirksame Medikamente zu ihrer Bekämpfung zur Verfügung standen. Bei Migranten aus Hochprävalenzgebieten (beispielsweise Flüchtlinge aus Krisenregionen oder Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion) liegt die Tuberkuloseinzidenz wesentlich höher als im Durchschnitt. Auch bei bestimmten Randgruppen der einheimischen Bevölkerung, wie Drogensüchtigen, Gefängnisinsassen oder Obdachlosen besteht eine erheblich höhere Inzidenz für die Tuberkuloseerkrankung als in der übrigen Bevölkerung [2]
[3]
[4]. Leider existieren keine zuverlässigen Untersuchungen über die Tuberkuloseinzidenz und -prävalenz dieser Randgruppen in Deutschland; Untersuchungen im Ausland haben aber gezeigt, dass durchaus mit einer bis zu hundertfachen Häufigkeit von Tuberkuloseinfektionen beispielsweise bei Obdachlosen gegenüber dem Bevölkerungsdurchschnitt gerechnet werden muss [5]
[6]
[7]. Ein weiteres, zunehmend ernster werdendes Problem besteht bei der Behandlung der Tuberkulose durch resistente und multiresistente Tuberkulosestämme; im Informationsbericht des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose ist für das Jahr 2000 eine Rate von 10,3 % resistenten und 1,7 % multiresistenten M. tuberculosis-Isolaten in Deutschland aufgeführt [1]
[8]
[9].
Das Landesgesundheitsamt in Hannover führt einen großen Teil der Tuberkuloselabordiagnostik für die örtlichen Gesundheitsämter Niedersachsens durch. Im Herbst 1996 fielen der Tbc-Beratungsstelle des Gesundheitsamtes der Stadt Hannover im Rahmen der Umgebungsuntersuchungen mehrere Isolate von M. tuberculosis auf, die ein ungewöhnliches Resistenzmuster mit einer Zweifachresistenz gegen Streptomycin und Rifampicin aufwiesen. Bei sämtlichen Proben handelte es sich um Sputen, die vom Gesundheitsamt der Stadt Hannover eingesandt worden waren. Am Städtischen Gesundheitsamt in Hannover begannen daraufhin umfangreiche Recherchen und Umgebungsuntersuchungen, bei denen bis heute 11 männliche Tuberkulosepatienten mit dem gleichen Resistenzmuster der Tuberkulosebakterien aufgefunden wurden. Außerdem wurde kürzlich eine Krankenschwester aus einer Lungenfachklinik in Hannover bekannt, die 3 der ermittelten Patienten gepflegt hatte und sich offensichtlich eine berufsbedingte Tuberkuloseinfektion zuzog.
Methoden
Primärisolierung, biochemische Tests und Empfindlichkeitsprüfung
Die Primärisolierung und die Anzucht von Mykobakterienisolaten wurden gemäß den entsprechenden DIN-Vorschriften durchgeführt (DIN 58 943-3) [10]
[11]. Alle Stämme wurden mithilfe biochemischer Tests (DIN 58 943-3) und Gensonden (ACCU-Probe; Genprobe, San Diego, USA) als MTB-Komplex identifiziert. Die Resistenzen der Isolate gegenüber Antituberkulotika (INH, RMP, EMB, PZA und SM) wurden mit der Proportionsmethode auf Löwenstein-Jensen-Medium (DIN 58 943-8) bzw. mit der modifizierten Proportionsmethode in Flüssigmedium (Bactec 460 TB) gemäß den Vorgaben des Herstellers (Becton-Dickinson Microbiology Systems, Cockeysville, Md.) ermittelt.
Zur Differenzierung wurden neben der Koloniemorphologie die folgenden Methoden eingesetzt: Niacintest (INH-Teststreifen: Difco, Detroit, Mich.) Nitratreduktasenachweis auf modifiziertem Dubois-Medium, Wachstum in Lebeck-Agar und auf Bromkresolpurpur-Medium und Empfindlichkeit gegenüber Thiopencarbonsäurehydrazid (TCH, 2 µg/ml bzw. BSH 1 µg/ml). Alle Tests wurden gemäß der entsprechenden DIN-Vorschrift durchgeführt (DIN 58 943-9) [10].
