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DOI: 10.1055/s-2004-813219
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Suchtmedizinische Fort- und Weiterbildung
Education and Further Training in Addiction Medicine
Dr. med. Klaus Behrendt
Ltd. Arzt Abt. f. Abhängigkeitserkrankungen, Klinikum Nord Hamburg
Langenhorner Chaussee 560
22419 Hamburg
Email: Klaus.Behrendt@k-nord.lbk-hh.de
Publication History
Publication Date:
24 May 2004 (online)
Fachkunde, Bereichsbezeichnung oder Schwerpunkt der Facharztweiterbildung - was nützt eigentlich unseren Patienten?
Um sich dieser Fragestellung überhaupt angemessen annähern zu können, ist zunächst einmal ein Blick auf die Dimensionen des Problems bzw. auf den Versorgungsbedarf zu werfen. Aber schon dieser Versuch wird dadurch erschwert, dass es letztlich keine sicheren Aussagen über Gesamtzahlen gibt, was auch darauf zurückzuführen ist, dass die diagnostischen Angaben in der Literatur nicht immer vergleichbar sind und es nicht überall eine adäquate diagnostische Zuordnung gem. ICD10 oder DSM IV gibt bei der Frage, wer süchtig ist, Hochdosiskonsum betreibt oder missbräuchlich konsumiert.
Sicher ist wohl, dass weltweit - also auch in Deutschland - Suchterkrankungen, insbesondere Alkoholkrankheiten, nach den Depressionen laut WHO die gesundheitspolitisch bedeutendsten Störungen sind. Die Unschärfe zeigt sich schon, wenn Kraus und Bauernfeind [1] 1998 angeben, dass ca. 5,8 Mill. Bürger einen Hochdosiskonsum von Alkohol betreiben, 2,4 Mill. Alkohol missbräuchlich konsumieren und ca. 1,5 Mill. gem. DSM IV als abhängig einzustufen sind und andererseits Tretter [2] im Jahr 2001 die Zahl der Alkoholabhängigen mit 2,5 Mill. angibt. Es kann also offenbar immer noch nur um Dimensionen oder Schätzungen gehen, die sich für die Abhängigkeit von Benzodiazepinen nach Glaeske [3] auf 1,4 - 1,5 Mill. Abhängige belaufen und für die illegalen Drogen insgesamt nach Kraus und Bauernfeind auf 285 000 Abhängige gemäß DSM IV.
Man sollte meinen, dass angesichts dieser großen gesundheitspolitischen Bedeutung des Problems in unserer Gesellschaft ein absoluter Schwerpunkt auf eine adäquate Versorgung dieser Kranken gelegt wird. Es ist auch nicht zu bestreiten, dass in der Versorgung von Drogenabhängigen in den letzten 15 Jahren gewaltige Fortschritte gemacht worden sind, so dass deren Versorgungslage zwar nicht absolut, aber im Vergleich zu dem Angebot für Alkoholkranke geradezu als vorbildhaft bezeichnet werden könnte. Hier ist inzwischen ein Netz von speziellen Drogenentzugsstationen entstanden und die Substitutionsbehandlung als wichtigstes primäres Behandlungsangebot bei Heroinabhängigkeit durchgesetzt worden. Dies soll nicht heißen, dass Reichweite und Qualität dieser suchtmedizinischen Angebote nicht noch erheblich verbessert werden könnten, die positive Bewertung bezieht sich eben auf den Vergleich zum Versorgungsangebot für die vielfach höhere Zahl der Alkohol- und Medikamentenabhängigen. Ihre medizinische Versorgung findet zu 70 % im hausärztlichen Bereich statt, 25 % werden nach Tretter [2] in internistischen Abteilungen entgiftet und nur 2,5 % kommen auf spezielle Entzugsstationen, erhalten also ein Angebot, dass über die reine körperliche Entgiftung hinaus auch die viel wesentlichere psychosoziale Dimension des Problems erfasst und auf Ausstiegsmöglichkeiten orientiert ist. In spezielle Entwöhnungseinrichtungen gelangen nach Tretters Angaben überhaupt nur 1 % der Betroffenen. Ähnliche Zahlen finden sich auch bei anderen Autoren, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben. Entsprechend sind nach Angaben von John et al. [4] aus 1996 oder nach einer Veröffentlichung des BMG zu Alkoholkonsum und alkoholbezogenen Störungen [5] aus dem Jahre 2000 12,7 % bis 17,5 % der Patienten im Allgemeinkrankenhaus alkoholkrank und in der Allgemeinarztpraxis zwischen 10,7 % und 12,1 % mit einer hohen Dunkelziffer, da bekanntlich längst nicht bei allen Betroffenen die Diagnose auch wirklich gestellt wird.
