Einleitung
Einleitung
In der dermatologischen Praxis zählt der Lichen ruber planus zu den regelmäßig vorkommenden
Diagnosen, wobei die Prävalenz der Erkrankung in der Gesamtbevölkerung jedoch nicht
genau bekannt ist. Innerhalb der Gruppe dermatologischer Patienten wurde seine Häufigkeit
in Deutschland wiederholt mit etwa 0,8 % angegeben [1]
[2]. Der Lichen ruber planus ist eine üblicherweise zeitlich limitiert auftretende entzündliche
Dermatose, deren klinische Primäreffloreszenz eine reiskorn- bis linsengroße, polygonale,
hellrot bis rotbraun tingierte Papel ist, deren Oberfläche sich durch eine weißliche
Netzgitterstruktur auszeichnet, der so genannten Wickham’schen Zeichnung. Zu den Prädilektionsstellen
zählen die Beugeseiten der Handgelenke, die Streckseiten der Unterschenkel und am
Stamm die LWS-Region. Bei über 50 % der betroffenen Patienten zeigen sich darüber
hinaus Manifestationen im Bereich der Mundschleimhäute, hier typischerweise in Form
schmerzhafter Erosionen oder netzgitterartiger Leukoplakien [1]
[3]
[4]
[5]. Neben den bisher genannten, am häufigsten auftretenden Befunden finden sich beim
Lichen ruber planus zahlreiche Sonderformen, die unter Berücksichtigung klinisch-morphologischer,
topographischer oder ätiologischer Gesichtspunkte abgegrenzt werden können. Hierzu
zählen u. a. der Lichen ruber verrucosus und der Lichen ruber pemphigoides, der Lichen
ruber unguium sowie der Lichen ruber e medicatione und der Lichen ruber actinicus
[4]. Auch der Lichen ruber linearis zeichnet sich durch eine klinisch-morphologische
Besonderheit aus, durch streifenförmige Manifestationen der Morphen, wobei die Ausbreitung
am häufigsten dem Verlauf der Blaschko-Linien oder der Dermatome folgen kann, wie
dies auch bei dem hier vorgestellten Patienten beobachtet werden konnte.
Kasuistik
Kasuistik
Anamnese
Im Januar 2002 entwickelten sich bei dem damals 69-jährigen Patienten erstmals juckende
Hautveränderungen an den Extremitäten und am Stamm. Trotz einer regelmäßigen Behandlung
mit glukokortikoidhaltigen Salben nahm der Befund kontinuierlich zu. Im Juni 2002
erfolgte die stationäre Einweisung in die Hautklinik Bremerhaven. Zu diesem Zeitpunkt
zeigte sich der typische klinische Befund eines Lichen ruber generalisatus. Am Stamm
sowie an den oberen und unteren Extremitäten fanden sich in exanthematischer Ausprägung
erythematöse, linsen- bis fingernagelgroße, polyzyklisch begrenzte Papeln und Plaques,
teilweise mit Wickham’scher Zeichnung. Die Diagnose eines Lichen ruber planus wurde
histopathologisch bestätigt. Unter einer Behandlung mit täglich 30 mg Acitretin (NeotigasonR) und lokaler Anwendung einer Prednisolon-Rezeptur heilte der Befund innerhalb von
4 Wochen vollständig ab. Auch nach Beendigung der Acitretin-Therapie im August 2002
blieb der Patient zunächst vollständig erscheinungsfrei. Im Februar 2003 wurde der
Patient dann erneut in der Klinik vorgestellt, nachdem 6 Wochen zuvor juckende Hautveränderungen
am linken Unterschenkel aufgefallen waren, die sich streifenförmig ausgebreitet hatten.
Dermatologischer Befund
Gluteal sowie am Ober- und Unterschenkel im Dermatom S2 links einzeln stehende, gruppiert angeordnete oder auch konfluierende, teilweise
unscharf begrenzte, flach erhabene, purpuriform wirkende Papeln und Plaques ohne Wickham’sche
Zeichnung. Einzeln stehende Papeln gleicher Morphologie gluteal rechts (Abb. [1] und [2]).
Abb. 1 Lichen ruber linearis S2 links.
