Die geordnete Informationsverarbeitung im Zentralnervensystem beruht auf einer kritischen Balance zwischen Erregungs- und Hemmungsprozessen. Störungen dieses empfindlichen Gleichgewichtes, in Richtung einer verstärkten Erregung oder einer verminderten Hemmung, führen zu einer gesteigerten Erregbarkeit, die letztlich den klinischen Symptomen der Epilepsien zugrunde liegen kann. Eine Fülle von Beobachtungen untermauert die zentrale Rolle von GABAerger Hemmung für Übererregbarkeit: Krampf-induzierende Substanzen (Bicucullin, Ammonium) vermindern und Antikonvulsiva bzw. Antiepileptika verstärken die Hemmungsprozesse. Die zellulären Mechanismen, die zur Übererregbarkeit und Pharmakoresistenz im epileptogenen humanen Gewebe beitragen sind, unklar [1]. In dieser Übersicht werden einige Aspekte der synaptischen Hemmung dargestellt, vorwiegend Befunde von humanen Resektatgeweben, die neue Mechanismen von Störungen der GABAergen Hemmung im Temporallappenepilepsie-Gewebe aufzeigen.
Grundlagen GABAerger Hemmung
Grundlagen GABAerger Hemmung
Die synaptische Hemmung wird im Zentralnervensystem meist durch GABA (gamma amino butyric acid) vermittelt. GABA wird in hemmenden Neuronen über eine Dekarboxylierung von Glutamat synthetisiert, durch einen spezifischen Transportmechanismus in den Vesikeln angereichert und beim Eintreffen eines Aktionspotentials in den synaptischen Spalt freigesetzt. Nach Diffusion kann freigesetztes GABA an verschiedene Rezeptoren binden und zelluläre Effekte auslösen. Synaptisch freigesetztes GABA wird schließlich über Transportmechanismen in die Zellen aufgenommen und durch eine GABA-Transaminase abgebaut oder wiederverwendet.
Trotz dieses bekannten einfachen Prinzips zeigt die GABAerge Hemmung bei genauerer Betrachtung eine erstaunliche Komplexität. Auf der Ebene der zellulären Elemente sind im Isokortex verschiedene Gruppen von GABA-synthetisierenden Neuronen etabliert, die sich nach Form, laminärer Verteilung der Axonkollateralen und Zielgebiet auf dem einzelnen Neuron unterscheiden [27]. Auf der Ebene der GABA-Rezeptoren können zwei molekular und funktionell verschiedene Familien von Rezeptoren unterschieden werden: die GABAA- und GABAB-Rezeptoren. Auch auf der zeitlichen Ebene, der postnatalen Entwicklung, zeigt z.B. die Expression von GABAA-Rezeptoren eine erstaunliche Vielfalt [24].
Die GABAA-Rezeptoren sind Ziel verschiedener Medikamente, Modulatoren (Benzodiazepine, Barbiturate, neuroaktive Steroide) und konvulsiver Substanzen (Bicucullin). Weniger bekannt sind die Effekte von Phenytoin auf die GABAA-Rezeptoren [11]
[16]. Für GABAB-Rezeptoren gibt es nur eine klinisch relevante Substanz, den Agonisten Baclofen; verschiedene Antagonisten werden derzeit nur experimentell genutzt.
GABAA-Hemmung, Rezeptoren und ionale Mechanismen
GABAA-Hemmung, Rezeptoren und ionale Mechanismen
GABAA-Rezeptoren gehören zur Familie der liganden-aktivierten Ionenkanäle und weisen in ihrem Aufbau Ähnlichkeiten mit Acetylcholinrezeptoren auf. Die GABAA-Rezeptoren bestehen aus jeweils fünf homologen Untereinheiten, von denen jede vier transmembranale Domänen aufweist. Derzeit sind 17 Untereinheiten vollständig geklont. Grundsätzlich könnte die Zahl physiologisch und molekular verschiedenerer GABAA-Rezeptoren den Wert von 1000 überschreiten, da die stöchiometrische Zusammensetzung physiologische und pharmakologische Eigenschaften bestimmt [24].
