Jede Darstellung der Neuentwicklungen in der Allergologie wird subjektiv sein und muss sich hier zudem auf die Größe eines Artikels beschränken. Daher werden hier nur einige der Meilensteine beschrieben. Im Vordergrund stehen technische Veränderungen, die dann auch zu Weiterentwicklungen der Diagnostik führen. Damit kann den klinischen Veränderungen und neuen Krankheitsbildern gut begegnet werden.
Technische Veränderungen
Mit der Entdeckung der Immunglobuline 1966/67 von Ishizaka und Johansson war der Grundstein gelegt, immunologische Methoden zu entwickeln, um die Soforttypallergie, damals „reaginische” Überempfindlichkeit, nicht nur klinisch nach der Anamnese oder im Hauttest, sondern laborchemisch im Blut zu erfassen. 1972 entwickelte Foucard dafür den Radio-Allergo-Sorbent-Test (RAST) mit Präsentation eines Allergens, an das IgE bindet und durch spezifisches Anti-IgE erkannt wird. Der Papier-Radio-Immuno-Sorbent-Test (PRIST) päsentiert das Anti-IgE, das an eine Papierscheibe gebunden ist. Das in der Serumprobe enthaltene IgE bindet daran und wird von markiertem Anti-IgE erkannt. Beim CAP („capacity”) (Pharmacia) wird das Allergen analog dem RAST eingesetzt, ist aber an ein Kunststoffschwämmchen gebunden. Der Magic-Lite (Chiron, Bayer) und der Ala STAT (DPC Biermann) verwenden Allergene in flüssiger Form. Mit Streifentests wie z. B. dem Allerodip (Allergopharma) sind semiquantiative Messungen möglich. Mehrere Allergene sind auf einem Nitrozellulose-Streifen untergebracht.
Neben dem Gesamt IgE, das bei atopischer Diathese erhöht gefunden werden kann - aber nicht muss - wurde die Bestimmung des eosinophilen-kationischen Proteins (ECP) zum Verlaufs- oder Therapiemonitoring etabliert [10]. IgG- und IgM-Antikörper werden bei Serumkrankheit und Immunkomplex-Reaktionen oder IgG4-Antikörper als Marker des Erfolgs einer Hyposensibilisierung mit Immunoblot, Radioimmunoassay (RIA) oder Enzymimmunoassay (EIA) bestimmt. Mit der Western-Blot-Technik kann nach elektrophoretischer Auftrennung von Allergenextrakten zudem die individuelle Reaktion eines Serums gegen Einzelproteine sichtbar gemacht werden.
Die Mastzelltryptase wird mittlerweile bei Verdacht auf Todesfälle durch anaphylaktische Reaktionen oder bei Verdacht auf Mastozytose bestimmt. Der Histaminrealease, die Degranulation basophiler Leukozyten oder die FACS-Analyse überprüfen die IgE-vermittelten Reaktionen an basophilen Leukozyten. Der „cellular Allergen-Stimulation-Test (CAST)” nach De Weck misst Sulfidoleuktotriene nach Allergenstimulation und kann z. B. die ASS-Idiosynkrasie erfassen. ELISA Verfahren werden eingesetzt, um Allergene in Proben zu messen, die RAST-Inhibition zur Messung der Potenz der Allergene.
Die Allergologie hat sehr profitiert von der Entwicklung molekularbiologischer Methoden wie der PCR durch Mullis 1987. So konnte mit Hilfe der molekularen Genetik kürzlich gezeigt werden, dass die frühkindliche Neurodermitis mit einem Locus auf Chromosom 3 und Asthma auf Chromosom 20 gekoppelt ist [29]. 1987 entsteht das TH1/TH2-Konzept von T. Mossmann. Heute ist es zwar nicht mehr ganz aktuell, wird jedoch als Yin-Yang-Theorie weiterhin vor allem aus didaktischen Gründen verwendet. Es zeigt, dass IFN-γ die TH-2- und die IgE-Produktion dämpft, und IL-4 die TH-2-Differenzierung fördert und damit auch die IgE-Bildung (Abb. [1]). IL-4 setzt in Makrophagen die Bildung von IL-12 herab, womit z. B. die Abwehrschwäche von Atopikern gegenüber mikrobiellen Erregern erklärt wird. 1988 beschreibt R. L. Coffmann das Interleukin 4. IL-4 wird gebildet in T (CD4+ -TH 2)-Zellen und Mastzellen, bindet an seinen Rezeptor CD 124 und unterstützt die B-Zellreifung und IgE-Bildung.