Abb. 2 Detailaufnahme mit purpuriform wirkenden Papeln.
Befunde diagnostischer Untersuchungen
Befunde diagnostischer Untersuchungen
Histopathologischer Befund
Akanthose mit spitz ausgezogenen Reteleisten, vakuolären Veränderungen an der dermoepidermalen
Junktionszone mit Nachweis von nekrotischen Keratinozyten. Hypergranulose und Orthohyperkeratose.
Umschriebene Spaltbildung zwischen Epidermis und angrenzender Dermis. In der oberen
Dermis bandförmiges Lymphozyteninfiltrat, unmittelbar der Dermis anliegend. Diagnose:
Lichen ruber planus (Dr. Diaz, Dermatopathologie Freiburg, Abb. [3]).
Abb. 3 Lichenoide Dermatitis, vakuoläre Veränderungen an der Junktionszone mit nekrotischen
Keratinozyten. Spaltbildung Epidermis-Dermis (HE 100fach).
Neurologisches Konsil
Ausbreitung der Hautveränderungen exakt im Dermatom S2 links. Babinski bds. negativ, Hacken- und Zehengang o. B. Auch sonstige Motorik ungestört.
Vibrationsempfinden an den Großzehen leicht abgeschwächt, übrige Sensibilität intakt.
Motorische Nervenleitgeschwindigkeit: N. peronaeus links mit 42 m/s noch im unteren
Normbereich.
Beurteilung: Unter Berücksichtigung des Alters des Patienten kein sicherer neuropathologischer
Befund.
Therapie und Verlauf
Therapie und Verlauf
Aufgrund der umschriebenen Manifestation erfolgte diesmal eine ausschließlich lokale
Behandlung mit einer Betamethason-haltigen Salbenrezeptur. Mit Ausnahme einer postinflammatorischen
Pigmentierung kam es innerhalb von 4 Wochen zu einer vollständigen Rückbildung des
Befundes. Bei einer Nachbeobachtungszeit von nunmehr 6 Monaten hat sich bisher kein
weiteres Rezidiv des Lichen ruber planus gezeigt.
Diskussion
Diskussion
Der Lichen ruber planus ist eine überraschend facettenreiche Dermatose [4]. Neben dem klassischen Befund umschriebener oder exanthematisch auftretender lichenoider
Papeln, kann sich der Lichen ruber planus klinisch-morphologisch auch in ganz untypischen
Bildern manifestieren, wobei die Diagnose dieser insgesamt selten vorkommenden, in
der Literatur meist nur in Form von Kasuistiken beschriebenen Varianten üblicherweise
erst durch histopathologische Untersuchungen geklärt werden kann. Zu den ungewöhnlichsten
Formen des Lichen ruber planus zählen dabei großflächige Ulzerationen oder Cholasma-artige
Hyperpigmentierungen [6]
[7]. Aber auch der Lichen ruber linearis gehört zur Gruppe dieser seltenen und daher
weniger bekannten Sonderformen.
Das für die Diagnose richtungweisende klinische Merkmal des Lichen ruber linearis
ist dabei sein streifenförmiges Ausbreitungsmuster, das den Blaschko-Linien, einzelnen
Dermatomen oder varikösen Stammvenen folgen kann [4]
[8]
[9]. Die Ursache für diese ungewöhnlichen Manifestationsformen ist dabei bis heute nicht
geklärt. Beim Auftreten des Lichen ruber linearis innerhalb definierter Dermatomgrenzen
wurde als möglicher Grund eine radikuläre Irritation im Sinne eines Köbner-Phänomens
diskutiert, ohne dass jedoch entsprechende neurologische Störungen bei den wenigen
publizierten Kasuistiken dokumentiert werden konnten [8]
[9]
[10]
[11]
[12]. Auch bei dem hier vorgestellten Patienten ergab die neurologische Untersuchung
keinen Hinweis für eine Schädigung der topographisch dem Ausbreitungsbe-reich des
Lichen ruber linearis zugeordneten Spinalwurzel.
