Einleitung
Die Dyskeratosis follicularis Darier ist eine autosomal-dominant vererbte Genodermatose
mit hoher Penetranz, ausgeprägter Spontanmutationsrate und einer variablen, von exogenen
Faktoren beeinflussten Ausprägung der jeweils vorliegenden Symptomatik [1]. Pathogenetisch ist der Morbus Darier durch einen Verlust der epidermalen Zelladhäsion
und durch eine gestörte Keratinisierung gekennzeichnet. Der für die Erkrankung verantwortliche
genetische Defekt konnte auf dem Chromosom 12 in der Region 12 q23 - q24.1 kartiert
werden [2]. Sakuntabhai et al. gelang es 1999, verschiedene Mutationen im ATP2A2-Gen der genannten
Region nachzuweisen [3]. Das Gen kodiert eine im sarkoendoplasmatischen Retikulum lokalisierte kalziumabhängige
ATPase (SERCA2), die für den aktiven Transport von Kalzium-Ionen vom Zytosol in das
Retikulum verantwortlich ist. Die Ausbildung epithelialer Zellkontakte durch Desmosomen
und die Differenzierung der Epidermis sind dabei von der zytosolischen Kalzium-Konzentration
abhängig. Möglicherweise sind die unterschiedlichen Mutationen für die phänotypischen
Variationen des Morbus Darier verantwortlich. Dabei ist das klinische Bild der Dermatose
insgesamt charakteristisch. Typischerweise entwickeln sich im ersten oder zweiten
Lebensjahrzehnt zunächst linsengroße, graubraun oder dunkelbraun pigmentierte, keratotische
Papeln, die einzeln, gruppiert oder auch zu größeren Beeten konfluierend auftreten
können. Zu den Prädilektionsstellen, in denen sich die Papeln in symmetrischer Anordnung
langsam progredient entwickeln, zählen die seborrhoischen und intertriginösen Areale,
das Gesicht und der behaarte Kopf sowie die großen Gelenkbeugen. Palmoplantare Keratosen,
punktförmige Unterbrechungen der Papillarlinien sowie Nagelplatten- und Schleimhautveränderungen
vervollständigen das klinische Bild [4]. Zu den histopathologischen Befunden des Morbus Darier gehören neben einer Akanthose
und Hyperkeratose, eine suprabasale akantholytische Spaltbildung sowie eine fokale
Dyskeratose mit Corps ronds, großen dyskeratotischen Zellen, und Grains, parakeratorischen
Zellen [5]
[6].
Im Gegensatz zum klassischen klinischen Bild des Morbus Darier sind vereinzelt lokalisierte
Manifestationsformen beobachtet worden. Die verschiedenen Ausbreitungsmuster dieser
umschriebenen Formen können im Allgemeinen dem System der Blaschko-Linien zugeordnet
werden. Auch der hier vorgestellte Fall ist als lokalisierter Morbus Darier einzuordnen,
wobei die umschriebene Manifestation in Form eines aus mehreren aggregierten Papeln
bestehenden singulären Herdes als außergewöhnlich anzusehen und mit keinem zweiten
Fall in der uns zur Verfügung stehenden Literatur vergleichbar gewesen ist.
Kasuistik
Anamnese
Der jetzt 74-jährige Patient hatte vor zwei Jahren erstmals nicht juckende Hautveränderungen
am vorderen Dekolleté links bemerkt. Dabei waren zunächst kleinere Herde aufgetreten,
die anschließend zu einem größeren Areal konfluierten. Seit etwa einem Jahr hatte
sich der Befund in Form und Größe nicht mehr verändert. Die Familienanamnese war unauffällig.
Bei den Eltern, Geschwistern, Kindern und Enkelkindern des Patienten ergaben sich
insbesondere keine Hinweise für einen bekannt gewordenen Morbus Darier.
Dermatologischer Befund
Am vorderen Dekolleté links lateral auf einem ca. 4 cm großen Erythem gruppiert stehende,
2 - 5 mm durchmessende, teilweise konfluierende Papeln mit verruköser Oberfläche.