Abb. 1 Nach der Yin-Yang-Theorie fördert eine Betonung des TH 1 die Typ IV-Reaktionen und ein Übergewicht des TH 2 Soforttypreaktionen.
Eine Terminologie der Allergene, z. B. Bet v 1 für das erstbeschriebene Allergen der Birke (Betula verrucosa) wird vorangetrieben. Bet v 1 findet sich aber auch in den Pollen von Erle, Hasel, Eiche und Buche und in den kreuzreagierenden Nahrungsmitteln Apfel, Steinobst, Nüsse, Karotten und Sellerie. Ab 1989 entwickeln Kraft und Baldo rekombinante Allergene. In der Nomenklatur erhalten rekombinante Allergene ein vorangestelltes „r”.
Die Überlegenheit eines Bienengift-Extraktes zur Hyposensibilisierung vor einem Ganzkörperextrakt wurde 1978 von Hunt gezeigt. Mittlerweile stehen bereits rekombinante Allergene zur Verfügung, z. B. gegen Phospholipase A2 des Bienengifts. Bisher kann noch nicht abschließend beurteilt werden, ob rekombinante Allergene einen therapeutischen Fortschritt bei der Hyposensibilisierung gegen Hymenopteren bringen.
Ein großer Fortschritt war die Standardisierung der Allergenextrakte im Auftrag der WHO. Ähnlich wie beim „Urmeter”, haben wir nun einen Standard zur Verfügung, Extrakte, die 100 000 IU pro Fläschchen Allergenlösung enthalten und Vergleiche zwischen Testlösungen und Hyposensibilisierungslösungen ermöglichen.
Ein semiquantitativer Milbenkot-Allergennachweis, der Acarex-Test® [6] wurde zum Monitoring der Effektivität der Hausstaubsanierung im häuslichen Umfeld herangezogen. Über den Farbumschlag in den gesammelten Hausstaubproben konnte die „Milbenmenge” abgeschätzt werden.
Klinisch große Relevanz haben die Nachweisverfahren der Heparin-induzierten Thrombozytopenien. Weitere Heparinkomplikationen sind Typ I-Reaktionen mit Urtikaria und Angioödemen und Typ IV-Reaktionen in Form von Kontaktekzemen [17]. Die heparininduzierte Thrombozytopenie, HIT 1, basiert auf einer Hemmung der Aktivität der thombozytären Adenylatzyklase, ist oft spontan reversibel und verläuft milde. Die Thrombopenie bei der HIT II geht mit einem erhöhtem Thrombose- und Embolierisiko einher. IgG-Antikörper gegen einen Komplex aus Heparin und Plättchenfaktor 4 vermitteln den Immunkomplex-zyototoxischen Mechanismus über Fcγ-RII-Aktivierung. Die zerfallenden Thrombozyten wiederum wirken stark Thrombose-fördernd [28]. Der heparininduzierte Plättchenaggregationstest (HIPA-Test) wäre in diesen Fällen der HIT II positiv. Heparin wird dann umgesetzt auf niedermolekulare, wenig sulfatierte Heparinoide wie Danaproid (Orgaran®), rekombinantes Hirudin (Refludan®) oder das Heparinpentasulfid Fondaparinux (Arixtra®) [18]
[27].
Der Lymphozytentransformationstests wurde 1967 von Halpern für wissenschafltliche Fragestellungen zur Spättypreaktion entwickelt und insbesondere bei Fragen zu Arzneimittelallergien eingesetzt. Mikrosomen besitzen die Fähigkeit ähnlich wie Cytochrom P-450 Medikamente zu metabolisieren und wurden in einer Weiterentwicklung des LTT eingesetzt [16].
Veränderungen der Diagnostik in vivo
Veränderungen der Diagnostik in vivo
Bei der Neurodermitis zeigten sich positive Epikutantestreaktionen auf typische Äroallergene (Atopie-Patch-Test) mit guter Korrelation zu klinischen Exazerbationen bei ärogenem und kutanem Kontakt mit diesen Allergenen [30]. Begründet wird dieses Testvorgehen durch den Nachweis von IgE und IgE-Rezeptoren auf Langerhanszellen in der Epidermis. Kommerzielle Atopie-Patch-Test-Substanzen stehen bisher nicht zur Verfügung. Zur Prävention einer Neurodermitis durch hypoallergene Kost in der Schwangerschaft liegen mittlerweile Metaanalysen und ein Cochrane-Review vor, die zeigen, dass eine derartige Einschränkung der Mutter nicht sinnvoll ist. Das Risiko für atopische Erkrankungen des Kindes wird dadurch nicht gesenkt.