Warum die ca. 126 000 niedergelassenen und 137 000 Krankenhausärzte, die an dieser Versorgung beteiligt sind, dies nicht tun, haben Reinert et al. [6] 1999 schon zugespitzt auf die Allgemeinkrankenhäuser herausgearbeitet:
Es falle den Betroffenen in der auf Versorgung und helfende Anteilnahme ausgerichteten somatischen Behandlungsatmosphäre leichter, die Verleugnung ihrer Problematik aufrechtzuerhalten, womit dem Krankenhaus, das diese ihm zugewiesene Rolle akzeptiere, unbewusst eine nahezu coabhängige Rolle zukomme.
Man kann vermuten, dass dies mehr oder weniger auch für viele Hausärzte gilt. Diese Wechselwirkung zeigt sich - quasi am anderen Pol einer von vornherein falschen Beziehungsachse - auch darin, dass sich die Betroffenen bei einem offenen Ansprechen der Diagnose oft diffamiert fühlen und auch diffamiert werden und sich dann der Behandlung entziehen, womit eine große Chance für adäquate Präventions- und Behandlungsmaßnahmen vertan ist.
Die Hintergründe für diese hier nur knapp und schlaglichtartig skizzierte völlig unbefriedigende und aus volkswirtschaftlicher bzw. gesundheitsökonomischer Perspektive sogar nur als katastrophal zu bezeichnende Versorgungssituation der ganz überwiegenden Zahl Suchtkranker sind bekanntlich ausgesprochen vielschichtig:
Als Erstes sind hier die diversen gegen einen rationalen Umgang mit dem Problem sprechenden Interessenlagen zu benennen. So hat ein großer Teil der Betroffenen wegen der mit der Diagnose Abhängigkeit verbundenen Stigmatisierung das Interesse, diese zu verleugnen. Was mit dem aus einem eben nicht auf langfristige Kostenersparnis, sondern nur auf kurzfristige Vermeidung von Mehrausgaben ausgerichteten Interesse der zuständigen Kostenträger in fataler Weise übereinstimmt. Vom Interesse des Staates bzw. seiner Ambivalenz im Umgang mit dem Alkoholproblem soll hier gar nicht gesprochen werden.
Ein zweiter bedeutsamer Hintergrund ist ebenfalls im Zusammenhang mit der Stigmatisierung zu sehen, nämlich die komplette Negierung dieser Volkskrankheit in der medizinischen Ausbildung.
Es würde zu weit gehen, im Rahmen dieses Beitrags die Hintergründe weiter zu durchleuchten, beispielhaft sei nur aus unserer Sicht der spezialisierten Krankenhausärzte die gern genutzte Möglichkeit erwähnt, die Belegungszahlen und die Verweildauerstatistik internistischer Abteilungen mit der kurzen körperlichen Entgiftung Alkoholkranker positiv zu beeinflussen, woraus dann Kostenträger Absurditäten wie eine Siebentageregelung für die Entgiftung ableiten.
Den Titel des Beitrags aufgreifend ergibt sich zuallererst die Grundforderung, dass die Bedeutung der Suchtkrankheit und ihrer Begleit- und Folgekrankheiten endlich ihren inhaltlich angemessenen Niederschlag im Medizinstudium finden.
Suchtkranke nehmen ganz überwiegend heute nur die Regel- bzw. Basisversorgung bei niedergelassenen Ärzten und in Allgemeinkrankenhäusern in Anspruch. Es ist keine Unterstellung, dass sie dort bezüglich ihres Grundproblems weder ausreichend diagnostiziert noch ausreichend behandelt werden. Das ist angesichts eines bestehenden gegliederten Versorgungssystems auch weder notwendig noch wünschenswert, zumal in dieser Phase eher nicht von ausreichender Krankheitseinsicht und Behandlungsbereitschaft ausgegangen werden kann. Vielmehr sind in diesem Versorgungsbereich Früherkennung und Frühintervention geboten und auch ökonomisch sinnvoll.