In der unmittelbaren Umgebung einzelne Papeln gleicher Morphologie. Derber Palpationsbefund
(Abb. [1] u. [2]). Übriges Hautorgan unauffällig. Keine pathologischen Befunde im Bereich der Mundschleimhäute
oder an den Nagelplatten der Finger. Im Daktylogramm keine Unterbrechungen der Papillarlinien.
Abb. 1 Lokalisierter Morbus Darier pektoral links.
Abb. 2 Detailaufnahme.
Histopathologischer Befund
Das 4mm-Stanzbiopsat zeigt zwei voneinander getrennte Bereiche mit suprabasaler Akantholyse.
Die Epidermis weist hier eine perpendikuläre Proliferation der Basalzellen auf. In
höheren Epidermislagen finden sich Dyskeratosen, übergehend in eine verbreiterte,
parakeratotische Hornschicht (Abb. [3] u. [4]). Der Befund ist charakteristisch für eine fokale akantholytische Dyskeratose. Dieser
Befund ist nicht spezifisch, aber charakteristisch für einen Morbus Darier.
Abb. 3 Die Übersichtsvergrößerung zeigt zwei durch unaufällige Epidermis voneinander getrennte
Bereiche mit fokaler akantholytischer Dyskeratose (HE, 1 : 20).
Abb. 4 Zur Tiefe hin weist die Epidermis perpendikuläre Verlängerungen der Basalzellschicht
auf. Suprabasal findet sich eine Akantholyse. Im Stratum spinosum einzelne Dyskeratosen.
Parakeratorische Hautschicht (HE, 1 : 250).
Therapie und Verlauf
Unter Anwendung von Salizyl-Vaseline 5 % bildeten sich die Hyperkeratosen nur teilweise
zurück. Bei einer Wiedervorstellung nach sechs Monaten waren keine neuen Herde aufgetreten.
Diskussion
Die in begrenzten Arealen auftretenden Formen des Morbus Darier sind je nach klinischem
Ausbreitungsmuster als linear, zosteriform, näviform, segmentär oder unilateral beschrieben
worden. [1]
[7]
[8]
[9]
[10]. In der angloamerikanischen Literatur werden diese Manifestationen meist einheitlich
als lokalisierte Formen bezeichnet [11]
[12]. Da die im deutschen Sprachgebrauch verwendeten Adjektive der allen umschrieben
auftretenden Manifestationsformen gemeinsamen genetischen Störung nicht gerecht werden,
erscheint der übergeordnete Begriff der lokalisierten Formen sinnvoller.
Der Morbus Darier gilt als eine seltene Dermatose. Gesicherte epidemiologische Daten
finden sich in der Literatur kaum, wobei Prävalenzraten von 1 : 55 000, 1 : 75 000
und 1 : 100 000 angegeben werden [13]
[14]
[15]. Noch seltener sind lokalisierte Manifestationen beobachtet worden. Ihre Häufigkeit
wird auf 1 - 10 % aller Darier-Erkrankungen geschätzt [1].
O'Malley et al. konnten bis 1997 in der englischsprachigen Literatur einschließlich
eigener Beobachtungen insgesamt 40 lokalisierte Darier-Fälle zusammenstellen [12]. Innerhalb dieser Gruppe war die Geschlechtsverteilung mit jeweils 20 betroffenen
Patientinnen und Patienten ausgeglichen. Das mittlere Alter der Patienten betrug zu
Beginn der Dermatose 27 Jahre, wobei 12 der 40 Patienten zu diesem Zeitpunkt älter
als 30 Jahre waren. Bei dem jüngsten Patienten lagen die Hautveränderungen bereits
bei der Geburt vor, während sich die Dermatose bei dem ältesten Patienten erst mit
79 Jahren manifestierte. Somit treten die lokalisierten Formen des Morbus Darier bei
einem Großteil der Patienten erst in einem höheren Lebensalter auf, im Gegensatz zur
klassischen Form der Dermatose, die üblicherweise bereits in der Kindheit oder in
der Adoleszenz beobachtet wird [4]. Auch die Anordnung und die Verteilung der lokalisierten Formen unterscheiden sich
von den Befunden des klassischen Morbus Darier. Die lokalisierten Formen treten solitär
oder in wenigen Einzelherden auf, zeigen keine symmetrische Verteilung und finden
sich in der Regel nicht im Bereich der intertriginösen oder seborrhoischen Areale.
