Es existieren eine ganze Reihe von Möglichkeiten, zelluläre Prozesse und insbesondere
die intrazelluläre Signaltransduktion zu beeinflussen. Eine attraktive Alternative
ist die Antisense-Technologie. Es handelt sich dabei um Einzellstrang-DNS-Sequenzen,
die komplementär mit den entsprechenden Basensequenzen der Zielproteine nach dem Prinzipien
der Watson-und-Crick-Basenpaarung hybridisieren. Der daraus resultierende Komplex
aktiviert das Enzym RNase H, das die spezifische mRNA zerstört und die Proteinsynthese
verhindert. Dieses Prinzip der Steuerung der Proteinexpression ist in den letzten
10 Jahren intensiv auf zellulärer Ebene erforscht, und bei einigen dermatologischen
Erkrankungen zur klinischen Anwendung weiterentwickelt worden.
Das Prinzip der Antisense-Anwendung
Das Prinzip der Antisense-Anwendung
Antisense-Oligonukleotide (ASO) sind kurze DNS-Sequenzen, die aus typischerweise 16
- 24 Basen bestehen und komplementär zur entsprechenden mRNA-Sequenz des Zielproteins
ausgewählt wurden. Die Bindung der ASO and die komplementäre mRNA erfolgt nach den
Prinzipien der Watson-und-Crick-Basenpaarung. Der Komplex aus ASO und mRNA aktiviert
das Enzym RNase H, welches dann die mRNA zerschneidet. Wird die Anzahl der spezifischen
mRNA intrazellulär deutlich reduziert, resultiert daraus auch eine verminderte Produktion
des Targetproteins. Aber auch die ASO werden durch intra- und extrazelluläre Enzyme
zerstört. Um die Halbwertszeit der ASOs zu verlängern und damit ihre Effektivität
zu erhöhen, werden ASOs chemisch modifiziert. Die bekannteste Modifikation sind so
genannte Phosphodiester Backbones, d. h. die Bindung zwischen den Basen wurde durch
den Austausch eines Sauerstoffatoms durch ein Schwefelatom modifiziert. Phosphotioat-ASOs
besitzen durch ihre erhöhte Resistenz gegenüber endogenen Nukleasen eine längere Halbwertszeit,
ohne dass die Hybridisierung mit den spezifischen Target-RNAs wesentlich verändert
ist. Die Modifikation ist jedoch auch für eine erhöhte Toxizität verantwortlich bzw.
in der klinischen Anwendung für reversible Nebenwirkungen wie Hypotension, Verlängerung
der partiellen Tromboplastin-Zeit und Bradykardie.
Antisense-Anwendung zur Identifikation von Prozessen der Signaltransduktion
Antisense-Anwendung zur Identifikation von Prozessen der Signaltransduktion
Die Anwendung von ASOs auf zellulärer Ebene kann unterschiedlich erfolgen. Ein sicheres
Verfahren ist die intranukleäre Injektion von ASOs. Dabei werden mit Hilfe eines Mikromanipulators
die ASO appliziert. Ausgangspunkt der Untersuchung war die Identifikation von G-Proteinen,
welche für die Signaltransduktion von Adenosin-3-Rezeptoren A3 zur Aktivierung der Phospholipase C verantwortlich sind. Die Adenosinrezeptoren umfassen
eine Gruppe von 4 heptahelikalen Rezeptoren, wie der A1-, A2A-, A2B- und A3-Rezeptor. [1]. G-Proteine koppeln funktionell mit heptahelikalen Rezeptoren, um mit Effektorproteinen
(Adenylyl Cyclasen, Phospholipase C-β und Ionenkannälen) zu interagieren. Die G-Proteine
bestehen aus 3 Untereinheiten α, β und γ, von denen 23 α, 5 β, und 11 γ bisher identifiziert
wurden [2]
[3]
[4]
[5]
[6]
[7]
[8]. Diese werden in 4 Unterfamilien eingeteilt Gs, Gi, Gq und G12, aufgrund ihrer Homologie
zur α-Untereinheit. Die Bindung eines Liganden an den Rezeptor führt zu einer Konformationsänderung
des Rezeptors, die einen Austausch von GDP zu GTP an der G-Protein α-Untereinheit
bewirkt und zu einer Dissoziation von Gα-GTP und dem βγ-Dimer führt. Beide, Gα und
freies Gβγ, können Effektorproteine aktivieren [9].