DNA-Techniken
Die Isolierung genomischer DNA und die DNA-Fingerprintanalyse mit dem Insertionselement IS6110 wurden nach einem standardisierten Protokoll wie in der Literatur beschrieben vorgenommen [12]
[13].
Epidemiologie
Durch die Tuberkuloseberatungs-Stelle des Gesundheitsamts der Stadt Hannover wurde mit den Methoden der Infektionsepidemiologie im Rahmen der aufsuchenden Gesundheitsvorsorge bei den ermittelten Tuberkulosepatienten jeweils eine Quellen- und Umgebungsuntersuchung vorgenommen. Wegen der Mobilität gestaltet sich dies bei Obdachlosen sehr aufwändig und ist dennoch nur eingeschränkt erfolgreich. Die Kooperation mit anderen Gesundheitsämtern ist dabei essenziell.
Ergebnisse
Patienten
Bei den folgenden 11 männlichen Tuberkulosepatienten konnten in den Jahren 1997 bis 1999 Isolate von M. tuberculosis kultiviert werden, die ein ungewöhnliches Resistenzmuster mit einer Zweifachresistenz gegen Streptomycin und Rifampicin aufwiesen. Bei dem ersten Patienten handelt es sich wahrscheinlich um den Indexpatienten; durch das Gesundheitsamt der Stadt Hannover wurden insgesamt 210 Kontaktpersonen zu diesem Patienten bei der Umgebungsuntersuchung ermittelt, wobei es sich überwiegend um andere Obdachlose aus der Unterkunft handelte. Im Mai 2002 wurde bei einer Krankenschwester aus einer Lungenfachklinik, die 3 der Patienten gepflegt hatte, als 12. Patientin im Bronchialsekret M. tuberculosis mit dem gleichen Resistenzmuster nachgewiesen.
-
Patient: Arbeitsloser Maurer (42); gelegentliche Übernachtung in Obdachlosenunterkunft. Bei Krankenhausaufnahme im Oktober 1996: Sehr schlechter Allgemeinzustand, verwahrlost, alkoholisiert, nicht ansprechbar; kurze Zeit nach der Aufnahme Tod aufgrund eines kleinzelligen Bronchialkarzinoms.
-
Patient: Arbeitsloser Bauschlosser (54), Alkolholabusus; vom Gesundheitsamt bei Umgebungsuntersuchung zu Patient Nr. 1 ermittelt; Röntgen-Thoraxbefund verdächtig auf Tuberkuloseerkrankung; Sputumpräparat nach Ziehl-Neelsen positiv; wegen schlechter Compliance Behandlung in 3 verschiedenen Kliniken, zuletzt in der geschlossenen Lungenklinik Parsberg; inzwischen verstorben an metastasierendem Melanom.
-
Patient: Kaufmann (36) aus Italien, seit 1977 in Deutschland lebend. Vom Verwalter einer Obdachlosenunterkunft wegen länger andauerndem Husten zum örtlichen Gesundheitsamt geschickt, bei Röntgen-Thoraxaufnahme Verdacht auf Tuberkulose, Sputumpräparat nach Ziehl-Neelsen positiv. Wegen Therapieverweigerung Isolierung für vier Monate in der Lungenklinik Parsberg, dabei Therapie, anschließend ambulante Therapie für weitere vier Monate.
-
Patient: Arbeitsloser (19) ohne Beruf, bereits als Kind schwierig und nicht anpassungsfähig. Bei Umgebungsuntersuchung wegen Kontakt zu Patient Nr. 3 Verdacht auf Tuberkulose nach Röntgenthorax, Sputumpräparat nach Ziehl-Neelsen positiv. 2 Monate nach Therapiebeginn Abbruch der Behandlung; der Patient wurde vom Gesundheitsamt zuletzt per Fahndung gesucht und erst nach 7 Monaten gefunden, dann erneut positives Sputumpräparat. Anschließend für 4 Monate Isolierung mit Therapie in Parsberg; Patient wurde danach für längere Zeit durch das Gesundheitsamt überwacht.
-
Patient: Mann (45) aus Italien, Diagnose der Tuberkulose in der Justizvollzugsanstalt durch positive Mykobakterienkultur. Anschließend stationäre Therapie in Lungenklinik für 2 Monate, ambulante Fortführung der Therapie mit schlechter Compliance und 2-monatiger Therapieunterbrechung, dann 4 Monate Isolierung mit Therapie in Parsberg.