Nahrungsmittelallergien oder Überempfindlichkeiten betreffen nicht nur das Hautorgan, Auge, Respirationstrakt oder Herz-Kreislaufsystem bei Anaphylaxien, sondern auch den Gastrointestinaltrakt. Die Symptomatik äußert sich als Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö oder Meteorismus. Das Allergen wird endoskopisch appliziert und eine Rötung beurteilt. Der intestinale Provokationstest bei Erwachsenen steckt noch in den Kinderschuhen und ist mit endoskopischen Maßnahmen verbunden. Aufgrund der Invasivität der Maßnahme ist es fraglich, ob sich das Konzept durchsetzt.
Als Komplikation des Epikutantests beim „klassischen Kontaktekzem” wurde das „Angry Back Syndrom” beschrieben, als Zeichen einer sehr starken allergischen Reaktion auf üblicherweise mehrere der auf die Rückenhaut applizierten Testsubstanzen [21]. Es reagiert fast die gesamte Rückenhaut „falsch positiv” mit. Entsprechend kann das Ergebnis nicht verwertet werden. Die Arbeitsgruppe des „Informationsverbundes Deutscher Kliniken” (IVDK) und die „Deutsche Kontaktdermatitis-Gruppe” (DKG) aktualisieren u. a. Auswahl und Konzentration der zu testenden Substanzen. Tab. [1] zeigt den Vergleich der häufigsten Kontaktallergene in der Internationalen Kontaktdermatitis-Forschungsgruppe (ICDRG) 1967 mit den Daten zu Beginn der Arbeit des Informationsverbundes Deutscher Kliniken (IVDK) 1990 bis zu den aktuellen Daten 2002.
Bleibt die Relevanz eines positiven Epikutantests unklar, wird der „repeated open application test (ROAT)” eingesetzt, z. B. bei Substanzen, die neben der kontatkallergischen Potenz eine irritative Wirkung haben. Die verdächtige Substanz wird dann 2mal täglich über 1 - 4 Wochen offen auf die Ellenbeuge aufgetragen und die Reaktion wird beurteilt. An der Standardisierung dieses Tests wird zur Zeit gearbeitet.
Tab. 1 Sensibilisierungsquoten im historischen Vergleich
Studie | ICDRG | IVDK | IVDK |
Zeitraum | 1967 | 1990 | 2002 |
n | 4825 | 4140 | 7880 |
Nickel-(II)-Sulfat | 7,2 | 17,3 | 17,7 |
Duftstoff-Mix | n.t | 7,6 | 7,8 |
Perubalsam | 6,5 | 6,6 | 8,2 |
Kobalt-Chlorid | 6,9 | 7,3 | 7,0 |
p-Phenylendiamin | 4,9 | 5,1 | 4,2 |
Wollwachsalkohole | 2,7 | 3,2 | 4,0 |
Kalium-Dichromat | 6,1 | 6,5 | 5,5 |
Kolophonium | 3,3 | 3,5 | 4,1 |
MCI/MI (Kathon CG) | n. t. | 3,5 | 2,3 |
Neomycin | 3,7 | 3,9 | 2,3 |
Thiuram-Mix | 2,1 | 2,8 | 2,6 |
Formaldehyd | 3,6 | 2,4 | 1,7 |
Paraben-Mix | 2,0 | 2,0 | 1,3 |
Benzocain | 4,1 | 2,4 | 1,1 |
Epoxidharz | n. t. | 1,1 | 1,4 |
Terpentin | 6,0 | 0,7 | 1,4 |
ICDRG: International Contact Dermatitis Research Group. |
Im Gespräch mit Patienten über die Notwendigkeit der Allergenkarenz gegenüber Nickel ist der Nachweistest über Nickelionen basierend auf dem Farbumschlag nach rosa mit dem Dimetyhlglyoximtest (Abb. [2]) sehr hilfreich [24].
Abb. 2 Nickelnachweistest in einer Wimpernzange bei rezidivierenden Lidekzemen.
