Sexuelle Nebenwirkungen von Medikamenten sind in den letzten Jahren vermehrt in den
Blick gleichermaßen von Behandlern und Pharmaindustrie gerückt. Früher wurden sie
nicht berücksichtigt, nicht untersucht, diskutiert. Heute sind fehlende sexuelle Nebenwirkungen
von Medikamenten Werbemittel, die zur Zeit durch die Hersteller von Pharmaka gerne
in den Vordergrund für die Verordner gerückt werden.
Auch in der Literatur zur Sexualmedizin werden sexuelle Nebenwirkungen von Medikamenten
vermehrt berücksichtigt. Jedoch sind ausführliche Überblicksreferate selten. Vergleicht
man Listen von Medikamenten, die derartige Nebenwirkungen haben, so wird deutlich,
dass vor rund 20 Jahren 60 Präparate und Medikamentengruppen [1] zu finden waren, heute sind es annähernd 200 [2]. Dem hat auch die Psychiatrie Rechnung getragen. Die Amerikanische Psychiatriegesellschaft
APA führte im DSM-IV die diagnostische Kategorie: Substanzinduzierte sexuelle Störung
ein. [3]
Die Definition lautet folgendermaßen:
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Kriterium a: Eine klinisch bedeutsame sexuelle Funktionsstörung, die zu deutlichem
Leiden oder zwischenmenschlichen Schwierigkeiten führt, ist nachweisbar.
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Kriterium b: Die Vorgeschichte, die körperliche Untersuchung oder Laborbefunde haben
den Nachweis dafür erbracht, dass eine sexuelle Funktionsstörung vollständig durch
die Substanzeinnahme erklärt wird. Eingenommene Medikamente stehen im ätiologischen
Zusammenhang mit dem Störungsbild.
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Kriterium c: Das Störungsbild kann nicht besser durch eine sexuelle Funktionsstörung
erklärt werden, die nicht substanzinduziert ist.
In dieser Definition sind bereits Hinweise auf das Vorgehen bei Verdacht auf eine
medikamentös induzierte sexuelle Störung zu erkennen. Es müssen andere Ursachen ausgeschlossen
werden, wenn ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Medikation und Auftreten der Störung
vorhanden ist.
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Kann die Störung ein Symptom der Erkrankung sein, wie z.B. eine Erektionsstörung als
erstes Symptom einer depressiven Episode?
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Bei ungenauer Anamneseerhebung kann die sexuelle Störung schon vor Gabe der Medikation
bestanden haben.
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Die sexuelle Störung kann psychoreaktiv auf die Erkrankung entstanden sein.
Bei einer sehr spezifischen Störung, also bei Fehlen das Allgemeinbefinden beeinträchtigender
Nebenwirkungen und der Beeinträchtigung einer speziellen sexuellen Funktion, sollte
dies ein Hinweis auf Arzneimittelverursachung sein [4].
Eine weitere Orientierung gibt der Blick auf Pharmaka, die häufig verordnet werden
und Nebenwirkungen auf sexuelle Funktionen haben:
Vieles spricht dafür, dass die meisten Substanzen bei beiden Geschlechtern sexuelle
Störungen bedingen können (siehe auch [Tab. 1]). Untersucht sind jedoch bisher überwiegend männliche Probanden. Die Ursache dafür,
dass nur geringe Zahlen weiblicher Probanden in klinische Medikamentenstudien aufgenommen
wurden, sind vielfältig. Die Pharmaindustrie schützt sich damit vor möglichen Regressen
bei schwangeren Studienteilnehmerinnen sowie gegen die Argumentation, dass die hormonelle
Situation der Frauen Einfluss auf die Wirkung des Pharmakons genommen hat. Zumindest
erscheint es durch diesen Umstand so, als würden viele Arzneimittel nur die Sexualität
des Mannes beeinträchtigen.
Medikamentengruppen
Kardio-vaskulär wirksame Medikamente
Diuretika: Tiaziddiuretika verursachen gelegentlich zentralnervöse, wie auch sexuelle Störungen.
Kombinationstherapie mit Beta-Blockern führen nach einer Literaturdurchsicht zu einer
erhöhten Rate an sexuellen Dysfunktionen. Insbesondere Propranolol und Diuretika verursachen
derartige Wirkungen. Aldosteronantagonisten, wie z.B. Spironolacton bewirken durch
ihre Steroidstruktur und die Störung der Testosteronsynthese ausgeprägte sexuelle
Dysfunktionen hier insbesondere Störung von Libido und Erektion.
Sympathikolytika: wie z.B. Guanethidin wirken antihypertensiv durch Herabsetzung des erhöhten Sympathikotonus.
