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DOI: 10.1055/s-2004-820394
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Gedenken an H. W. Schreiber[*]
Gründer und Vorsitzender der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft für Endoskopie (CAE)In Memoriam H. W. SchreiberFounder and Chief of the Surgical Study Group for Endoscopy (CAE)Publication History
Publication Date:
29 September 2004 (online)
Es ist meine traurige Pflicht, dem Verstorbenen im Namen unserer Arbeitsgemeinschaft ein ehrendes Gedenken auszusprechen.
H. W. Schreiber war, wie kaum ein anderer, vom unwägbaren Wert der Endoskopie in Diagnostik und Therapie sowie in ihrem Entwicklungspotenzial für die Chirurgie überzeugt - obwohl er sie selbst nie praktizierte. Die endoskopische Sphinkterotomie der Papilla Vateri war 1973 durch Classen, Demling und Kawai erfolgt. Schreiber beklagte die erneute Invasion fremder Disziplinen in ureigene chirurgische Kompetenzbereiche. Schreiber schrieb: „Solche Erosionen können nur dort wuchern, wo der Nachweis chirurgischer Zuständigkeit mit überzeugenden Erfolgen nachlässt” [6]. Es war für ihn Anlass, 1975 die chirurgische Arbeitsgemeinschaft für Endoskopie zu gründen.
Zur Definition des Begriffes „Chirurgische Endoskopie” führte Schreiber später aus:
„Alle endoskopischen Eingriffe sind chirurgischen Ursprungs. Sie sind als chirurgische Operationen definiert und sie gehören ob ihrer konkurrierenden Position mit konventionellen Eingriffen und ob der Beherrschung möglicher Komplikationen in chirurgische Kompetenz. Die breiteren differenzial-therapeutischen Möglichkeiten liegen allein in der Chirurgie” [3]. „Endoskopie ist kein Wahlfach im Weiterbildungskatalog zum Chirurgen, sondern wesentlicher und integrierender Bestandteil der Chirurgie” [4].
In dieser Erkenntnis, Überzeugung und Vision versammelte Schreiber im Dezember 1975, während der Wintertagung der Vereinigung der Nordwestdeutschen Chirurgen in Hamburg (4.-6.12.1975) interessierte chirurgische Endoskopiker und gründete mit Lindenschmidt (Hamburg), Reifferscheid (Aachen), Farthmann (Hamburg), Soehendra (Hamburg), Junghanns (Heidelberg) und Manegold (Mannheim) die Chirurgische Arbeitsgemeinschaft für Endoskopie (CAE). Ziele und Aufgaben wurden definiert und 1976 in den Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie in Heft 2 und ein zweites Mal in Heft 4 nahezu, aber nicht ganz buchstabengleich veröffentlicht. Diese, von H. W. Schreiber geprägten Ziele und Aufgaben sind nach nahezu 3 Jahrzehnten von gleich bleibend aktueller Gültigkeit.
Es geht in diesem Dokument um die Wahrnehmung der realen chirurgischen Belange von Endoskopie einschließlich Laparoskopie, um diagnostische und therapeutische Aufgaben im Vorfeld chirurgischer Technik und Taktik. Es geht um krankheits- und fachbezogene interdisziplinäre Kooperation, um Standardisierung der klinischen Ausbildung, der apparativen Ausstattung, der technischen Entwicklung und Dokumentation.
Sein zweimaliger Aufruf in den Mitteilungen blieb nicht ungehört. Zur konstituierenden Sitzung, nur ein Jahr später, am 3. Dezember 1976, wiederum in Hamburg und wieder unter dem Vorsitz von H. W. Schreiber kamen und zeichneten nicht weniger als 30 Chirurginnen und Chirurgen aus Deutschland und Österreich als Gründungsmitglieder der CAE.