Zur Untersuchung diente die Rattenmastzelllinie RBL-2H3-hm1, die den A3-Rezeptor exprimiert und den stabil transfizierten muscarinischen Rezeptor m1 besitzt
[10]. Der A3-Rezeptor kann über Adenosin oder, wie hier gezeigt, mit dem Adenosin Analogon NECA
(5-n-ethylcarboxamidoadenosine) aktiviert werden. In der nachfolgenden Signaltransduktionskaskade
wird die PLC-β aktiviert, die zur Erhöhung von Inositolphosphaten und dann zur intrazellulären
Ca++-Erhöhung führt.
Bei dieser Zelllinie führte die Stimulation sowohl mit NECA als auch mit Carbachol,
einen m1-Antagonisten, zur intrazellulären Ca++-Erhöhung. Die Messung der Einzelzellen erfolgte fluorometrisch. Wurden die Zellen
mit Pertussistoxin vorbehandelt, war keine Ca++ nach Stimulation mit NECA nachweisbar, jedoch nach Stimulation mit Carbachol. Bei
Carbachol konnten wir in zurückliegenden Arbeiten zeigen, dass der m1-Rezeptor über
ein Pertussis-insensitives Gq/G11-Protein die PLC-β aktiviert [11]. Nach Stimulation des A3-Rezeptors mit NECA musste man also von einem Rezeptor-gekoppelten-Gi-Protein ausgehen.
Zur genauen Identifikation der bekannten Gi-Proteine Gi1, Gi2 oder Gi3 wurden Antisense-Oligonukleotide
intranukleär mit zwei unterschiedlichen Methoden appliziert. Eine Methode bestand
in der o. g. intranukleären Injektion von Antisense-Oligonukleotiden (Anti-Gαi1, Anti-Gαi2
und Anti Gαi3). Die gleichen Antisense-Oligonukleotide wurden mit ballistischem Transfer
auf Goldpartikel appliziert. Die letztgenannte Methode soll hier kurz vorgestellt
werden.
Ballistischer Transfer von Antisense-Oligonukleotiden
Ballistischer Transfer von Antisense-Oligonukleotiden
Für den ballistischen Transfer werden 1 - 10 × 106 Zellen auf Petrischalen für 1 h kultiviert. Vor der ballistischen Applikation wurden
Goldpartikel zusammen mit magnetischen Beads und Antisense-Oligonukleotiden inkubiert.
Der ballistische Transfer der Partikel erfolgte mit PDS-1000/He (BioRad). Getroffene
Zellen wurden mit Hilfe der magnetischen Beads aussortiert und für weitere 72 h kultiviert.
Diese Zellen wurden dann in einem weiteren Versuch mit Agonisten wie NECA oder zur
Kontrolle Carbachol stimuliert und die Ca++-Mobilisation wurde mit Hilfe des Furochroms Fura-2 mit einem Einzell-Imaging-System
gemessen.
Dabei zeigte sich, dass bei Zellen, die mit Anti-Gαi3-Antisense-Oligonukleotiden behandelt
wurden, keine Ca++-Mobilisation nach Stimulation mit NECA nachweisbar war. Mit einer nachfolgenden zweiten
Stimulation mit Carbachol (m1-Agonist) konnte jedoch eine Ca++-Mobilisation ausgelöst werden (Abb. 1 a). Zur weiteren Kontrolle der Experimente wurde auch die nichtmagnetische Fraktion
mituntersucht, die jeweils das gleiche Reaktionsmuster zeigte (Abb. 1 b).
