Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2004; 39(11): 655-656
DOI: 10.1055/s-2004-826088
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

CGRP-Rezeptorantagonisten zur Therapie des Migräne-Anfalls: Interessante Ergänzung oder therapeutischer Durchbruch?

CGRP-Receptor Antagonists for the Treatment of Acute Migraine: Interesting Option or Therapeutic Breakthrough?H.  G.  Kress1
  • 1 Klinische Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin (B), Medizinische Universität Wien/AKH, Österreich
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Publication Date:
02 November 2004 (online)

Weltweit leiden bis zu 15 % der erwachsenen Bevölkerung an Migräne, die damit zu den häufigsten Schmerzerkrankungen überhaupt gehört. Ihre individuellen wie sozio-ökonomischen Konsequenzen sind erheblich. Entsprechend intensiv wurde in den letzten zwei Jahrzehnten nach neuen, besser und spezifischer wirkenden Medikamenten zur Anfallsbehandlung gesucht und mit den Triptanen eine Substanzklasse gefunden, mit der die Therapie der akuten Migräne-Attacke bei vielen Patienten signifikant verbessert werden konnte [1].

Triptane sind selektive 5-HT1B/1D-Rezeptoragonisten, die unter der pathophysiologischen Vorstellung einer für die Migräne-Attacke relevanten Dilatation zerebraler Gefäße primär als Vasokonstriktoren entwickelt wurden. Seit der Einführung von Sumatriptan als erstem Vertreter dieser Substanzklasse wurden Bioverfügbarkeit, Plasmahalbwertszeit, Penetrationsfähigkeit ins ZNS oder Rezeptoraffinität mit jeder neuen Triptangeneration verbessert und für einige Triptane auch neue Applikationswege eröffnet. Dennoch erreichen selbst mit den oralen Triptanen der neuesten Generation weniger als 50 % der Patienten eine vollständige und andauernde Attackenkupierung [2]. Aufgrund ihrer extrakranialen vasokonstriktorischen Potenz sind Triptane außerdem kontraindiziert bei koronarer Herzkrankheit und Patienten mit latentem Risiko zur Entwicklung einer bedrohlichen 5-HT1B-induzierten koronaren Minderdurchblutung.

Die aktuelle Übersicht von Herbert und Holzer in diesem Heft [3] stellt nun ein ganz neues Behandlungskonzept akuter Migräne vor: Einen nichtpeptidischen Rezeptorantagonisten des Neuropeptides Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP), entwickelt von Boehringer Ingelheim unter der sperrigen und wenig eingängigen Kurzbezeichnung BIBN 4096 BS [4].

In der Septemberausgabe des New England Journal of Medicine [5] wurden die mit Spannung erwarteten Ergebnisse einer internationalen Multizenterstudie bei 126 Patienten mit Migräneattacken publiziert, die die Wirksamkeit und Verträglichkeit dieses neuen Behandlungsprinzips erfolgreich belegen.

Was ist das Besondere an dieser - gemessen an anderen Arzneimittelstudien - eher kleinen Phase II-Untersuchung, dass sie sogleich zu einer aktuellen Übersicht in AINS Anlass gibt? Ausgehend von neueren pathophysiologischen Vorstellungen zur neurovaskulären Genese der Migräne richtete sich in den letzten Jahren das Interesse der Migräneforschung unter anderem auch auf die mögliche Rolle einer neurogen ausgelösten Entzündung bei der Generierung des typischen Migräneschmerzes, insbesondere auf den Beitrag der durch CGRP ausgelösten Dilatation meningealer und zerebraler Gefäße. Von Herbert und Holzer [3] in diesem Heft übersichtlich und verständlich dargestellt, hat die über die CGRP-Freisetzung vermittelte Beteiligung des trigeminovaskulären Systems an der Schmerzentstehung schließlich direkt zum Konzept des CGRP-Antagonismus geführt, das mit der jüngsten Studie erstmals eindrucksvoll am Patienten belegt werden konnte.

