Für Patienten mit Epilepsie steht heute, in Abhängigkeit von den jeweiligen Epilepsiesyndromen,
ein weites Spektrum an Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Dies reicht von Anfallsselbstkontrolle,
Biofeedbacktraining, diätetischen Maßnahmen über eine differenzierte Pharmakotherapie
bis zur Nervus-vagus-Stimulation und Epilepsiechirurgie. Ein Großteil der Patienten
kann mit diesen therapeutischen Maßnahmen anfallsfrei werden und damit ein weitgehend
unbehindertes Leben führen. Das wird bedauerlicherweise häufig nicht erreicht. Nach
einer Untersuchung am Epilepsiezentrum Berlin-Brandenburg leben nach durchschnittlich
fünfzehnjährigem Epilepsieverlauf noch die Hälfte der Patienten mit einer falschen
Syndromdiagnose und damit verbunden häufig einer falschen Therapieentscheidung. Viele
dieser Patienten könnten anfallsfrei sein. Dies zeigt die große Verantwortung des
erstbehandelnden Arztes. Mit einer sicheren Diagnose muss die Grundlage für eine differenzierte
Behandlung gelegt werden.
Beim Erstkontakt mit einem Patienten nach einem epileptischen Anfall ergibt sich in
der Sprechstunde außerhalb der Notfallsituation eine ganze Reihe von Fragen [Abb. 1]. Es ist zu differenzieren zwischen epileptischen und nichtepileptischen Anfällen.
Bei einem epileptischen Anfall muss entschieden werden, ob es sich um einen Anfall
im Verlauf einer Epilepsie oder um den ersten Anfall handelt [4]. Dieser Anfall kann ein Gelegenheitsanfall oder der Beginn einer Epilepsie sein.
Genaues Nachfragen ergibt häufig, dass nur der Grand mal, der zur Vorstellung führt,
als erster Anfall gewertet wurde und „kleine Anfälle” nicht registriert wurden. Damit
ist der „erste” Anfall in vielen Fällen nicht der erste Anfall und es besteht definitionsgemäß
schon eine Epilepsie.
Es muss besonders hervorgehoben werden, dass die Anamnese das wichtigste und häufig
entscheidende Moment in der Epileptologie ist [Tab. 1]. Die Anamnese muss immer um die Fremdanamnese ergänzt werden, denn für den Anfall
selbst hat der Patient in der Regel eine Amnesie und nur der Beobachter des epileptischen
Anfalles kann häufig wichtige Details der Umstände, in denen der Anfall abgelaufen
ist, berichten. Man sollte so präzise wie möglich sein in der Beschreibung des Anfalles
und seiner Umstände. Der Patient und die Beobachter des Anfalles sollten sich in die
Situation zurückversetzen, um sich möglichst viele Einzelheiten wieder wachzurufen.
Fünf W-Fragen können dabei helfen [Tab. 2]. Wann war der Anfall (Wochentag, Tageszeit, aus dem Wachen, aus dem Schlaf), wo war der Anfall (zu Hause, auf der Straße, bei der Arbeit, im Badezimmer, am Frühstücksplatz),
was war vorher (besondere emotionale Belastungen, Schlafstörung, besondere sensorische
Stimuli, eine besondere Stimmung, Gereiztheit), was war danach (Schmerzen, Müdigkeit, Schlaf, Beobachtung von Verletzungen, neurologische
Einschränkungen, Verstimmungen, produktive psychotische Erlebnisse), wie ist der Anfall abgelaufen (betrifft dann den eigentlichen Anfallsablauf)? Die Beantwortung
dieser Fragen kann schon zu einer ersten Hypothesenbildung bezüglich des Syndroms
beitragen.