Abb. 1 a NECA-induzierter Anstieg von [Ca++]i in RBL-2H3-hm1-Zellen nach Transfektion mit Anti-Gαi1, Anti-Gαi2 und Anti-Gαi3 ASO
durch ballistischen Transfer. Jede Kurve bezieht sich auf einen Mittelwert von 15
- 20 untersuchten Einzelzellen. b Das Balkendiagramm zeigt die Mittelwerte des NECA-induzierten [Ca++]i. Geschlossene Balken = magnetische Zellfraktion; offene Balken = nicht-magnetische
Zellfraktion.
Immunhistologische Untersuchungen zeigten auch, dass das Gαi3-Protein durch die Antisense-Behandlung
weitgehend unterdrückt wurde (Abb. [2]). Mit diesen Untersuchungen konnte das G-Protein identifiziert werden, welches mit
dem Adenosinrezeptor A3 koppelt, um nachfolgend die Phospholipase-β bzw. die Ca++-Mobilisation zu aktivieren.
Abb. 2 Immunfluoreszenz-Untersuchung mit Antikörpern gegen das G-Protein Gαi3 bei Zellen,
die mit Anti-Gαi1, Anti-Gαi2 und Anti-Gαi3-ASO transfiziert wurden.
Anwendung von Antisense-Molekülen bei Hauterkrankungen
Anwendung von Antisense-Molekülen bei Hauterkrankungen
Die lokale Anwendung von Antisense-Molekülen an der Haut im Bereich erkrankter Hautläsionen
ist eine nahe liegende und attraktive Idee. Hier sind jedoch viele Fragen im Vorfeld
zu beantworten. Zunächst ist es wichtig, die Aufnahme und Internalisierung von Antisense-Oligonukleotiden
sicherzustellen und zu überprüfen. Dabei können zum Teil Techniken mit fluoreszierenden
Antisense-Molekülen gewählt werden, die eine Gewebelokalisation invivo zulassen. Die
Aufnahme von Antisense-Nukleotiden ist von vielen Variablen abhängig. Die Wichtigsten
sind die Größe der Antisense-Nukleotide, die chemische Zusammensetzung, chemische
Modifikationen und Applikationsart (ballistischer Transfer, liposomaler Transfer,
Injektion, bakterieller Transfer, viraler Transfer …). Daneben muss die Pharmakokinetik
von Antisense-Oligonukleotiden in Betracht gezogen werden und mögliche Nebenwirkungen
durch z. B. chemische Modifikationen, die mit meist toxischen Reaktionen sich bemerkbar
machen. Unabhängig von den technischen Schwierigkeiten Antisense-Moleküle an den Wirkort
zu bringen, ist eine klare konzeptionelle Strategie wichtig, gezielt Proteine auszuschalten,
die direkt mit dem Krankheitsprozess in Zusammenhang stehen, ohne die physiologischen
zellulären Prozesse zu beeinflussen [12].
Antisense-Moleküle in der klinischen Anwendung - Erfahrungen mit dem bcl-2-Antisense-Oligonukleotid
Antisense-Moleküle in der klinischen Anwendung - Erfahrungen mit dem bcl-2-Antisense-Oligonukleotid
Die Erfolge in der experimentellen Medizin Antisense-Moleküle gegen viele Gene einzusetzen,
welche Proliferation, Angiogenese und Apoptose beeinflussen, bereitete den Weg für
den Einsatz dieser Moleküle in der klinischen Anwendung und insbesondere in der Onkologie.
