Aktuelle Urol 2004; 35(2): 100-102
DOI: 10.1055/s-2004-822944
Diskussionsforum Urologie

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Therapieoptionen des unteren Nierenkelchsteins

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Prof. K. U. Köhrmann 

Klinik für Urologie Theresienkrankenhaus und St. Hedwig Klinik GmbH

Banismannstr. 1

68139 Mannheim

Publication History

Publication Date:
15 July 2004 (online)

 
Table of Contents
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Die bisher nicht abschließend die Therapie der ersten Wahl bei Kelchsteinen darstellt, bezieht sich lediglich auf Steine mit einem Durchmesser von 10-15 bzw. 20 mm. Für größere (>/= 15 bzw. 20 mm) besteht Konsens dahingehend, dass der Stein primär perkutan beseitigt werden sollte. Nur in besonderen Situationen (Kontraindikationen gegen PCNL in Vollnarkose, Wunsch des Patienten) wäre die ESWL mit Harnleiterschienung durchzuführen. Andererseits wird bei Konkrementen < 10 mm zunächst die ESWL, oder in erfahrenen Zentren die flexible URS eingesetzt. Dies ist die übereinstimmende Einschätzung verschiedener Fachgruppen (DGU, EAU, Lower Pole Study Group, International Consultation on Stone Disease). Für die hier zu diskutierenden Steine von 10-15 bzw. 20 mm Durchmesser muss zwischen ESWL und PCNL mit ihren unterschiedlichen Effektivitäts- und Risikoprofilen entschieden werden.

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Steinmasse und -durchmesser entscheidend

Bei der ESWL werden die Steine, meist in Analgosedierung, in spontan abgangsfähige Fragmente (£ 3 mm) desintegriert. Ggf. sind wiederholte ESWL-Sitzungen erforderlich. Die Fragmente müssen in einer vertretbaren Zeit (1-3 Monate) den Harntrakt passieren, um komplette Steinfreiheit zu erreichen. In einigen Fällen werden auxiliäre Maßnahmen, wie z.B. Harnleiterschienen, zur Behandlung von Symptomen während des Fragmentabganges erforderlich. Sowohl die Desintegrationsrate als auch der Abgang der Fragmente ist deutlich von der Steinmasse und damit vom maximalen Steindurchmesser abhängig (Steinfreiheitsrate 74 bzw. 33% bei Steindurchmesser < 10 bzw. > 20 mm ).

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Kelchanatomie beeinflusst Steinfreiheitsrate

Der ausschlaggebende Grund für die begrenzten ESWL-Erfolge liegt am erschwerten Abgang der Fragmente aus dem Unterkelch. Verschiedene Arbeiten haben versucht nachzuweisen, dass lange (> 30 mm), enge (< 5 mm) und steilstehende (Winkel zwischen Kelchachse und Ureter je nach Definition der Messung 90 bzw. 45°) Unterkelche besonders ungünstige Voraussetzungen darstellen. Unter günstigen Bedingungen wurden jedoch Steinfreiheitsraten von 90 bis 100% erreicht. Zum Einfluss der Kelch-Anatomie auf das ESWL-Ergebnis muss jedoch kritisch angemerkt werden, dass etwa gleich viel Publikationen existieren, die den Einfluss dieser anatomischen Parameter nachweisen bzw. nicht nachweisen konnten. Demzufolge kann heute noch nicht aus diesen anatomischen Gegebenheiten auf eine Kontraindikation gegen die ESWL geschlossen werden. Allenfalls in Grenzfällen mit z.B. besonders großen Steinen kann dies als mögliches Einflusskriterium herangezogen werden, um zwischen ESWL und PCNL zu entscheiden. Um die Steinpassage gerade aus dem Unterkelch zu fördern, können adjuvante Maßnahmen wie Vibrationsmassage in Kopftieflage und intensivierte Hydratation die endgültige Steinfreiheitsrate noch zusätzlich steigern (zusätzlich 40% steinfrei von denjenigen, die nach 3 Monaten noch Reststeine besaßen).

