„Helle Haut” war seit Beginn der Entwicklungsgeschichte des westlichen Zivilisationsprozesses
kein wertfreies Körpermerkmal wie viele andere phänotypische Merkmale des Menschen,
sondern nahm bezüglich kulturgeschichtlicher Aspekte oft eine Sonderstellung ein.
So blieb die helle Haut im immerwährenden Wandel der Schönheitsideale durch alle Stilepochen
bis ins 20. Jahrhundert ein unverändertes Statussymbol. Erst im „Jetset”-Zeitalter
des endenden 20. Jahrhunderts löste die prestigebesetzte Bräune das „Ideal” der hellen
Haut ab und helle Haut wurde oft mit Blässe und Krankheit assoziiert. Das Image (von lat. Imago, Bild) der sonnengebräunten Haut wurde jedoch bereits wenige Jahrzehnte
später durch Hautkrebs- und Anti-aging-Kampagnen des Mythos Alterslosigkeit teilweise
wieder revidiert, wobei trotz intensiver Aufklärungsmaßnahmen noch heute eine „gesunde
Bräune” bei vielen Menschen als erstrebenswert gilt.
Der Ursprung des „Ideals” der hellen Haut, das über die lange Jahrhunderte konstant
bleiben sollte, geht auf die antiken Ägypter zurück, die sich gleichermaßen um die
Schönerhaltung der Lebenden wie auch die ewige Schönheit der Toten bemühten. Die täglichen
Reinigungs- und Schminkprozeduren standen in engem Zusammenhang mit den von Priesterärzten
ausgeführten Mumifizierungstechniken, die die sterbliche Hülle vor dem Zerfall bewahren
sollten. Bei den antiken Ägyptern wurde das Fleisch der unsterblichen Götter durch
Gold symbolisiert, das metaphysisch mit Licht und der Urenergie der Sonne gleichgesetzt
wurde. Dieser strahlende, alles übertreffende Lichtglanz der Göttlichkeit prägte die
spätere kulturelle Präferenz für helle Haut. Außergewöhnliche natürliche Schönheit
wurde darum seit jeher als Gottesgeschenk angesehen und die kosmetisch-technische
Annäherung an das „göttliche Ideal” wurde in den hierarchischen Klassengesellschaften
nur gesellschaftlich herausragenden Persönlichkeiten zugestanden. Die helle Haut,
die „vornehme Blässe”, visualisierte auch körperästhetisch die Zugehörigkeit zur Oberschicht,
weil eine mögliche Bräunung durch den Zwang zur Arbeit im Freien vermieden werden
konnte. Über die Hautfarbe wurden die historischen Machtstrukturen und die damit verbunden
Besitzverhältnisse angezeigt. Weiß wurde somit zur Farbe der hegemonialen Kultur.
Helle Haut war jedoch nicht nur Merkmal für die Zugehörigkeit zu einer höheren Schicht,
sondern symbolisierte auch Jugend und Unberührtheit. Da die Haut bestimmter Lokalisationen
in der Schwangerschaft nachdunkeln kann (zum Beispiel Linea nigra), versinnbildlichte
helle Haut die Jungfräulichkeit und machte besonders begehrenswert. In der Kunst wird
helle Haut geschlechtsspezifisch zwischen Männern und Frauen nuanciert unterschiedlich
dargestellt. So wurde das Inkarnat, der Fleischton der Körperhaut, von Frauen immer
etwas heller als das der Männer gewählt.
Das „Ideal” der hellen Haut war jedoch stets mit dem Streben nach reiner, makelloser
Haut ohne sichtbare Läsionen und Alterserscheinungen verbunden. Im Papyros Ebers,
einer ägyptischen medizinischen Textsammlung aus dem Jahre 1552 v. Chr., berühren
folgende Kapitel der Rezepturvorschriften zur Wiedererlangung der Gesundheit die Hautverschönerung
und deren Jungerhaltung (Abb. [1]):
„87, 3 - 4. Desgl. um die Hautfarbe zu ändern, 6 - 8. Desgl. zur Vertreibung der Gesichtspickel,
8 - 15. Desgl. um dem Gesichte ein glattes Ansehen zu geben, 15 - 17. Desgl. um die
Falten im Gesicht zu vertreiben.” [1]
Abb. 1 Beispiel hieratischer Schrift. Detail des Papyros Ebers (1552 v. Chr.); aus: Lohse-Jasper
R. Die Farben der Schönheit, Eine Kulturgeschichte der Schminkkunst. Hildesheim: Gerstenberg
Verlag, 2000 : 19.
