Erstmals traten methicillinresistente Staphylococcus-aureus-Stämme (MRSA) in Europa Anfang der 60er Jahre auf [Abb. 1]. In Deutschland nimmt die MRSA-Rate seit Mitte der 90er Jahre konstant zu und betrug 2001 immerhin 20,7 % [9]. Zwar sind diese MRSA-Stämme im Vergleich zu methicillinsensiblen Staphylococcus-aureus-Stämmen (MSSA) nicht virulenter, sie verursachen die gleichen Infektionen. Ihre klinische Bedeutung besteht in der Resistenz gegenüber Methicillin - in Deutschland wird stellvertretend Oxacillin mikrobiologisch getestet - und allen anderen Betalaktamantibiotika (z.B. penicillinasefeste Penicilline oder Cephalosporine), die häufig empirisch eingesetzt werden. Zur Behandlung kommen in diesen Fällen nur noch Glykopeptidantibiotika wie Vancomycin oder Teicoplanin bzw. die Kombination Quinupristin/Dalfopristin (Synercid®) oder der bisher einzige Vertreter der neuen Substanzklasse der Oxazolidinone Linezolid (Zyvoxid®) infrage.
2002 wurde erstmals ein vancomycinresistenter Staphylococcus-aureus-Stamm (VRSA) als Infektionserreger bei einer Patientin mit Diabetes mellitus nach wochenlanger Therapie mit Vancomycin isoliert [2]. Auch gegen die beiden anderen Therapieoptionen sind bereits resistente Isolate bekannt. Da in naher Zukunft nicht mit der Entwicklung neuer Antibiotikasubstanzklassen mit Aktivität gegen Staphylokokken oder mit weiteren Vertretern der viel versprechenden Oxazolidinone zu rechnen ist, droht die Gefahr, dass einer der häufigsten und virulentesten nosokomialen Erreger gegen sämtliche zurzeit zur Verfügung stehenden Antibiotika zunehmend resistent wird. Vor Einführung der Oxazolidinone vor etwa drei Jahren bestand dieses Szenario bereits bei Enterokokkenstämmen, die gegen Vancomycin, Teicoplanin und Quinupristin/Dalfopristin resistent waren.
Zwischen dem häufigen Einsatz von Antibiotika und der Induktion bzw. der Selektion multiresistenter Erreger - wie beispielsweise MRSA - besteht ein kausaler Zusammenhang [5]
[6]
[7]. Daher beeinflusst ein streng indizierter Einsatz und der rationale Umgang mit Antibiotika die weitere epidemiologische Entwicklung multiresistenter Erreger entscheidend. Selbstverständlich ist die Einhaltung sinnvoller und erwiesener krankenhaushygienischer Maßnahmen zur Vermeidung der Übertragung und Ausbreitung im Krankenhaus ebenfalls essenziell.
Klinische Bedeutung von MRSA-Infektionen
Staphylokokken sind Bestandteil der physiologischen Flora des Menschen: Etwa 20 % der Bevölkerung sind ständig, ungefähr 60 % temporär mit S. aureus kolonisiert [1]. Wird durch Gabe entsprechender Antibiotika ein Selektionsdruck ausgeübt, so sind Staphylokokken in der Lage, durch den Erwerb von Genen oder Mutationen vergleichsweise schnell eine Resistenz zu entwickeln. So werden initiale MSSA-Träger zu MRSA-Trägern.
Im Rahmen einer Studie an 209 Patienten mit erstmaligem MRSA-Nachweis entwickelte sich beispielsweise bei 29 % der Patienten aus der initialen MRSA-Besiedlung im weiteren Verlauf eine Infektion mit dem molekularbiologisch identischen MRSA-Stamm [10]. Engemann et al. konnten zeigen, dass postoperative Wundinfektionen mit einer signifikant höheren Letalität assoziiert waren, wenn sie durch MRSA und nicht durch MSSA verursacht waren [4]. Auch bei Sepsis-Patienten war die Letalität in diesem Fall signifikant höher, so das Ergebnis einer Metaanalyse [3].
Die Autoren beider Arbeiten diskutieren als Ursache der erhöhten Letalität MRSA-assoziierter Infektionen eine schlechtere antimikrobielle Aktivität von Vancomycin im Vergleich zu Betalaktamantibiotika mit Staphylococcus-aureus-Wirksamkeit (z.B. Flucloxacillin oder Erstgenerationscephalosporine). Aber auch eine inadäquate initiale empirische Therapie erhöht die Letalität der Patienten, nur in den wenigsten Fällen wurde in beiden Studien eine kalkulierte Therapie initial mit einem Glykopeptidantibiotikum begonnen.
