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DOI: 10.1055/s-2004-822864
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Das diabetische Fußsyndrom - Diagnostik
The diabetic foot syndrome - diagnosis- Pathogenese des diabetischen Fußsyndroms
- Polyneuropathie
- Mikro- und Makroangiopathie
- Risikoerfassung bei diabetischem Fußsyndrom
- Abklärung der Durchblutungssituation
- Einschätzung des Schweregrades einer Infektion
- Diabetisch-neuropathische Osteoarthropathie
- Literatur
Rund ein Viertel der ca. 6-8 Mio. in Deutschland lebenden Diabetiker erleiden im Laufe ihres Lebens ein diabetisches Fußsyndrom. Die jährliche Inzidenz von Fußulzerationen bei Diabetikern liegt zwischen 2 und 5 %, die Prävalenz zwischen 4 und 10 %. Die Kosten für die Behandlung von Fußulzerationen innerhalb der ersten 3 Jahre nach Diagnosestellung liegen bei ca. 25 000 EUR pro Patient [1].
#Pathogenese des diabetischen Fußsyndroms
Einer Fußläsion bei Diabetikern liegt meist der Verlust von Schutzmechanismen aufgrund einer sensomotorischen Neuropathie und/oder das Fehlen einer ausreichenden Gewebedurchblutung bei arterieller Verschlusskrankheit zugrunde. In 90 % der Fälle lässt sich eine Polyneuropathie nachweisen, in 70 % ist diese die führende Ursache. Nur in 10 % ist ausschließlich eine arterielle Verschlusskrankheit, in 25 % eine Kombination von Neuro- und Angiopathie auslösendes Moment der Fußproblematik [1].
#Polyneuropathie
Die Neuropathie der distalen unteren Extremität kann in eine sensorische, motorische und peripher autonome Komponente unterteilt werden. Die sensorische Polyneuropathie mit vermindertem Empfinden für Vibration, Berührung und Druck führt zur reaktionslosen Tolerierung von Druckspitzen, gleichzeitig nehmen unwillkürliche Ausgleichsbewegungen ab. Die motorische Neuropathie äußert sich in einer Atrophie der kleinen Fußmuskeln. Dies begünstigt Fehlstellungen im Sinne der so genannten Hammer-, Haken- oder Krallenzehen. Druch diese entsteht eine Druckumverteilung von den Zehen zum Vorfußbereich [6]. Wiederholte Druckschädigungen der Epidermis führen zu reaktiver Schwielenbildung mit ausgeprägten Hyperkeratosen. Diese übertragen die Druckwirkung in das Subkutangewebe. Subkutane Verletzungen mit Schwielenhämatomen sind die Folge. Begünstigt durch Einrisse in den Hyperkeratosen können sich Infektionen und Gewebeeinschmelzungen ausbilden [4].
Die autonome Polyneuropathie soll über eine Vasomotorenlähmung zu arterio-venösen Shunts im Bereich der Arteriolen führen. Die Folge könnte eine Minderperfusion im Fußbereich im Sinne eines Stealphänomens sein. Durch eine Sudomotorenparese mit Störung der Schweißsekretion und Sebostase ist zudem die Haut an den Füßen oft zu trocken und neigt zu Einrissen. Neuropathische Ulzera bieten einen charakteristischen Aspekt (Abb. [1]). Die Füße sind trocken, rosig und warm mit Hyperkeratosen an druckexponierten Stellen. Die Fußpulse sind meist gut palpabel. Die Ulzera befinden sich an druckbelasteten Stellen oder, bei ungeeignetem Schuhwerk und Zehenfehlstellung, auch im Zehenbereich. Äußere Defekte mit deutlich größerer Wundhöhle unter intakter Haut sind häufig von einem kallösen hyperkeratotischen Randwall begrenzt.
#Mikro- und Makroangiopathie
Eine arterielle Durchblutungsstörung der unteren Extremitäten bestimmt entscheidend Entwicklung und Prognose eines diabetischen Fußsyndroms. Gefäßläsionen bei Diabetikern unterscheiden sich morphologisch nicht von denen des Nicht-Diabetikers. Jedoch findet sich gehäuft ein Befall distaler Gefäßprovinzen, bei Diabetikern sind in mehr als der Hälfte der Fälle v.a. die Unterschenkelgefäße betroffen. Bei über 30 % der Diabetiker besteht eine Mediasklerose. Diese kann zu einer Überschätzung der Verschlussdrucke in der Dopplersonographie aufgrund der fehlenden Komprimierbarkeit der Gefäße führen. Typisch sind Nekrosen der Endstrombahn in den Zehen (Abb. [2]).
