Der Klinikarzt 2003; 32(12): 421-425
DOI: 10.1055/s-2003-814700
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Lungenfunktionsdiagnostik mittels Spirometrie - Basisuntersuchung oder Reizwort mit Schreckfunktion?

Pulmonary Function Diagnosis with Spirometry - Basic Examination or an Anxiety-triggering Emotive Word?H. Mitfessel1
  • 1Gemeinschaftspraxis für Pneumologie, Allergologie, Umweltmedizin und Schlafmedizin (am Krankenhaus Wermelskirchen), Remscheid
Weitere Informationen
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Anschrift des Verfassers

Dr. H. Mitfessel

Internist, Pneumologe, Allergologie, Umweltmedizin

Elberfelder Str. 10

42853 Remscheid

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
08. Januar 2004 (online)

Inhaltsübersicht #

Zusammenfassung

Die Mortalität der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) steht nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO an dritthäufigster Stelle - nach dem Apoplex und koronaren Herzerkrankungen. Trotzdem werden in Europa nur bei etwa 50 % der Asthmatiker Lungenfunktionsmessungen zur Diagnosesicherung durchgeführt, so die Daten der AIRE1-Studie. Die Spirometrie gilt aber nach der Anamnese und der klinischen Untersuchung als Basisuntersuchung bei Atemwegserkrankungen. Nach wie vor ist die Lungenfunktionsmessung jedoch sowohl in der Klinik als auch in der Praxis im Gegensatz zum EKG unterrepräsentiert, sodass hier ein dringender Handlungsbedarf besteht.

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Summary

According to data provided by the World Health Organization (WHO), chronic obstructive pulmonary disease (COPD) is the third most common cause of death following stroke and coronary heart disease. Nevertheless, pulmonary function measurements to secure the diagnosis are performed in only some 50 % of asthmatic patients in Europe - as the AIRE study reports. Following history taking and the physical examination, spirometry is considered the basic examination in airways disorders. Despite this, pulmonary function measurement - in contrast to the ECG - continues to be underrepresented both in hospitals and the specialist's office, and appropriate remedial action is urgently needed.

Berühmte Ärzte wie Laennec (1781-1826 Erfinder des Stethoskops) und William Osler lehrten ihren Studenten noch, dass tägliche Asthmaanfälle überhaupt nicht oder extrem selten vorkommen. Die Asthmamortalitätsstatistik zeigt jedoch, dass in den letzten Jahren trotz der rasant ansteigenden Verordnungen von Asthmamedikamenten die Asthmatodesfälle von großer Bedeutung sind. Weltweit stirbt alle 90 Minuten ein Mensch an den Folgen eines Asthmaanfalls. Dramatisch ist die Entwicklung besonders bei jungen Menschen.

An einer chronisch obstruktiven Bronchitis (COPD) versterben vermutlich noch wesentlich mehr Patienten - genaue Mortalitätsangaben sind jedoch aufgrund lückenhafter Daten nicht möglich. Sicher ist jedoch, dass die Inzidenz immer weiter steigt: Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO wird die COPD bereits im Jahr 2020 in der Sterblichkeitsstatistik an dritter Stelle stehen - hinter Apoplex und koronaren Herzerkrankungen. 1990 wurde die chronisch obstruktive Bronchitis noch an sechster Stelle geführt.

Zu unterscheiden sind obstruktive und restriktive Ventilationsstörungen. Die Obstruktion beschränkt sich primär auf das Bronchialsystem, wobei die ventilatorischen Flussreserven limitiert sind. Zu den obstruktiven Ventilationsstörungen zählen unter anderem Asthma bronchiale, chronisch obstruktive Bronchitis, bronchiale Hyperreagibilität, obstruktives Lungenemphysem, zystische Fibrose, Trachealstenose oder Fremdkörperaspiration. Bei der Restriktion dagegen sind das maximal mobilisierbare Lungenvolumen bzw. die ventilatorischen Volumenreserven verringert - primäre Ursache sind in diesem Fall extrabronchiale Erkrankungen. Beispiele für Erkrankungen mit restriktiven Ventilationsstörungen sind Lungenfibrose, Pneumokoniose, Atelektase, Alveolitis, Pleuraschwarte, Mesotheliom, intrathorakale Tumoren, muskuläre Erkrankungen oder Skelettdeformitäten.