Der lokalisiert auftretende Morbus Darier zeigt sich bevorzugt am Rücken, lateral
am Stamm sowie im Bereich der Extremitäten. Nur selten finden sich bei einem lokalisierten
Morbus Darier assoziierte Symptome, wie z. B. Pigmentierungen, Keratosen der Handrücken
und Schleimhäute, Unterbrechungen der Papillarlinien oder Störungen des Nagelwachstums
[1]
[12]. Des Weiteren fehlt bei den lokalisierten Formen der sonst typische lebenslang progrediente
Verlauf des Morbus Darier. Die Häufigkeit, das Manifestationsalter, die Lokalisation
der Effloreszenzen, das Fehlen oder der Nachweis assoziierter Symptome und der Verlauf
können somit als klinische Kriterien herangezogen werden, um die lokalisierten Formen
grundsätzlich von der klassischen Ausprägung des Morbus Darier abzugrenzen. Andererseits
gibt es zahlreiche Befunde, die die gemeinsame nosologische Einordnung der verschiedenen
Darier-Formen begründen. Zu diesen Merkmalen zählen die charakteristische primäre
Effloreszenz der hyperkeratotischen Papel, die einheitlichen Befunde in der Licht-
und Elektronenmikroskopie sowie die gemeinsamen exogenen Provokationsfaktoren Wärme,
Transpiration und Sonnenlicht [1]
[4]
[12]
[16]. Auch das therapeutische Ansprechen auf die gleichen Behandlungsverfahren ist bei
allen Formen des Morbus Darier identisch [4]
[12]
[17].
Ein weiterer interessanter Aspekt der lokalisierten Darier-Formen ist deren genetische
Einordnung. Während der Morbus Darier in seiner klassischen Form zu den autosomal-dominant
vererbten Genodermatosen gezählt wird, ist die Stellung der lokalisierten Formen längere
Zeit kontrovers diskutiert worden. Zum einen wurden die lokalisierten Formen als Varianten
der klassischen Manifestation des Morbus Darier dargestellt, zum anderen als epidermale
Nävi eingeordnet. Von Starink und Woerdeman wurde erstmals der Name akantholytischer
dyskeratotischer epidermaler Nävus verwendet [17]. Die Beobachtung singulärer Herde oder die bilaterale asymmetrische Verteilung mehrerer
Herde, die nicht vorhandene familiäre Belastung und das Fehlen assoziierter Symptome
wurden zunächst als Hinweise für eine Nävus-Genese gewertet [17]
[18]. Mit dieser Auffassung nicht vereinbar waren in der Folgezeit einzelne Kasuistiken,
in denen neben Darier-typischer Morphen in umschriebenen Lokalisationen dann doch
assoziierte Symptome beschrieben wurden, wie z. B. Unterbrechungen der Papillarlinien,
Nagelveränderungen oder Keratosen der Handrücken und Schleimhäute [13]
[16]
[19]. Des Weiteren wurde darauf hingewiesen, dass epidermale Nävi typischerweise bereits
in der frühen Kindheit auftreten, allenfalls ein zeitlich begrenztes Wachstum zeigen
und ihre Ausprägung keinen Provokationsfaktoren unterliegt, z. B. einer Sonnenaggravation,
wie dies für den Morbus Darier und auch für die lokalisierten Formen typisch ist [16]. Das lokalisierte Auftreten der Darier-Morphen im Verlauf der Blaschko-Linien ist
als Ausdruck einer Mosaikmanifestation des Morbus Darier gewertet worden [19]
[20]. Unter einem Mosaik versteht man einen Organismus, der aus mindestens zwei genetisch
verschiedenen Zellklonen besteht, die sich aus einer einheitlichen Zygote entwickelt
haben [21]. Im einfachsten Fall ist die Mosaikbildung auf eine postzygote Mutation zurückzuführen
[22]. Das klinisch erkennbare Hervortreten der Blaschko-Linien hängt dabei vom Ausmaß
der Mosaikbildung ab und ist offensichtlich häufiger als vermutet, da die in einzelnen
Kasuistiken als zosteriform beschriebenen Manifestationen tatsächlich dem Verteilungsmuster
der Blaschko-Linien zugeordnet werden können [10]
[23]. Darüber hinaus erklärt die Mosaikbildung auch das Auftreten assoziierter Symptome
bei den lokalisierten Formen des Morbus Darier. Das Ausmaß der klinischen Manifestation
der Dermatose hängt dabei vom Zeitpunkt der Mutation ab, die zur Mosaikbildung führt.