Die Gründungsversammlung beschloss (1976) zur Ausbildung in chirurgischer Endoskopie:
Die Schaffung von Möglichkeiten zum Erlernen endoskopischer und laparoskopischer Verfahren. Die Auflage eines Kataloges über zentrale chirurgisch-endoskopische Untersuchungszentren, die zur Ausbildung endoskopisch interessierter Chirurgen geeignet sind. Beurlaubung des Auszubildenden von seinem Heimatkrankenhaus unter Fortzahlung der Bezüge durch das Heimatkrankenhaus. Grundausbildung für mindestens 3 Monate zur selbständigen Endoskopie mit Erstellung eigener und eingehender Befundberichte. Bescheinigung der Grundausbildung durch die Arbeitsgemeinschaft. Schaffung adäquater Möglichkeiten zur Durchführung der chirurgischen Endoskopie für den Auszubildenden in seinem Heimatkrankenhaus nach erfolgter und zertifizierter Grundausbildung.
Zum systematischen Erfahrungsaustausch durch praktische Aus- und Weiterbildung sowie zur Hospitation wiesen sich bereits 1977 mehrere chirurgische Endoskopieeinrichtungen mit Nachweis ihrer Leistungszahlen als Kompetenzzentren aus. Der angeforderte Katalog über chirurgisch-endoskopische Untersuchungszentren war also erstellt. Er wurde später wiederholt erweitert, ergänzt und mehrfach publiziert.
H. W. Schreiber forderte und förderte die Zusammenkünfte und Symposien der Arbeitsgemeinschaft, 2- bis 3-mal im Jahr. Er entwarf 1978 das Logo der CAE mit dem Hinweis: „Dies soll unser Zeichen sein, unter diesem Zeichen wollen wir uns versammeln”.
Zur Frage: „Gibt es zu viel Kongresse?” erhob Schreiber bei sich selbst eine kleine Meinungsumfrage und fand auch eine Reihe negativer Kriterien, die hier nicht näher erwähnt werden sollen [5]. Er stellte bei der Plethora von Veranstaltungen befürwortend bei sich aber auch fest: „ Hier kann man Premieren erleben, verbindliche Übersichten hören, erfahren was aktueller Standard ist, was Forschung leistet. Hier kann jeder von jedem lernen, jeder mit jedem sprechen. Hier findet man Anregung und Bestätigung. Der Kongress ist auch eine Institution des interaktiven Lernens, er dient dem Lernenden, Lernen zu lernen ”.
Premieren während der CAE-Symposien waren zahlreich. Als Beispiel seien angeführt: die Präsentation der ersten endoskopischen transpapillären Choledochusdrainage durch Soehendra 1978 in Hamburg, zuvor in Kiel. Vom Altpionier Wittmoser hörten wir die nie wieder dargestellten Erfolge der thorakoskopischen Sympathektomie bei Erythrodermie-, Hyperhidrosis- und Raynaud-Syndromen. In Mainz wurden 1987 gleichzeitig die erste laparoskopische Appendektomie durch Semm, die erste laparoskopische Cholezystektomie durch Mühe, die erste TEM-Serie durch Buess vorgestellt. Die Vorflut der laparoskopischen Welle wurde von Heiner Groitl erahnt und bereits 1989 in Erlangen mit internationaler Beteiligung präsentiert, in Form der ersten videodokumentierten laparoskopischen Cholezystektomie durch Jacques Perissat in Erlangen. Die Kette originärer und innovativer chirurgischer Leistungen in chirurgischer Endoskopie und Sonographie riss niemals ab.
Schreiber warb, seit 1978 Chef-Mitherausgeber der Zeitschrift Endoscopy, mit persönlichem Editorial zur Notfallendoskopie für Publikationen aus chirurgisch-endoskopischen Arbeitsstätten - und dies nicht allein in traditionellen chirurgischen Archiven, sondern in Zeitschriften und Journalen mit niedrigerem Impaktfaktor, die von einweisenden Ärzten gelesen werden.
Schreiber schuf 1992 die Johannes v. Mikulicz-Radecki-Georg Kelling-Medaille für hervorragende Leistungen in der klinischen und technischen Entwicklung der endoskopischen Chirurgie sowie deren praktischem Einsatz. Schreiber definierte die intraluminale, intrakavitäre und interstitielle chirurgische Endoskopie in ausschließlicher chirurgischer Kompetenz.