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kurzgefasst: Überwiegende Ursache des diabetischen Fußsyndroms ist eine Polyneuropathie mit Ausfall der Schutzreflexe, Fehlstellungen und Überlastung des Vorfußes. Eine Minderperfusion im Rahmen einer arteriellen Verschlusskrankheit begünstigt die Entstehung von Fußläsionen. Ein distaler Gefäßbefall ist bei Diabetikern häufig. |
Risikoerfassung bei diabetischem Fußsyndrom
Jeder Diabetiker sollte jährlich auf Zeichen der Polyneuropathie, Ischämie und Fußdeformationen untersucht werden; bei pathologischen Befunden sollte einmal im Quartal eine Fußinspektion und jährlich ein gründlicher Untersuchungsstatus der Füße erfolgen. Vorteilhaft ist eine standardisierte Durchführung unter Verwendung eines Fußdokumentationsbogens. Entsprechende Formulare mit Hinweisen zur Durchführung stehen als pdf-downloads zur Verfügung (www.ag-fuss-ddg.de; www.ifap-index.de/bda-manuale/diabfuss/service/index.html).
Bei der Inspektion ist auf Veränderungen wie Fehlstellungen, Druckstellen und Hautveränderungen zu achten. Auch Gang- und Standbild sowie getragenes Schuhwerk sollten kontrolliert werden. Zur Erhebung des neurologischen Status sind ein Reflexhammer, eine Stimmgabel zur Überprüfung des Vibrationsempfindens, ein Semmes-Weinstein Monofilament zur Prüfung des Berührungsempfindens (Abb. [3]) sowie ein Tip-Therm zur Überprüfung des Temperaturempfindens notwendig.
#Abklärung der Durchblutungssituation
Zur Beurteilung einer arteriellen Verschlusskrankheit (AVK) kommt der Inspektion und Palpation sowie der einfachen nicht-invasiven Diagnostik eine wichtige Rolle zu. Die Lagerungsprobe nach Ratschow kann durch verlängerte Blässe und verzögertes Auftreten der reaktiven Hyperämie (Auftreten der Rötung > 20-60 s, Venenfüllung > 60 s) klinisch wegweisend sein. Allerdings ist dieser Test weitgehend durch die dopplersonographische Verschlussdruckmessung ersetzt worden. Ein eindeutiger Hinweis auf hämodynamisch relevante Stenosen im Gefäßverlauf ergibt sich bei einem Knöchel-Arm-Index < 0,9. Ein Index von < 0,5 weist auf eine kritische Ischämie hin [6].
Bei Nachweis einer AVK oder fehlender Verwertbarkeit der Dopplerverschlussdrücke aufgrund einer Mediasklerose lassen sich mit Hilfe der Farbduplexsonographie weitreichende Aussagen über arteriosklerotische Veränderungen und ihre hämodynamische Relevanz treffen. Nachteilig ist im Unterschenkelbereich ein relativ hoher Zeitaufwand. Durch qualitative Verbesserungen gewinnt die MR-Angiographie zunehmend an Bedeutung in der Gefäßdiagnostik, insbesondere bei Patienten mit diabetischer Nephropathie wegen der wenig nephrotoxischen Kontrastmittel. Dennoch ist die invasive Diagnostik mittels Becken-Bein-Angiographie in DSA-Technik bei hämodynamisch wirksamen Stenosen im Verlauf der Becken- und proximalen Beinstrombahn oder bei Verdacht auf Befall der Unterschenkeletage zur Planung bzw. Durchführung revaskularisierender Maßnahmen noch als Standardverfahren zu bevorzugen. Weitere apparative Untersuchungen (z.B. Messung des transkutanen Sauerstoffpartialdruckes, Laserdopplermethode, Verschlussplethysmographie) sind personell und zeitlich aufwändig und bleiben vorwiegend wissenschaftlichen Fragestellungen vorbehalten. Die wichtigsten differentialdiagnostischen Kriterien fasst Tab. [1] zusammen.