Je früher die Mutation in der Embryogenese auftritt, desto ausgedehnter wird das klinische
Bild [1]. Der Zeitpunkt der Mutation ist verantwortlich für das Ausmaß der lokalisierten
Formen und für das Auftreten der assoziierten Symptome: Bei einer spät auftretenden
Mutation werden die Darier-Morphen nur in einer sehr umschriebenen Lokalisation vorliegen,
während assoziierte Symptome vollständig fehlen [19].
Auf Grund genetischer Befunde wurde der Mosaikbegriff erstmals von Happle in die Nävusdefinition
aufgenommen. Demzufolge sind Nävi sichtbare, umschriebene, langfristig bestehende
Haut- oder Schleimhautveränderungen, die ein genetisches Mosaik widerspiegeln [24]. Dabei ist die Mosaiknatur der Nävi nicht nur für epidermale Formen, sondern auch
für kongenitale melanozytäre Nävi nachgewiesen worden [25]. In der Diskussion um einen sich verändernden Nävusbegriff hat Jung auf die Schnyder'sche
Regel zur Erblichkeit von Hauttumoren hingewiesen [21]
[27]. Bei bestimmten kutanen Tumorformen, z. B. Trichoepitheliome oder Zylindrome, sind
die multiplen disseminiert auftretenden Exemplare genetisch determiniert und werden
autosomal-dominant vererbt, während die histogenetisch identischen singulären Exemplare
keine Erblichkeit aufweisen. Im Gegensatz zu den singulär auftretenden Tumoren sind
die multiplen Formen selten, entwickeln sich in frühen Lebensabschnitten und können
assoziierte Symptome aufweisen.
Auch die segmentär angeordneten, nicht familiär zu beobachtenden, auf einer somit
postzygoten Mutation beruhenden Tumorformen wurden von Jung der Gesetzmäßigkeit der
Schnyderschen Regel unterstellt. Das Gesagte gilt z. B. für die Abgrenzung des Morbus
Recklinghausen von segmentär auftretenden Varianten oder einzelnen Neurofibromen.
Neben der Anwendung der Schnyderschen Regel bei bestimmten Tumorformen der Haut hat
Jung die Gültigkeit der Regel auch auf den Morbus Darier und seine lokalisierten Formen
übertragen [26]. In Ergänzung zur Nävusdefinition von Happle hat Jung folgerichtig darauf hingewiesen,
dass sich der Mosaikzustand eines Nävus oft in einer segmentären Anordnung im Verlauf
der Blaschko-Linien manifestiert [27]. Vor dem Hintergrund der von Happle und Jung geprägten Diskussion über einen modernen
Nävusbegriff ist die Frage, ob die lokalisierten Formen des Morbus Darier als Nävus
oder als Variante der klassischen Form der Dermatose zu werten sind, hinfällig, da
beide Einschätzungen von einer genetischen Mosaikbildung ausgehen und sich somit gegenseitig
keineswegs ausschließen [22].
Der hier vorgestellte Fall erfüllt die typischen Zeichen der lokalisierten Formen
eines Morbus Darier. Neben einer unauffälligen Familienanamnese, dem Fehlen assoziierter
Symptome und der Manifestation in einem hohen Lebensalter ist die außerordentlich
umschriebene Manifestation der Dermatose zweifellos bemerkenswert. Die aufgrund des
histopathologischen Befundes einer fokalen akantholytischen Dyskeratose zu diskutierenden
Differenzialdiagnosen, z. B. eines warzigen Dyskeratoms, eines Morbus Grover oder
einer papulösen akantholytischen Dyskeratose, konnten anhand der unterschiedlichen
klinischen Befunde der jeweiligen Dermatosen sicher ausgeschlossen werden [28]
[29]
[30].