Schreiber war, gestützt auf seine ständig fortgesetzte Sprüchesammlung, ein Meister der Zitate. Für Februar 1994 zum Thema „Wort und Chirurgie”: hier eine Sentenz von Wittgenstein:
„Die Welt wird durch die Sprache vermittelt. Die Grenzen der Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt”.
Dies hatte Bezug zum spärlicher werdenden Publikationsaufkommen aus Reihen der chirurgisch-intraluminalen Endoskopie.
Mit dem Explosivschlag der von ihm so bezeichneten „Bildschirm-Chirurgie” reagierte Schreiber 1991 unmittelbar mit „Empfehlungen der CAE zur endoskopischen Chirurgie am Beispiel der laparoskopischen Cholecystektomie” - und dies, wie er immer wieder betonte, zum Schutz des Patienten, der Methode und des Operateurs [7]. Diese Empfehlungen wurden sehr schnell gerichtsbekannt und haben in forensischen Verfahren der einen, aber auch der anderen Partei wiederholt gedient.
Trainingskurse zum Erlernen und Beherrschen der Technik wurden vom ihm gefördert. Er unterstützte durch persönliche Teilnahme nicht nur die laparoskopischen Operationskurse von Fritz Götz und Arnold Pier sommers und winters in Davos, sondern auch in Linnich, Graevenbroich, auf Schloss Beichlingen und anderenorts. Er versah sie nur nach eingehender Prüfung mit dem zertifizierenden Stempel der CAE, nicht global unbesehen wie mit einem „grünen Punkt”. Er förderte die Dokumentation zur Qualitätssicherung der laparoskopischen Cholezystektomie mit Auswertungen im Institut für Gesundheitsökonomie in Kiel.
Interdisziplinäre, endoskopisch-operativ-technische Basiskurse wurden im Hörsaal der Universitäts-Frauenklinik Eppendorf zwischen Urologen, Gynäkologen, Kinderchirurgen, Thoraxchirurgen und Allgemeinchirurgen unter Teilnahme von Vertretern des Bundesministeriums für Technologie und Forschung strukturiert und zur interdisziplinären Zertifikation vorbereitet. Interdisziplinäre Innovations-Symposien der Föderation operativer medizinisch-wissenschaftlicher Fachgesellschaften (FOMWF) wurden von ihm in Hamburg und Tuttlingen initiiert.
Hundert-Serien von Patientenanfragen zur endoskopischen Chirurgie wurden von ihm schriftlich, fernmündlich oder im persönlichen Gespräch beantwortet. Den Rest überließ er mir mit einem freundlichen „Gott vergelt's”. Schreiber war stets offen und unkonventionell in der Kommunikation. Klingelte das Telefon morgens gegen 7 Uhr, war es stets Schreiber, der zunächst nach dem Wetter fragte, dann zur Sache kam und abschließend einen guten und erfolgreichen Tag wünschte. Von seinen zahlreichen Tagesreisen zeugen die Motivkarten der Lufthansa mit umseitig aufgezeigten neuen Ideen, Vorschlägen und Rückfragen. Immer wieder sagte er Dank für erbrachte - auch für unvollständige Mühewaltungen - nie zurechtweisend, immer fürsorglich und mit behutsamen Druck zur Erfolg versprechenden Spur leitend. Er vergaß nie die Gratulation zum Geburtstag oder Glückwünsche zum Neuen Jahr, stets in nobler Form und auf besonderem Papier.
„Der kleine Zwillingsbruder des Rückblicks ist der Ausblick”, sagte Schreiber. Aber die Zukunft entwickelt sich unter dem Schleier des Verborgenen oft anders als sie gedacht wurde. Selbst die Vergangenheit könnte im Nachhinein anders gewesen sein [6].