Abhängig von der Ausgangslage können sie die Erregungsinitiierung und den Orgasmus
beeinträchtigen. Adrenerge Agonisten an Autorezeptoren wie z.B. Clonidin (Catapresan®)
bewirken eine Hemmung der zentralen Sympathikusefferenz. Diese Wirkung zeigt ebenfalls
Methyl-Dopa, das die sexuelle Funktionsfähigkeit beeinträchtigt, insbesondere Libido
und Erektion.
Beta-Adrenozeptorantagonisten (Beta-Blocker): Die noch nicht klar definierten Auswirkungen auf die sexuelle Funktion (insbesondere
Erektionsstörungen, Verminderung des Ejakulatvolumens und retrograde Ejakulation,
wie auch Libidostörung) dürften teils zentral, teils vaskulär zustande kommen.
Vasodilatatoren, wie Minoxidil und Hydralazin, scheinen keine besondere Nebenwirkungen
aufzuweisen, allerdings wird gelegentlich Priapismus beobachtet.
ACE-Hemmer, wie Enalapril und Captopril, bedingen relativ selten sexuelle Nebenwirkungen,
wie Erektionsstörungen [4]. Als günstig erwiesen sich in kontrollierten Studien insbesondere Captopril und
der Angiotensin2-Rezeptor-Blocker Losartan. Dieses Präparat führte nach einer neueren
US-Studie sogar zu einer Verbesserung von Erektionsstörungen.
Psychopharmaka
Antidepressiva: Insbesondere seit Einführung von Prozac™, bzw. des in Deutschland unter dem Namen
Fluctin® bekannt gewordenen Antidepressivums, das seither in den Medien als „Happy-Pill”
bezeichnet wurde, kann mit Blick auf sexuelle Nebenwirkungen dieser Präparategruppe
keine Fröhlichkeit aufkommen. Es werden zwar unter Fluoxetin und Fluvoxamin, wie auch
unter Bupropion in Einzellfallbeschreibungen rezidivierende Spontanorgasmen mitgeteilt,
ebenfalls Orgasmen, die mit Gähnen assoziiert waren [5], jedoch überwiegen negative Wirkungen, wie z.B. Erektionsstörungen und Ejakulationsverzögerungen.
Warum diese Nebenwirkungen auftraten, ist bis heute im Dunklen geblieben.
Nichtbehandelte depressive Patienten berichteten in einem Drittel der Fälle von Libidorückgang,
Ejakulationsverzögerung, Anorgasmie und Erektionsstörungen. Jedoch zeigt ein Anteil
von 20 % der z.B. mit Clomipramin behandelten Patienten eine weitere Verschlechterung
der sexuellen Störung unter der Therapie. Der Zusammenhang zwischen medikamentöser
Behandlung und Auftreten der sexuellen Störung ist zwar deutlich, wird jedoch noch
ausgeprägter bei Behandlung von Patienten mit Zwangsstörungen, bei denen sexuelle
Störungen nicht regelhaft auftreten.
Bei mit Clomipramin behandelten Zwangspatienten treten in bis zu 96 % der Fälle Orgasmusstörungen
bis hin zu Anorgasmie auf. Aber nicht nur das Clomipramin, sondern auch andere Tri-
und Tetrazyklische Antidepressiva sind mit diesen Nebenwirkungen behaftet. Die Ursache
für die sexuelle Funktionsstörung unter dieser Präparategruppe ist die Beeinflussung
multipler Neurotransmitter, wie z.B. Serotonin, Noradrenalin, Alpha1-Blockade, muskarinerge
und cholinerge Nebenwirkungen. Wichtig erscheinen in diesem Zusammenhang die Untersuchungsdesigns
zu sexuellen Störungen unter Medikamenten. Der Unterschied zwischen Nebenwirkungen
infolge von Spontanmeldungen versus der Nebenwirkungserfassung durch eine direkte
Befragung ist massiv. Bei den SSRI-induzierten sexuellen Störungen betreffen Spontanmeldungen
1 bis 33 % der Patienten, bei direkter Befragung ergeben sich sexuelle Störungen bei
bis zu 96 % der Patienten. Zu therapeutischen Optionen siehe [Tabelle 2].
Andere Antidepressiva: Geringe bis gar keine sexuelle Nebenwirkungen zeigt der Monoaminooxidase-Hemmer Moclobemid
[6]. Vor kurzem erschien sogar eine Studie, in der eine deutliche Verbesserung psychogener
Erektionsstörungen bei Patienten ohne depressive Symptome dargestellt werden konnte
[7]. Ebenfalls seltene sexuelle Funktionsstörungen werden bei Anwendung des Präparates
Mirtazapin mitgeteilt.
Andere Indikationen von Antidepressiva: SSRIs und das trizyklische Antidepressivum Clomipramin sind insbesondere wirksam
bei zwanghaftem Sexualverhalten, ebenfalls bei Ejakulatio praecox.