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Wichtiger Baustein der Diagnostik

Das wichtigste Instrumentarium zur Diagnose chronisch obstruktiver Atemwegserkrankungen und zur Differenzierung zwischen Asthma und COPD ist - neben der Anamnese und der klinischen Untersuchung - die Bestimmung der Lungenfunktion. Wird eine Atemwegserkrankung vermutet, die sich zum Beispiel durch Husten, Auswurf und Atemnot in Ruhe oder unter Belastung äußert, gilt heute die Spirometrie als Screeninguntersuchung. Die wenigen Kontraindikationen der Spirometrie sind akuter Herzinfarkt, Spannungspneumothorax und akute Blutungen.

Um obstruktive Lungenerkrankungen diagnostizieren zu können, bieten sich im klinischen Alltag Messungen des Atemspitzenflusses (Peak-flow-Metrie) und der Atemvolumina (Flussvolumenkurve mittels Spirometrie) an. Die weiterführende Diagnostik mit Messungen von Atemwegswiderständen, diversen Gasvolumina, Atemmechanik sowie Provokations- bzw. Belastungstests sind dann pneumologisch spezialisierten Abteilungen vorbehalten. Neben ihrer rein differenzialdiagnostischen Bedeutung kann die einfache Lungenfunktionsmessung auch ein wichtiges Instrument sein, das dazu beiträgt, den Schweregrad der Funktionsstörungen, die Reversibilität einer bronchialen Obstruktion (Bronchospasmolysetest) oder auch potenzielle Nebenwirkungen der Therapie (z.B. bei Gabe von Beta-Blockern) zu objektivieren. Mit ihrer Hilfe lassen sich aber auch epidemiologische Fragestellungen (Massenscreening) klären oder Gutachten erstellen.

Die Empfehlungen der Fachgesellschaften zum diagnostischen Stufenprogramm nennen die Lungenfunktionsmessung - sowohl bei Asthma als auch bei der chronisch obstruktiven Bronchitis - nach der Anamnese und der klinischen Untersuchung als dritte Maßnahme. Damit ist die Messung der Lungenfunktion bei obstruktiven Atemwegserkrankungen sogar dem EKG vorgeschaltet. Im Klinikalltag wird dies jedoch noch nicht immer berücksichtigt: Nach wie vor werden die kardiologischen Untersuchungsmethoden bis hin zur invasiven Diagnostik (Herzkatheter) häufig vorgezogen, bevor eine Lungenfunktionsdiagnostik veranlasst wird.

Die wichtigsten Indikationen zur Lungenfunktionsdiagnostik sind

  • Beschwerden wie Atemnot und/oder Husten und/oder Auswurf

  • Verdacht auf Erkrankungen der Bronchien, der Lunge, des Herzens, des Thorax oder der Wirbelsäule

  • Verlaufsbeobachtung bei bronchopulmonalen Erkrankungen

  • Therapiekontrolle bronchopulmonaler Erkrankungen

  • präoperative Prüfung der Lungenfunktion zur Beurteilung des Operationsrisikos

  • arbeitsmedizinische Überwachung bei bestimmten Berufen (z.B. bei Staubexposition, im Rettungswesen).

Um die Lungenfunktions-Messmethode und die ermittelten Werte zuverlässig beurteilen zu können, sind einige Gütekriterien notwendig. Dazu gehören Objektivität, Reproduzierbarkeit, regelmäßige Eichpumpenüberprüfung der Messgenauigkeit, Sensitivität und Spezifität.

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Durchführung der Spirometrie

Natürlich ist eine Lungenfunktionsmessung primär bei Kranken und nicht bei Gesunden indiziert. Häufig wird jedoch als Argument gegen diese Untersuchung angeführt, dass der Patient schon so schlecht Luft bekomme und ihm die Lungenfunktionsmessung daher nicht mehr zuzumuten sei. Doch gerade in einem solchen Fall muss neben der therapeutischen Beeinflussbarkeit der Erkrankung auch das Risiko eines letalen Ausgangs durch Versagen der Atemmechanik und Atempumpe ermittelt werden. Vergleichbar mit dieser Situation wäre die Unterlassung eines EKGs bei Stenokardien mit Verdacht auf Herzinfarkt.

Wichtig ist, dass der Patient über die Untersuchung gut aufgeklärt ist. Da die meisten Lungenfunktionsparameter vom Engagement des Patienten abhängen, ist es wichtig, ihn während der Untersuchung stets zu motivieren. Gerade bei Kindern oder fremdsprachigen Ausländern ist immer daran zu denken, dass möglicherweise Verständnis- oder Interpretationsschwierigkeiten dazu beitragen können, dass der Patient nur ungenügend mitwirkt. Bei bettlägerigen, geschwächten Patienten und Kindern kann auch die weniger belastende Resistancemessung herangezogen werden.