Bei den antiken Griechen wird das Bemühen um Schönheit unter dem Begriff Kalokagathia ausgedrückt, der als altgriechisches Bildungsziel Schön- wie auch Gutsein umfasst
und dem ästhetischen sowie ethischen Ideal der Vollkommenheit entsprach. Der Philosoph
Demokritos (um 460 - 371 v. Chr.) und der Schriftsteller Athenaios (um 200 n. Chr.)
empfahlen, die Haut nach der Reinigung mit Fetten zu salben, um deren Glätte zu erhalten
[2]. Bereits die antiken Griechinnen verwendeten Bleiweiß, um ihren Teint aufzuhellen.
Aphrodite, die griechische Göttin der Liebe und Schönheit, die spätere römische Venus,
entstammt den göttlichen Gefilden des Olymp. Ihre Anmut, ihre helle Haut, ihr blondes
Haar und ihre „beglückende Lichtfülle” stellten für die alten Griechen wichtige Merkmale
ihrer göttlichen Ausstrahlung dar. Der auf der Erde am hellsten erscheinende Planet,
der Morgen- und Abendstern, wurde als Venus, der Stern der Liebesgöttin, bezeichnet.
Er erlangte bereits in der babylonischen Astralmythologie als positives Sinnbild der
Ischtar hohe Bedeutung. Weil dieser Archetyp der Liebesgöttin auch in den folgenden
Jahrhunderten Schönheit, Jugendlichkeit und Attraktivität symbolisierte, eiferten
ihm Frauen aller Epochen nach (Abb. [2]).
Abb. 2 Sandro Botticelli (1445 - 1510) „Die Geburt der Venus”, Uffizien, Florenz, 1486; aus:
Toman R (Hrsg). Die Kunst der italienischen Renaissance, Architektur, Skulptur, Malerei,
Zeichnung. Köln: Könemann, 1994 : 283.
Der griechische Begriff Kosmetik (griechisch für Haut- und Schönheitspflege) steht etymologisch in Verbindung mit dem Kosmos (griechisch für Ordnung), der Weltordnung und mit dem Weltall, wobei der Mensch metaphysisch als Mikrokosmos
(griechisch für die kleine Welt) im Makrokosmos (griechisch für das Weltall) verstanden wird. Kosmetik betreiben bedeutet also übertragen, sich in Resonanz und
Einklang mit der Harmonie des Universums und des Göttlichen zu bringen. Das „Ideal”
heller Haut stand in der Antike nicht nur in Abhängigkeit ihrer Oberflächenbeschaffenheit,
sondern auch ihres räumlichen Bezugs. Beispielsweise entsprechen die Proportionen
des Goldenen Schnitts den Zahlenverhältnissen der Umlaufbahn der Venus zur Sonne und zur Erde. Auch das
seit der Antike den Menschen symbolisierende Pentagramm, das Fünfeck, bildet sich
durch die Positionen der unteren Konjunktion von Sonne und Venus im Tierkreis [3]. Die Proportion des Menschen, die anthropometrische Verhältnismäßigkeit, bestimmte daher seit der Antike das mikrokosmische Schönheitsideal des Menschen
in Maß und Zahl.
Durch die philosophische Urbild-Abbild-Theorie der Antike, nach der eine schöne Seele
in einem schönen Körper wohne, wurden Schönsein, Gutsein und Gesundheit gleichgesetzt.
In der physiognomischen und literarischen Tradition wurden häufig Analogien zwischen
Helligkeit und Transparenz der Haut sowie Empfindsamkeit und einem positiven Durchscheinen
der Emotionen gezogen. Die Hautpigmentierung wurde daher oft nicht allein nach „ästhetischen”,
sondern auch nach moralischen Werthierarchien klassifiziert. Die Haut wurde sinnbildlich
als Spiegel der Seele und des körperlichen Wohlbefindens angesehen. Heller Glanz der
Haut sollte von unversehrter Oberfläche und damit Gesundheit zeugen. Diese Emanation
ließ helle Haut erstrebenswerter und attraktiver erscheinen.