Die Aktivierung von GABAA-Rezeptoren verursacht das frühe inhibitorische postsynaptische Potential (IPSPA). Neben der Menge an freigesetztem GABA, Dichte und Leitfähigkeit der GABA-aktivierten Kanäle hängt die Wirksamkeit der Hemmung auch vom Cl--Gradienten ab, der während der Kanal-Aktivierung wirksam wird [12]. Ein auswärtsgerichteter, K+-gekoppelter Cl--Transport hält den Gradienten negativer als das Ruhemembranpotential, die Grundlage hyperpolarisierender synaptischer Hemmung [12]. Auch im ZNS von Säugern konnten wir einen vergleichbaren Transportmechanismus nachweisen [23]
[29]. Das molekulare Substrat dieses Transports ist eine von Payne et al. [26] klonierte Neuronen-spezifische Isoform des K/Cl-Transporters (KCC2). Neben Cl--Ionen sind aber auch Bikarbonationen an der GABAA-Rezeptor-Leitfähigkeit beteiligt [19]. Die partielle Bikarbonat-Leitfähigkeit der GABAA-Rezeptoren verursacht eine depolarisierende Differenz von etwa 15 mV zwischen dem Gleichgewichtspotential für Cl- und dem für GABA [19].
GABAB-Mechanismen
GABAB-Mechanismen
Auch die GABAB-Rezeptoren bilden eine Gruppe, funktionelle Rezeptoren bestehen aus Heterodimeren verschiedener Untereinheiten mit jeweils sieben transmembranalen Domänen (20), die über G-Proteine verschiedene zelluläre Effekte steuern. Neben der molekularen Vielfalt sind GABAB-Rezeptoren auch funktionell sehr heterogen [8]. Im Neokortex lassen sich zwei wesentliche Typen nach Lokalisation, Pharmakologie, Effektormechanismen und physiologischer Bedeutung unterscheiden. Postsynaptische GABAB-Rezeptoren hemmen die Erregbarkeit über eine Leitfähigkeitserhöhung für K+-Ionen, präsynaptische GABAB-Rezeptoren vermindern hingegen die synaptische Hemmung [13] über eine Reduktion der für die Freisetzung notwendigen Ca2+-Ströme [4].
Die präsynaptischen GABAB-Rezeptoren bewirken eine negative Rückkoppelung von GABA auf seine Freisetzung, welche einen bestimmten Zeitverlauf und somit auch eine Frequenzabhängigkeit der Hemmung ergibt. Moderate Erhöhung der Reizfrequenz, von 0,1 auf 1 Hz, vermindert im Neokortex die postsynaptische GABAA-Leitfähigkeit um etwa 80 %, eine Blockade der GABA-Wiederaufnahme vergrößert Dauer und Ausmaß der negativen Rückkoppelung [13]. Das Zeitverhalten der negativen Rückkoppelung ist abhängig von der Kinetik der extrazellulären GABA-Konzentration und verursacht bei Hirnschnitten eine kritische Frequenz der Hemmung (etwa 3 Hz), bei der keine Nettohemmung mehr vorhanden ist [6]. Veränderungen im Zeitverlauf von extrazellulärem GABA mit Tiagabin verstärkt bei Ratten in vivo die delta EEG-Aktivität [22].
GABA-Rezeptoren und epileptiforme Aktivität
GABA-Rezeptoren und epileptiforme Aktivität
Die Beeinträchtigung synaptischer Hemmung spielt eine Schlüsselrolle bei der Entstehung epileptiformer Aktivität: Verminderung der GABAA-Hemmung mit Antagonisten (Bicucullin, Penicillin: 17) oder durch hochfrequente Reizung können epileptiforme Aktivität induzieren. Nach einer transienten Übererregbarkeit ist die synaptische Hemmung langanhaltend vermindert, dabei ändert sich bei Ratten rasch das Expressionsmuster von GABAA-Rezeptoruntereinheiten, bereits vor dem Auftreten von spontanen Anfällen [2]. Die Blockade von GABAB-Rezeptoren induziert im normalen Rattenkortex keine epileptiforme Aktivität [8], verstärkt aber Bicucullin-induzierte epileptiforme Aktivität [4].
Veränderungen GABAerger Hemmung in Resektaten
Veränderungen GABAerger Hemmung in Resektaten
Die elektrophysiologischen Methoden und die spezifischen Voraussetzungen für Untersuchungen an humanen Neokortexresektaten sind beschrieben [5]
[15]. Es sei hier kurz erwähnt, dass mit unseren Verfahren von den meisten (85 %) Resektaten Ableitungen erhalten werden. Um das Gewebe bestmöglich zu nutzen, werden die epilepsiechirurgischen Hirnschnitte meist bis zu 24 h verwendet. In diesem Zeitraum sind die neuronalen Eigenschaften relativ stabil [15].