Warum stagniert die intraluminale Endoskopie in der Chirurgie? Sind es nur die drei von Schreiber benannten therapieresistenten Hospitalkeime: Neid, Eitelkeit und Borniertheit? Ist es die Ökonomie, die Lobby der anderen oder die Realität? Stehen die ärgsten Feinde nicht in den eigenen Reihen? Dies ist inzwischen ein aktuelles europäisches Thema. Zur Gestaltung und zur Fortentwicklung der Zukunft, im Sinne von H. W. Schreiber mit Rücksicht auf die Vergangenheit, sind wir als Arbeitsgemeinschaft aufgerufen.
Sein Anliegen war die operative Technik und Taktik, niedergelegt in nicht weniger als drei mehrbändigen und jeweils aufwendig illustrierten Operationslehren immer mit Bezug zur Endoskopie. Sein Anliegen war die Kooperation mit Technischen Hochschulen, mit dem Deutschen Institut für Normung, immer wieder die Qualitätssicherung, die Wirtschaftlichkeitsprüfung und stets eine absolute Unabhängigkeit von der Industrie.
Sein Anliegen war der Respekt vor jedem Gegenüber, vor den Alten, auch vor dem einfachsten Patienten, dem Arbeiter von Siemens oder Howaldt, dessen Krankheiten, seinen Bedürfnissen und dessen Familie. Sein Patient wäre niemals nur ein Diagnosebesitzer oder eine Fallpauschalennummer gewesen.
Sein Anliegen war der Respekt vor der Geschichte, vor der Zukunft und vor dem von ihm so oft zitierten Regelweg des Ordensgründers Benedikt, zusammengestellt im 6. Jahrhundert auf dem Monte Casino [1]. Benedikt war durch seine Lebensweise, durch weise Mäßigung und durch das Wort zu einer Leitfigur seiner Zeit und darüber hinaus geworden. Benedikt definierte die „Rangordnung in der Gemeinschaft”, eine Ordnung, die sich aus Anciennität und aus verdienstvoller Lebensführung ergibt und nicht durch ungerechte oder willkürliche Verfügung in Verwirrung gebracht werden soll, denn am Ende wird Rechenschaft gefordert.
So verneigen wir uns vor dem großen Lehrer und Gründer unserer Arbeitsgemeinschaft mit seinen Worten als Präsident des 100. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 1983 in Berlin [2]:
„Wir sollen nicht die Meister konservieren - wir sollen ihre und neue Ideen ständig fortentwickeln”.
Schreiber war Gründer, 1975-1981 und 1990-1994 Vorsitzender und bis zuletzt Fürsprecher der CAE.
1 Nach einem Vortrag während des 43. CAES-Symposiums in München am 26.6.2004
Literatur
- 1 Benedikt von Nursia. Die Regel des heiligen Benedikt. Hrsg. von der Salzburger Äbtekonferenz. Beuroner Kunstverlag, Beuron 1990
- 2 Schreiber H W. Eröffnungsansprache des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Mitteilungen. 1983; 12 91-94
- 3 Schreiber H W. Aufgaben der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft für Endoskopie (CAE). Mitteilungen. 1990; 19 28
- 4 Schreiber H W. Begriffsbestimmung „Chirurgische Endoskopie”. Tätigkeitsbericht der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft für Endoskopie (CAE). Mitteilungen. 1992; 21 34-36
- 5 Schreiber H W. Kongresse - gibt es zu viele?. Chirurg BDC. 1995; 34 29-32
- 6 Schreiber H W. „Ausblick”. Mitteilungen. 1997; 26 197-201
- 7 Ungeheuer E, Schreiber H W. Empfehlungen der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft für Endoskopie (CAE) zur endoskopischen Chirurgie am Beispiel der laparoskopischen Cholecystektomie. Mitteilungen. 1991; 20 29
1 Nach einem Vortrag während des 43. CAES-Symposiums in München am 26.6.2004
Prof. Dr. B. C. Manegold(Schriftführer der CAE bis 2001)
Theodor-Kutzer-Ufer 1-3
68167 Mannheim