Antipsychotika:(siehe auch [Tab. 3]) Traditionell werden hochpotente von mittel und niederpotenten Antipsychotika unterschieden.
Höherpotente Antipsychotika haben eine stärkere antidopaminerge Wirkung, ausgeprägtere
extrapyramidale Wirkungen und ebenfalls prolaktinogene Nebenwirkungen. Die Blockade
von D2-Rezeptoren führt zu einer Enthemmung (Wegfall der Hemmung durch Dopamin) der Prolaktin-Sekretion.
Klinische Effekte beim Mann sind Veränderungen der Appetenz, der Ejakulation, des
Orgasmus, Hodenschwellung und Gynäkomastie. Bei Frauen bewirken Prolaktinerhöhungen
Brustvergrößerung, Galaktorrhoe, Zyklusunregelmäßigkeiten und Appetenzstörungen, um
nur einige zu nennen.
Auch bei den Antipsychotika unterscheiden sich Spontanmeldungen sexueller Nebenwirkungen
ausgeprägt von der Erfassung sexueller Nebenwirkungen durch direkte Befragung. Schulze-Mönking
erfasste 1996 als Spontanmeldungen 5,5 % gegenüber 19 % sexueller Nebenwirkungen bei
direkter Befragung.
Einige atypische Antipsychotika gehen nicht mit Prolaktinerhöhungen einher. Zum ersten
ist Clozapin zu nennen, das als Goldstandard der atypischen Antipsychotika genannt
werden muss und keinerlei Prolaktinerhöhung bewirkt. Allerdings werden bei diesem
Präparat in seltenen Fällen Nebenwirkungen in Form von Priapismus mitgeteilt. Ebenfalls
keine wesentliche Prolaktinerhöhung zeigt sich unter dem Präparat Olanzapin. Zwar
ist von Beginn der Behandlung bis zu sechs Wochen danach eine Prolaktinerhöhung nachzuweisen,
diese fällt nach der sechsten Behandlungswoche jedoch kontinuierlich auf Normalwerte
ab. Auch das neue atypische Antipsychotikum Quetiapin weist keine Prolaktinerhöhungen
auf. Gelegentliche Prolaktinerhöhungen in bis zu 1 ‰ der Patienten zeigten sich unter
Ziprasidon. Im Gegensatz zu diesen Präparaten werden unter Risperidon und Amisulprid
deutliche Prolaktinerhöhungen festgestellt.
Benzodiazepine: Insbesondere unter Alprazolam wurden Libidostörungen und Orgasmusverzögerungen bei
bis zu 50 % der Patienten angegeben. Unter Chlordiazepoxid wurden Orgasmusstörungen
und Ejakulationsstörungen gemeldet, wie auch bei Diazepam [11].
Weiterhin sollte das Auftreten sexueller Träume bei Benzodiazepinnarkosen Erwähnung
finden. Insbesondere Midazolam und Diazepam sind hier zu nennen. Die Inhalte der Träume
können von Betroffenen für reale Erlebnisse gehalten werden, so dass es zu falschen
Anschuldigungen von Krankenhausmitarbeitern kommen kann. Die Häufigkeit sexueller
Träume bei Benzodiazepinnarkosen wird mit 1:200 angegeben.
Eine positive Wirkung können Benzodiazepine bei sexuell bedingten Ängsten entfalten,
da hierunter im Einzelfall erst sexuelle Kontakte möglich erscheinen.
Rezidivprophylaktika: Lithium: In der dänischen Studie von Vestergaard und Schou [12] wurden bei rund 10 % der Patienten Libido- und Erektionsstörungen festgestellt.
Die Ursache war unklar. Eine noch höhere Rate von Erektionsstörungen zeigte sich in
der Studie von Aizenberg [13], hier wurden 20 % dieser sexuellen Funktionsstörungen ermittelt. Falls vertretbar
kann die Lithiumdosis reduziert werden.
Carbamazepin: Beobachtet werden hierunter Erektions- und Libidostörungen. Verursacht werden diese
vermutlich einerseits durch Prolaktinerhöhungen, andererseits durch Erhöhung des sexual-hormonbindenden
Globulins, das zur Reduktion des freien Testosterons führt. Eine therapeutische Option
scheint der Wechsel auf das Präparat Oxcarbazepin zu sein.
Fazit
Vielfältige sexuelle Funktionsstörungen können unter Präparaten wie kardio-vaskulär
wirksamen Pharmaka und insbesondere Psychopharmaka auftreten. Therapeutische Optionen
können Wechsel des Präparates, Reduktion der Dosis, Medikamentenpause oder die Zugabe
eines antagonistisch wirksamen Medikamentes sein. Eminent wichtig ist jedoch die Prophylaxe
durch die Aufklärung des Patienten und die Abfrage möglicher sexueller Nebenwirkungen
bei Medikamentengabe.