Das mitochondriale Protein bcl-2 spielt eine zentrale Rolle bei Apoptose-Prozessen
und bei vielen Tumoren. Die Überexpression dieses Proteins stellt einen wichtigen
antiapoptotischen Faktor dar, der sicherlich einen wichtigen Teilaspekt für die Resistenz
von Tumorzellen gegen die traditionelle zytotoxische Chemotherapie darstellt. Ein
Beispiel für Antisense-Oligonukleotide, welche ihren Eingang in die klinische Anwendung
vollzogen haben, ist Oblimersen (Genasense™, AventisPharma/Genta Inc), ein 18-mer
Antisense-Oligonukleotid, welches spezifisch humanes bcl-2-mRNA bindet [13]. Die Applikation dieses Antisense-Oligonukleotids führt zur Aktivierung des Enzyms
RNAse H und damit zur selektiven Reduktion des bcl-2-Proteins im Verlauf der Translation.
Erfolgreiche präklinische und klinische Untersuchungen mit diesem Antisense-Oligonukleotid
bei unterschiedlichen Neoplasien führten zur klinischen Anwendung auch im Bereich
des malignen Melanoms. Gerade beim malignen Melanom ist die Expression des Protoonkogens
bcl-2 eng mit der Chemoresistenz maligner Melanomzellen verbunden. Dies konnte mit
Hilfe von In-vitro-Modellen und in Maus-Modellen reproduziert werden, da nach Applikation
von Antisense-Oligonukleotiden gegen bcl-2 das Protein deutlich verringert wurde und
eine nachfolgende systemische Therapie mit Dacarbacin z. B. im Maus-Modell zu einer
erhöhten Tumorreduktion führte. In einer klinischen Phase I - II-Studie konnte Jansen
und Mitarbeiter (2000) [14] zeigen, dass multiorganmetastasierte Patienten mit malignem Melanom die Kombination
aus Antisense-Molekülen und Gabe von Dacarbacin ohne eine nachweisbare dosislimitierende
Toxizität gut tolerieren. Die hämatologischen Nebenwirkungen waren mild bis moderat.
Höhere Dosen des Antisense-Moleküls führten zu einem kurzen transienten Fieber. Vier
Patienten zeigten eine transiente Leberfunktionsstörung, welche sich innerhalb einer
Woche zurückbildete. Sechs der vierzehn Patienten zeigten eine Tumorantwort (1 Komplettremission,
2 partielle Remissionen, 3 geringe Remissionen). Das mediane Überleben aller Patienten
lag über zwölf Monaten.
Ausblick
Ausblick
Zurzeit werden Antisense-Therapien bei einem breiten Spektrum von Erkrankungen eingesetzt,
insbesondere im onkologischen Bereich. Dabei werden neue Modifikationen von Antisense-Molekülen
entwickelt, die höhere Halbwertszeiten und geringere Toxizitäten aufweisen. Antisense-Moleküle
werden nicht mehr nur für ein bestimmtes Zielgen eingesetzt, sondern z. B. auch, um
alternatives splicing zu reduzieren, welches häufig mit einer Tumorprogression einhergeht.
Auch die Anwendung von RNAi (RNA interference) ist eine viel versprechende Anwendungsmöglichkeit.
Bei diesem Verfahren soll es nach RNAi-Anwendung zur Bildung von Doppelstrang-RNA
des Zielgens kommen und somit zur nachfolgenden Degradation der mRNA und Reduktion
der Translation. Neben inhibitorischen Effekten wurde auch gezeigt, dass Antisense-Oligonukleotide
immunstimulatorische Effekte durch z. B. CpG-Motive induzierten. Diese CpG-Oligonukleotide
können zur Optimierung von immunstimulatorischen Therapien in der Krebsbehandlung
genutzt werden. Je mehr Erfahrungen sich bei der Anwendung von Antisense-Oligonukleotiden
ergeben, umso mehr neue Fragen werden aufgeworfen. Die derzeitigen Beobachtungen zeigen
jedoch, dass Antisense-Nukleotide ein Potenzial haben, therapeutische Effekte zu bewirken,
insbesondere in Kombination mit anderen Therapien wie z. B. der Chemotherapie.