Aktuelle Urol 2004; 35(2): 98-99
DOI: 10.1055/s-2004-822943
Diskussionsforum Urologie

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Therapieoptionen des unteren Nierenkelchsteins

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PD. S. Lahme 

Klinik für Urologie, Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Hoppe-Seyler-Str. 3

72076 Tübingen

Publication History

Publication Date:
15 July 2004 (online)

 
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Untere Nierenkelchsteine repräsentieren ca. 60% aller Steine des oberen Harntraktes. Die Indikation zur Therapie ergibt sich bei symptomatischen Kelchsteinen infolge Schmerzen, Infekt oder Hämaturie, aus Gründen der vollständigen Steinfreiheit bei Infektsteinleiden, bei nachgewiesenem Größenwachstums des Steins und grundsätzlich aus der Beobachtung heraus, dass Harnsteinträger ein höheres Risiko zur Entwicklung einer arteriellen Hypertonie besitzen. Eine komplette Sanierung von unteren Nierenkelchsteinen, insbesondere in Anbetracht der modernen endourologischen Interventionsmöglichkeiten, sollte angestrebt werden. Untere Nierenkelchsteine können entweder als primärer Harnstein oder als residualer Stein nach extrakorporalen Stoß- wellenlithotripsie (ESWL) anderweitig lokalisierter Kelchsteine auftreten. Im Gegensatz zu den oberen Nierenkelchsteinen und Nierenbeckensteinen ist die Therapie des unteren Nierenkelchsteins wegen der besonderen anatomischen Verhältnisse besonders schwierig und wird anhaltend kontrovers diskutiert.

Prinzipiell kommen als Behandlungsalternativen die ESWL, die retrograde flexible Ureterorenoskopie und die minimalinvasive perkutane Nephrolitholapaxie (Mini-PCNL) infrage.

Die Guidelines der European Association of Urology (EAU) empfehlen zur Therapie des unteren Nierenkelchsteins je nach Größe die ESWL oder die PCNL Einschränkend muss hier jedoch angemerkt werden, dass diese Guidelines zu einer Zeit erstellt wurden, als Berichte zur Mini-PNL des unteren Nierenkelchsteins nur vereinzelt publiziert wurden. Für die ESWL sprechen die geringe Morbidität des Verfahrens, die universelle Anwendbarkeit und die akzeptablen Steinfreiheitsraten von ca. 60%. Die ungünstigen Steinfreiheitsraten sind auf die ungünstigen anatomischen Verhältnisse mit oftmals engem Kelchhals zurückzuführen, die einen Abgang der Desintegrate nach ESWL unmöglich machen können. Ein weiterer Nachteil der ESWL ist die höhere Wiederbehandlungsrate gegenüber allen anderen Behandlungsalternativen.

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Ist die flexible retrograde Ureterorenoskopie überholt?

Als Behandlungsalternative zur Therapie des unteren Nierenkelchsteins wurde in den letzten Jahren die flexible retrograde URS vorgeschlagen. Die technischen Neuerungen durch weitere Miniaturisierung des Instrumentars, die größere Flexion des Instrumentes sowie die Entwicklung von flexiblen Endoskopen mit zwei aktiv flektierbaren Krümmungen hat dazu geführt, dass technisch die Inspektion des unteren Nierenkelches unproblematisch ist. Allerdings stößt die flexible retrograde Ureterorenoskopie (URS) bei der Extraktion von größeren Steinmassen an ihre Grenzen, da einerseits nur Fragmente mit einem Durchmesser bis 5 mm extrahiert werden können und andererseits multiple Extraktionen die Gefahr der Ureterläsion bergen und einen erheblichen Zeitbedarf bedeuten. Außerdem erfordert die flexible URS in jedem Fall eine Laserlithotripsie, da andernfalls die gute Flexion der Instrumente nicht ausgenutzt werden kann.

Für die Mini-PCNL sprechen die deutlich günstigeren Steinfreiheitsraten, die akzeptable Behandlungsdauer und die geringe Morbidität des Verfahrens.