Diagnostisches Kriterium |
Polyneuropathie |
Arterielle Durchblutungsstörung |
Haut |
warm, trocken, rosig, haarlos |
atrophisch, dünn, kühl, blass-livide |
Fußsohle |
trocken, Hyperkeratosen, Ulzera, Blasen, Rhagaden, Hämatome |
Gewebeatrophie, Nekrose an Zehen und Ferse |
Sensorium |
reduzierte Sensibilität für Druck, Schmerz, Vibration, Temperatur |
keine oder nur diskrete Störungen |
Fuß-/ Zehenstellung |
Krallen-, Hammerzehen, Charcot-Fuß |
keine typische Fehlstellung |
Schmerzsymptomatik |
Dysästhesien, Schmerzen vorwiegend in Ruhe und nachts |
primär belastungs- abhängige Schmerzen, später in Ruhe |
Infektlokalisation |
plantar (Malum perforans) |
akral |
Dopplerindex |
> 0,9 |
< 0,8 |
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kurzgefasst: Zur Untersuchung des Sensoriums sollten Vibrations-, Berührungs- und Temperatursinn geprüft werden. Zur Abklärung der Durchblutungssituation ist die dopplersonographische Messung der Verschlussdrucke als Screening-Methode gut geeignet. Die Farbduplexsonographie kann weitere entscheidende Hinweise geben, zur Planung von Revaskularisationsmaßnahmen ist in der Regel eine Angiographie in DSA-Technik erforderlich. |
Einschätzung des Schweregrades einer Infektion
Bei bis zu zwei Drittel der fuß- oder beingefährdenden Infektionen fehlen klinische Alarmzeichen wie Fieber, Schüttelfrost, Leukozytose und lokale inflammatorische Reaktionen. Der Anstieg der Blutzuckerwerte, die Bestimmung von CRP oder die Messung der Blutsenkung gelten als verlässliche Zeichen einer systemischen Infektion [2]. Die Wunde muss initial sorgfältig exploriert werden, um festzustellen, wie tief die Infektion reicht und ob der Knochen betroffen ist. Typische radiologische Zeichen in der konventionellen Röntgenaufnahme sind Transparenzerhöhung, Osteolysen und Sequester. Bei einer frischen Infektion können diese Zeichen noch fehlen. Die höchste Sensitivität mit ca. 90 % hat die MRT-Diagnostik [1]. Die bekannteste Einteilung von Läsionen und Defekten beim diabetischen Fußsyndrom wurde von Wagner vorgestellt (Tab. [2]). Zur definitiven Diagnose einer Osteomyelitis und zur gezielten antimikrobiellen Therapie ist eine mikrobiologische Kultur bzw. die Histologie erforderlich. Eine internationale Arbeitsgruppe legte die in Tab. [3] zusammengefassten Kriterien zugrunde. Bei Zutreffen von mindestens drei dieser Kriterien ist bei einem Ulkus eine Osteomyelitis zu vermuten [7].
Stadium |
Läsion |
Ätiologie |
0 |
Risikofuß, keine offene Läsion |
A, N, A/N, DOAP, V, L |
I |
oberflächliches Ulkus mit Infektionsgefahr | |
II |
Läsion bis zur Gelenkkapsel, Sehnen oder Knochen | |
nur milde Entzündungsreaktion | ||
erhebliche Begleitinfektion bis zum Abszess | ||
III |
penetrierende Infektion mit Knochenbeteiligung | |
IV |
begrenzte Vorfuß- oder Fersennekrose | |
V |
Nekrose des gesamten Fußes | |
(A = AVK, N = Neuropathie, A/N = Mischform, DOAP = diabet. Osteoarthropathie, V = venöse Insuffizienz, L = Lymphabflussstörungen; Mischformen möglich) |
|
kurzgefasst: Bei jeder Läsion ist eine genaue Untersuchung bezüglich Ätiologie, Ausdehnung und Infektzeichen sowie insbesondere die Klärung der Frage einer knöchernen Beteiligung erforderlich. Neben der Wundinspektion sollte ein Sondierungsversuch und eine konventionelle Röntgenuntersuchung durchgeführt werden. |
Diabetisch-neuropathische Osteoarthropathie
Die Neuroosteoarthropathie (Charcot-Fuß) ist definiert als nicht infektiöse Zerstörung einzelner oder multipler Knochen- und Gelenkstrukturen. Bei Diabetikern tritt sie meist nach einer Erkrankungsdauer von mehr als 10 Jahren auf. Im ersten Stadium entwickelt sich eine Überwärmung, Rötung und Schwellung des betroffenen Fußes [5]. Auslösende Traumata fehlen oft. Die Schmerzangaben schwanken je nach Ausprägung der sensiblen Polyneuropathie. Während konventionelle Röntgenaufnahmen noch unauffällig bleiben, kann die MRT bereits ein intraossäres Ödem nachweisen. Differentialdiagnostisch ist bei Fußulzerationen eine Osteomyelitis abzugrenzen. Im Stadium II erfolgt ein osteoklastischer Abbau der Knochensubstanz, der in der Röntgenaufnahme als Transparenzminderung bis hin zu umschriebenen Osteolysen erkennbar wird. Die vermehrte Entmineralisierung kann unter mechanischer Belastung zu Knochenfragmentierung und Gelenkdestruktion führen. Im späten Stadium kommt es zu einer Remineralisierung und einer Abnahme der Hautrötung und Weichteilschwellung. Eingetretene Knochendestruktionen sind irreversibel und können zu ausgeprägten Fehlstellungen führen. Typischerweise bricht das Längsgewölbe des Fußskeletts ein und ein klassischer Schaukelfuß entsteht. Aufgrund der pathologischen Druckumverteilung ist die Entstehung von Plantarulzerationen häufig.