Der Photopatchtest, von Jung beschrieben [19], dient dem Nachweis photoallergischer Reaktionen und der Abgrenzung von allergischen oder phototoxischen Reaktionen von anderen lichtprovozierten Erkrankungen. Die verdächtigen Substanzen werden auf der Rückenhaut rechts und link der LWS/BWS analog dem Epikutantest spiegelbildlich aufgebracht und nach 24 Stunden erstmals abgelesen. Danach wird eine Rückenhälfte mit 5 oder 10 J/cm2 UVA bzw. mit der halben Erythemdosis UVB belichtet. Nach 48 bis 72 Stunden werden beide Rückenhälften abgelesen und beurteilt. Eine Reaktion nur auf der belichteten Seite mit Crescendo bis 72 Stunden spricht für eine photoallergische Reaktion. Durch konsequente - in dem Fall gerechtfertigte - vor allem „prophetische Testungen” konnten die photoallergischen Medikamente eliminiert oder gar nicht mehr eingeführt werden. Die intensive Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie ermöglichte die Reduzierung der Photoallergien von 4 % der Kontaktallergien auf unter 1 %. Zurück blieben vor allem pflanzliche Photoallergene. Weiterentwickelt wurden Testmodelle für belichtete Sofortteste u. a. auch für die Lichturtikaria. Das seltene Krankheitsbild kann durch Strahlung im Spektrum der Röntgenstrahlung bis hin zum sichtbaren Licht ausgelöst werden. Schemata zur UVA-1 Ultra-Rush-Hyposensibilisierung sind erprobt [5].
Klinische Veränderungen
Klinische Veränderungen
Zu den kausalen Therapien der Soforttyp-Allergie gehört weiterhin die Allergenkarenz und die spezifische Hyposensibilisierung, 1911 von Noon erstmals beschrieben. Seit mehr als 30 Jahren werden Glutaraldehyd- und Formaldehyd modifizierte Allergene oder kleinere Allergenbruchstücke, die Allergoide, eingesetzt. Wässrige Allergenextrakte werden adsobiert an Aluminiumhydroxid, Tyrosin oder neuestens auch an das Adjuvanz Monophosphoryl-Lipid A, um eine langsame Allergenfreisetzung zu erzielen. Mittlerweile ist nicht nur die Wirksamkeit der Hyposensibilisierung in vielen Studien erweisen, sondern auch präventive Effekte konnten belegt werden, z. B. die Senkung der Häufigkeit des Bronchialasthmas bei hyposensibilisierten Kindern. Nachgewiesen ist zudem die Wirtschaftlichkeit der Hyposensibilisierung durch Senkung langfristiger Arzneikosten und Krankenhausaufenthalte.
Basis der symptomatischen Therapien sind die Glukokortikosteroide und Antihistaminika, daneben aber auch die Mastzellstabilisatoren Dinatrium Cromoglicicum und Ketotifen aus den 70er-Jahren. Die Geschichte der Antihistaminika reicht weiter zurück, bis zu Bovet in den 30er-Jahre. Unter den symptomatischen Therapien wurde das Spektrum der Therapiemöglichkeiten an der Haut ergänzt durch die Calcineurinantagonisten Pimecolimus und Tacrolimus.
In den 80er-Jahren beschrieb Samuelson die Leukotriene, ehemals mit dem Namen „slow reacting substance of anaphylaxis”, in ihrer chemischen Struktur. Sie entstehen aus der Arachidonsäure über die 5-Lipoxygenase. Sie haben chemotaktische (LTB4) oder anaphylaktogene und bronchokonstriktorische Wirkung (LTC4, LTD4, LTE4). Es folgte die Entwicklung der Leukotrien-Antagonisten [1]. Seit kurzem sind Sulfidoleukotrienantagonisten für das allergische Asthma bronchiale auf dem Markt (Montelukast, Zafirlukast). Die Therapie des allergischen Asthma bronchiale ist vereinheitlicht worden und folgt einem 4-Stufen-Schema, das fast alle Arbeitsgruppen akzeptiert haben.
Nicht allergenspezifisch ist der 1997 von C. Heuser propagierte Ansatz der Anti-IgE-Therapie mit dem monoklonalen Antikörper E 25, Omalizumab, der in den USA zur Therapie des Asthma bronchiale zugelassen ist. Die klinische Bedeutung lässt sich zur Zeit noch nicht abschätzen.
1978 wird der Begriff der „Pseudoallergie” von P. Kallós geprägt [11], mittlerweile definiert als „nicht immunologische Überempfindlichkeit mit klinischen Symptomen, die allergischen Erkrankungen entsprechen”. Dazu zählen vor allem Enzymmangelzustände (Laktose- oder Fruktoseintoleranz), die Freisetzung von Entzündungsmediatoren über Farbstoffe, Konservierungsstoffe oder Salicylate oder toxische Effekte durch Verunreinigungen (Bakterientoxine) oder bei längerer Lagerung (Histamin) entstehend.