-
Patient: Arbeitsloser Kraftfahrer (59), seit 1980 obdachlos, Klinikaufnahme wegen Hilflosigkeit aufgrund von Alkoholintoxikation, Sputumpräparat nach Ziehl-Neelsen positiv, anschließend stationäre Therapie für 5 Monate bei schlechter Compliance. Danach kontrollierte Therapie in Krankenwohnung für Obdachlose in Hannover.
-
Patient: Arbeitsloser Kfz-Mechaniker (46), obdachlos und gelegentliche Übernachtung in Obdachlosenunterkunft. Ermittelt bei Umgebungsuntersuchung durch das Gesundheitsamt wegen Kontakt zu Patient 1; Sputumpräparat nach Ziehl-Neelsen positiv. Initialbehandlung der Tuberkulose im Krankenhaus und anschließende ambulante Therapie bei guter Compliance. Der Patient hat inzwischen wieder eine eigene Wohnung und Arbeit.
-
Patient: Arbeitsloser Mann (39), bei Krankenhausaufnahme somnolent im Alkoholdelir, Sputum-Präparat nach Ziehl-Neelsen positiv. Für einige Monate stationäre Behandlung im Krankenhaus, dann kontrollierte Therapie in Krankenwohnung für Obdachlose in Hannover. Der Patient hat mittlerweile ein Korsakow-Syndrom entwickelt.
-
Patient: Nicht obdachloser Mann (52). Lungentuberkulose mit Therapieresistenz gegen Streptomycin und Rifampicin wurde als Zufallsbefund im Krankenhaus diagnostiziert, Initalbehandlung stationär im Krankenhaus, Folgetherapie ambulant. Nachträgliche Feststellung des Kontakts mit dem Patienten 6 durch das Gesundheitsamt.
-
Patient: 54-Jähriger, vom Nachbarn in hilflosem Zustand in verwahrloster Wohnung aufgefunden; sofortige Krankenhauseinweisung. Sputumpräparat nach Ziehl-Neelsen positiv. Kurze Zeit nach der Krankenhausaufnahme verstorben; die Obduktion ergab eine ausgedehnte Lungentuberkulose. Kontakt zu einem der übrigen Patienten ungeklärt, da wegen Tod des Patienten Umgebungsuntersuchung nicht mehr möglich.
-
Patient: Arbeitsloser Techniker (40), nicht obdachlos, aber früher gelegentliche Übernachtung in Obdachlosenunterkunft. Seit 1997 in der Überwachung durch das Gesundheitsamt wegen Kontakts zu Patient 3, 1998 erstmals auffälliger Röntgen-Thoraxbefund, jedoch keine aktive Tuberkulose gesichert. Im Juli 1999 dann Diagnose einer ausgedehnten Lungentuberkuose, anschließende stationäre Behandlung.
-
Patientin: Krankenschwester (44), verheiratet, 2 Kinder, in geordneten Verhältnissen lebend, arbeitet seit 21 Jahren in einer Lungenfachklinik. Von Januar 1998 bis Oktober 1999 auf der Tuberkulosestation der Klinik tätig, dort Kontakt zu den Patienten 9, 10 und 11. Ca. 4 Monate vor Diagnosestellung erste Symptome: Reizhusten, Nachtschweiß, thorakale Schmerzen, Schlafstörungen und deutlicher Leistungsknick. Im Mai 2002 bei betriebsärztlicher Untersuchung radiologisch Verdacht auf TB, kultureller Nachweis von TB-Bakterien im Bronchialsekret, Resistenzverhalten und Fingerprintmuster identisch mit denen der 11 übrigen Patienten.
Weitere Patienten mit einer Tuberkulose mit Zweifachresistenz gegen Streptomycin und Rifampicin konnten bisher nicht ermittelt werden. Unter den vielen Kontaktpersonen, 210 wurden allein zu Patient 1 ermittelt, wurde keine weiteren Tuberkuloseerkrankungen mit anderen M. tuberculosis-Stämmen festgestellt.
Eine Zusammenstellung der anamnestischen Daten und der Therapiecompliance der Patienten findet sich in Tab. [1].