Dem „Ideal” standesabgrenzender schneeweißer Haut wurde über lange Epochen bis hin
zur Renaissance mit abdeckenden, weißen Kosmetika nachgeholfen. Der römische Dichter
Ovid (Publius Ovidius Naso, 43. v. Chr. bis etwa 17 n. Chr.) beschreibt in einem erhaltenen
Fragment über Kosmetik „Medicamina faciei femineae” eine Gesichtsmaske für die Schönerhaltung
heller Haut:
„Dic age, cum teneros somnus dimiserit artus,candida quo possint ora nitere modo.
…sextantemque trahat cummi cum semine Tusco;huc nouies tanto plus tibi mellis eat:quaecumque
afficiet tali medicamine uultum,fulgebit speculo leuior illa suo.“ [4]
„Lernt jetzt, wie das Gesicht, wenn der Schlaf euch befreit die zarten Glieder, sich
glänzend schmücke mit strahlendem Weiß. ...Thu zwei Unzen dazu von Tustischen Körnern
und Gummi, und neunmal so viel Honig noch gieße darein. Wenn du dir dann das Gesicht
einreibst mit der obigen Mischung, wird es glänzend, dass selbst heller dein Spiegel
nicht strahlt.” [5]
Eine berühmte, verschwenderische Anwenderin von Bleiweiß in Zeiten der Renaissance
war die englische Königin Elisabeth I. (1558 - 1603), die daher auch als „Elfenbein-Regentin”
in die Geschichte einging. Die Langzeitanwendung Blei-haltiger kosmetischer Zubereitungen
führte jedoch zu einer deutlich sichtbaren Hautschädigung. Im Alter ließ Königin Elisabeth
I. daher alle Spiegel in ihrem Palast entfernen, um den Verfall ihres Gesichtes nicht
länger mit ansehen zu müssen [6].
Im kulturell wegweisenden Frankreich der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts galt die
künstliche Körpermodifikation als Verfeinerung des Naturzustandes, die auch einer
Bewahrung der standesabgrenzenden Distinktion diente. Bleiweißschminken, Perücken,
Puder und Parfums der „trockenen Toilette” waren daher prestigeverpflichtend. Auch
Altersunterschiede zwischen Kindern und Greisen wurden symbolisch durch Bleiweißschminke
aufgehoben und suggerierten Zeitlosigkeit und Unantastbarkeit. Die exzessiven Schminktechniken
blieben jedoch auch unter Zeitgenossen nicht ohne satirische Kommentare, wie die Kritik
des Predigers und Volksschriftstellers Abraham a. S. Clara (1644 - 1709), eigentlich
Johann Ulrich Megerle, am Schminken der Damen belegt:
„1) Abrahamisches Gehab dich wohl …: ihre Falten überschmiert sie mit Curnisoll, Bleyweiß
und anderer Schminke, hat beynebens etliche helffenbeinerne Zähn im Maul, welche ihr
der Artzt eingesetzet.” [7]
Im Zeitalter der Aufklärung wird in Ratgebern wie „Anmuth und Schönheit aus den Misterien
der Natur und Kunst für ledige und verheirathete Frauenzimmer mit Kupfern, Berlin
1797” vor den gesundheitsschädlichen Schminken gewarnt:
„Schädliche Schönheitsmittel.