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Neue Alternative: Mini PCNL

Eine Erfolg versprechende Alternative zur Therapie des unteren Nierenkelchsteins besteht in der minimalinvasiven perkutanen Nephrolitholapaxie (Mini-PCNL). Bei diesem neuen Verfahren erfolgt die sonografisch und radiologisch flankierte gezielte Punktion des unteren Nierenkelches. Da eine exakte Punktion des unteren Nierenkelches für den Operationserfolg unerlässlich ist, hat sich die Einlage eines Ballonureterenkatheters bewährt, über den ein Methylenblau/ Kontrastmittel-Gemisch appliziert werden kann. Der Punktionskanal wird ähnlich der Technik der konventionellen PCNL bougiert. Allerdings erfolgt in der Regel nur ein einziger Bougierungsvorgang (sog. single-step- dilation“), bei dem anschließend ein 15 Char. Amplatz-Schaft eingelegt wird. Über diesen minimal-invasiven Zugang erfolgt unter Verwendung eines speziellen 12 Char. Mini-Nephroskops die Desintegration des unteren Nierenkelchsteins. Dazu stehen Ultraschall-, ballistische und Laserlithotripsie zur Verfügung. Die Extraktion der Fragmente erfolgt unter Sicht mittels tipless Basket oder Fasszange. Ziel der Desintegation ist die Erzeugung von 4-5 mm großen Fragmenten, die eine Minimierung der Operationsdauer ermöglichen. Bedarfsweise wird postoperativ eine 12 Char. Ballonnephrostomie eingelegt, die auch eine second-look PCNL zur Extraktion verbliebender Residualfragmente erlaubt. Sowohl beim Primäreingriff als auch bei der second-look PCNL können flexible Nephroskope zum Einsatz kommen, die eine Inspektion der übrigen Nierenkelche und die antegrade Ureteroskopie zur Extraktion von Restfragmenten erlauben.

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Vielversprechende Ergebnisse

Im Gegensatz zur ESWL wird mit der Mini-PCNL eine hohe Steinfreiheitsrate von bis zu 98% erzielt. Die Steinfreiheit wird dabei neben der radiologischen Untersuchung endoskopisch verifiziert, was insbesondere bei Infektsteinen zur Verhinderung von Rezidiven von großem Vorteil ist. Die Komplikationsrate der Mini-PCNL ist mit einer Häufigkeit von 3% für fieberhafte Harnwegsinfekte und einer Transfusionsrate von 1% gering. Ernste Komplikationen (z. B. Nierenverlust) traten bisher nicht auf. Die Operationszeit ist abhängig von der Größe des unteren Nierenkelchsteins und liegt zwschen 90 und 160 min. Die eigenen Ergebnisse bei bisher 98 Patienten übertreffen mit 98% die bisher publizierten Steinfreiheitsraten der kleineren Serien. Auch wurde die niedrige Komplikationsrate mit 3% fieberhaften Harnwegsinfekten und 1% Transfusion bestätigt. Die mittlere Operationszeit betrug inklusive der retrograden Einlage eines Ballonureterenkatheters 90,7 min. Die mittlere Wiederbehandlungsrate betrug 0,7.

Entscheidend für die Beurteilung der Effektivität der Mini-PCNL ist, dass sie keine Alternative zur konventionellen perkutanen Nephrolitholapaxie (PCNL) darstellt. Die Mini-PCNL ist als Behandlungsalternative zur ESWL des unteren Nierenkelchsteines zu sehen. Die technische Durchführung ist zwar der konventionellen PCNL angelehnt - Indikationsstellung und Behandlungserfolg sind jedoch ausschließlich im Hinblick auf Nierenkelch-/ -beckenkonkremente mit einem Durchmesser bis max. 20 mm als Alternative zur ESWL zu sehen.

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Mini-PCNL - sicher und wirksam

Zusammengefasst sprechen alle Erfahrungen mit der Mini-PCNL dafür, dieses Verfahren bei unteren Nierenkelchsteinen mit einem Durchmesser von 5 bis 20 mm als primäres Verfahren einzusetzen. Für die Mini-PCNL sprechen die deutlich günstigeren Steinfreiheitsraten, die akzeptable Behandlungsdauer und die geringe Morbidität des Verfahrens. Darüber hinaus stellt die Mini-PCNL gerade im Zeitalter des pauschalierten Entgeltsystems eine kosteneffektive Behandlungsmodalität dar. Allerdings sind die Erfahrungen mit der MiniPCNL bisher nur auf wenige Zentren beschränkt und eine Berücksichtigung dieser Methode in den nationalen und internationalen Guidelines zur Therapie der Urolithiasis steht noch aus. Auch wenn alle bisher vorliegenden klinischen Daten für die Mini-PCNL als Primärtherapie zumindest des großen unteren Nierenkelchsteins sprechen, wird die endgültige Bewertung erst nach Durchführung einer prospektiven, randomisierten Studie im Vergleich zur ESWL als bisheriger Goldstandard vorzunehmen sein. Bis dahin ist die Mini-PCNL bei großen unteren Nierenkelchsteinen nach entsprechender Aufklärung des Patienten als zuverlässige, zeit- und kosteneffektive individuelle Behandlungsalternative zur ESWL anzubieten.

Literatur beim Autor

PD. S. Lahme 

Klinik für Urologie, Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Hoppe-Seyler-Str. 3

72076 Tübingen

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