Für diesen Zweck ist schon 1998 der Fachkundenachweis Suchtmedizinische Grundversorgung bundesweit eingeführt worden. Leider ist der Erwerb dieser Fachkunde nicht - wie von den Initiatoren intendiert - mit entsprechenden ökonomischen Anreizen ausgestattet worden. Derzeit ist sie zwar Voraussetzung für die Möglichkeit, Substitutionsbehandlungen durchzuführen, das eigentliche Ziel, die Kompetenzerweiterung der Hausärzte, wäre aber nur erreichbar, wenn an diese Qualifikation gebundene differenzierte Abrechnungsmöglichkeiten für die Behandlung von Alkoholkranken geschaffen würden. Daran ist nicht nur im Moment wohl kaum zu denken, der Trend geht vielmehr offenbar derzeit in eine gegenläufige Richtung, wie noch auszuführen sein wird.
Für die Versorgung Suchtkranker sind aber darüber hinaus weitere differenzierte und auf ihre speziellen Belange zugeschnittene ärztliche Qualifikationen erforderlich. Dafür gibt es gute Gründe:
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Das etablierte Suchthilfesystem erreicht nicht mehr als höchstens 5 % bis 6 % der Betroffenen.
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Die Möglichkeiten der medizinischen Diagnostik und Behandlung nicht nur der Suchtkrankheiten selbst, sondern auch ihrer Begleit- und Folgeerkrankungen sind erheblich erweitert.
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Die Betroffenen nehmen das Gesundheitsversorgungssystem spontan vielmehr in Anspruch als das Suchthilfesystem.
Es liegt damit auf der Hand, dass es offensichtlich sinnvoll ist, für Ärzte eine Weiterbildungsmöglichkeit auf der Ebene der Bereiche zu schaffen. Ärzte mit dieser Weiterbildung können in Schwerpunktpraxen und Allgemeinkrankenhäusern die weitere Qualifizierung der suchtmedizinischen Versorgung entwickeln und sicherstellen und Suchtkranke den für sie individuell notwendigen und adäquaten Hilfsangeboten zuführen. Damit ist das Ziel verbunden, in enger Kooperation mit dem Suchthilfesystem und dem psychiatrischen Hilfesystem die psychosozialen Hilfsangebote mit den differenzialdiagnostischen Möglichkeiten von Früherkennung und Frühintervention im somatischen Versorgungssystem zu kombinieren.
Eine solche Weiterbildungsmöglichkeit muss, wenn sie denn bedarfsorientiert wirksam werden soll, nicht nur mit angemessenem Aufwand erreichbar sein, sondern auch für Ärzte mit den Gebietsbezeichnungen offen sein, die bei ihrer Arbeit immer wieder mit Suchtkranken zu tun haben. Dazu zählen sicher Ärzte für:
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Allgemeinmedizin;
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Innere Medizin;
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Nervenheilkunde;
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Psychiatrie und Psychotherapie;
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Psychotherapeutische Medizin;
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Arbeitsmedizin;
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Frauenheilkunde und Geburtshilfe;
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Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie;
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Öffentliches Gesundheitswesen.
Diese Auffassung vertreten auch Böning und Fleischmann [7] in einem Beitrag zu neueren Therapieansätzen bei Alkoholproblemen.
Für eine wirklich umfassende und angemessene Versorgung suchtkranker Patienten scheint uns aber noch Weiteres erforderlich. Diese Notwendigkeit ergibt sich aus der hohen Prävalenz anderer psychiatrischer Erkrankungen, insbesondere affektiver Erkrankungen und Persönlichkeitsstörungen, aber auch der erhöhten Rate schizophrener Psychosen bei Abhängigkeitserkrankungen. Regier et al [8] haben in der ECA-Studie nachgewiesen, dass das Risiko Schizophrenerkrankter für Alkoholabhängigkeit gegenüber der allgemeinen Bevölkerung um den Faktor 3,8 erhöht ist und für andere Abhängigkeiten um den Faktor 4,2. Diese schwer psychisch Kranken haben also ein 4fach erhöhtes Risiko zusätzlich auch noch an einer Abhängigkeit zu erkranken.
Drogen und Alkohol können selbst psychotische Erlebnisse induzieren. Andere Studien weisen darauf hin, dass Depressionen und Alkoholismus eng miteinander verbunden sind und diese Komorbidität eine ungünstige Wirkung auf den Verlauf der affektiven Störung hat. Noch deutlich höher ist das Risiko bei Menschen mit manisch-depressiven Erkrankungen.