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Patient wird minimal belastet

Hinsichtlich der Morbidität bietet die ESWL deutlich geringere Komplikationsraten als die PCNL. Verletzungen von Nachbarorganen werden mit den aktuellen Lithotripter praktisch nie beobachtet, ein klinisch signifikantes perirenales Hämatom wird in weiniger als 1% der Fälle beobachtet. Eine Narkose ist nicht erforderlich und nach einer Beobachtungsdauer von ca. 24 Stunden sind Komplikationen kaum noch zu beobachten, so dass der Patient in aller Regel entlassungsfähig ist.

Die Kosten der ESWL werden zwar durch die hohen Investitionen belastet, aber durch kurze Krankenhausaufenthalte und die Narkosefreiheit gering gehalten. Sie steigen allenfalls durch Wiederbehandlungen und Auxilärmaßnahmen in der Zeit bis zum vollständigen Fragmentabgang an. Bei der PCNL sind die Kosten durch die routinemäßige Narkose und den längeren Krankenhausaufenthalt bestimmt.

Die PCNL ist im Vergleich zur ESWL im Wesentlichen unabhängig von der Steingröße effektiv, da die Steine nach direkter Desintegration unmittelbar entfernt werden können. Dieses Verfahren ist jedoch durch die Notwendigkeit einer Narkose, der passageren Nephrostomie und durch signifikante Risiken belastet. Nebenwirkungen bis hin zu schweren Komplikationen (transfusionspflichtige Blutung, Nierenverlust, Darmperforation, Sepsis) werden beschrieben.

Bei Abwägung von Effektivität und Risiko sollte der Unterkelchstein mittels ESWL beseitigt werden.

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Komplikationen unterscheiden sich deutlich

Zu den Komplikationsraten gibt es eine große Anzahl an Publikationen, die eine erhebliche Varianz aufweisen. Sehr aufschlussreich ist diesbezüglich die einzige prospektive, randomisierte Studie der Lower Pole Study Group“. Hierbei wurden zwar in beiden Gruppen ESWL (n = 59) und PCNL (n = 51) kein statistisch signifikanter Unterschied der Komplikationsrate bei 12 vs. 23% gefunden. Betrachtet man jedoch die klinische Relevanz der aufgetretenen Komplikationen so unterschieden sie sich deutlich: ein nichttransfusionspflichtiges Hämatom nach ESWL gegenüber 3x Ileus, 1x Sepsis, 1x Transfusion, 1x arteriovenöse Fistel nach PCNL. In aktuellen Studien wird die Transfusionsrate nach PCNL mit ca. 20% angegeben]. Für andere Zentren liegt sie bei 1% bis 5% liegt. Somit ist auch hier ein deutlicher Einfluss von Technik und Erfahrung des Operateurs zu erwarten.

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Nierensteine jeglicher Lokalisation sind bis zu 2 cm Größe eine primäre Indikation für die ESWL (Bild: Praxis der Urologie, Thieme 2003).

Mit Einführung der MiniPCNL wurde versucht, die Transfusionsrate zu senken. Es existiert aber noch keine Vergleichsstudie darüber, ob die Nutzung der sehr dünnen Instrumente tatsächlich einen relevanten Vorteil bietet und die Transfusionsrate (von lediglich 1% in erfahrenen Händen) noch weiter senken kann. Es besteht eher die Gefahr, dass durch die englumigen Arbeitskanäle die Fragmente nicht vollständig entfernt werden können und damit der Vorteil der PCNL zunichte gemacht wird. Es ist zu vermuten, dass die Blutungsrate eher durch den Operateur als vom Durchmesser des Nephroskopschaftes bestimmt wird.

Bis heute wird die ESWL meist von Patienten und Urologen favorisiert. Denn Grundsatz bei der Therapieentscheidung ist meist, dass die sicherere Option gewählt wird, wenn eine annähernd vergleichbare Steinfreiheitsrate zu erwarten ist. Zusammenfassend ergibt sich: Bei Abwägung von Effektivität und Risiko sollte der Unterkelchstein bis zu einem Durchmesser von 20 mm mittels ESWL mit guter Steinfreiheitsrate und bei minimaler Belastung beseitigt werden.