Doch MRSA-Infektionen sind nicht nur von klinischer, sondern auch von finanzieller Bedeutung. So belegt eine aktuelle Studie, dass in den Jahren 1999 und 2000 im Universitätsklinikum Gießen die täglichen Mehrkosten für einen MRSA-Patienten aufgrund der notwendigen Hygienemaßnahmen 372 Euro (bzw. 9261 Euro pro MRSA-Fall) betrugen [8].
Implementierung einer klinischen Infektiologie
Der Anteil einer inadäquaten Antibiotikaprophylaxe und -therapie an der Entwicklung von Resistenzen beträgt zwischen 20 und 30 % [12]
[13]
[17]. Wie wichtig eine klinische Infektiologie ist, das belegen aber auch weitere Studienergebnisse: Denn eine frühzeitige und adäquate antimikrobielle Therapie reduziert die Letalität bei lebensbedrohlichen Infektionskrankheiten signifikant [11], ein inadäquater oder nichtindizierter Einsatz von Antibiotika ist dagegen mit einer höheren Letalität assoziiert [15].
Intensivstation
Vor diesem Hintergrund wurde in Aachen Anfang 1998 ein klinisch infektiologischer Konsiliardienst auf zunächst fünf Intensivstationen etabliert. Seit Ende 2001 werden sieben der neun Intensivstationen des Universitätsklinikums Aachen infektiologisch betreut. Ziel war es, den Einsatz antimikrobieller Substanzen zu optimieren, um so deren Nebenwirkungsrate sowie die Häufigkeit multiresistenter Erreger zu senken - gleichzeitig sollten die Aufwendungen für Antibiotika verringert werden.
Im Rahmen der Oberarztvisite wurden zusammen mit einem infektiologisch geschulten Mitarbeiter des Zentralbereichs für Krankenhaushygiene ein- bis zweimal wöchentlich die Indikation aller Antibiotikatherapien besprochen. Bei der Wahl der Substanzen wurde das zu erwartende Erregerspektrum unter Berücksichtigung der aktuellen lokalen Resistenzsituation berücksichtigt. Die Dosierung wurde an eventuelle Organinsuffizienzen adaptiert, und die Therapiedauer entsprechend den Empfehlungen der Paul-Ehrlich-Gesellschaft auf sieben bis zehn Tage begrenzt [16]. Aktuelle mikrobiologische Befunde des Instituts für Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums Aachen wurden patientenspezifisch interpretiert und mögliche erregerspezifische Therapieumstellungen diskutiert. Eine frühe Oralisierung von Antiinfektiva ist bei Patienten auf Intensivstationen im Gegensatz zu Patienten auf Normalstationen meist nicht möglich, da die Fähigkeit zur Resorption initial unsicher ist.
Bei Patienten mit klinischer Sepsis oder Multiorganversagen erfolgte zunächst eine Kombinationstherapie (z.B. Penicillin/Chephalosporin + Fluorchinolon) in entsprechender Höchstdosierung. Kam es im weiteren Verlauf zur klinischen Besserung, wurde das Fluorchinolon abgesetzt und mit dem Betalaktamantibiotikum weiter therapiert.
In den Fällen, in denen die Entzündungsparameter, wie zum Beispiel Leukozyten, CRP (C-reaktives Protein), PCT (Procalcitonin) oder auch die Temperatur erhöht waren, jedoch keine klinische oder radiologische Entzündung lokalisiert werden konnte, wurden nichtinfektiologische Differenzialdiagnosen diskutiert. Dazu zählten beispielsweise SIRS („systemic inflammatory respiratory syndrome”), „drug fever” oder eine Lungenembolie. Ob solche Patienten eine empirischen Antibiotikatherapie erhalten sollten, wurde sehr kontrovers diskutiert.
Diese Betreuung, die in enger Kooperation mit dem Kliniker verlief, konnte die Häufigkeit, mit der Antibiotika eingesetzt wurden, um durchschnittlich 35 % reduzieren. Gleichzeitig stieg der Anteil an Basisantibiotika deutlich (z.B. Zweitgenerationscephalosporine oder Aminopenicilline/Betalaktamaseinhibitor-Kombinationen) und der Anteil an Reserveantibiotika sank (z.B. Carbapaneme, Drittgenerationscephalosporine, Azylureidopenicilline/Betalaktamseinhibitor-Kombinationen). Insgesamt beträgt die Kostenreduktion nach Bereinigung der regelmäßigen Kostensenkung für alle infektiologisch betreuten Intensivstationen 30 %. Dies entspricht einem jährlichem Sparvolumen von 60000 Euro [Abb. 2].