Das Spektrum der Medikamentenallergien erstreckt sich von der anaphylaktischen Reaktion bis hin zum Lyell-Syndrom. Aus den 80er-Jahren stammt eine Auflistung der häufigsten Auslöser tödlicher anaphylaktischer Reaktionen [35]:
-
Anästhetika
-
Relaxantien
-
Antibiotika
-
Röntgenkontrastmittel.
Da es dennoch nötig wurde Pharmaka, auf die ein Arzneimittelexanthem auftgetreten war, erneut zu geben, entstanden für diese Ausnahmefälle Schemata zur Hyposensibilisierung z. B. für Penizilline oder Insulin [13]
[34]. Mit der Entwicklung neuer therapeutischer Substanzen und Kombinationen z. B. der „highly-active antiretroviral therapy (HAART)( zur Behandlung der HIV-Infektion traten auf die dort eingesetzten Substanzen neben den typischen Nebenwirkung des Lipodystrophie-Syndroms auch häufiger Arzneimittelexantheme auf. Arzneimittelunverträglichkeiten bei HIV-Infektion betreffen vor allem Sulfonamide, Cotrimoxazol, Tuberkulostatika und Hemmer der Reversen Transkriptase vom Nukleosid-Typ [20].
Seit 1956 und der Erstbeschreibung durch Lyell hat das Krankheitsbild des Lyell-Syndroms eine klare Klassifikation und Abgrenzung erhalten. Wir unterscheiden zwischen
-
dem staphylogenen Lyell-Syndrom der Neugeborenen und Kleinkinder mit subkornealer Blasenbildung,
-
der Arzneimittelinduzierten toxischen epidermalen Nekrolyse (TEN) = Lyell-Syndrom mit junktionaler Blasenbildung bei Erwachsenen mit Schleimhautbefall.
Bullöse Arzneimittelreaktionen werden unterteilt in
-
Erythema exsudativum multiforme mit weniger als 10 % Ausdehnung auf der Körperoberfläche und den typischen Kokarden,
-
Stevens-Johnson-Syndrom ohne Kokarden, aber mit Maculae und Schleimhautbefall
-
TEN mit großflächigen Erythemen und Schleimhautbefall [23].
Das Dokumnetationszentrum schwerer Hautreaktionen in Freiburg sammelt und analysiert seit 10 Jahren die Kasusitiken und gibt Hitlisten der am häufigsten auslösenden Medikamente heraus: Sulfonamide, Aminopenizilline, Chinolone, Chlormezanon, Carbamazepin, Phenobarbital, Phenytoin, Valproinsäure, Oxicame, Pyrazolone und Allopurinol.
Die Frage der Kortikosteroidgabe bei TEN wird immer noch kontrovers diskuitert. Mittlerweile besteht Einigkeit, dass wenn u. a. mit Steroiden behandelt wird, dies sehr früh, aber nicht zu lange geschehen sollte. Kleinere Fallsammlungen und Kasuistiken liegen vor zu Ciclosporin A, Cyclophosphamid, Thalidomid, intravenösen Immunglobulinen und der Plasmapherese [36].
Die Forschung zur Allergotoxikologie legte den Grundstein zur Umweltmedizin in der Dermatologie/Allergologie [4]. In großen epidemiologischen Studien wurden allergische Atemwegserkrankungen und irritative Erkrankungen der oberen Luftwege zwischen dem ehemaligen West- und Ostdeutschlands verglichen [4]
[25]. Die allergische Rhinitis und das allergische Asthma bronchiale waren in Ostdeutschland seltener als in Westdeutschland. Typ I-Schadstoffe wie Schwefeldioxid und große Schwebstaubpartikel waren typisch für die industrielle Luftverschmutzung im Osten und führten zu irritativ-entzündlichen Atemwegsreizungen. Typ II-Schadstoffe wie Stickstoffoxide, flüchtige organische Substanzen und ultrafeine Partikel, die typisch für die westliche, verkehrsbedingte Umweltverschmutzung sind, fördern eher die Entwicklung allergischer Atemwegserkrankungen. Aber auch die Pollen selbst erfahren durch Luftschadstoffe eine morphologische Veränderung, die verantwortlich für den Allergenausstrom ist. Schadstoffbelastete Pollenkörner wiederum aktivieren Entzündungsmediatoren. Kinder, die auf dem Bauernhof groß wurden, hatten weniger Allergien als Großstadtkinder [15].