Ein weiterer enger Zusammenhang besteht zwischen den Angststörungen und den Abhängigkeitserkrankungen, wie diverse Untersuchungen ausgewiesen haben. Am ausgeprägtesten ist der Zusammenhang zwischen der antisozialen bzw. dissozialen Persönlichkeitsstörung und Alkohol- bzw. Drogenabhängigkeit. Bei diesen Menschen ist das Risiko für Alkoholismus um den Faktor 21 und für Drogenmissbrauch um den Faktor 13,4 erhöht. Ähnliches gilt für die Borderline-Persönlichkeitsstörung. Menschen mit solchen Störungen sind also um das 13 - 20fache höher gefährdet, abhängigkeitskrank zu werden als Gesunde.
Aus all dem ergibt sich zwingend, dass im Fachgebiet Psychiatrie und Psychotherapie zusätzlich zu den o. g. Weiterbildungsmöglichkeiten auch ein Schwerpunkt klinische Suchtmedizin geschaffen werden muss.
Hier hinkt die Ärzteschaft im Vergleich zu anderen Berufsgruppen deutlich hinterher, deren Weiterbildungsmöglichkeiten in der Suchtbehandlung, insbesondere im rehabilitativen Zweig, schon seit Jahren weit differenzierter und anspruchsvoller sind als in der Medizin selbst.
So rational - hoffentlich - diese Forderungen aus der Bedarfslage Abhängigkeitskranker und ihrer bisherigen Versorgungssituation abgeleitet sind, so irrational stellt sich im Ergebnis die Einstellung der auf den verschiedenen gesundheitspolitischen bzw. berufspolitischen Ebenen verantwortlichen Entscheidungsträger dar, die offensichtlich nicht am Patienteninteresse, sondern vielmehr an ganz anderen Interessen und möglicherweise auch an unbewusst bleibenden Motiven orientiert sind.
Diese grundsätzliche Kritik soll nicht ohne Erläuterung bleiben:
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Geradezu paradigmatisch lässt sie sich an der Entwicklung der Substitutionsbehandlung festmachen, die in den USA immerhin seit den 60er-Jahren etablierter Bestandteil der Behandlung Heroinabhängiger ist und deren Einführung auch in vielen europäischen Ländern nichts in den Weg gestellt wurde, als Heroinabhängigkeit dort zum Problem wurde. Bei uns haben zunächst die Organe der Ärzteschaft einen radikalen ideologischen Standpunkt bezogen und im Verein mit der Justiz so lange durchgesetzt, bis er aufgrund der gesundheitlichen und sozialen Folgen für die Betroffenen nicht mehr durchzuhalten war. Aber dann wurden mit den NUB-Richtlinien weitere Schranken aufgebaut, die jetzt auch durch die mit der Behandlung verbundenen zusätzlichen Kosten motiviert waren. Eine indikationsgerechte Herangehensweise konnte letztlich erst durch politischen Druck gegen die Phalanx von Ärztefunktionären und Kostenträgern durchgesetzt werden, als das Bundesministerium zum Instrument der Ersatzvornahme gegriffen hat.
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Aber auch die Behandlung alkoholkranker Menschen wird von den gesundheitspolitisch Verantwortlichen wesentlich unter Kostenminimierungsgesichtspunkten angegangen, wie insbesondere die so genannte Empfehlungsvereinbarung für Suchtkrankenbehandlung zwischen Krankenversicherungen und Rentenversicherungsträgern deutlich macht. Danach erklären sich die Krankenkassen letztlich ausschließlich für die Entgiftung zuständig und schränken damit ihren Auftrag, die Behandlung von Krankheiten zu finanzieren, von vornherein ein. Die Rentenversicherungsträger, die nach dieser Vereinbarung für die Entwöhnung zuständig sind, engen diesen Auftrag auf den Begriff der Rehabilitation im Sinne der Rentenversicherung, also auf die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit ein, womit dann im Ergebnis die beiden verantwortlichen Kostenträgergruppen aktiv eine Ausgrenzung der sowieso schon ausgegrenzten am schwersten betroffenen Suchtkranken vornehmen.
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Dies setzt sich dann fort in der aktiven Beschränkung von Kostenübernahmen für chronisch mehrfach geschädigte Abhängige seitens der Krankenkassen, für die sie eigentlich gem. Psych PV zuständig sind, in der schon erwähnten Einschränkung der Aufenthaltsdauer in der Entgiftungsbehandlung auf 14 oder gar 7 Tage, in der Verhinderung der Entwicklung qualifizierter ambulanter Entgiftungsangebote und schließlich in jüngerer Zeit in der Entwicklung von DRGs, die eine qualifizierte Entgiftung außerhalb des Systems psychiatrischer Krankenhäuser überhaupt nicht mehr auskömmlich finanzieren.