Es gibt bekanntlich rothe und weiße Schminke. Die gewöhnlichsten weißfärbenden Mittel
sind: Der Sublimat, weißer Vitriol, Perlen, Benzoe, Wismuth, Bleiweiß, und hiervon
vorzüglich das Kremserweis, Koboldpräcipitat, Alabaster und weißer Puder. Roth färbt
Karmin, Zinnober, Kugellack, die mit Zinnober gemachte Seife, Talch (ein venetianischer
kalkartiger Stein) mit Saflor gefärbt, und die Blume der Amaranthe. Brandwein macht
auch auf eine kurze Zeit die Haut roth, wegen seiner erwärmenden und zusammenziehenden
Kräfte.” [8]
Erst im Blick anderer nimmt der eigene Körper Kontur einer Ethnie an. Wir sind gewohnt,
Zeichen des Körpers geografisch, national und kulturell zu deuten. Durch die binären
Denkstrukturen des christlichen Abendlandes wurden physische Merkmale wie Konstitution
und Hautfarbe in der Ethnologie und Anthropologie oft dual mit positiven und negativen
Eigenschaften besetzt. Dies geschieht am folgenschwersten in rassentheoretischen Diskursen.
Für den Rassentheoretiker Arthur de Gobineau (1816 - 1882) zum Beispiel war die Hautfarbe
ein zentrales Kriterium [9].
Weil dunkle Haut sich weniger sichtbar verändert, galt sie bei einigen Menschen als
undurchdringlicher und verhüllend (englisch für hide). Auch die Etymologie von Color verweist auf celare (lat. für verstecken). Danach haben Farbpigmente zugleich bergenden bzw. verbergenden
Charakter. In den USA steht Color synonym für Race. Durch die in vielen Ländern wie auch den USA gängige Unterscheidung in white und colored (als degradierende Subsummierung aller „nicht-weißen” Menschen) wird die anthropologische
und ideologische Frage von Farbigkeit und Farblosigkeit aufgeworfen, die die binäre Struktur des Denkens mit den Konstrukten von Farbig und Weiß der folgenschweren Epidermical hierarchy( begründet.
Jedoch gibt es auch gegenüber bestimmten Aspekten heller Haut Vorbehalte. So wird
seit Beginn des Jetset-Zeitalters helle Haut oftmals mit Blässe und Krankheit assoziiert,
während sonnengebräunte Haut als „gesunde Hautfarbe” bezeichnet wird. Ausgeprägte
Vorbehalte zeigten sich von jeher gegenüber der Pigmentlosigkeit des Albinismus. In
der Literatur wird die Perzeption pigmentfreier Haut von Franz Kafka (1883 - 1924)
und den zeitgenössischen Schriftstellern Plath und John Edgar Wideman als mangelhafte,
formlose, kranke und leblose Hülle vorgestellt. Wideman beschreibt in seinem Roman
„Sent for You Yesterday“ (1983) den Albino Brother Tate als „dead in bag of white
skin” [10]. Menschen mit Albinismus wurden auch in vielen Religionen als „un-menschlich” angesehen,
für die normale soziale Regeln nicht galten. Darum begegnete man ihnen mit Scham,
Tötung oder - weil man glaubte, sie seien auferstandene Tote - mit Apotheose, die
sie schützte. Erst im Zeitalter der Aufklärung wird nach dem Werk Georges Louis Leclerc
Buffons (1707 - 1788) „Histoire naturelle” (1777) der Albinismus als eine individuelle
Variante innerhalb der Spezies entmystifiziert.
Das „ideale” Körperbild, ursprünglich den Göttern und höheren Ständen vorbehalten,
wird seit der Antike bis heute als Statussymbol der sozialen Macht angestrebt. Das
über Jahrhunderte fest verankerte Ideal( der hellen Haut wurde Ende des 20. Jahrhunderts
aufgeweicht, unter anderem durch das Reisen in ferne Länder als Symbol für materielle
Unabhängigkeit. Trotz Eiferns nach sonnengebräunter Haut blieb jedoch in den westlichen
Gesellschaften weiterhin das „Idealbild” des hellen Hautphänotyps bestehen. Das Streben
nach stark sonnengebräunter Haut durch intensives Sonnenbaden, das vor 10 bis 30 Jahren
seinen Höhepunkt hatte, wurde durch Aufklärungskampagnen über die schädlichen Wirkungen
des ultravioletten Lichtes relativiert, jedoch nicht vollständig aufgehoben. Auch
heute noch gilt ein leicht gebräunter Teint als erstrebenswert, wenn auch nicht um
jeden Preis. Davon zeugt zum Beispiel der derzeit zu beobachtende Boom Dihydroaceton-haltiger
„Selbstbräuner”.