Neue Krankheitsbilder
Neue Krankheitsbilder
Erkenntnisse über pathophysiologische Zusammenhänge und „Anti-Aging”-Angebote haben zur Entwicklung von neuen Krankheitsbildern geführt. Notwendig war daher die Erweiterung der Klassifikation pathogener Immunreaktionen nach Coombs und Gell (1963) um die Reaktionstypen V und VI (Tab. [2]). Diese Klassifikation wird den neu aufgetretenen Krankheitsbildern gerecht. Es sind nicht mehr nur die Injektionsgranulome z. B nach Hyposensibilisierung oder nach Applikation Zirkonium-haltiger Deodorantien, die Granulome auslösen. Maßnahmen der ästhetisch rekonstruktiven Dermatologie, z. B. die Injektion von Fillern zur Augmentation von Gesichtsfalten oder die Injektion von Farbpigmenten zur bleibenden Darstellung einer Lippenkontur (Abb. [2]) oder Lidstrichs [32] führen zur Induktion von Granulomen.
Tab. 2 Erweiterung der Klassifikation nach Coombs und Gell
Typ | Pathogenese | Krankheitsbilder | Pathophysiologische Auslöser/Beispiele |
V | Granulomatöse Reaktion | Injektionsgranulome (2 - 5 Wochen nach Injektion) | Granulome nach Injektion von Fillern, histologisch Epitheloidzellgranulome |
VI | Stimulierende (durch spezifische Ak-Wirkung) oder neutralisierende Überempfindlichkeit | Autoimmunthyreoiditis
Myasthenia gravis
Reverse Anaphylaxie
Chronische „autoimmune” Urtikaria | LATS = long acting thyroid stimulating hypersensitivity, AK gegen den Acetylcholinrezeptor an der motorischen Endplatte Injektion von AK gegen Zellen führt zu Unverträglichkeitsreaktionen, z.B Anti-IgE oder Ak gegen den IgE-Rezeptor
Auto-Ak gegen FcεR I |
Als Typ VI-Reaktionen mit stimulierender/neutralisierender Reaktion können z. B. als Sonderformen der chronischen Urtikaria angesehen werden, die eine positive Hauttestreaktion auf autologes Serum aufweisen. Antikörper gegen den hochaffinen IgE-Rezeptor (FcεR I) werden gefunden [14] (Abb. [3], Abb. [4]). Entsprechend gestaltet sich die Therapie schwierig, das Ansprechen auf Antihistaminka ist schlecht und auf Immunsuppressiva besser.
Abb. 3 Positiver autologer Serumtest bei chronischer Urtikaria.
Abb. 4 Bei der autoimmunen Urtikaria werden Antikörper gegen den hochaffinen IgE-Rezeptor FcεR I gefunden.
Die exogen allergische Alveolitis wird als Typ III- und Typ I-Reaktion mit humoralen, lymphozytären und granulomatösen Reaktionen beschrieben [29], S. 198ff.), ausgelöst durch:
-
Bakterienantigene: Micropolyspora faeni, Farmerlunge, Thermoactinomyces sacchari, Tabakarbeiterlunge
-
Enzyme: Alkalase, Maxatase, Waschmittellunge
-
Pilze: Alternaria, Holzarbeiter-, Papierarbeiterlunge, Penicillium casei, Käsewäscherlunge, Botrytis cinerea, Winzerlunge
-
tierische Allergene: Vogelfedern, -kot, -ei, Vogelhalterlunge, Rattenserumantigene im Rattenurin, Tierpflegerlunge
-
Chemikalien: Isozyanate, Isozyanat-Alveolitis in der Kunststoffherstellung.
Als Erstes als allergisch eingestuft wurde die Farmerlunge von Pegys 1963. Die akute Form ist gekennzeichnet durch Dyspnoe, Fieber, Husten, Kopfschmerzen und Abgeschlagenheit nach einer Latenzzeit von 6 - 12 Stunden mit Infiltraten im Röntgen-Thorax und einer restriktiven Ventilationsstörung mit Diffussionsstörung. Der Nachweis kann über präzipitierende Antikörper und Provokationstestung geführt werden. Chronische Verlaufsformen allergischer Alveolitiden stellen nach wie vor eine differentialdiagnostische Herausforderung dar. Röntgenologisch zeigen sie eine Lungenfibrose und erhöhte Entzündungsmarker.