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Zu diesem Komplex gehört natürlich auch der Umgang mit der Fachkunde Suchtmedizinische Grundversorgung, für deren Erwerb es außer für substituierende Ärzte eben keinerlei finanziellen Anreiz gibt, während die Kosten für entsprechende Kurse von den verantwortlichen Ärztekammern und anderen Organisationen mit 500 bis 1 000 € erheblich sind bei einem Zeitaufwand von 50 Stunden, der abends oder am Wochenende erbracht werden muss. Welche Bedeutung Ärztefunktionäre dieser Fachkunde zumessen, lässt sich daran ablesen, dass sie im Rahmen der auf dem letzten Ärztetag verabschiedeten Musterweiterbildungsverordnung gar nicht mehr erwähnt wird, also auf den Rang eines bloßen Zertifikats zurückgefallen ist.
Die in diesem Beitrag vorgeschlagenen Weiterbildungsmöglichkeiten der Bereichsbezeichnung für diverse Facharztgruppen und der Schwerpunktbildung für die Psychiater sind keineswegs neu, sondern werden schon seit zehn Jahren in entsprechenden Fachgremien wie dem Suchtausschuss der Bundesdirektorenkonferenz Psychiatrischer Krankenhäuser oder dem Suchtausschuss der Bundesärztekammer immer wieder diskutiert, ohne dass man bisher auch nur einen Schritt weitergekommen ist. Vielmehr wird die dringend erforderliche strukturierte Weiterentwicklung der ärztlichen Qualifikation auch in der organisierten Ärzteschaft anderen berufspolitischen Interessen untergeordnet, wie beispielhaft dem Interesse der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, die ausschließlich eine Schwerpunktbezeichnung für die in dieser Gesellschaft organisierten Fächer zulassen will und die Bereichsbezeichnung für die anderen Gebietsärzte vehement ablehnt, dabei aber selbst kaum bis keine Impulse zur Suchtbehandlung gibt.
Vernünftig und rational begründet erscheint es, für die schon seit Jahren eingeführte Fachkunde Suchtmedizinische Grundversorgung in dem Sinne einzutreten, dass sie von einem Großteil der in der Regel- bzw. Basisversorgung tätigen Ärztinnen und Ärzte erworben werden kann. Dazu werden Appelle an den Idealismus dieser Kolleginnen und Kollegen wenig helfen, es bedarf vielmehr des ökonomischen Anreizes im ambulanten Bereich durch eine entsprechende Veränderung des EBM und im stationären Bereich durch eine entsprechende Modifizierung des DRG-Systems.
Konkret heißt das, dass spezielle EBM-Ziffern geschaffen werden müssen, die nur von Fachkundeinhabern abgerechnet werden können und entsprechend im somatischen stationären Bereich eine spezielle DRG nur in Rechnung gestellt werden kann, wenn eine von Fachkundeinhabern durchgeführte Beratung und Behandlung durch das Krankenhaus nachgewiesen wird.
Vernünftig und gesundheitspolitisch notwendig erscheint zweitens die Schaffung einer Bereichsbezeichnung Suchtmedizin, die mit einem angemessenen Aufwand erreichbar ist und für alle Arztgruppen offen steht, deren Aufgabengebiet von Suchtkranken häufig in Anspruch genommen wird.
Nur auf diese Weise kann schon von vornherein im Rahmen einer qualifizierten Weiterbildung in Zukunft die Qualität der Arbeit in Schwerpunktpraxen und in Entzugseinrichtungen außerhalb der Psychiatrie sichergestellt werden.
Vernünftig scheint schließlich nicht nur wegen der Zuordnung der Suchterkrankung zu den psychischen Störungen, sondern insbesondere auch wegen der Größenordnung komorbider psychischer Störungen bzw. Erkrankungen, dass ein Schwerpunkt Suchtmedizin im Fachgebiet Psychiatrie und Psychotherapie geschaffen wird, durch den wie bei anderen insbesondere somatischen Erkrankungen auch, eine hochqualifizierte Diagnostik und Versorgung von Schwerstkranken und Multimorbiden abgesichert werden kann.