Aufgrund einzelner Berichte in der Literatur ist zu vermuten, dass der Lichen ruber
linearis gehäuft bei Kindern und jungen Erwachsenen beobachtet wird. So fanden Kumar
et al. 5 lineare Manifestationen innerhalb einer Gruppe von 25 Kindern, die an einem
Lichen ruber planus erkrankt waren [13]. Darüber hinaus ermittelten Bolognia et al. bei der Auswertung der Daten von 18
Patienten mit einem Lichen ruber linearis ein Durchschnittsalter der betroffenen Patienten
von 33 Jahren, während der Lichen ruber planus in seiner klassischen klinischen Form
bevorzugt bei älteren Patienten im 5. - 6. Dezennium auftritt [1]
[4]
[14]
[15].
Bei der Mehrzahl der von Bolognia et al. ausgewerteten Kasuistiken zeigten die Patienten
typische lichenoide Papeln. Vereinzelt wurden aber auch anuläre, vesikuläre oder hyperkeratotische
Herde beschrieben. Neben der linearen Anordnung fanden sich bei über 30 % der Patienten
weitere Manifestationen des Lichen ruber planus an der Haut, an den Schleimhäuten
oder an den Nägeln. Die Zeitangaben bis zur jeweils abgeschlossenen maximalen Ausbreitung
des Lichen ruber linearis variierten bei den von Bolognia et al. zusammengestellten
Kasuistiken zwischen einer Woche und mehreren Monaten und dürften sich somit nicht
vom zeitlichen Verlauf bei der klassischen Form des Lichen ruber planus unterscheiden.
In den meisten Fällen kam es im Übrigen zu einer vollständigen Abheilung des Lichen
ruber linearis. Nur vereinzelt wurde eine Persistenz oder eine Rückbildung der Morphen
unter Hinterlassung einer postinflammatorischen Pigmentierung beobachtet [14].
Differenzialdiagnostisch sind beim Lichen ruber linearis alle erworbenen Dermatosen
sowie einzelne nävoide Fehlbildungen zu berücksichtigen, die per definitionem oder
nur gelegentlich in linearer Anordnung auftreten. Aufgrund klinisch-morphologischer
Merkmale muss dabei dem stets in den Blaschko-Linien vorkommenden Lichen striatus
eine besondere Bedeutung zugeordnet werden. So manifestiert sich der Lichen striatus
meist in Form lichenoider Papeln, wird gehäuft bei Kindern beobachtet und zeigt innerhalb
von Monaten eine spontane Rückbildung, gelegentlich ebenfalls unter Hinterlassung
postinflammatorischer Pigmentierungen [16]
[17]. Im Erwachsenenalter ist die Blaschkitis bzw. die Blaschkolineare Dermatitis der
Erwachsenen zu berücksichtigen, wobei sich der klinische Befund der Blaschkitis jedoch
typischerweise durch Papulovesikel und nicht durch lichenoide Papeln auszeichnet [18]
[19]. Als weitere entzündliche Dermatosen können die Psoriasis vulgaris, der Lupus erythematodes,
die Graft-versus-host-Reaktion, die Berloque-Dermatitis oder lichenoide Arzneimittelexantheme
in linearer Anordnung auftreten [20]
[21]
[22]
[23]
[24]
[25]. Innerhalb der Gruppe der Nävi kann die differenzialdiagnostische Abgrenzung zwischen
dem Lichen ruber linearis und dem entzündlichen linearen verrukösen epidermalen Nävus
(ILVEN) klinisch besondere Schwierigkeiten bereiten. Der Nävus folgt üblicherweise
den Blaschko-Linien, zeichnet sich klinisch-morphologisch durch eine entzündlich-papulöse
oder hyperkeratotische Komponente aus und entwickelt sich erst postpartal innerhalb
der ersten Lebensjahre [26]
[27].
Das insgesamt seltene Vorkommen, die klinische Morphologie und das Manifestationsalter
der genannten linear angeordneten Dermatosen dürften in der Regel keine sichere Diagnose
erlauben. Mit Ausnahme der lichenoiden Arzneimittelexantheme kann der Lichen ruber
linearis histopathologisch jedoch zweifelsfrei diagnostiziert und somit von den übrigen
Differenzialdiagnosen abgegrenzt werden.