Tab. 1 Anamnestische Daten und Therapiecompliance der 12 TB-Patienten mit SM- und RMP-Resistenz in Hannover
Pat.-Nr. | Alter (bei Diagnosestellung) | Nationalität | arbeitslos | Alkoholabusus | obdachlos | Übernachtung in Obdachlosen-unterkunft | Nachweis direkter Patientenkontakte | Therapiecompliance | Zwangs-einweisung nach Parsberg |
1
| 42 | deutsch | ja | ja | ja | ja | Indexpatient | Tod kurz nach stat. Aufnahme | -- |
2
| 54 | deutsch | ja | ja | ja | ja | Kontakt mit Pat. 1 | schlecht | ja |
3
| 36 | italienisch | ja | ? | ja | ja | Kontakt mit Pat. 1 | schlecht | ja |
4
| 19 | deutsch | ja | ja | ja | ja | Kontakt mit Pat. 3 | schlecht | ja |
5
| 45 | italienisch | inhaftiert | ? | ja | ja | ? | schlecht | ja |
6
| 59 | deutsch | ja | ja | ja | ja | ? | schlecht | nein |
7
| 46 | deutsch | ja | ja | ja | ja | Kontakt mit Pat. 1 | gut | nein |
8
| 39 | deutsch | ja | ja | ja | ja | ? | gut | nein |
9
| 52 | deutsch | nein | ja | nein | nein | Kontakt mit Pat. 6 | gut | nein |
10
| 54 | deutsch | ja | ja | nein | nein | ? | Tod kurz nach stat. Aufnahme | -- |
11
| 40 | deutsch | ja | ja | teils | ja | Kontakt mit Pat. 3 | gut | nein |
12
| 44 | deutsch | nein | nein | nein | nein | Kontakt mit Pat. 9,10 und 11 | gut | nein |
Aufgrund der ungewöhnlichen Zweifachresistenz gegen Streptomycin und Rifampicin wurde unter der Vermutung eines Zusammenhanges bei den 12 Isolaten eine IS6110-Fingerprintanalyse durchgeführt (Abb. [1]). Die Bandenmuster der Isolate der Patienten 1 - 4 und 6 - 12 waren identisch, das Isolat von Patient 5 wies mit einer zusätzlichen Bande ein leicht verändertes Bandenmuster auf. Die Transposition einer Bande ist als normale Variabilität innerhalb des gegebenen Zeitraums zu werten, so dass bei den 12 Patienten vom Vorliegen einer Infektionskette ausgegangen werden kann.
Abb. 1 IS6110-DNA-Fingerprintmuster der zweifach-resistenten M. tuberculosis-Isolate der 12 Patienten aus dem Raum Hannover.
Diskussion
Die vorgestellten Ergebnisse weisen auf ein Cluster von 12 identischen M. tuberculosis-Isolaten hin, die unter der obdachlosen Bevölkerung von Hannover verbreitet wurden. Obdachlose gehören zu den Risikokollektiven für die Tuberkuloseerkrankung. Aus den Angaben der Behörden und der Hilfsorganisationen, wie zum Beispiel der Wohnungslosenhilfe e. V., geht hervor, dass es sich hierbei nicht nur um eine kleine Gruppe von Personen handelt, sondern dass im Winter 2000/2001 mehr als 500 000 Menschen in der Bundesrepublik obdachlos waren. Die Behörden der Stadt Hannover rechnen etwa mit 1000 Obdachlosen im Stadtgebiet, wobei ca. 600 Menschen in Obdachlosenunterkünften untergebracht sind und ca. 400 Obdachlose „auf der Straße” leben. Unter dieser Bevölkerungsgruppe sind persönliche Risikofaktoren für die Tuberkuloseerkrankung, wie Malnutriation, Alkoholabusus und immunsupprimierende Erkrankungen wesentlich häufiger verbreitet und bleiben öfter unbehandelt als in der Normalbevölkerung [5].