Grundsätzlich sind mindestens zwei Messungen erforderlich. Stimmen die Werte nicht überein, müssen auf jeden Fall weitere Messungen erfolgen. Zur Diagnostik zieht man dann die Kurve mit den besten Ergebnissen heran. Heute wird die Spirometrie üblicherweise im Sitzen durchgeführt, auch auf die richtige Kopfhaltung ist zu achten (Nasenklammer nicht vergessen!). Steht der Patient während des Messvorgangs, sollte dies auf dem Messprotokoll vermerkt sein, da in diesem Fall durch die bessere Mobilisierung des Zwerchfellmuskels größere Atemvolumina möglich sind. Ist eine Lungenfunktionsmessung zusammen mit einem Provokationstest geplant, muss die Möglichkeit gegeben sein, einen anaphylaktischen Schock oder einen Status asthmaticus therapieren zu können.

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Lungenvolumina

Die genaue Kenntnis der Lungenvolumina ist die Voraussetzung für die Durchführung und Beurteilung der Spirometrie, denn jede Ventilationsstörung wirkt sich auf die verschiedenen Lungenfunktionsparameter anders aus [Abb. 1]. So ist beispielsweise der Peak-Flow bei Bronchitis- oder Asthmapatienten erniedrigt, während dieser Parameter bei einer interstitiellen Lungenerkrankung im Normbereich liegen kann.

Der Pneumograf misst Flüsse, die durch elektrische Integration über die Zeit in Volumina umgerechnet und als so genannte Flussvolumenkurve vom Messgerät direkt im Display angezeigt werden. Jede Flussvolumenkurve enthält Bereiche, die stark von der Mitarbeit des Patienten abhängen, aber auch rein flussbegrenzte Abschnitte. So gibt der erste Teil des exspiratorischen Schenkels der Flussvolumenkurve Auskunft über die zentralen Atemwege, während der Endteil Hinweise auf die atemmechanische Beschaffenheit der kleinen Atemwege liefert [Abb. 1]. Die Veränderungen in der Form der Flussvolumenkurve ermöglichen wichtige Aussagen über die Art und das Ausmaß einer Ventilationsstörung, sowie über die Mitarbeit des Patienten [Abb. 2].

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Bronchospasmolysetest

Lässt sich eine Obstruktion nachweisen, so empfiehlt sich der Bronchospasmolysetest. Dazu wird entweder ein Kurzzeit-Beta-Sympathomimetikum eingesetzt, bei dem die Messung 15-20 Minuten nach der Inhalation erfolgt. Wird ein inhalatives Vagolytikum verwendet, dann darf die Messung jedoch frühestens nach 30-40 Minuten vorgenommen werden, weil in diesem Fall die Wirkung der Substanzen erst mit einer Zeitverzögerung eintritt (verzögerter Wirkmechanismus). Verbessert sich das forcierte exspiratorische Volumen (FEV1) - also das Luftvolumen, das nach dem maximalen Einatmen und maximal forcierter Ausatmung innerhalb von einer Sekunde ausgeatmet wird - um 15-20 %, so gilt dieser Test als positiv.

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Bronchialer Provokationstest

Liegt der Verdacht einer bronchialen Hyperreagibilität vor, so ist bei normaler Spirometrie - wenn also im Lungenfunktionstest keine messbare Atemwegsobstruktion nachgewiesen werden kann - die Inhalation mit Kaltluft bzw. Acetylcholin, Histamin, Carbachol und Metacholin durchzuführen. Dieser so genannte bronchiale Provokationstest gilt als positiv, wenn sich die Ein-Sekunden-Kapazität um 20 % verschlechtert und gleichzeitig klinische Symptome für eine Hyperreagibilität der Bronchien vorliegen. Voraussetzungen für den bronchialen Provokationstest sind gut geschultes Personal und ein entsprechendes Notfalltherapie-Equipment.

Vor der Provokation ist eine entsprechende zeitgemäße Medikamentenkarenz zu beachten: So sollte die Therapie mit Theophyllin, Antihistaminika, Steroiden, Dinatriumchromoglykat (DNCG), Ketotifen oder Nedocromil 48 Stunden vor dem Provokationstest ausgesetzt werden. Bei lang wirksamen Beta-Sympathomimetika genügt eine Karenz von 24 Stunden, für kurz wirksame Beta-Sympathomimetika sollte diese Zeitspanne zwölf Stunden betragen.