Synaptische Potentiale im Neokortex
Orthodrome Reizung in epileptogenen humanen Resektatschnitten löst bei den meisten Neuronen deutlich größere synaptische Antworten aus als im Nagerkortex [15]. Die systematische Erhöhung der Reizintensitäten (2-20 V, 100 μs) zeigt, dass die Amplituden der synaptischen Potentiale im epileptogenen humanen Gewebe bereits bei niedrigen Intensitäten vergleichsweise rasch zunehmen und deutlich größere Amplituden erreichen [15]. Verglichen mit paroxysmalen Depolarisationen (PDS) im Nagerkortex, wie sie z.B. mit Bicucullin oder Penicillin induziert werden können [17], weisen die synaptischen Depolarisationen im epileptogenen humanen Neokortex aber nur vereinzelt die superponierten, hochfrequenten AP-Folgen auf [7]. Die Spannungsabhängigkeit hingegen ist ähnlich der der PDS im Nagerkortex: Hyperpolarisation vergrößert und Depolarisation verkleinert die Amplitude dieser synaptischen Antwort. Bemerkenswert ist, dass die synaptischen Potentiale von verschiedenen Membranpotentialen ausgehend jeweils den gleichen Maximalwert (im Mittel -53 mV) erreichen, d.h. es handelt sich um einen Zustand hoher Leitfähigkeit, der wohl auch die Auslösung von APs verhindert.
Die pharmakologische Charakterisierung der synaptischen Antworten zeigte eine schwache Verminderung durch 20 μM D-APV (von 18,6 ± 7,6 mV in Kontrolle auf 15,9 ± 6,2 in D-APV, n = 19). Auch nach Zugabe des AMPA (Amino-3-hydroxy-5-methyloxazol-4-propionat) Rezeptor-Antagonisten CNQX (6-Cyano-7-nitrochinoxalin-2,3-dion) (10 μM), in Gegenwart von D-APV (2-Amino-4-phosphonovalerat), persistierte eine ausgeprägte Depolarisation. Das Umkehrpotential der verbliebenen Depolarisation betrug etwa -50 mV. Eine maßgebliche NMDA-Rezeptor Beteiligung an den synaptischen Antworten erscheint daher sowohl von der Spannungsabhängigkeit, als auch von den geringen Effekten des NMDA-Rezeptor-Antagonisten D-APV unwahrscheinlich. Die verbliebene depolarisierende Komponente kann aber durch Bicucullin blockiert werden [10], ist also durch GABAA-Rezeptoren vermittelt. Diese „depolarisation shifts (DS)” im epileptogenen humanen Kortex sind daher nicht analog der Bicucullin-induzierten PDS, denen eine reduzierte GABAA-Leitfähigkeit zugrunde liegt. Die DSs beruhen vielmehr auf einem gestörten ionalen Gradienten, also einer falschen „Polung”, erregend statt hemmend, bei wohl unveränderter GABAA-Leitfähigkeit.
Wir nehmen an, dass der KCl-Transport vermindert ist, dadurch kann sich der Chloridgradient einer passiven Verteilung annähern und die beobachtete Depolarisation wäre durch die Bikarbonatbeteiligung verursacht. Am Rattenkortex konnten wir zeigen, dass nach einer Stunde Übererregbarkeit (0-Mg2+-ACSF) die Expression von KCC2 mRNA vermindert ist (Deisz et al. unveröffentlicht). Im humanen Gewebe könnte dieser Effekt nach einem Anfall eine langanhaltende Prädisposition für weitere Anfälle verursachen. Auch neuere Befunde bestätigen unser Konzept. Cohen et al. [3] konnten zeigen, dass interiktale Aktivität im Hippocampus von Neuronen ausgeht, welche depolarisierende GABAA-Antworten aufweisen.