Wegen der erhöhten Prävalenz der Tuberkuloseerkrankung bei Obdachlosen einerseits und der erhöhten Empfänglichkeit aufgrund der vorhandenen Risikofaktoren andererseits besteht in den Obdachlosenunterkünften ein deutliches Risiko für die Übertragung der Tuberkulose, besonders dann, wenn es durch unzureichende Lüftungstechnik und zu geringe Luftwechselzahlen bei Anwesenheit von Bewohnern mit offener Lungentuberkulose zu relativ hohen Konzentrationen von Mykobakterien-haltigen Aerosolen in der Luft kommt [14]
[15]. Diese Situation kann durch mangelnde Raumlüftung, beispielsweise durch zu wenige oder zu selten geöffnete Fenster und die Zusammenkunft vieler Menschen auf zu engem Raum bewirkt werden. Eine Korrelation zwischen der Aufenthaltsdauer in einer solchen Unterkunft und der Rate der Tuberkuloseinfektionen konnte in einer Studie belegt werden [16].
In den USA sind im vergangenen Jahrzehnt mehrere Ausbrüche von Tuberkuloseerkrankungen unter der obdachlosen Bevölkerung bekannt geworden; auch in anderen Ländern wurden wiederholt Tuberkuloseausbrüche bei Obdachlosen, die in Unterkünften beherbergt waren, dokumentiert [15]
[17]
[18]
[19]
[20]. Durch moderne molekularbiologische Methoden wie dem IS6110-RFLP-Fingerprinting, welches auch bei den vorliegenden Fällen benutzt wurde, kann die Identität der isolierten Stämme einwandfrei gesichert werden [12]
[13]
[21]. Der Nachweis von identischen Mycobacterium-tuberculosis-Stämmen in der Normalbevölkerung ist dagegen weniger häufig, da es sich hier entweder um reaktivierte Tuberkulosefälle handelt oder um frische, zufällig akquirierte Erkrankungen, deren Ansteckungsquelle sich nachträglich oft nicht mehr ermitteln lässt [22]
[23]
[24].
Es ist bekannt, dass Mitarbeiter im Gesundheitsdienst, die Patienten mit offener Lungentuberkulose betreuen, ein erhöhtes Risiko für eine Tuberkuloseinfektion haben; häufig lässt sich im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge eine Serokonversion beim medizinischen Personal von Lungenfachkliniken nachweisen und nur relativ selten kommt es, wie bei der Patientin Nr. 12, zum Ausbruch der Erkrankung [25]
[26]
[27]
[28]
[29]. Daher existieren zahlreiche Empfehlungen von Fachgremien zur Verhütung von Tuberkuloseinfektionen in Einrichtungen des Gesundheitsdienstes; in allen neueren Publikationen wird das Tragen von partikelfiltrierenden Atemmasken empfohlen [30]
[31]
[32].
Bei den von uns beschriebenen 12 Fällen einer Übertragung eines zweifach-resistenten M. tuberculosis-Stammes handelt es sich nach unserer Kenntnis um den ersten dokumentierten und mit molekularbiologischen Methoden abgesicherten Fall eines Ausbruchs von resistenter Tuberkulose unter Obdachlosen in Deutschland. Da nach dem alten Bundesseuchengesetz nur der Nachweis von M. tuberculosis, nicht aber dessen Resistenzverhalten an das zuständige Gesundheitsamt gemeldet werden musste, fielen selbst Cluster mit außergewöhnlichem Resistenzmuster nur auf, wenn das diagnostizierende Labor bei der Registrierung der Resultate besonders aufmerksam vorging oder wenn der Einsender besondere Häufungen von Tuberkuloseerkrankungen registrierte. Das seit Anfang 2001 gültige Infektionsschutzgesetz (IfSG) hat hier Abhilfe geschaffen, indem es sowohl im § 6 bei der Meldung durch die behandelnden Ärzte als auch im § 7 bei der Meldepflicht durch das Labor nicht nur die Übermittlung des Nachweises von Tuberkulosebakterien, sondern auch noch das Ergebnis der Resistenzbestimmung und gegebenenfalls den Nachweis säurefester Stäbchen verlangt. Gemäß § 19 IfSG kann das Gesundheitsamt dann beratend und untersuchend tätig werden, wobei die Gesundheitsvorsorge für Personen, deren Lebensumstände eine erhöhte Ansteckungsgefahr für sich selbst oder andere mitbringt, auch aufsuchend angeboten werden kann und im Einzelfall eine ambulante Behandlung erfolgen darf.