Bedeutet dies nun das „Aus” für die eben noch hoch gelobten und bei vielen Patienten auch gut wirksamen Triptane? Sicher nicht - denn zu viele Fragen sind auch nach dieser ohne Zweifel bemerkenswerten ersten klinischen Studie noch offen. So reichen die bisherigen Daten bei weitem nicht aus, um die absolute kardiovaskuläre Sicherheit und Überlegenheit des CGRP-Antagonisten gegenüber Triptanen eindeutig und zweifelsfrei zu belegen. Fest steht allerdings schon jetzt, dass BIBN 4096 BS im Gegensatz zu den Triptanen keine vasokonstriktorischen Wirkungen besitzt und diesbezüglich einen Fortschritt darstellt [5]. Noch wissen wir außerdem nicht, ob CGRP-Antagonisten tatsächlich die Lücke schließen und genau denjenigen Migränepatienten helfen können, bei denen Triptane und Ergotaminderivate keine ausreichende Wirkung zeigen oder kontraindiziert sind. Verleichsdaten aus Studien mit den unterschiedlichen Substanzgruppen gibt es (noch?) nicht. Ebenfalls unklar ist, ob CGRP-Antagonisten vergleichbar wirksam sind wie Triptane? Schließlich bleibt noch offen, ob diese neue Substanzklasse das klinisch bessere Konzept darstellt, wenngleich vieles dafür spricht. Außerdem musste BIBN 4096 BS in der erwähnten Studie intravenös appliziert werden, was den Nutzen dieser Substanz für ambulante Patienten deutlich einschränkt. Hier ist auf neue Moleküle bzw. Molekülmodifikationen oder galenische Kunstgriffe zu hoffen, die CGRP-Antagonisten für den Patienten leichter anwendbar machen.

Alles in allem also kein Grund zu übersteigerter Euphorie, jedoch zu berechtigter Hoffnung auf neue Optionen für unsere Migränepatienten und auf eine wertvolle Ergänzung unseres therapeutischen Armamentariums zur Anfallsbehandlung. Wie in der Arbeit von Herbert und Holzer [3] zum Teil angedeutet, bieten CGRP-Rezeptorantagonisten außerdem auch vielfältige andere, zumindest theoretisch denkbare therapeutische Einsatzgebiete: So spielt CGRP eine Rolle bei Clusterkopfschmerz, vielleicht auch bei der Trigeminusneuralgie und dem Temporomandibulargelenksyndrom (Myarthropathie bzw. kraniomandibuläre Dysfunktion). Unabhängig davon wie die weitere Entwicklung dieser interessanten und viel versprechenden Substanzklasse auch aussehen mag, sie wird wesentlich zum besseren pathogenetischen Verständnis der Migräneattacke und der zugrunde liegenden Mechanismen beitragen und wahrscheinlich auch eine Ergänzung bisheriger Therapieoptionen für bestimmte Patientengruppen darstellen können. Und noch etwas hat die erfolgreiche klinische Testung des therapeutischen Konzepts des CGRP-Antagonismus bewiesen: Eine Vasokonstriktion ist zur erfolgreichen Behandlung der Migräneattacke nicht zwingend notwendig. Wir dürfen mit den Autoren der Übersichtsarbeit auf zukünftige experimentelle und klinische Ergebnisse gespannt sein.

Literatur

  • 1 Goadsby P J, Lipton R B, Ferrari M D. Migraine: current understanding and treatment.  N Engl J Med. 2002;  346 257-270
  • 2 Ferrari M D, Goadsby P J, Roon K L, Lipton R B. Triptans (serotonin, 5-HT1B/1D agonists) in migraine: detailed results and methods of a meta-analysis of 53 trials.  Cephalalgia. 2002;  22 633-658, Erratum in Cephalalgia 2003; 23 (1): 71
  • 3 Herbert M K, Holzer P. Eine Innovation in der akuten Migränetherapie: CGRP-Rezeptorantagonisten.  Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 2004;  39 657-661
  • 4 Doods H, Hallermayer G, Wu D, Entzeroth M, Rudolf K, Engel W, Eberlein S W. Pharmacological profile of BIBN 4096 BS, the first selective small molecule CGRP antagonist.  Br J Pharmacol. 2000;  129 420-423
  • 5 Olesen J, Diener H C, Husstedt I W, Goadsby P J, Hall D, Meier U, Pollentier S, Lesko L M. Calcitonin Gene-Related Peptide Receptor Antagonist BIBN 4096 BS for the Acute Treatment of Migraine.  N Eng J Med. 2004;  350 1104-1110

o. Univ.-Prof. Dr. Hans G. Kress

Klinische Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin (B), Medizinische Universität/AKH Wien

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