GABAB-Rezeptor-vermittelte Effekte
Die GABAB-Rezeptor-vermittelten inhibitorischen postsynaptischen Potentiale (IPSPB) sind im epileptogenen humanen Kortex deutlich kleiner als im Nagerkortex [5]. Eine weiterführende Untersuchung ergab, dass die IPSPB in Kortexschnitten verschiedener klinisch definierter Gruppen mit Epilepsie meist sehr klein sind [15], z.B betragen die Amplituden in Schnitten von TLE mit AHS Resektaten (meist Standardresektion) -2,4 ± 3,2 mV (Membranpotential: -60 mV, n = 119). Vergleichbar niedrige Werte werden in Resektaten des frontalen Kortex erhalten, bei denen die pathologische Übererregbarkeit präoperativ enzephalographisch gesichert wurde. In Resektaten ohne Epilepsie (Tumorgewebe) sind die Amplituden signifikant größer -6,9 ± 4,4 mV (n = 5; p = 0,016) und diese Werte entsprechen den etablierten Werten von Nagern. Die synaptisch ausgelöste IPSPB-Leitfähigkeit korreliert sehr gut mit der durch 2 μM Baclofen induzierten Leitfähigkeit. Da Neurone mit niedriger IPSBB-Leitfähigkeit auch nur eine geringe Baclofen-Leitfähigkeit aufweisen beruhen die verminderten IPSPB auf beeinträchtigten GABAB-Rezeptoren.
Frequenzverhalten synaptischer Antworten
In einigen Geweben (etwa 20 %) treten spontane Depolarisationen mit Amplituden bis zu etwa 20 mV auf, vergleichbar den evozierten Antworten. Die mittlere Frequenz dieser Spontanaktivität betrug 1,1 ± 0,6 Hz [15]. Diese Spontanaktivität ist regional sehr eng begrenzt, innerhalb der geringen Volumina eines Resektates finden sich Schnitte mit Spontanaktivität und Schnitte ohne derartige Aktivität. Diese Spontanaktivität legt nahe, dass neben postsynaptischen auch präsynaptische GABAB-Rezeptoren beeinträchtigt sind.
Präsynaptische, GABAB-Rezeptor-vermittelte Prozesse wurden an pharmakologisch isolierten IPSP mit Doppelreizung untersucht. Bei Interstimulusintervallen von 500 ms sind die zweiten IPSPA im humanen Gewebe um ca. 10 % vermindert; im Neokortex der Ratte hingegen sind die zweiten IPSPA um etwa 50 % reduziert [8].
Mit Doppelreizung wurden auch mögliche präsynaptische GABAB-Effekte an exzitatorischen Terminalen untersucht. Im humanen Gewebe zeigen die zweiten synaptischen Potentiale bei sämtlichen Interstimulusintervallen (100-1500 ms) eine konstante Amplitude [7]. Im Penicillin-Modell bei Nagern sind die paroxysmalen Depolarisationen hingegen für etwa 800 ms refraktär, in diesem Zeitraum können nur noch EPSPs ausgelöst werden [17]. Wir haben am Bicucullin-Modell bei Ratten überprüft, ob dieses Phänomen durch präsynaptische GABAB-Rezeptoren verursacht ist. Bei niedriger Reizfrequenz (0,1 oder 0,05 Hz) können einzelne PDSs mit konstanter Amplitude ausgelöst werden. Mit Doppelreizung versagen die zweiten PDSs bei Interstimulusintervallen zwischen 100 ms und etwa 800 ms [7], entsprechend früheren Befunden mit Penicillin. Die Zugabe des GABAB-Rezeptor Antagonisten CGP 55845A eliminiert die transiente Unterdrückung der PDS, so dass PDSs nahezu konstant bei allen Interstimulusintervallen ausgelöst werden können [7]. Im Kortex von gesunden Ratten gewährleisten GABAB-Rezeptoren folglich, dass PDSs nur mit Frequenzen unterhalb von etwa 1 Hz auftreten können.
Auch im Hippocampus ist eine ausgeprägte präsynaptische GABAB-Wirkung auf experimentell induzierte, akute Übererregbarkeit (4-Aminopyridin-Modell) etabliert. Die Aktivierung von GABAB-Rezeptoren mit 1 μM Baclofen unterdrückt die synaptische Antwort fast vollständig [25]. Wir konnten zeigen, dass der präsynaptische Effekt von 2 μM Baclofen im humanen Gewebe nur sehr schwach ist, im Mittel waren die DSs um etwa 30 % vermindert [28]. Zusammengefasst zeigen diese Befunde, dass im humanen epileptogenen Kortex prä- und postsynaptische GABAB-Rezeptoren beeinträchtigt sind.