Im § 36 des IfSG ist ausgeführt, dass Obdachlosenunterkünfte der infektionshygienischen Überwachung durch das Gesundheitsamt unterliegen; außerdem sind innerbetriebliche Verfahrensweisen zur Infektionshygiene festzulegen und Obdachlose müssen bei der Aufnahme in der Unterkunft ein ärztliches Zeugnis darüber vorlegen, dass keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer ansteckungsfähigen Lungentuberkulose vorhanden sind, wenn sie länger als 3 Tage bleiben wollen. Um brauchbare Hinweise auf infizierte Obdachlose zu bekommen, ist es sinnvoll, die Mitarbeiter von Unterkünften durch das Gesundheitsamt zu schulen, damit sie in der Lage sind, Bewohner mit fraglicher Tuberkuloseerkrankung zu erkennen und einer Untersuchung zuzuführen [6]
[14]
[17]
[33]
[34]. Für die Tuberkulose-Diagnostik bei Obdachlosen ist die Röntgen-Thoraxuntersuchung besser geeignet als der Tuberkulintest, da der Intrakutantest oftmals durch alte, inaktive Tuberkulose-Infektionen oder nach durchgeführter BCG-Impfung „richtig” positiv ausfällt und sich die Getesteten häufig der Ablesung der Testung entziehen [35]
[36]. Nach unseren persönlichen Erfahrungen im Fachbereich Gesundheit der Region Hannover ist außerdem mit 10 - 30 % falsch negativen Testergebnissen zu rechnen; falsch negative Tuberkulinteste kommen bei immunsupprimierten Patienten (z. B. mit HIV-Infektion) gehäuft vor.
Die Therapie der Tuberkulose sollte auch bei Obdachlosen zunächst im Krankenhaus bei stationärer Aufnahme beginnen; für die ambulante Fortführung der Behandlung empfiehlt sich dringend die direkte Überwachung der Medikamenteneinnahme (DOT: Directly observed treatment) durch das zuständige Gesundheitsamt [14]
[37]
[38]
[39]. Leider entziehen sich die Obdachlosen aufgrund ihrer unsteten Lebensweise häufig der ambulanten Therapie. Bei den Fällen in Hannover zeigte die Hälfte der Patienten eine schlechte Compliance; 2 Patienten brachen die Therapie jeweils nach 2 Monaten Behandlung eigenmächtig für mehrere Monate ab und mussten per Fahndung gesucht werden. Insgesamt 4 der 12 Patienten konnten nur durch eine Behandlung in einer geschlossenen Klinik suffizient therapiert werden.
Als besonders geeignet zur Behandlung für Obdachlose haben sich spezielle Krankenwohnungen erwiesen, wie sie in einigen Städten, so auch in Hannover, eingerichtet wurden [40]
[41]. Finanzielle Zuwendungen durch die Sozialämter und die Schaffung einer Vertrauensbasis zu den betreuenden Helfern können hier die Compliance der kranken Bewohner deutlich erhöhen; gelegentlich ist auf diese Weise sogar eine Wiedereingliederung der Obdachlosen in die Gesellschaft möglich [42].
Im § 19 und § 69 des IfSG ist die Kostenübernahme für versicherte und mittellose Tuberkulosepatienten umfassend geregelt, so dass anfallende Behandlungskosten auch bei Obdachlosen in der Bundesrepublik keinen Grund für die Unterlassung der Therapie mehr darstellen. Unstimmigkeiten über die Behandlungskosten zwischen den Krankenkassen und den Sozialämtern, über die kürzlich berichtet wurde, sollten deshalb der Vergangenheit angehören [43]. Vielmehr wäre die großzügige Handhabung von Umgebungsuntersuchungen in Risikopopulationen im Sinne des IfSG, eine konsequente radiologische Diagnostik, eventuell im Rahmen einer jährlichen Röntgenreihenuntersuchung und eine reibungslose Kooperation mit Einrichtungen der weiterführenden Diagnostik wegweisend. Angesichts der hohen Prävalenz der Tuberkuloseerkrankung unter den Obdachlosen und der davon ausgehenden Gefährdung für Kontaktpersonen ist eine deutliche Intensivierung der Tuberkulosebekämpfung unter den Obdachlosen angezeigt.