- Zellulitis |
- „probing to bone” (mit einer Knopfsonde ist der Knochen zu erreichen) |
- positiver Wundabstrich vom Wundgrund |
- radiologische Hinweise für eine Osteitis (konventionell oder MRT) |
- histologische Bestätigung |
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kurzgefasst: Jeder überwärmte, gerötete und geschwollene Fuß bei einem Diabetiker mit Neuropathie sollte an einen akuten Charcot-Fuß, d. h. eine diabetische Neuroosteoarthropathie mit Osteoporose, Frakturen, Entzündung und drohender Fußdeformation denken lassen. |
Autorenerklärung: Die Autoren erklären, dass sie keine finanziellen Verbindungen mit einer Firma haben, deren Produkt in dem Artikel eine wichtige Rolle spielt (oder mit einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt).
#Literatur
- 1 Ambrosch A, Lehnert H, Lobmann R. Mikrobiologische Aspekte und rationelle antibiotische Therapie des diabetischen Fußsyndroms. Med Klin. 2003; 98 259-265
- 2 Caputo G M, Cavanagh P R, Ulbrecht J S, Gibbons G W, Karchner A W. Assessment and management of foot disease in patients with diabetes. N Engl J Med. 1994; 331 854-860
- 3 Chantelau E. Zur Pathogenese der diabetischen Podopathie. Internist. 1999; 40 994-1000
- 4 Delbidge L, Cercteko G, Fowler C, Reeve T S, Le Quesne L P. The aetiology of diabetic neuropathic ulceration of the foot. Br J Surg. 1985; 72 1-6
- 5 Lee L, Blume P A, Sumpio B. Charcot joints in diabetes mellitus. Ann Vasc Surg. 2003; 17 571-580
- 6 Hierl F X, Landgraf R. Klinische Symptomatologie und klinische Diagnostik beim diabetischen Fußsyndrom. Internist. 1999; 40 1002-1008
-
7 International Working Group on the Diabetic Foot .International Consensus on the Diabetic Foot. Third International Symposium, May 1999, Noordwijkerhout, The Netherlands
- 8 Lobmann R. Ätiopathogenese und Diagnostik des diabetischen Fußsyndromes. Diabetes und Stoffwechsel. 1999; 8 (Suppl 5) 5-8
Prof. Dr. H. Schunkert
Medizinische Klinik II, UKSH Campus Lübeck
Ratzeburger Allee 160
23538 Lübeck
Literatur
- 1 Ambrosch A, Lehnert H, Lobmann R. Mikrobiologische Aspekte und rationelle antibiotische Therapie des diabetischen Fußsyndroms. Med Klin. 2003; 98 259-265
- 2 Caputo G M, Cavanagh P R, Ulbrecht J S, Gibbons G W, Karchner A W. Assessment and management of foot disease in patients with diabetes. N Engl J Med. 1994; 331 854-860
- 3 Chantelau E. Zur Pathogenese der diabetischen Podopathie. Internist. 1999; 40 994-1000
- 4 Delbidge L, Cercteko G, Fowler C, Reeve T S, Le Quesne L P. The aetiology of diabetic neuropathic ulceration of the foot. Br J Surg. 1985; 72 1-6
- 5 Lee L, Blume P A, Sumpio B. Charcot joints in diabetes mellitus. Ann Vasc Surg. 2003; 17 571-580
- 6 Hierl F X, Landgraf R. Klinische Symptomatologie und klinische Diagnostik beim diabetischen Fußsyndrom. Internist. 1999; 40 1002-1008
-
7 International Working Group on the Diabetic Foot .International Consensus on the Diabetic Foot. Third International Symposium, May 1999, Noordwijkerhout, The Netherlands
- 8 Lobmann R. Ätiopathogenese und Diagnostik des diabetischen Fußsyndromes. Diabetes und Stoffwechsel. 1999; 8 (Suppl 5) 5-8
Prof. Dr. H. Schunkert
Medizinische Klinik II, UKSH Campus Lübeck
Ratzeburger Allee 160
23538 Lübeck