Nach den Empfehlungen des NHLB-Instituts („National Heart, Lung und Blood Institute”) in den USA wurde 1991 ein Schema zur Durchführung der Lungenfunktionsdiagnostik nach Symptomen erstellt [Abb. 3].

Anders als die Peak-flow-Metrie, die Spirometrie und die Pneumotachografie hängt die weiterführende Lungenfunktionsdiagnostik - mit der Messung des Atemwegswiderstands durch Unterbrechertechnik, Oszilloresistometrie oder Impulsoszillometrie - nicht oder zumindest nur in geringem Maße von der Mitarbeit der untersuchten Patienten ab. Die exakteste Lungenfunktionsmessung ist die Bodyplethysmografie, die zusätzliche Gasvolumina wie das intrathorakale Gasvolumen, das Residualvolumen, die totale Lungenkapazität und die Atemwegswiderstände des bronchialen Strömungsdrucks durch Messung des Kammerdrucks in einer abgeschlossenen Kammer erfasst und bestimmt.

Diffusionskapazitätsmessungen stehen neben Blutgasanalysebestimmungen im Vordergrund bei der Beurteilung von interstitiellen Lungenparenchymerkrankungen (Lungenfibrosen), Lungenemphysem und eventuellen Medikamentennebenwirkungen (z.B. von Amiodaron). Mittels Ergospirometrie kann die Abklärung einer unklaren Dyspnoe im Rahmen der präoperativen kardio-pulmonalen Funktionsdiagnostik (z.B. Thoraxchirurgie) erfolgen. Sie kann aber auch die Frage bestimmter eingreifender Behandlungsformen (z.B. Steroidtherapie bei interstitiellen Lungenparenchymerkrankungen) beantworten oder zur Verlaufskontrolle, in der Begutachtung und als wesentliche Untersuchungsmethode in der Abschätzung der Arbeits- und Leistungsfähigkeit in der Rehabilitationsmedizin Anwendung finden.

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Grenzen der Spirometrie

Nur wenn der Patient während der Untersuchung motiviert mitarbeitet, lässt sich mithilfe der Spirometrie ein diagnostisch und therapeutisch verwertbares Ergebnis erzielen. Aber auch der Untersucher ist gefordert: Er sollte speziell für die Lungenfunktionsdiagnostik ausgebildet und trainiert sein. Dies hat sich die Ärztegruppe Lungenfunktionsdiagnostik unter der Schirmherrschaft der Deutschen Atemwegsliga und der Pädiatrisch Pneumologischen Gesellschaft zur Aufgabe gemacht. Bundesweit führen über 90 Referenten Basis-, Aufbau- und spezielle Pädiaterseminare durch. So wurden von 1990 bis zum Jahr 2002 bereits über 35000 Personen in 2048 Seminaren geschult und zertifiziert (http://www.lufu.de).

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Ausblick

Die Spirometrie muss sich in Klinik und Praxis als Basisuntersuchung etablieren und sollte dahingehend im Ausbildungsplan berücksichtigt werden. Nach den AIRE-Befragungsergebnissen in Europa ist die Zielvorgabe der Behandlungskriterien der GINA[2] weiterhin noch längst nicht erreicht. Demnach haben europaweit 46 % der Patienten tagsüber Symptome, 30 % der Patienten klagen über Schlafstörungen (einmal pro Woche), 61 % berichten von schweren Anfällen (Husten, Giemen, Engegefühl in der Brust, Kurzatmigkeit) und 63 % benutzten im letzten Monat eine Bedarfsmedikation. Mit einer adäquaten Therapie wäre dies alles jedoch weitgehend zu vermeiden. Einem Lungenfunktionstest wurde übrigens über die Hälfte der Befragten der AIRE-Studie nie unterzogen.

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Abb. 1

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Abb. 2

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Abb. 3

Tab. 1 Veränderung der Lungenfunktionsparameter bei verschiedenen Ventilationsstörungen

 

Bronchitis

Asthma

Emphysem

interstitielle Lungenerkrankung

PEF (Peak-flow)

-

VK (Vitalkapazität)

(↓)

(↓)

FEV1 (forciertes Ausatemvolumen pro Sekunde)

(↓)

RV (Residual-volumen)

-

-

TLC (totale Lungen-kapazität)

-

-

↑ erhöht, ↓ erniedrigt, - normal nach [11]

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Literatur

1 asthma insights and reality in europe

2 global initiative for asthma

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Literatur

1 asthma insights and reality in europe

2 global initiative for asthma

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Abb. 1

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Abb. 2

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Abb. 3