Nahezu 53 % der Patienten mit Hodenkrebs hatten bereits im Vorfeld der Therapie eine
Oligozoospermie. Auch für Patienten mit der systemischen Erkrankung Morbus Hodgkin
wird eine Oligozoospermie und/oder Asthenozoospermie und/ oder Teratozoospermie in
30 bis 65 % der Fälle angenommen.
Die Qualität der Spermien ist für eine Kryokonservierung natürlich von Interesse.
L. Gandini und Kollegen analysierten deshalb Unterschiede in der Spermienqualität
zwischen Patienten mit Hodenkrebs und Morbus Hodgkin vor geplanter Chemo- und Strahlentherapie
(Human Reproduction 2003; 4: 796-801). Fokussiert wurde dabei auf Unterschiede zwischen
den Patientengruppen, inwieweit die Samenqualität vom Histotyp des Tumors und bestimmten
Tumormakern abhängig ist und, für HD-Patienten, die Spermienqualität in Abhängigkeit
des Krankheitsstadiums. Dazu wurden Spermienproben von 342 Patienten (222 mit TC und
106 mit HD) auf Ejakulatvolumen, Spermienkonzentration, Motilität und Morphologie
untersucht. Bei allen TC-Patienten erfolgte die Evaluierung etwa einen Monat nach
Orchidektomie.
Im Vergleich zur HD-Gruppe zeigten sich in der TC-Gruppe eine signifikant verminderte
Spermienkonzentration, Spermienanzahl und Spermienmotilität sowie eine signifikante
Zunahme atypischer Spermienformen. Unterschiede im Prozentsatz azoospermischer/kryptozoospermischer
Patienten in der TC- bzw. in der HD-Gruppe waren statistisch nicht signifikant. Hinsichtlich
der Spermienanzahl ergaben sich jedoch Unterschiede. So hatten 35,5 % der TC-Patienten
eine Spermienanzahl von < 40x 106/Ejakulat im Vergleich zu 19,8 % der HD-Patienten. Während der histologische Tumortyp
keine Assoziation mit den Spermienvolumina von TC-Patienten hatte, waren die Spermienparameter
für Seminomapatienten besser als für Patienten mit anderen histologischen Tumortypen.
TC-Patienten mit einem pathologischen Wert des Tumormarkers βCG wiesen im Vergleich
zu Patienten mit normalen Werten signifikante Unterschiede in allen Spermienparametern
auf. Für HD-Patienten zeigte sich mit zunehmend höherem Krankheitsstadium eine signifikante
Abnahme von Spermienkonzentration, Spermienanzahl und Spermienmotilität. Lediglich
24,5 % hatten eine Spermienanzahl von < 40x106/Ejakulat.
Die Daten zeigen eine bessere Spermienqualität für Patienten mit Morbus Hodgkin als
für Patienten mit Hodenkrebs. Ob es daran liegt, dass testikuläre Neoplasien anders
auf die Pathogenese der Oligozoospermie wirken als systemische Neoplasien, ist noch
nicht geklärt.
Kommentar zur Studie
Die Autoren analysierten retrospektiv 222 Patienten mit Hodentumoren und 106 Patienten
mit M. Hodgkin, die sich von 1996-2001 im Rahmen ihrer Therapie einer Kryokonservierung
von Spermatozoen vor Chemotherapie unterzogen haben.
Die mittleren Spermatozoendichten lagen bei Hodentumorpatienten im Mittel bei 30 ±
32 Mio. Spermatozoen pro ml und bei Hodgkin-Patienten im Mittel bei 52 ± 40 Mio. Spermatozoen
pro ml. Der Unterschied zwischen den Patientengruppen war dann statistisch signifikant,
wenn man Gruppen verglich, die weniger als 40 Mio. Spermatozoen pro ml aufwiesen.
Die Schlussfolgerung der Autoren bietet weder eine Erklärung für den Unterschied zwischen
den Gruppen an, noch kann erklärt werden, warum diese Werte deutlich über den bislang
berichteten Werten liegen. In der jüngsten Analyse der prospektiven Hodentumorstudie
der AUO/GTCSG im Stadium I des nicht seminomatösen Hodentumors fiel in Übereinstimmung
mit der gesamten bislang berichteten Literatur auf, dass etwa 12 % der Patienten bereits
bei Diagnose eines Hodentumors azoosperm waren. Insgesamt lagen 67 % der Patienten
unterhalb des WHO-Normwerts von 20 Mio. Spermatozoen pro ml. Diese Werte wurden in
den letzten 20 Jahren übereinstimmend von allen Autoren berichtet, die Analysen der
Ejakulatparameter vor oder nach Ablatio testis durchgeführt haben (Tab. 1).
Vor diesem Hintergrund sind die Beobachtungen der Autoren sehr kritisch zu beurteilen.
Auch die Erklärungen für den Unterschied zwischen Hodgkin- und Hodentumorpatienten
liegen auf der Hand. Die Beeinflussung der hypothalamisch-hypophysären Achse durch
eine Erhöhung des Serum-beta-HCG ist unstrittig, da eine fast 100 %ige Homologie zum
LH vorliegt und damit der Regelkreis beeinflusst wird. Stress spielt sicher für die
Spermatozoendichte eine untergeordnete Rolle, schon gar nicht der vermeintliche Stress
einer Ablatio testis, die von den Autoren als „a very distressing surgical removal”
interpretiert wird. In der Zusammenschau der gesamten Literatur müssen die berichteten
Ergebnisse daher als überraschend gewertet werden. Nur prospektive Studien mit entsprechenden
Hormonprofilen, longitudinalen Messpunkten und Schwangerschaftsdaten sind hilfreich,
um die Fertilitätsproblematik von Tumorpatienten beurteilen zu können.
Prof. Peter Albers, Kassel