Die Latex-Kontakturtikaria hat einen Boom erlebt. Bis hin zu 10 % der Beschäftigten in medizinischen Berufen waren betroffen. Die Umstellung auf ungepuderte Latexhandschuhe und die Ersatzmöglichkeiten durch Nitril oder Neopren im beruflichen Umfeld haben zur Entspannung der Situation beigetragen. Bedeutsam ist die Abklärung etwaiger Kreuzreaktionen zu Nahrungsmitteln (Abb. [5], Abb. [6]) [3]
[33].
Abb. 5 Latexallergien können als Soforttypallergien, aber auch als Spättypallergien im Epikutantest nachgewiesen werden, hier ein Latex-haltiges Kondom (Latexfreie Alternative: Avanti®).
Abb. 6 Nahrungsmittelkreuzallergene zu Latex sind „Exotische Früchte” wie Banane, Avokado, Kiwi, Mango, Papaya, Feige, aber auch u. a. Buchweizen, Kastanie und Artischocke.
Die Azetylsalicylsäure-Idiosynkrasie mit der Symptomatik Asthma und Urtikaria findet sich oft vergesellschaftet mit einer Polyposis nasi und chronischer Sinusitis und wird nach ihrem Erstbeschreiber 1968 Samter'sche Trias genannt. Pathophysiologisch werden eine direkte Mediatorfreisetzung oder eine Komplementaktivierung, Stimulation von Thrombozyten oder eine Modulation des Eikosanoidstoffwechsels diskutiert [37]. Für das Aspirin-induzierte Asthma bronchiale und in manchen Fällen für die Polyposis nasi hat sich die adaptive Desaktivierung bewährt, d. h. die tägliche Einnahme von 500 mg Aspirin. Auf die ASS-getriggerte Urtikaria oder anaphylaktische Reaktionen auf Aspirin hat dieses Therapiekonzept jedoch keinen Effekt.
Die Gabe von nichtsteroidalen Antiphlogistika gleichzeitig mit einem Allergenkontakt führt über Summationseffekte zur „ASA Augmentation” [26]. Ähnliche Summationseffekte kennen wir von der „Exercise induced Urtikaria”, dem Zusammenreffen von sportlicher Tätigkeit und Allergenkontakt [31].
Hereditäre angioneurotische Ödeme (HANE) können familiär gehäuft auftreten. Sie werden durch lokale Traumata ausgelöst. Der Defekt des C1-Esterase-Inhibitors kann durch Substitution mit Berinert® im Akutfall behoben werden, das mittlerweile zur Medikamentenausstattung jeder Notfallaufnahme gehört. Weitere Therapieoptionen sind Danazol oder Stanazol, androgene Substanzen, die die Konzentration des C1-Esterase-Inhibitors steigern, oder die Epsilon-Amino-Capronsäure, die als Fibrinolysehemmer wirkt [7]
[12].
Differentialdiagnostisch ist das HANE abzugrenzen vom ACE-Hemmer induzierten Angioödem, dem eine Aktivierung des Kallikrein-Kinin-Systems zugrunde liegt [2].
Beschwerden nach Infusionen mit Hydroxyäthylstärke (HAES)-Infusionen können zwei Ursachen haben. Eine Pseudoallergie kann eine anaphylaktoide Reaktion erklären. Weiter kennen wir den ausgesprochen therapieresistenten HAES-Pruritus. Eine histaminunabhängige direkte Stimulation von Nozizeptoren wird vermutet. HAES ist verbreitet als Plasmasubstitut aufgrund des geringen Risikos anaphylaktischer Reaktionen im Vergleich zu den Dextranen. Mit zunehmender applizierter Infusions-Dosis zeigen sich Vakuolisierungen durch Ablagerungen der HAES in Histiozyten, Endothelzellen der Blut-und Lymphgefäße, basalen Keratinozyten, Epithelien der Schweißdrüsen und kleinen peripheren Nervenendigungen, wobei Letzteres für den Juckreiz verantwortlich gemacht wird. In peripheren Nervenendigungen verschwinden die Ablagerungen nach Monaten. In dieser Zeit sind Opiatrezeptorantagonisten wie Naltrexone eine Therapieoption [22], insbesondere da der HAES-Pruritus therapeutisch sonst nicht anzugehen ist. Da Pruritus auch über endogene Opiate modifiziert und über zentrale Opiat-Rezeptoren wahrgenommen wird, unabhängig von Histamin, ist diese am zentralen Nervensystem angreifende Therapie hilfreich. Kasuistisch wird über ein Ansprechen des HAES-Pruritus auf Capsaicin und PUVA berichtet.