Wirkungen von Tiagabin im Kortex
Die schwachen GABAB-Wirkungen im epileptogenen humanen Kortex könnten z.T. auch durch unzureichende GABA-Freisetzung oder eingeschränkte Diffusion verursacht sein. Wir haben daher den GABA-Aufnahme-Blocker Tiagabin untersucht. Tiagabin (10 und 20 μM) hatte keine konsistenten Effekte auf Membranpotential, Eingangswiderstand und Amplitude der APs. Die neuronale Erregbarkeit, gemessen als Anzahl der durch konstanten Strom (0,3-0,5 nA) ausgelösten APs, war durch Tiagabin um etwa 20 % vermindert. Synaptische Potentiale waren durch Tiagabin nicht signifikant verändert. Die gepaarte Auslösung (Interstimulusintervalle 100-1500 ms) synaptischer Potentiale ergab sowohl unter Kontrollbedingungen, als auch in Gegenwart von Tiagabin, nahezu konstante Amplituden der zweiten Antworten [7]. An den gleichen Neuronen konnte aber gezeigt werden, dass die Erregbarkeit der Neurone - wie oben gemessen - nach einer synaptischen Antwort vermindert war. Werden die depolarisierenden Strompulse mit verschiedenen Latenzen (100-1500 ms) nach dem synaptischen Reiz appliziert, kann der Zeitverlauf dieser Hemmung bestimmt werden. Bei einer Latenz von 100 ms zwischen Reiz und zellulärer Depolarisation war die Anzahl der APs im Mittel um 50 % vermindert, ein Effekt der nach 500 ms abgeklungen war. In Gegenwart von Tiagabin (10 μM) war dieser Effekt massiv verstärkt und verlängert: bei einer Latenz von 100 ms konnten keine APs ausgelöst werden und bei einer Latenz von 1 s war die Anzahl der APs noch um 80 % vermindert [7]
[14]. Dieser Effekt persistierte auch nach Applikation des GABAB-Antagonisten CGP55845A, beruht also auf der Aktivierung von GABAA-Rezeptoren und entsprach etwa der Dauer pharmakologisch isolierter IPSPA. Die gepaarte Auslösung von pharmakologisch isolierten IPSPA zeigte auch in dieser Serie nur eine schwache Doppelpulsdepression, die aber in Ausmaß und Dauer durch Tiagabin vergrößert wurde. Wir folgern aus diesen Daten, dass im humanen epileptogenen Gewebe 1. GABA freigesetzt wird und 2. dass die GABA-Wirkung auf postsynaptische GABAA-Rezeptoren durch Tiagabin verstärkt und verlängert wird. Die Konstanz synaptischer Antworten bei Doppelreizung zeigt aber, dass synaptisch freigesetztes GABA die präsynaptischen GABAB-Rezeptoren auch nach Blockade der Wiederaufnahme nicht aktivieren kann. Dieser Befund ist konsistent mit einer Beeinträchtigung der Rezeptoren, welche auch durch schwache präsynaptische Wirkung von Baclofen belegt ist.
Diskussion und Ausblick
Diskussion und Ausblick
Unsere Daten zeigen, dass im humanen Gewebe von epilepsiechirurgischen Resektaten zwei wichtige Aspekte GABAerger Hemmung beeinträchtigt sind: 1. Die GABAA-Hemmung ist depolarisierend und 2. sind verschiedene GABAB-Rezeptoren (post-/präsynaptisch an inhibitorischen und präsynaptisch an exzitatorischen Terminalen) beeinträchtigt. Der Anteil betroffener Neurone ist aber je nach Mechanismus unterschiedlich. Die Beeinträchtigung des neuronalen KCl-Transporters konnte nur in etwa 10 % der untersuchten Neurone durch eine depolarisierende GABAA-Hemmung nahegelegt werden [10], siehe auch Cohen et al. [3]. Die Verminderung postsynaptischer GABAB-Rezeptor-Wirkung hingegen lässt sich in der Mehrzahl (94 %) der untersuchten Neurone nachweisen. Die reduzierte Wirksamkeit präsynaptischer GABAB-Rezeptoren wurde ebenfalls in der Mehrzahl der untersuchten Gewebe gefunden, sowohl an exzitatorischen als auch an inhibitorischen Terminalen.