Für den Anfall selbst sollte man sich immer eine eigene Beschreibung des Patienten
geben lassen und natürlich die Fremdbeschreibung durch den Außenstehenden. Unspezifische,
manchmal über Tage anhaltende Vorgefühle wie Gereiztheit, traurige Verstimmung sollten
dabei getrennt werden von kurzen, häufig nur wenige Sekunden dauernden Auren. Die
Qualität der Aura kann bei einer fokalen Epilepsie einen ersten Hinweis auf den Anfallsursprung
geben. Die Fremdanamnese kann klären, ob der Patient im Anfallskern eine Bewusstseinsstörung
hatte.
Es gibt eine ganze Reihe von Faktoren, die eine Differenzialdiagnose der Anfälle erlauben
[Tab. 3]. Mit Beschreibung dieser Elemente lässt sich eine relativ präzise Darstellung der
Semiologie der Anfälle erhalten.
Mit Hilfe der anamnestischen Daten und der Beschreibung des Anfallsablaufes lässt
sich vielfach entscheiden, ob es sich um epileptische oder nichtepileptische Anfälle
gehandelt hat. Bei nichtepileptischen Anfällen öffnet sich eine lange Liste von Differenzialdiagnosen
[Tab. 4]. Häufig zur Diskussion stehen kardio-vaskuläre Syndrome, einschließlich drop attacks
und psychogene nichtepileptische Anfälle. Aber auch Migräneattacken und transiente
globale Amnesien machen gelegentlich differenzialdiagnostische Probleme. [Tabelle 5] gibt einige Unterscheidungskriterien zwischen Grand mal und kardio-vaskulären Synkopen,
wobei daran gedacht werden muss, dass konvulsive Synkopen häufig Anlass zu differenzialdiagnostischen
Problemen sind. Asynchrone Myoklonien „flügelschlagende Extremitäten”, Myoklonien
mit undulierender Amplitude und Frequenz sowie Lateralbewegung des Kopfes können zur
Diagnose psychogener nichtepileptischer Anfälle hinführen [Tab. 6]. Sollten Unsicherheiten in der Diagnose bleiben, darf nicht gezögert werden, durch
einen stationären Aufenthalt mit Video-EEG die Differenzialdiagnose zu erhärten [5].
Sind symptomatische Anfälle einer akuten Hirnfunktionsstörung und Gelegenheitsfälle
ausgeschlossen, muss die Anamnese herausarbeiten, ob Risikofaktoren zur Entwicklung
einer Epilepsie bestehen. Dazu gehören: Familiäre Epilepsiebelastung, Schwangerschaftsverlauf
und Geburtsanamnese (Alter der Mutter zur Zeit der Schwangerschaft, Krankheiten während
der Schwangerschaft, medikamentöse Behandlung, andere schädliche exogene Einflüsse,
vorhergehende Aborte). Hinweise auf Neugeborenenkrämpfe/Fieberkrämpfe, Meningitis/Enzephalitis,
eine verzögerte psychomotorische Entwicklung, ein auffälliger neurologischer und neuropsychologischer
Untersuchungsbefund sowie eine psychiatrische Vorerkrankung können weitere wichtige
Risikofaktoren sein.
Am Beginn einer Epilepsieerkrankung sollte zur Syndromdiagnose auch eine EEG-Untersuchung
erfolgen. Im Verlauf einer Epilepsie sind EEG-Untersuchungen gerechtfertigt bei Anfallsrezidiven
nach langer Anfallsfreiheit, bei einem Anfallswandel, bei psychischen Auffälligkeiten
zur Abgrenzung von nicht konvulsiven Anfällen und Intoxikationen und vor Beendigung
der antiepileptischen Medikation. Es sollte weiterhin der Grundsatz berücksichtigt
werden, lieber keine EEG-Untersuchung zu machen, als ein schlechtes EEG. Sehr häufig
wird EEG-Mythologie betrieben und Patienten erhalten die Diagnose einer Epilepsie
lediglich auf Grund eines fragwürdigen EEG-Befundes. Ein negativer EEG-Befund spricht
nicht gegen eine Epilepsie, andererseits belegt aber der Nachweis von epilepsietypischen
Potenzialen nicht eine manifeste Epilepsie. Die Diagnose einer Epilepsie wird klinisch
gestellt. Zur Abgrenzung der klinischen Relevanz sehr kurzer generalisierter Entladungen
hat sich die akustische Klickertestung bewährt [Abb. 2], bei der der Patient auf ein akustisches Signal, das von einer MTA gegeben wird,
antworten soll. Die verlängerte Latenz der Reizantwort korreliert mit der Bewusstseinsstörung.