Schlagworte unserer Zeit sind Chemisierung der Umwelt, Elektrosmog, Schwermetallbelastung, Strahlung, Ozon und Schadstoffe aus unserer Umwelt, die als Auslöser von Krankheiten diskutiert werden. Die neue Zusatzbezeichnung Umweltmedizin trägt dem Rechnung und ist seit 1. Mai 1995 in der Weiterbildungsordnung der Ärztekammern verankert. Umweltmedizinische Fragestellungen erfordern oft die Zusammenarbeit aller medizinischer Disziplinen und inhaltlich insbesondere die Dermatologie/Allergologie, aber auch die Toxikologie, Immunologie, Arbeitsmedizin und die Allgemeine Hygiene. Der Mensch empfindet sich zunehmend als „erdrückt“ von chemischen, physikalischen und biologischen Einflüssen. Zum „Okö-Syndrom“ einem von Ring vor mehr als 20 Jahren geprägten Begriff, sind neue Termini getreten wie „Sick Building Syndrome“, „Chronic Fatigue Syndrome“, „Multiorgan-Dysästhesie“, „Multiple Chemical Sensitivity Syndrome (MCS)“ [9]. Unter MCS wird ein ungeklärtes Beschwerdebild vestanden, bei dem kleinste Mengen verschiedenartiger chemischer Substanzen bei einer kleinen Zahl von Personen vielfache Symptome hervorrufen (Tab. [3] u. [4]). Beim Treffen der Weltgesundheitsorganisation in Berlin 1996 wurde unter Mitwirkung des Umweltbundesamts und des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin festgehalten, dass auch andere Ursachen als chemische für gleichartige oder ähnliche Beschwerdebilder, wie beim MCS geklagt, vermutet werden. Man einigte sich darauf, den Begriff MCS zu ersetzten durch idiopathische, d. h. ohne erkennbare Ursachen entstandene umweltbezogene Unverträglichkeiten, „Idiopathic Environmental Intolerances (IEI)“. Die Ätiologie ist bisher noch nicht geklärt. Erklärungsmodelle sind Vergiftungen durch Umweltschadstoffe, individuelle Enzymdefekte der Betroffenen, Chemikalien-bedingte Störungen des Immunsystems, allergologisch begründete Überempfindlichkeiten, Nervenschädigungen oder olfaktorisch/limbische Schädigungen durch Umweltnoxen und psychiatrische oder psychosomatische Erkrankungen. Es bleibt unbestritten, dass betroffene Patienten unter starkem Leidensdruck stehen und Forschungsbedarf zu Natur und Ursachen umweltbezogener Unverträglichkeiten besteht.
Tab. 3 Beschwerden, die von Multiple Chemical Sensitivity (MCS) Patienten angegeben werden
Alkohol- und Nahrungsmittelintoleranz |
allergische Beschwerden |
Atem- und Herzbeschwerden, Herz-Kreislaufsensationen, Durchblutungsstörungen |
Augenbrennen, Schleimhautreizungen |
Benommenheit, Denk-, Konzentrations-, Gedächtnisstörungen |
Dreh- und/oder Schwankschwindel |
Kopf-, Muskel-, Gelenkschmerzen, Muskelkrämpfe |
Sprachstörungen, Depressionen, Reizbarkeit, Erschöpfbarkeit, Müdigkeit |
Übelkeit, Verdauungsstörungen |
Tab. 4 Ausschlusskriterien für MCS nach Cullen (9)
Monosymptomatische Befindlichkeitsstörungen |
Dauerbeschwerden |
Pharmakologisch/allergologisch/physiologisch oder biochemisch erklärbare Beschwerden |
Beschwerden ohne nachweisbare Exposition |
Zeitlich vor dem angeschuldigten Auslöser aufgetretene Beschwerden |
Beschwerden bei „hoher“ Konzentration im Bereich der Wirkschwellen |
Trotz aller positiven Entwicklungen bleiben weitere allergologische Aufgaben. Piercing an der Konjunktiva des Auges ist eine neue Modeströmung. Die Folgen aus allergologischer Sicht sind noch nicht klar. Offensichtlich ist in unserem Gesundheitswesen die Pollinose nicht mehr abgebildet, und Antihistaminika werden für diese Indikation nicht mehr als Kassenleistung übernommen. Wir sind weiterhin gefordert in unserem Bemühen um eine gute Versorgung der Allergiker.