Beide Effekte sind wahrscheinlich graduell, sowohl die Dichte der GABAB-Rezeptoren als auch der KCl-Transporter könnten auf der Ebene des einzelnen Neurons variieren. Auch der Anteil betroffener Neuronen in einem gegebenen Volumen, sowie die Größe des betroffenen Volumens könnten je nach Vorgeschichte verschieden sein. Grundsätzlich könnten also die beschriebenen Mechanismen ein Kontinuum von subklinischer Erregbarkeitssteigerung bis hin zum status epilepticus ermöglichen [15].
Die hier skizzierten Veränderungen tragen aber nicht nur zur Übererregbarkeit im epileptogenen Gewebe bei, sondern können auch die Pharmakoresistenz gegenüber verschiedenen Antikonvulsiva erklären. Anders als bei ungenügender Freisetzung, reduzierter Dichte oder Funktion von GABAA-Rezeptoren, kann eine Verstärkung der GABAA-Wirkung an den Rezeptoren (z.B. durch Benzodiazepine) nur eine sehr begrenzte Wirkung zeigen, wenn, wie hier gezeigt, der ionale Gradient gestört ist. Entsprechend kann auch die Blockade der Wiederaufnahme von GABA durch Tiagabin bei gestörtem ionalen Gradienten nur die Leitfähigkeit einer einzelnen GABA-Transiente verlängern, aber keine effektive, hyperpolarisierende Hemmung bewirken. Die verbesserte Verfügbarkeit von GABA in Gegenwart von Tiagabin verstärkt die postsynaptische shunt-Wirkung durch GABAA-Rezeptoren und kann so die Generierung von APs verhindern.
Interessanterweise hat Tiagabin keinen Effekt auf das Frequenzverhalten der DS. Wie im Bicucullin-Modell gezeigt, beruht dies auf der Aktivierung von GABAB-Rezeptoren. Die Blockade der GABA-Aufnahme bewirkt u.A. eine erleichterte Diffusion im Extrazellulärraum [9]
[18] und begünstigt so die Aktivierung von GABAB-Rezeptoren [18]. Bei Doppelreizungen wäre demnach zu erwarten, dass eine transiente Unterdrückung der jeweils zweiten DS auftritt bzw. verstärkt wird. Dieser Effekt wurde aber nicht beobachtet. Die für das Frequenzverhalten synaptischer DS verantwortlichen GABAB-Rezeptoren können also im epileptogenen humanen Gewebe auch in Gegenwart von Tiagabin nicht aktiviert werden, obwohl die zeitliche Wirkung von GABA durch Tiagabin verlängert ist (wie durch die Erregbarkeitsmessungen gezeigt) und daher auch eine vergrößerte räumliche Wirkung von GABA sehr wahrscheinlich ist. Dies legt also, ebenso wie die schwachen Effekte von Baclofen auf DSs, eine Beeinträchtigung von präsynaptischen GABAB-Rezeptoren nahe. Bei intakten GABAB-Rezeptoren würde hingegen die negative Rückkoppelung von GABA auf seine Freisetzung verstärkt [13], ein Effekt der zur Nebenwirkung von Tiagabin, die Provokation von Absencestatus beitragen kann [5].
Nach den bisherigen Ausführungen könnte der Eindruck entstehen, am humanen epileptogenen Gewebe sei nur GABA-Hemmung betroffen. Um dies zu vermeiden, sei noch kurz ein weiterer Befund erwähnt: eine Verminderung der Hyperpolarisation-aktivierten Kationenströme (HCN-Kanäle; 21). Diese Ströme sind z.B. wichtig für die Integration synaptischer Potentiale in Dendriten, die beobachtete Verminderung könnte u.A. zu einer verbesserten elektrotonischen Ausbreitung synaptischer Potentiale führen.
Da jede dieser drei Veränderungen allein bereits ausreicht, um bei knockout Mäusen Epilepsie auszulösen [15], ist nicht überraschend, dass die Kombination dieser Effekte eine pharmakoresistente Epilepsie verursacht. Unsere Erkenntnisse vom humanen Kortex ermöglichen eine Überprüfung der verschiedenen Tiermodelle. Es wird sich zeigen, welche Tiermodelle (SSSLE, Pilocarpin) die im humanen Gewebe gefundenen Veränderungen aufweisen. An diesen Modellen können dann neue therapeutische Strategien entwickelt und überprüft werden, welche helfen, die molekularen Veränderungen zu verhindern.