Um dies zu erreichen, liegen sicher noch ein langer Weg und viel Mühe und Arbeit vor uns, die wir schon deswegen nicht scheuen sollten, weil eine adäquate Behandlung der Suchterkrankung eben nicht vergebliche Liebesmüh, sondern - wie wir wissen - eine lohnende Aufgabe ist.
#Literatur
- 1 Kraus L, Bauernfeind R. Repräsentativerhebung zum Konsum psychotroper Substanzen bei Erwachsenen in Deutschland 1997. Sucht 44, Sonderheft 1.
- 2 Tretter F. Defizite in der Versorgung von Alkoholikern. Bayer Ärzteblatt. 1/2001; 1 17-22
- 3 Glaeske G. Psychotrope und andere Arzneimittel mit Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial. In: Jahrbuch Sucht 2002. Neulandverlag Geesthacht. 97;
- 4 John U, Hapke U, Rumpf H J. et al .Prävalenz und Sekundärprävention von Alkoholmißbrauch und -abhängigkeit in der medizinischen Versorgung. Schriftenreihe des BMG, Bd. 71. Baden-Baden; Nomos Verlagsgesellschaft 1996
- 5 Bühringer G, Augustin R, Bergmann E. et al .Alkoholkonsum und alkoholbezogene Störungen in Deutschland 2000. Schriftenreihe des Bundesministeriums für Gesundheit, Bd. 128. Baden-Baden; Nomos Verlagsgesellschaft 2000
- 6 Reinert T. et al . Über die Notwendigkeit einer suchtmedizinisch qualifizierten stationären Akutbehandlung bei Alkoholabhängigkeit. Psychiatrische Praxis. 1999; 26 294-298
- 7 Böning J, Fleischmann H. Suchtmedizinische Kompetenz in der ärztlichen Aus-, Fort- und Weiterbildung - derzeitiger Stand und zukünftiger Bedarf. In: Neue Therapiesätze bei Alkoholproblemen;. Lengerich: Pabst. 2002;
- 8 Regier D A, Farmer M E. et al . Comorbidity of mental disorders with alcohol and other drug abuse. Journal of the American Medical Assoziation. 1990; 264 2511-2518
Dr. med. Klaus Behrendt
Ltd. Arzt Abt. f. Abhängigkeitserkrankungen, Klinikum Nord Hamburg
Langenhorner Chaussee 560
22419 Hamburg
Email: Klaus.Behrendt@k-nord.lbk-hh.de
Literatur
- 1 Kraus L, Bauernfeind R. Repräsentativerhebung zum Konsum psychotroper Substanzen bei Erwachsenen in Deutschland 1997. Sucht 44, Sonderheft 1.
- 2 Tretter F. Defizite in der Versorgung von Alkoholikern. Bayer Ärzteblatt. 1/2001; 1 17-22
- 3 Glaeske G. Psychotrope und andere Arzneimittel mit Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial. In: Jahrbuch Sucht 2002. Neulandverlag Geesthacht. 97;
- 4 John U, Hapke U, Rumpf H J. et al .Prävalenz und Sekundärprävention von Alkoholmißbrauch und -abhängigkeit in der medizinischen Versorgung. Schriftenreihe des BMG, Bd. 71. Baden-Baden; Nomos Verlagsgesellschaft 1996
- 5 Bühringer G, Augustin R, Bergmann E. et al .Alkoholkonsum und alkoholbezogene Störungen in Deutschland 2000. Schriftenreihe des Bundesministeriums für Gesundheit, Bd. 128. Baden-Baden; Nomos Verlagsgesellschaft 2000
- 6 Reinert T. et al . Über die Notwendigkeit einer suchtmedizinisch qualifizierten stationären Akutbehandlung bei Alkoholabhängigkeit. Psychiatrische Praxis. 1999; 26 294-298
- 7 Böning J, Fleischmann H. Suchtmedizinische Kompetenz in der ärztlichen Aus-, Fort- und Weiterbildung - derzeitiger Stand und zukünftiger Bedarf. In: Neue Therapiesätze bei Alkoholproblemen;. Lengerich: Pabst. 2002;
- 8 Regier D A, Farmer M E. et al . Comorbidity of mental disorders with alcohol and other drug abuse. Journal of the American Medical Assoziation. 1990; 264 2511-2518
Dr. med. Klaus Behrendt
Ltd. Arzt Abt. f. Abhängigkeitserkrankungen, Klinikum Nord Hamburg
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