Wichtige Provokationsmethoden sind das EEG nach Schlafentzug, um die Ausbeute epilepsietypischer
Potenziale bei generalisierten idiopathischen Epilepsien zu erhöhen und das Schlaf-EEG,
das die Ausbeute regionaler epilepsietypischer Potenziale bei fokalen Epilepsien steigert.
In der bildgebenden Diagnostik ist das Kernspintomogramm Untersuchungsmethode der
Wahl bei Epilepsien und sollte bei jedem Patienten einmal im Verlauf seiner Erkrankung
aufgenommen werden. Wiederholte Untersuchungen sollten nur bei Verdacht auf eine progrediente
Erkrankung erfolgen. Das Computertomogramm ist nur noch eine Notfalluntersuchung und
kann außerdem als Ergänzung bei Nachweis von Verkalkungen herangezogen werden. PET
und SPECT (interiktal/iktal) sind speziellen Fragestellungen überwiegend zur präoperativen
Diagnostik zur Fokuslokalisation vorbehalten. Auch das funktionelle MRT und die MR-Spektroskopie
werden nur bei speziellen Fragestellungen ebenfalls in der präoperativen Diagnostik
oder bei wissenschaftlichen Untersuchungen durchgeführt. Das Kernspintomogramm sollte
in standardisierter Einstellung orthogonal zum anterior-posterioren Verlauf des Hippokampus
und mit IR-Technik und FLAIR-Mode durchgeführt werden. Die Untersuchungen in dünnen
Schichten (1 mm) und mit 3D-Rekonstruktion [Abb. 3] der Daten ist hilfreich zum Nachweis feiner kortikaler Architekturstörungen (kortikale
Dysplasien) bei fokalen Epilepsien.
Das Video-EEG sollte bei Unsicherheiten in der syndromatischen Differenzialdiagnose
bei Therapieresistenz herangezogen werden und kann Indikation für die stationäre Aufnahme
sein. Insbesondere geht es dabei auch um die Abgrenzung epileptischer und nichtepileptischer
Anfälle und der Abklärung unklarer nächtlicher Ereignisse. Die prächirurgische Video-EEG-Intensiv-Diagnostik
ist bestimmten epilepsie-chirurgischen Zentren vorbehalten. Es werden dabei dichtgesetzte
Oberflächen- und Sphenoidalelektroden angewendet. In Abhängigkeit von der Fragestellung
kommen invasive Elektroden wie epidurale und Foramen-Ovale Elektroden, subdurale Plattenelektroden
und Tiefenelektroden zur Anwendung. Diese Diagnostik wird nach Standards, die die
„Arbeitsgemeinschaft für präoperative Epilepsiediagnostik und chirurgische Epilepsietherapie”
festgelegt hat, durchgeführt und ist zertifizierten Zentren vorbehalten.
Aus der Analyse epileptischer Anfälle [Tab. 7] und dem EEG-Befund lässt sich eine syndromatische Klassifikation der Epilepsien
durchführen. Die Internationale Liga gegen Epilepsie hat sich auf eine doppelte Dichotomie
in der Syndromklassifikation der Epilepsien verständigt, bei der fokal und generalisiert
und idiopathisch und symptomatisch/kryptogen gegenübergestellt werden [1]. Ein jüngster Vorschlag der ILAE mit einem „diagnostischen Schema für Menschen mit
epileptischen Anfällen und Epilepsien” sieht fünf diagnostische Achsen vor mit der
(a) iktalen Phänomenologie, (b) dem Anfallstyp, (c) dem Syndrom, (d) der Ätiologie
und (e) der Behinderung [3].