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Fazit

Die beiden vorstehenden Artikel diskutieren kritisch die Therapieoptionen des unteren Nierenkelchsteines (UNK), der uns im praktischen Alltag immer wieder vor die Frage der optimalen Therapie stellt. Die ESWL als ambulanter, wenig invasiver Eingriff bietet den Vorteil der ubiquitären Verfügbarkeit und der guten Desintegration, ist jedoch mit dem Nachteil der geringen Steinfreiheitsrate von 25-60% behaftet. Die Methode der MiniPCNL“ bietet den Vorteil der hohen Steinfreiheitsrate, ist jedoch mit dem potenziellen Nachteil der Invasivität und der derzeitigen Konzentration dieses Eingriffs an Zentren verknüpft. Es stellt sich somit die Frage nach Selektionskriterien für eine primäre ESWL bzw. eine primäre MiniPCNL bei Patienten mit UNK. In diesem Zusammenhang wird von verschiedenen Arbeitsgruppen der Einfluss der radiologischen Anatomie des unteren Nierenkelches und des Kelchhalses auf die Steinfreiheitsrate diskutiert. In verschiedenen retrospektiven Untersuchungen wurde der Kelchhals-Nierenbeckenwinkel als ein signifikanter Prädiktor der Steinfreiheit identifiziert, während alle anderen Parameter wie Steingröße, Kelchhalsweite, Kelchhalslänge etc. keine Rolle für den Therapieerfolg spielten. Ein Kelchhals-Nierenbeckenwinkel < 90° war mit einer signifikant geringeren Steinfreiheitsrate von nur 34% gegenüber einer Clearancerate von 70% bei einem Winkel > 90° und einer mittleren Anzahl von 2,76. ESWL-Sitzungen assoziiert. Ähnliche Daten konnten ebenfalls für die Therapie des UNK im Kindesalter reproduziert werden. Die prognostische Bedeutung des Kelchhals-Nierenbeckenwinkels für die Steinfreiheitsrate wurde kürzlich in einer prospektiven Studie von Srivastava et al. [5] verifiziert: Steinfreiheitsraten von 0 und 90% wurden bei einem Winkel < 90° bzw. > 90° erzielt; zudem identifizierten die Autoren mittels Multivarianzanalyse die Steingröße (< 1cm) als zusätzlichen signifikanten Prädiktor der Steinfreiheitsrate. Aus den genannten Studien ergibt sich für den klinischen Alltag der folgende Kompromiss bezüglich einer möglichst effektiven Therapie des UNK: Steine > 1 cm in Kombination mit einem NKNBW < 90° sollten primär mit der Mini-PCNL angegangen werden, während sich bei den Patienten mit günstigen Prognostikatoren ein ESWL-Versuch lohnt. Spätestens das erste Steinrezidiv, länger als 3 Monate persistierende Residualfragmente sowie eine frustrane Desintegration nach der ersten ESWL-Sitzung sollten mittels Mini-PCNL therapiert werden. Alternativ steht der Mini-PCNL die URS mit elektrohydraulischer oder laserinduzierter Lithotripsie und Fragementdesintegration zur Verfügung.

Prof. Dr. Axel Heidenreich, Klinik und Poliklinik für Urologie, Universität zu Köln, Joseph-Stelzmann-Str. 9, 50931 Köln,

Email: axel.heidenreich@uk-koeln.de

Literatur beim Autor

Prof. K. U. Köhrmann 

Klinik für Urologie Theresienkrankenhaus und St. Hedwig Klinik GmbH

Banismannstr. 1

68139 Mannheim

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Nierensteine jeglicher Lokalisation sind bis zu 2 cm Größe eine primäre Indikation für die ESWL (Bild: Praxis der Urologie, Thieme 2003).