Für die neurologische Intensivstation unseres Hauses konnten wir exemplarisch zeigen, dass parallel zur Reduktion der Anwendung von Antibiotika, die Nachweisrate - insbesondere die von multiresistenten gramnegativen Stäbchenbakterien - signifikant reduziert werden konnte [12].
Normal- und Aufnahmestation
Ergänzend zur Betreuung der Intensivstationen in enger Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen internistischen Kliniken unseres Hauses wurde seit Mitte 1999 auch auf unseren internistischen Normalstationen sowie der interdisziplinären Notaufnahmestation ein infektiologischer Konsiliardienst eingerichtet. Zu Beginn betreute dieser sämtliche Patienten, die stationär bei uns aufgenommen wurden und eine Therapie mit Antibiotika erhielten, konsiliarisch infektiologisch.
In Fortbildungsveranstaltungen wurde für die häufigsten ambulant und nosokomial erworbenen Infektionen in Kleingruppen die adäquate Diagnostik und deren Interpretation, das zu erwartende Erregerspektrum und dementsprechend die empirisch kalkulierte Antibiotikatherapie vermittelt. Zudem wurden in Kooperation mit dem Institut für Medizinische Mikrobiologie, der hauseigenen Apotheke und den leitenden Oberärzten der internistischen Abteilungen Antibiotikaleitlinien implementiert. Diese orientieren sich zwar an national und international anerkannten Standards, wurden jedoch an die hauseigene aktuelle Resistenzstatistik adaptiert.
Mithilfe dieser Interventionen konnte bei einem vergleichbaren Patientenkollektiv vor Einführung der klinischen Infektiologie, der Anteil von Patienten mit einer Antibiotikatherapie um 28 % (von 28,5 auf 20,7 %) gesenkt werden [14]. Die initiale intravenöse Therapiedauer sank um 2,2 Tage von durchschnittlich 6,7 auf 4,5 Tage (p < 0,05). Von besonderer Bedeutung ist jedoch - insbesondere unter Berücksichtigung der Einführung der „diagnosis related groups” (DRGs) - die Reduktion der durchschnittlichen Therapiedauer von initial 11,6 auf 9,3 Tage (p < 0,05). Denn damit verringerte sich die Liegedauer der Patienten von 16,4 auf 14,2 Tage (p < 0,05). Die Aufwendungen für Antibiotika konnten während eines sechsmonatigen Beobachtungszeitraumes um 32 % reduziert werden, was einem Einsparvolumen von 10500 Euro entspricht. Die Letalität bei Patienten mit Antibiotikatherapien änderte sich durch die infektiologische Betreuung nicht.
Der durchschnittliche wöchentliche Zeitaufwand sowohl für die konsiliarische Betreuung einer Intensivstation als auch für die Betreuung der Notaufnahme bzw. der internistischen Normal- und Intensivstation betrug für einen erfahrenen infektiologisch ausgebildeten Arzt vier Stunden. Stellt man den Personalkosten das erzielte Einsparvolumen an direkten Antibiotikakosten gegenüber, so ist diese Maßnahme auch im Bezug auf die Kosten-Nutzen-Relation eindeutig effektiv.
Seit 1997 bis 2002 ist die MRSA-Rate des Universitätsklinikums Aachen mit 3-4 % im Vergleich zum bundesdeutschen Durchschnitt sehr niedrig: Bei unseren 1500 Betten mit durchschnittlich 470000 Patiententagen und durchschnittlich 100 MRSA-positiven Patienten beträgt die MRSA-Inzidenz 0,2 MRSA-Patienten/1000 Patiententage. Auf den Intensivstationen des Universitätsklinikums Aachen ist diese Rate naturgemäß deutlich höher und schwankt - je nach Intensivstation - von 0,21-2,75 MRSA-positiven Patienten/1000 Patiententage. Auch in diesem Fall liegt die MRSA-Rate jedoch deutlich unter dem Bundesdurchschnitt.
Nach der Implementierung eines klinisch-infektiologischen Konsiliardienstes wurde also die Indikation für eine Antibiotikagabe deutlich strenger gestellt, wodurch eine Reduktion der Antibiotikaanwendungen um 30 % erreicht werden konnte. Zudem konnte der Anteil inadäquater Antibiotikaregime mithilfe infektiologischer Fortbildungen, der Implementierung eines Antibiotikamanagements und der Erstellung von Therapieleitlinien signifikant verringert werden. Die Folge ist eine deutliche Reduktion multiresistenter gramnegativer Stäbchenbakterien sowie eine im Vergleich zum Bundesdurchschnitt konstant niedrige MRSA-Rate.